Hintergrund
Was heißt eigentlich „sicheres Herkunftsland“?
Die Debatte um "sichere Herkunftsländer" ist in aller Munde – und allzu oft wird der Begriff falsch verwendet. Grund genug, kurz zu erklären, worum es dabei eigentlich geht, und mit ein paar Irrtümern aufzuräumen.
Von Max Klöckner Mittwoch, 23.01.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.01.2019, 21:07 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Als „sichere Herkunftsstaaten“ sind aktuell Ghana, Senegal und die sechs Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien eingestuft. Geschaffen wurde die Regelung bereits 1993, die Westbalkanstaaten wurden erst 2014 bzw. 2015 in die Liste aufgenommen.
Konzept zur Flüchtlingsabschreckung
Der Einstufung als „sicherer Herkunftsstaat“ geht ein Gesetzgebungsprozess voran. Notwendig ist dafür, dass „sich aufgrund des demokratischen Systems und der allgemeinen politischen Lage nachweisen lässt, dass dort generell keine staatliche Verfolgung zu befürchten ist und dass der jeweilige Staat grundsätzlich vor nichtstaatlicher Verfolgung schützen kann“. (Quelle: Bundesamt für Migration & Flüchtlinge)
Dass ein Staat als „sicheres Herkunftsland“ definiert wird, hat momentan leider nicht immer etwas mit der tatsächlichen politischen Realität in diesen Staaten zu tun. Vielmehr wird die Regelung aktuell in erster Linie dazu genutzt, Flüchtlingszahlen aus gewissen Ländern zu begrenzen.
Mit einer solchen Einstufung soll deutlich gemacht werden, dass die Menschen hier keine Chance auf Asyl haben, um Fluchtbewegungen zu verringern. Dazu wird pauschal behauptet, in diesen Staaten gäbe es keine politische Verfolgung, die Schutzsuchende als Asylgrund geltend machen könnten.
Irrtum 1: Wer aus einem „sicheren Herkunftsland“ kommt, kann kein Asyl beantragen
Ein Asylantrag kann aber trotzdem gestellt werden. Bloß: Für Flüchtlinge aus diesen Staaten bedeutet es, dass sie im Eilverfahren mit pauschalen Ablehnungen von Asylanträgen abgespeist werden, dass ihr Rechtsschutz auf ein Minimum reduziert wird und sie mit umfangreichen Diskriminierungen wie dauerhafter Lagerunterbringung und Arbeitsverbot zu rechnen haben.
Auch gibt es seit 2016 sogenannte „besondere Aufnahmezentren“, in denen Asylanträge von Menschen aus „sicheren Herkunftsländern“ geprüft werden sollen. Ziel davon ist eine schnellere Abarbeitung – zu Lasten von rechtsstaatlichen und fairen Verfahren.
Irrtum 2: Wenn man dort Urlaub machen kann, ist es ja wohl ein sicheres Land!
„Ich fahre immer nach Tunesien in Urlaub, da ist es ja wohl sicher“ – dieses oft gehörte Argument geht am Problem vorbei. Denn eine Verfolgung oder asylrechtlich relevante Bedrohungslage kann Menschen unabhängig von der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsland treffen – beispielsweise, weil sie sich regimekritisch engagieren, einer diskriminierten religiösen Minderheit angehören oder homosexuell sind. Von Verfolgung aufgrund solcher Eigenschaften oder Handlungen sind Touristen in aller Regel selten betroffen.
Es mag sein, dass es für die meisten Menschen in diesen Staaten möglich ist, mehr oder weniger sicher zu leben. Das heißt aber nicht, dass es dort niemanden gibt, dem aus oben genannten Gründen Folter, staatliche Verfolgung, Diskriminierung oder andere unmenschliche Behandlung droht. Gleiches gilt beispielsweise für Roma in den Westbalkanstaaten.
Für solche Fälle gibt es unser Asylrecht – und genau aus diesem Grund ist eine pauschale Einschätzung als „sicher“ falsch, da sie mögliche existierende Asylgründe von vornherein ausblendet. Für die Betroffenen ist das eine hohe Hürde, da sie die „Regelvermutung, dass keine Verfolgungsgefahr vorliegt“ zunächst widerlegen müssen.
Irrtum 3: Menschen, die nicht aus „sicheren Herkunftsstaaten“ kommen, können nicht abgeschoben werden
In der Debatte um die Maghreb-Staaten wird häufig behauptet, dass Algerien, Marokko und Tunesien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt werden müssen, um Abschiebungen dorthin zu ermöglichen. Gerne wird dabei auch der Fall Anis Amri herangezogen. Diese Behauptung ist allerdings ebenso falsch wie die Auffassung, dass nur Asylanträge aus „sicheren Herkunftsstaaten“ überhaupt abgelehnt werden können:
Auch ohne eine gesonderte Einstufung haben Asylantragssteller aus den Maghreb-Staaten im Jahr 2018* nur in rund 6 Prozent der Fälle (bereinigte Schutzquote) einen Schutzstatus zugesprochen bekommen. Auch gab es rund 1600 Abschiebungen im Jahr 2017 nach Marokko, Tunesien oder Algerien. Die Tatsache, dass beispielsweise Anis Amri nicht abgeschoben werden konnte, hatte also überhaupt nichts mit diesen gesetzlichen Voraussetzungen zu tun.
Irrtum 4: Abschiebungen von Menschen aus einem „sicheren Herkunftsstaat“ gehen schneller
Daran anschließend: Die Einstufung alleine würde Abschiebungen in die Herkunftsländer nicht vereinfachen. Immer noch kommt es auf die Bereitschaft des jeweiligen Staates an, seine Bürger zurückzunehmen und beispielsweise bei der Beschaffung von Dokumenten mitzuarbeiten. Auch deshalb verhandelt die Bundesregierung unabhängig von der Debatte um „sichere Herkunftsländer“ mit den Maghreb-Staaten über Rücknahmeabkommen, die für beschleunigte Prozeduren sorgen sollen.
Irrtum 5: Afghanistan wurde als „sicheres Herkunftsland“ eingestuft
Nein – Afghanistan gilt gesetzlich nicht als „sicherer Herkunftsstaat“. Aus dem gleichen Grund wie oben geschildert haben auch die im Dezember 2016 begonnenen Sammelabschiebungen nach Afghanistan nichts mit einer solchen gesetzlichen Einstufung zu tun.
Zwar behauptet die Bundesregierung, es gäbe dort „sichere Regionen“ und rechtfertigt damit die Abschiebungen, für ein „sicheres Herkunftsland“ im Sinne des deutschen Aufenthaltsrechts hält Afghanistan aber nicht mal Abschiebeminister Seehofer.
Das wäre angesichts einer bereinigten Schutzquote für afghanische Flüchtlinge von 51,7 Prozent im Jahr 2018* – und rund 58 Prozent Erfolgsquote** bei Klagen von afghanischen Flüchtlingen gegen ablehnende Bescheide – auch absurd. Humanitär zu rechtfertigen sind Abschiebungen nach Afghanistan („sicheres Herkunftsland“ hin oder her) in keinem Fall. Leitartikel Panorama
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