Ansichten & Aussichten
Safer Spaces – Störe meine Kreise nicht!
Normpersonen leben in einem permanenten Safe Space. Safer Spaces von Nichtnormpersonen lehnen sie aber ab. Sie fühlen sich ausgeschlossen. Dabei geht es dort einfach mal nicht um sie.
Von Miriam Rosenlehner Sonntag, 26.02.2023, 14:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 27.02.2023, 6:04 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Seit den 1960er Jahren schaffen sich bedrohte Gruppen sichere Räume. Diese Safer Spaces sind Räume, in denen man unter seinesgleichen sein kann. Es sind Räume, die Sicherheit anbieten wollen vor rassistischen, sexistischen, ableistischen, heteronormativen oder sonstigen Normalzuständen. Ja, Normalzuständen: Denn der gesellschaftliche Raum ist für Normale, für Weiße, nichtbehinderte, heterosexuelle Männer gemacht. Ihnen bietet er die größte Sicherheit, die meiste Anerkennung, das größte Vertrauen, die größten Freiheiten und gangbare Netzwerke in die Upper Class an. Safer Spaces dagegen sind Räume, in denen man offen sprechen kann, wenn man nicht der Norm entspricht. Ohne dass eine Normperson das Gespräch, den Prozess stört.
Normpersonen wissen es nicht, aber sie verhalten sich in Gesellschaft von Nichtnormpersonen häufig nach einem Muster, das die meisten im Raum dann bereits kennen. Wen es interessiert: der Fachbegriff lautet „Zerbrechlichkeit“. Dabei beginnen Normpersonen zum Beispiel zu weinen, weil sie zum ersten Mal davon hören, was Nichtnormpersonen so täglich erleben. Der Schock sitzt so tief, dass sie erwarten, nun die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden und Trost zu erhalten. Sie wollen gerne hören, dass sie ganz anders sind oder verlangen kostenlose Nachhilfe in Wokeness, nur um das, was sie hören, nicht zu glauben – aber auch nicht nachzulesen. Sie ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich und verlangen, dass man sich um sie und die Befindlichkeiten des Normalseins in einer bunten Welt kümmert.
Besser, man kommt diesen Erwartungen nach, denn falls nicht, könnten Nichtnormpersonen in Gefahr geraten. Hinterher weiß keiner, wie es dazu kommen konnte, aber es könnte die Polizei gerufen werden oder dafür gesorgt werden, dass man gefeuert wird. Regt Sie auf, was ich hier sage? Möchten Sie gerne erklären, dass ich falsch liege? Fragen, wo meine Beweise sind? Gerne. Aber nicht im Safer Space bitte. Denn dort kann ich das laut sagen, ohne dass es eine Diskussion mit Unwucht auslöst: Alle im Raum haben ähnliche Szenen schon erlebt. Wer es nicht erlebt hat, kann davon ausgehen, eine Normperson und derjenige zu sein, der das Potenzial hat, das Problem zu verursachen.
„Ja, diese Räume sind exklusiv, in einem Safer Space für Nichtweiße sind Weiße nicht zugelassen.“
Ja, diese Räume sind exklusiv, in einem Safer Space für Nichtweiße sind Weiße nicht zugelassen. Und freilich ist das manchen Weißen einen Aufschrei wert.
„Gleichdenk im Gesinnungsbunker“, beschwert sich deshalb 2021 der hochdekorierte Spiegelkolumnist Neubacher darüber, dass Nichtnormmenschen Safer Spaces an Unis, auf Bühnen und in Buchläden beanspruchen. Er hält diese sicheren Orte für etwas, wobei es um ihn geht. Er glaubt, sie sollen Leute wie ihn ausschließen und sorgt sich, dass man dort nicht mehr mit Gegenmeinungen konfrontiert werden würde. Mit „Gegenmeinung“ meint er: Niemand im Raum müsste sich mit seiner Meinung auseinandersetzen. Da ist sie schon, die Zerbrechlichkeit. Es muss anstrengend sein, sich in einem Raum mit diesem Mann über ein Thema zu unterhalten, bei dem er sich nicht auskennt, aber trotzdem jede Menge dazu zu sagen hat.
