Buzzword Bingo
Sommerinterview
Erst Alice Weidel auf dem Stern-Cover, jetzt Björn Höcke live im MDR-Sommerinterview: Warum es so ermüdend wie nötig ist, daran zu erinnern, Rechtsextremen nicht die Bühnen zu überlassen.
Von Eva Berendsen Mittwoch, 16.08.2023, 21:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 17.08.2023, 18:59 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Ich stelle mir vor, wie es sich die Granden der AfD gerade richtig gut gehen lassen: Da kommen der Faschist Björn Höcke und der bekennende Antidemokrat Maximilian Krah mit dem extrem rechten Scheinintellektuellen Götz Kubitschek in Schnellroda zusammen, wo das Ehepaar Kubitschek-Kositza einen vom Verfassungsschutz beobachteten Thinktank (das sog. Institut für Staatspolitik) und einen Verlag (Antaios) betreiben. Die Spätsommersonne steht tief über dem „Rittergut“, auf dem Rechtsextreme unterschiedlicher Strömungen gern als geistige Elite cosplayen. Ein naturbelassener Schwimmteich würde hier doch gut in die Landschaft passen: In meiner Fantasie planschen die drei rechtsextremen Herren in aufblasbaren Donuts und genießen voller Wonne das Medientheater zu AfD-Gunsten, ein Schirmchengetränk (White Russian mit Ziegenmilch) in der Hand. Und irgendwann jauchzt Höcke: „Gönnung!“ Denn ermöglicht haben die Party andere: die Redaktionen in Deutschland.
Während die AfD ihr Umfragehoch und die mediale Aufmerksamkeit genießt, reiben sich Rechtsextremismusforscher:innen und Expert:innen aus dem Bereich der politischen Bildung gerade verdutzt die Augen und die Staubschichten von ihren Social Media-Timelines. Man kramt die Texte zum medialen Umgang mit der AfD aus den Archiven – einige davon sind jetzt schon zehn Jahre alt. Die Einsichten dort gelten eigentlich noch immer: dass man Rechtsextremen keine Plattform bieten soll; dass man nicht über jedes Stöckchen springen soll; dass es sehr schwierig ist und nur selten gelingt, Rechtsextreme zu entzaubern, entlarven, vorführen zu können. Vielleicht liegt es auch an der notorischen Selbstüberschätzung mancher Journalist:innen, dass es dennoch immer und immer wieder neu versucht wird: Björn Höcke etwa konnte schon 2015 bei Günther Jauch, am Sonntagabend nach dem „Tatort“, sein Deutschlandfähnchen ausrollen und nahezu unwidersprochen geflüchtetenfeindliche Parolen zur besten Sendezeit absondern. Schon damals warnten Expert:innen davor, die Arenen der Demokratie nicht sorglos oder in vorauseilendem Gehorsam den Antidemokraten zur Verfügung zu stellen.
Solche kritischen Stimmen begleiten den Aufstieg der AfD wie ein Schatten – ihre Erkenntnisse werden allerdings immer wieder in den Wind geschlagen. Mal pflegt einer der wohl bekanntesten deutschen Intellektuellen, Armin Nassehi, einen später veröffentlichten Briefwechsel mit Götz Kubitschek (2016). Nassehi adelte den Neurechten zum „Konservativen“ und bescheinigte ihm zumindest vorläufig die Satisfaktionsfähigkeit für die Teilnahme am Diskurs. Der Titel des Buchs „Mit Rechten reden“ (2017) wurde als das allgemeingültige Gebot interpretiert, genau dies auf allen zur Verfügung stehenden öffentlichen Bühnen zu tun. Und wenn ihnen nichts Originelleres einfällt, riefen die Rechten „Zensur“ und jammerten sich erfolgreich in die nächste Talkshow eines öffentlich-rechtlichen Fernsehens, das sie doch am liebsten abgeschafft sähen. Meist haben AfD-Politiker dann die Bühne für verbale Grenzverletzungen genutzt, die man am nächsten Tag geschwind relativierte. Zum Beispiel Alexander Gauland, der über den Fußballnationalspieler Jerome Boateng gesagt haben soll: „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“. So berichtete zumindest im Mai 2016 die FAS. Nach Andruck wollte es Gauland so nicht gemeint haben, und die damalige Parteivorsitzende Frauke Petry twitterte: „Jerome Boateng ist ein Klasse-Fussballer und zu Recht Teil der deutschen Nationalmannschaft. Ich freue mich auf die EM. #Nachbarn“
„Mit diesem Muster – Grenzüberschreitung, Zurückrudern – hat die Partei die Grenzen des Sagbaren im Laufe der Jahre immer weiter nach rechts verschoben.“
Mit diesem Muster – Grenzüberschreitung, Zurückrudern – hat die Partei die Grenzen des Sagbaren im Laufe der Jahre immer weiter nach rechts verschoben. (Aktuell versucht sich Friedrich Merz eifrig an einer Kopie. In seinem „Sommerinterview“ mit dem ZDF zum Beispiel wollte der CDU-Chef eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene für seine Partei nicht ausschließen – und tags drauf alles nicht so gemeint haben.) Gleichzeitig konnte die AfD ein irgendwie bürgerliches Image aufrechterhalten. In der öffentlichen Debatte wurde damals noch häufig mit dem Etikett „Rechtspopulismus“ operiert; noch gab es auch einigermaßen gemäßigte, rechts-konservative Akteure in der Partei. Diese Zeiten sind bekanntlich längst vorbei.
