Partiziano
Matte Mathik
Migrations-Mikado für Fortgeschrittene oder warum freche Möhren und Griechenlands Schulden auf ein und demselben Butterberg landen.
Von Marcello Buzzanca Mittwoch, 29.06.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 01.07.2011, 1:37 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Berechnung von Integralen heißt Integration. Außerdem erfordert Integration laut Wikipedia trainiertes Raten und die Benutzung spezieller Umformungen. Soweit könnte also auch ich mich als vollkommen untalentierter Mathematiker mit dieser Art der Rechenkunst anfreunden. Und was das antrainierte Raten im Sinne von Umdeutungen der Wahrheit und Umformulierungen unbequemer Tatsachen angeht, sind auch die Mitglieder des EU-Währungsraums große und blitzgescheite Geister.
Sie und der IWF wissen um die Hungersnot im griechischen Haushalt und streiten noch darüber, ob sie die nächste Tranche an nur kurzweilig sättigendem Rettungsfonds in Höhe von 12 Milliarden Euro bei der nächsten Öffnung der Suppenküche am 11. Juli freigeben wollen. Hellas braucht die Heller, um seine Schulden in Form von fälligen Zinskupons auf Staatsanleihen an seine Gläubiger auszahlen zu können. Dies sind – wir wissen es mittlerweile alle – vornehmlich Banken, französische wie auch deutsche. Und Investmentfonds. Kurzum: Ein ziemlich trübe Brühe, die Griechenland umgibt.
Manch ein Spekulant wartet darauf, dass die Hellenen untergehen, um dann kräftig abkassieren zu können. Andere wiederum warnen davor, die privaten Gläubiger (also eben jene Banken und Investmentfonds) mit gesetzlicher Gewalt zu einer Umschuldung zu zwingen. Dieses Folterinstrument sieht vor, dass Banken und Investmentfonds ihre alten Staatsanleihen bei Fälligkeit gegen neue zu den Konditionen der alten tauschen. Das Ergebnis: Griechenland müsste keine Zinsen zahlen, würde erst mal vor der Pleite gerettet sein, während auch seine Gläubiger keine Papiere abschreiben und damit auch nicht abermals vor den Regierungsgebäuden um etwas Wasser und Brot betteln müssten.
Tja, Matte Mathik eben. Höhere, wohlgemerkt. Da würden jetzt einige meiner kleinwüchsigen italienischen paesani sagen: Non ho capito un kaiser! Und schon springt die Pickelhaube vor Zorn an die Decke! Wie wagst du es, kleiner Italiener (dieser Zusatz ist ungemein wichtig im Sinne der Herabstufung einer vermeintlich überheblichen Aussage), den geliebten Kaiser zu beleidigen! Was der Tedesco nicht weiß: Kaiser oder auch kaizer ist in diesem Zusammenhang eher ein Sprachtabu. Damit bezeichnet die Sprachwissenschaft die Bemühungen der Menschen, Dinge, die Unheil oder Ärger bringen könnten, lieber nicht beim Namen zu nennen. Nein, sie umschreiben sie lieber, nehmen sehr ähnlich klingende Wörter und doch weiß jeder, worum es geht. Non ho capito un kaiser bedeutet, dass man nur Bahnhof versteht, wobei kaiser für die vulgäre italienische Bezeichnung des sexuellen Imperators des Mannes steht.
Aber ja, ich schweife schon wieder ab, wahrscheinlich gen Ithaka. Dabei ist es doch so einfach. Schließlich hat ja auch die Ellinikí Dimokratía einen deutschen Imperator. Zwar keinen Kaiser, immerhin aber einen König: Der bayerische Prinz Otto im Jahre 1832 war erster König der Griechen der Neuzeit. Was die Antike angeht, muss Griechenland sich nicht verstecken. Es sollte sogar tief graben, um den Wortschatz zu heben und diesen zu barer Münze zu machen. So zumindest der Vorschlag meines griechischen Freundes E. M. Seine Idee: Jeder, der künftig ein aus dem Griechischen stammendes Wort benutzt, muss einen kleinen Obulus (quasi als Tantieme) an den griechischen Staat abdrücken. Im Nu wäre der Staatshaushalt saniert. Und das eigentlich alle Wörter dem Griechischen entstammen, wissen wir ja spätestens alle seit My big fat greek wedding. Schade auch, dass meine Lebensgefährtin diesen Film letztens entsorgte, weil sie meinte, dass es nach fünf Mal sehen auch mal gut sei. Na ja, ich in jedem Fall begab mich darauf in die Küche und erschrak: Carote fresche! Ungezogene Möhren? Nein, doch nicht. Mein hessischer Ursprung hatte mich getäuscht. Frech schreibt man ja ohne s und fresche ist das italienische Wort für frisch. Gut, alles klar: Frische Karotten. Damit kann ich leben. Mindestens so gut wie mit der patata, von denen ich unzählige in Sizilien gesehen hatte. Meine Cousins und Freunde dort meinten damit ihren Bizeps, der bei ihnen aufgrund der schweren körperlichen Arbeit schon in jungen Jahren stark ausgeprägt war. Kein Grund also, wieder auf die Kartoffel-Debatten-Barrikade zu stürmen. Nein, patata heißt zwar Kartoffel, aber diesmal war es eher ein Sinnbild der Manneskraft als ein Spuken in die Kartoffelsuppe. Womit wir wieder beim Essen wären. Bond(s) appetit! Aktuell Meinung
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@ marcello
genial, deine wortspiele. echt cool. mit mir hat deine kolumne eine echten fan. leider zu selten.