„Die Normmeinung ist kaum zu verpassen. Sie ist der Takt zum Herzschlag von uns Nichtnormmenschen.“
Ich sorge mich nicht, von dieser Gegenmeinung im Safer Space abgeschnitten zu sein. Denn es ist eine Meinung, die ich jeden Tag in der Werbung, in meinen Schulbüchern, in der Zeitung, im Fernsehen, auf Verpackungen, in der U-Bahn, im Taxi, in Lehrbüchern, in Filmen, auf der Straße, in der Uni, in der Mensa, auf Social Media, in der Kolumne des Spiegel und der Schlagzeile der Bildzeitung, also eigentlich überall zu hören bekomme. Die Normmeinung ist kaum zu verpassen. Sie ist der Takt zum Herzschlag von uns Nichtnormmenschen.
Safe Space für Normmenschen
Dass Normmenschen nicht verstehen, wofür Nichtnormpersonen Safer Spaces brauchen, liegt daran, dass man als Normperson sein ganzes Leben in einem Safe Space für Normale verbringt.
„Ganz Deutschland, vielleicht sogar ganz Europa und darüber hinaus ist ein Safe Space für Normale.“
Ganz Deutschland, vielleicht sogar ganz Europa und darüber hinaus ist ein Safe Space für Normale: Ein gesellschaftlicher Raum, der den Normalen gehört und in dem ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Dort spielen alle nach Regeln, die Normalsein unterstützen, die einen rückversichern und bestätigen. Regeln, die für Menschen wie einen selbst gemacht sind.
Vorlesungen & Podien von Miriam Rosenlehner:
München: 23.3.23, 18:30 Uhr, Juristische Bibliothek Zi. 366, Marienplatz 8
Augsburg: 25.3.23, 11:00 Uhr, Grandhotel Cosmopolis, Springergässchen 5
Augsburg: 29.3.23, 18:30 Uhr, Augustanasaal, Im Annahof 4
Leipzig: 13.4.23, 19:00 Uhr, Soziokulturelles Zentrum Frauenkultur, Windscheidstr. 51
Berlin: 15.4.23, 19:00 Uhr, Buchhandlung InterKontinental, Sonntagstr. 26
Es sind Orte, an denen man der Norm entspricht, an denen man die Norm übersteigen kann, aber niemals aus ihr herausfallen. Orte, an denen man nicht befragt wird, solange man die Norm stellt. Orte, die einem zuflüstern: Du bist einer von uns. Und wenn nicht, dann bist du der Maßstab für alle anderen.
Es sind Orte, an denen die Bilder, die gezeigt werden, Leute darstellen, die so aussehen wie man selbst. Wo die Sprache gesprochen wird, die im allgemeinen Verständnis die Sprache der Bildung ist. Wo das Essen zu kaufen ist, das man aus Kindertagen kennt – und wo Essen, das so nicht ist, ein Zusatzwort bekommt: interkulturelles Frühstück zum Beispiel. Wo die anerkannte Literatur, der Film, die Kultur von Menschen gemacht wird, die so aussehen wie man selbst. Und wo Literatur, Film, Kunst und Kultur ein Zusatzwort bekommen, wenn sie dieser Norm nicht entsprechen: Frauenliteratur, Schwarzer Film, Indiekunst. So, als sei das keine richtige Literatur, Kunst, Kultur oder Nahrung.
Orte, wo die Witze auf Kosten von Leuten gehen, die der Norm nicht entsprechen. Dass diese Art Humor als unschicklich gilt, ändert nichts an der Tatsache, dass es keine Witze gibt, die die Norm aufs Korn nehmen. Und wenn, dann haben sie noch immer kein Genrewort: Weißenwitze? Heterowitze?
„Die Norm lebt in einem permanenten Safe Space. In einer Blase, die sie gekonnt vor allem abschirmt, was nicht wie sie ist.“
Die Norm lebt in einem permanenten Safe Space. In einer Blase, die sie gekonnt vor allem abschirmt, was nicht wie sie ist. Und die dabei alles einteilt und abwertet, was nicht wie sie ist. Sie selbst gibt es dagegen nur in der Version normal, gut und überragend.
Einer, wie der Spiegelkolumnist, der immer in diesem Safe Space gelebt hat, hätte gerne, dass alle anderen ausschließlich und immer Statisten seines Narrativs bleiben, so verstehe ich den Angriff auf die Safer Spaces. Die so denken, halten sich selbst für den Nabel der Welt. Sie glauben, dass es in Safer Spaces darum geht, Normmenschen auszuschließen. Dabei geht es dort einfach mal nicht um sie.