Acht Jahre nach Höckes Auftritt bei Jauch, zwei Parteichefs und ein paar extreme Rechtsverschiebungen im Kurs der Partei später liegt die AfD laut Umfragen in Thüringen bei 34 Prozent, stärkste Kraft vor der CDU und der regierenden Linkspartei, und der Landeschef Höcke kann beim diesjährigen MDR-Sommerinterview das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe für alle Menschen in Frage stellen: Inklusion macht er als „Ideologieprojekt“ verächtlich, von dem das Bildungssystem „befreit“ werden müsse. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass der Rauswurf von Kindern mit Behinderungen aus den Regelschulen für Höcke nur der erste Schritt in der Umsetzung seines faschistischen Weltbildes wäre. Der Bundesvereinigung Lebenshilfe hatte dafür nur einen Kommentar: „Wir sind entsetzt.“
„Seit zehn Jahren hätte man es jedes Mal besser wissen können – man wollte nur nicht.“
Seit zehn Jahren hätte man es jedes Mal besser wissen können – man wollte nur nicht. Rechtsextreme werden Rechtsextremismus in alle Mikros sprechen, die man ihnen hinhält. Die AfD ist eine mehrheitlich rechtsextreme Partei. Spätestens auf dem Parteitag in Magdeburg war zu beobachten, dass man kaum mehr ein Blatt vor den Mund nimmt. Der Bundestagsabgeordnete Petr Bystron beschwört das antisemitische Verschwörungsnarrativ der „Globalisten“; Irmhild Boßdorf nutzt mit „Remigration“ einen Begriff, der von den rechtsextremen Identitären geprägt wurde. Inzwischen macht sich in der AfD am Tag nach der Grenzüberschreitung schon niemand mehr die Mühe, zurückzurudern.
Der MDR hat sich mit Björn Höcke einen Superdemagogen eingeladen, der bei öffentlichen Auftritten gerne NS-Jargon anstimmt oder Nazi-Parolen in seine Reden unterbringt (wie 2021 bei einer Wahlkampfrede in Merseburg, wo er die verbotene SA-Losung „Alles für Deutschland“ unterbrachte). Er ist Chef eines Landesverbands, der bereits vor zwei Jahren vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft wurde. Dieser Höcke trifft dann auch noch auf einen Interviewer, der weniger den engagierten Entlarver rechtsextremer Propaganda als den aktiven Zuhörer gibt und sich in seinen kritisch gemeinten Nachfragen pointenlos verhedderte, wie Stefan Niggemeier es schonungslos für „Übermedien“ aufgeschrieben hat (Hilfe, mein Interviewer brummt! | Übermedien (uebermedien.de).
Aber auch wenn der MDR-Mann seinen Job besser gemacht hätte, ist fraglich, ob selbst ein wirklich kritisches Interview den hohen Zustimmungswerten einen Abbruch tun würde. In einem jüngst veröffentlichten Paper zeigen die Forscher:innen Diane Bolet und Florian Floos an den Beispielen Australien und UK, dass Auftritte dieser Art die Zustimmung eher befördern und Medien so der Normalisierung von extrem rechten Akteuren, Parteien und Positionen Vorschub leisten.
„Man gewöhnt sich halt dran. An rassistische, antisemitische, queer- und behindertenfeindliche Positionen.“
Normalisierung, dieses sperrige Wort, heißt eigentlich nicht viel mehr als: Man gewöhnt sich halt dran. An rassistische, antisemitische, queer- und behindertenfeindliche Positionen. An den Rechtsextremisten Höcke im Fernsehen, an Alice Weidel auf dem „Stern“-Cover. Und weil man Höcke im Fernsehen und Weidel am Kiosk trifft, werden die Personalien mit jedem Auftritt normaler.
„Es ist unsere Aufgabe, mit allen zu sprechen, die an die Macht wollen“, erklärt der Chefredakteur des Magazins Gregor Peter Schmitz. Natürlich, Journalist:innen können interviewen, wen sie wollen – aber die Frage ist, wie sie das tun und wie sie es rahmen: Miteinander sprechen heißt ja nicht, dass man auch das Cover für ihre Köpfe frei räumen muss; dass man Weidel unwidersprochen behaupten lässt, dass sie keine Rechtsextremen in ihrer Partei entdecken könne; oder sie befragen muss, was sie als Kanzlerin machen würde. „Bei einer Partei, die so gar keine Regierungsoptionen auf Bundesebene hat, ist das dann doch einfach schräg“, kritisiert die Spiegel-Redakteurin Ann-Kathrin Müller, die seit Jahren über die AfD berichtet. „Fantasieambitionen“, nennt es Gareth Joswig in der taz.
„Die AfD wird immer noch als eine Partei wie jede andere präsentiert – was sie nicht ist. Die AfD ist keine normale Partei: Sie will die Demokratie von innen abschaffen.“
Die AfD wird immer noch als eine Partei wie jede andere präsentiert – was sie nicht ist. Die AfD ist keine normale Partei: Sie will die Demokratie von innen abschaffen. Dabei ist sie sich nicht zu schade, für dieses Ziel die Mittel der Demokratie zu nutzen – den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die freie Presse- und Medienlandschaft, eine politische Stiftung und so weiter.
Eine wehrhafte Demokratie täte gut daran, der Partei diese Instrumente nicht einfach so in die Hände zu legen. Sonst geht die Party in Schnellroda so bald nicht zu Ende. Meinung
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