Rechtspopulismus ist eine politische Strömung in verschiedenen europäischen Staaten, die sich ab den späten 1970er Jahren in Westeuropa herausbildete und in den 1990ern auch in den Staaten Osteuropas Fuß fasste. Vertreter dieser Strömung sehen sich im Allgemeinen als Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit, deren Interessen die etablierten Parteien ignorieren würden und die gegenüber Migranten oder ethnischen Minderheiten benachteiligt sei. Damit greifen rechtspopulistische Akteure die hegemoniale politische Klasse an, die als korrupt, machtbesessen und abgehoben angesehen wird.
Seit dem Beginn der weltweiten Finanzkrise im Sommer 2007 ist laut Reinfeldt die dazugehörige Debatte von einem permanenten Notstandsdiskurs geprägt. Es wurde der Versuch gestartet, den finanziellen Zusammenbruch des griechischen, spanischen, portugiesischen oder zyprischen Staates durch „Rettungsschirme“ zu verhindern. Dieser Notstandsdiskurs wird von rechtspopulistischen Parteien dazu verwendet, „rassistische Ein- und Ausschließungen und autoritäre Politikmuster“ zu propagieren. Reinfeldt möchte die Wirksamkeit des Rechtspopulismus insbesondere in der BRD und Österreich „auf die Deutungen der Krise, ihre Auswirkungen und Folgen untersuchen – und darüber hinaus Thesen über dessen Wirksamkeit in den Regierungspraktiken“ begründen. (S. 6f.)
Für ihn stehen zwei Fragen im Mittelpunkt seiner Analyse. Erstens beschäftigt er sich damit, wie „diskursive Muster, die rechtspopulistischen Parteien oder Strömungen zugerechnet werden können, den politischen Diskurs zur Finanzkrise und die politischen Entscheidungen prägen und begründen“. Anschließend geht er darauf ein, wie sich dadurch „die Machtverhältnisse innerhalb der Demokratien und ihre Struktur – und unsere Vorstellungen davon, was aus den Demokratien werden könnte“, verändern. (S. 6f)
Dabei vertritt er die These, dass „die gesellschaftliche Hegemonie des Neoliberalismus politisch durch Bündnisse mit rechtspopulistischen oder entsprechenden Strömungen abgesichert wird und dafür rhetorische Bezugnahmen und entsprechende politische Maßnahmen“ (S. 8) entwickelt werden. Im Sinne von Sarrazin wird von homogenen nationalen Kollektiven ausgegangen und dabei eine „kulturell-mentale Überlegenheit“ der nördlichen Länder propagiert: „Politik sei wesentlich ein Kampf ums Überleben der Gemeinschaft, andere Nationen werden als potenziell feindliche Konkurrenten wahrgenommen, die ‚uns‘ bedrohen, deshalb müssten ‚wir‘ stark, fit und vital werden – solche hier resümierten Krisendeutungen sind mit rechtspopulistischen Mustern durchsetzt.“ (S. 8) Den „Pleite-Griechen“ oder „Südländern“ wird vorgeworfen, dass sie für die Krise in Europa verantwortlich wären. (S. 40)
Reinfeldt unterscheidet dabei zwischen rechtspopulistischen Parteien, die sich in Europa in der Opposition befinden und solchen, die Regierungsverantwortung wie in Ungarn besitzen. Die Partei Fidesz verfügt in Ungarn über eine verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit, die sie im Sinne der geplanten Konstitution eines autokratischen Systems ausnutzt.
Eine Stärke des Buches ist die minuziöse Ausarbeitung der Ziele und Strategien des Rechtspopulismus in Europa. Laut Reinfeldt wollen rechtspopulistische Parteien „die politische und soziale Mitte erobern, politisch infizieren und somit eine autoritäre Denk- und Machart des Staates durchzusetzen, besonders hinsichtlich der demokratischen Verfahren und Prozesse“. (S. 33) Rechtspopulistische Parteien betreiben eine Identitätspolitik, in der eine bedrohte nationale Gemeinschaft konstruiert wird. Die Medien treten als „Verstärker und Verdichter populistischer Muster“ auf, indem sie für die andauernde mediale Wiederholung derselben Argumente und Glaubenssätze, bis sie als akzeptiert angesehen werden und somit Normalität erlangen, verantwortlich sind. (S. 10) Eine weitere Komponente rechtspopulistischer Politik liegt darin, dass immer vor Wahlen öffentlichkeitswirksame Maximalforderungen gestellt werden und im Sinne einer „Catch-all“-Partei alle Wähler mitsamt ihrem politisch-sozialen Hintergrund angesprochen werden. Rechtspopulistische Parteien stehen für eine repressive Law-and-Order-Politik, die Maßnahmen wie Videoüberwachung, Aufstockung von Sicherheitspersonal und mehr Befugnissen für die Polizei beinhaltet. Der Erfolg von rechtspopulistischen Parteien steht und fällt mit einer (männlichen) Führungsfigur .