Hallo BiKer,
besten Dank :-) freut mich sehr, dass dir meine Kolumne gefällt und ich werde versuchen dich als echten Fan demnächst öfters zu erfreuen :-)
Viele Grüße
Marcello
„Was die Antike angeht, muss Griechenland sich nicht verstecken“
Esatto Marcello, es steht symptomatisch für eine fortwährende Interaktion zwischen Europa und dem Rest der Welt.
Zum Beispiel die kaum bekannte Geschichte von Heliodorus, Sohn des Dion und unzweifelhaft ein Hellene. Wer weiß schon, dass das älteste erhaltene Hindu-Monument in Indien von einem Griechen gestiftet wurde ? Eine einfache Säule aus Sandstein, auf deren Spitze ein majestätischer Adler hockt – Garuda, Symbol des Gottes Vaseduva. Die Heliodorus-Säule wäre nicht weiter bemerkenswert, handelte es sich nicht um die wohl erste in Stein gehauene Anbetung eines bis heute verehrten hinduistischen Gottes und würde die Inschrift am Sockel diese zu ihrer Zeit einmalige Säule nicht als Geschenk eines Bhagavata, also eines Verehrers dieses Gottes bezeichnen, und der trug den Namen Heliodorus, Sohn des Dion. Der Spender war also – im heutigen Sprachgebrauch – ein Ausländer. Und Heliodorus war keineswegs ein Ausnahmefall, wie eine Vielzahl archäologischer Funde dieser Region beweist, so auch die Vasudeva gewidmeten Münzen, die der indogriechische Herrscher Agathokles prägen ließ und die ersten überlieferten Abbildungen dieser Gottheit. Denn der Gott Vasudeva war eine kurz davor entstandene Mischfigur aus Pan, Dionysos und Indra, ein sakrales Erzeugnis von starken Migrationsströmungen im vorder- und mittelasiatischen Raum.
Auch ein Italiener liefert ein gelungenes Beispiel für kulturelle, interaktive und mathematische Wechselwirkungen seiner Zeit, nämlich der
Kaufmann und Mathematiker Leonardo Fibonacci, einen arabisierten Pisaner, der Ende des 12. Jahrhunderts im Maghreb aufwuchs. Sein berühmtes Rechenbuch „Liber Abaci“ verhalf dem arabischen Zahlensystem zum Durchbruch, das bald das römische verdrängen sollte. Heute ist er vor allem für die Fibonacci-Folge bekannt – darin ergibt jede Zahl außer den beiden ersten die Summe ihrer beiden Vorgänger (also 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, …), bis ins Unendliche. Die Folge kommt häufig in der Natur vor, etwa bei der Verzweigung von Bäumen, den Spiralen von Muscheln oder der Anordnung von Pinienzapfen. Fibonacci’s Vorschlag, beim Rechnen die indisch-arabischen Zahlen zu verwenden, und die Bereitwilligkeit, mit der die Methode umgesetzt wurde, ähneln sehr der Art und Weise, wie die alten Griechen das phönizische Alphabet übernahmen. In beiden Fällen musste sich Europa den veränderten Bedingungen anpassen.
Wenn seinerzeit Europa nicht schnell lernte und sich das Andere zum Vorbild nahm, mit ihm zusammenarbeitete, ja sogar sein Komplize wurde, konnte es nicht mehr mithalten, geschweige denn den anderen voraus sein.
Das sollte sich auch das heutige Europa auf die Fahnen schreiben!
Salve Marcello,
Richtig: Was die Antike angeht, muss Griechenland sich nicht verstecken, als Wegbereiter der Demokratie und Symbol für eine fortwährende Interaktion zwischen Europa und dem Rest der Welt.
Und es gibt zum Glück nicht nur „Matte Mathik“, wofür interessanterweise
ein Italiener ein gelungenes Beispiel liefert, nämlich für kulturelle, interaktive mathematische Wechselwirkungen seiner Zeit. Der
Kaufmann und Mathematiker Leonardo Fibonacci, ein arabisierter Pisaner, der Ende des 12. Jahrhunderts im Maghreb aufwuchs. Sein berühmtes Rechenbuch „Liber Abaci“ verhalf dem arabischen Zahlensystem zum Durchbruch, das bald das römische verdrängen sollte. Heute ist er vor allem für die Fibonacci-Folge bekannt – darin ergibt jede Zahl außer den beiden ersten die Summe ihrer beiden Vorgänger (also 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13, 21, …), bis ins Unendliche. Die Folge kommt häufig in der Natur vor, etwa bei der Verzweigung von Bäumen, den Spiralen von Muscheln oder der Anordnung von Pinienzapfen. Fibonacci’s Vorschlag, beim Rechnen die indisch-arabischen Zahlen zu verwenden, und die Bereitwilligkeit, mit der die Methode umgesetzt wurde, ähneln sehr der Art und Weise, wie die alten Griechen das phönizische Alphabet übernahmen. In beiden Fällen musste sich Europa den veränderten Bedingungen anpassen.
Hätte Europa seinerzeit nicht so schnell gelernt und sich das Andere zum Vorbild genommen, mit ihm zusammengearbeitet, ja wäre sogar sein Komplize geworden, hätte es nicht mehr mitgehalten, geschweige denn wäre den anderen vorausgewesen.
Das sollte sich auch das heutige Europa auf die Fahnen schreiben!
Saluti
Monika
Mathematik soll altgriechisch die Kunst des Lernens oder zum Lernen gehörig heissen.Einige lernen lebenslang aber verstehen die Welt nicht. Übrigens der Text ist echt gut!