Die Unwucht in der gesellschaftlichen Praxis
„Normraum ist eine Einschränkung für das Leben und die Lebensentwürfe von Nichtnormmenschen. Das ist so, obwohl es anders im Grundgesetz steht.“
Sichere Orte braucht es nur, wenn die gesellschaftliche Praxis nicht für alle gleich sicher ist. Wenn eine Gesellschaft nicht pluralistisch ist, sondern eine dominante Kultur hat, ruft das das Bedürfnis nach Safer Spaces hervor. Es geht dabei nicht um Ausschluss der Dominanzkultur, sondern um das Wagnis einer Abweichung von dieser Dominanzkultur, die man im Normraum nicht leben kann. Der Normraum ist eine Einschränkung für das Leben und die Lebensentwürfe von Nichtnormmenschen. Das ist so, obwohl es anders im Grundgesetz steht.
Was Vertreter der Dominanzkultur aufregt: Safer Spaces sind Orte, zu denen sie keinen Zutritt haben. Nicht, weil sie nicht dazugehören oder weil sie ausgegrenzt werden sollen. Sondern weil sie die Kreise der Nichtnormmenschen stören würden, wenn man sie einließe. Safer Spaces existieren innerhalb einer Dominanzkultur. Treten Normpersonen ein, verhindern sie die Möglichkeit, einfach mal selbst zu sein und verändern die Kultur dieses besonderen gesellschaftlichen Raums. Sie übernehmen ihn, weil sie an ein Leben gewöhnt sind, in dem sie und ihre Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Und weil sie die Macht haben, das durchzusetzen. In jedem Raum, der sich innerhalb der Dominanzkultur befindet.
„Safer Spaces nicht ertragen zu können, heißt, abweichende Meinungen und andere Lebensentwürfe zu unterdrücken.“
Safer Spaces nicht ertragen zu können, heißt, abweichende Meinungen und andere Lebensentwürfe zu unterdrücken. Sichere Orte für andere ablehnen, heißt, nicht anzuerkennen, dass diese Gesellschaft durch die Norm strukturiert wird und dabei zu glauben, dass diese persönliche Einstellung für alle anderen zu gelten hat. Es bedeutet, so zu tun, als seien hier alle gleich. Und als sei der gesellschaftliche Raum nicht nach den Bedürfnissen weißer nichtbehinderter heterosexueller cis-Männer* mittleren Alters strukturiert. Es bedeutet das Leugnen der eigenen Privilegien, um sie behalten zu können.
„Kontrolle ist auch, auf deutschen Schulhöfen nur die deutsche Sprache zu billigen oder gar zu erlauben… Man will hören, was sie denken, um es kontrollieren und sanktionieren zu können, nicht, um zuzuhören.“
Safer Spaces abzulehnen heißt, sich Zutritt verschaffen zu wollen. Es bedeutet ein Kontrollbedürfnis. Kontrolle über den Denkraum von Nichtnormmenschen ist der Normalzustand im Safe Space für Normale. Die Kontrolle über die Bedürfnisäußerungen beginnt, wo man nicht frei sprechen kann, weil man nicht gedruckt wird, oder nicht gelesen. Wo man nicht als wichtig erachtet wird, wo man nicht mitgedacht wird, wenn über „die Gesellschaft“, „die Wähler“ oder gar „die Menschen“ gesprochen wird. Kontrolle ist auch, auf deutschen Schulhöfen nur die deutsche Sprache zu billigen oder gar zu erlauben – oder solche Sprachen, die man im Normraum versteht und wertschätzt, etwa Englisch oder Französisch. Das Kontrollbedürfnis über den Denkraum der anderen ist groß. Man will hören, was sie denken, um es kontrollieren und sanktionieren zu können, nicht, um zuzuhören.
Deshalb fühlen sich Safer Spaces wie eine Bedrohung der Freiheit von Normmenschen an. Der Freiheit, die Norm stellen zu dürfen und in einer Welt zu leben, die auf sie und nur auf sie zugeschnitten ist. Es ist eine Freiheit auf Kosten der Anderen, die man, so betrachtet, auch Herrschaft nennen kann.
Meinung
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