Laut Reinfeldt wendet sich rechtspopulistische Politik gegen das politische Establishment des jeweiligen Landes: „Es sind Die-da-oben, die uns sowohl schlecht als auch zu Unrecht regierten, denn sie würden die überwiegende Mehrheit ‚des Volkes‘ nur unzureichend repräsentieren und sie gegen ihren Willen beherrschen.“ (S. 51) Außerdem richtet sich die rechtspopulistische Agitation gegen Migranten, nationale Minderheiten und andere Menschen, die ihrem Gesellschaftsdogma widersprechen, wie etwa Homosexuelle. In Österreich agitierte die damals in der Regierungsverantwortung stehende FPÖ gegen die EU-Bürokraten in Brüssel sowie gegen Großkonzerne und verantwortungslose Manager und Spekulanten. Die FPÖ verfolgt das Ziel, sich als die Stimme der angeblich stummen Mehrheit der Bevölkerung zu inszenieren. Mit dem Slogan „Wir für Euch!“, der inzwischen auch von der deutschen Pro-Bewegung übernommen wurde, fuhr die FPÖ beträchtliche Wahlerfolge ein. (S. 54) Im Laufe der Zeit näherten sich etablierte Parteien im Auftreten und in ihrer Programmatik den rechtspopulistischen Parteien an, indem sie Wahlkämpfe sehr stark auf eine Führungsfigur zuschneiden. Ein Beispiel dafür ist der Bundestagswahlkampf in der BRD 2014, wo die CDU ihre Spitzenkandidatin Angela Merkel in den Mittelpunkt stellte und damit auch erfolgreich war.
Als mögliches probate Mittel zur Eindämmung des Rechtspopulismus schlägt Reinfeldt vor, die Bevölkerung über plebiszitäre Elemente stärker in die Politik einzubinden, um so zu verhindern, dass rechtspopulistische Parteien Volksabstimmungen im eigenen Interesse vorantreiben.
Kritisch ist anzumerken, dass völlig verschiedene europäische Parteien unter dem Label Rechtspopulismus zusammengefasst werden. Die bulgarische Ataka und die ungarische Jobbik sind in ihrer Programmatik und in ihrem Auftreten als eindeutig neofaschistisch zu bezeichnen, während die polnische PiS oder Berlusconis Popolo de la Liberta eher konservative Parteien mit allerdings rassistischer Ausrichtung darstellen.
Es stellt sich auch die Frage, ob eine einheitliche rechtspopulistisch-europäische Bewegung schon aufgrund der Gebundenheit an nationale Gesellschaften mit ihren spezifischen Diskursen ein Widerspruch in sich selbst ist. Bei der Auflistung der rechtspopulistischen Parteien in Europa fehlt die United Kingdom Independence Party (UKIP), die vor allem bei den letzten Europawahlen zweistellige Stimmengewinne zu verzeichnen hatte. Die UKIP ist eine EU-skeptische britische Partei unter dem Parteivorsitzenden Nigel Farage, deren Hauptziel der Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union ist. Weitere Programmpunkte sind ein Stopp der „unkontrollierten Einwanderung“ nach Großbritannien und die Ablehnung einer interkulturellen Gesellschaft sowie die Förderung einer einheitlichen britischen Kultur. Bei der Europawahl im Vereinigten Königreich 2009 wurde die UKIP mit 16,5 % zweitstärkste Partei. Bei Regionalwahlen im Mai 2013 in England und Wales erzielte die UKIP 6,2 % der Stimmen.
Die Gründe, warum in Österreich seit Jahrzehnten rechtspopulistische Gruppen oder Parteien bei Wahlen erfolgreich sind und in der BRD nicht, obwohl ein beträchtliches rechtes Wählerreservoirs 1 vorhanden ist, werden leider auch nicht diskutiert. Es fehlt außerdem die Auseinandersetzung mit der Frage, ob es auch einen „Linkspopulismus“ gibt und wenn ja, welche Strategien er verfolgt.
Trotz dieser Kritikpunkte kann festgehalten, dass Reinfeldts Analyse des Rechtspopulismus in Europa seit der weltweiten Finanzkrise 2007 eine Bereicherung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Rechtspopulismus vor allem in der BRD und Österreich darstellt. Lobenswert hervorzuheben ist seine detaillierte Ausarbeitung der rechtspopulistischen Strategien und Aktionsformen. Eine lesenswerte Abhandlung, deren Anschaffung sich lohnt.
- Die kürzlich von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene Studie über extrem rechte Einstellungen in der Bundesrepublik brachte erschreckende Ergebnisse zu Tage. 9% der deutschen Bevölkerung besitzen demnach ein geschlossenes extrem rechtes Weltbild. Dies bedeutet eine Steigerung von 0,8% im Vergleich zur letzten Studie, die im Jahre 2010 durchgeführt wurde. In Westdeutschland wurde ein Rückgang von 7,6% auf 7,3% festgestellt, während in Ostdeutschland der Anteil von 10,5% auf 15,8% anstieg. Jede vierte befragte Person bekannte sich zu ausländerfeindlichen Äußerungen, wobei Personen über 60 Jahre und Arbeitslose die höchsten Werte besaßen. Im Vergleich zu Westdeutschland, wo jeder fünfte Befragte ausländerfeindliche Einstellungen offenbarte, war die Quote im Osten mit fast 39% ungleich höher. Antisemitische Einstellungen zeigten ca. 8% der Befragten. Dabei zeigte sich, dass der sogenannte sekundäre Antisemitismus (Judenfeindlichkeit trotz oder wegen der Shoa) kein Randphänomen ist. 31,9% stimmten dem Satz: „Die Juden nutzen die Erinnerung an den Holocaust heute für ihren eigenen Vorteil aus.“ zu. Der antimuslimische Rassismus ist in Bundesrepublik in allen Gesellschaftsschichten fest verankert. Diese Spielart des Rassismus wird nicht mehr in biologistischer Weise vorgetragen, sondern verschiebt sich auf die kulturelle Ebene. 57,5% der Befragten behaupteten eine Rückständigkeit des Islam, 56,3% halten ihn für eine „archaische Religion“. Vgl. dazu Decker, O./Kiess, J./Brähler, E. u.a.: Die Mitte im Umbruch. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland, Bonn 2012