Sprachstand
Integration durch Lehnwortjagd
Die CDU/CSU Bundestagsfraktion begrüßt, dass die Deutschen Bahn künftig auf Anglizismen verzichtet. Grund: Menschen mit Migrationshintergrund werde das Erlernen der deutschen Sprache erschwert, weil die Alltagssprache mit Anglizismen durchsetzt sei. Für Prof. Goschler und Prof. Stefanowitsch ist das "Unsinn" und Auftaktthema ihrer neuen MiGAZIN Kolumne.
Von Anatol Stefanowitsch und Juliana Goschler Montag, 01.07.2013, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 12.01.2016, 14:13 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Deutsche Bahnhöfe sollen deutscher werden: Die Bahn hat (wieder einmal) versprochen, ihre Liebe zu englischen Lehnwörtern zu zügeln und beispielsweise „Flyer“ zukünftig als „Handzettel“ zu bezeichnen. Dafür erhielt sie umgehend Lob aus dem bürgerlichen Lager: Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU begrüßte die Entscheidung als Umsetzung ihrer Forderung, „im Umgang mit Kunden und Mitarbeitern eine verständliche, vor allem aber die deutsche Sprache zu benutzen“.
So weit, so erwartbar. Ungewöhnlich ist aber die Begründung für die Forderung nach lehnwortfreiem Deutsch: Die Unionsfraktion macht sich nämlich Sorgen um das „Drittel der in Deutschland lebenden Menschen”, das „des Englischen nicht mächtig“ sei. Dies seien, so die Union, „vor allem ältere Menschen sowie Menschen mit Migrationshintergrund.“ Und letztere stießen bei ihrem Versuch, die deutsche Sprache zu erlernen, „immer häufiger an Grenzen, weil die Alltagssprache mit Anglizismen durchsetzt“ sei.
Nun ist diese Begründung natürlich von vornherein unsinnig, denn wenn wir die Vokabeln einer fremden Sprache lernen, spielt deren Etymologie ja keine Rolle. Englischkenntnisse sind für das Erlernen des Wortes „Flyer“ ebensowenig notwendig wie Lateinkenntnisse beim Erlernen des Wortes „Zettel“ (von lateinisch schedula, „kleines Blatt“). Trotzdem lässt die angebliche Sorge der Unionsfraktion um die fehlenden Englischkenntnisse der Migrant/innen tief blicken.
Denn über die Englischkenntnisse von Menschen mit Migrationshintergrund liegen keine Statistiken vor, sodass niemand wissen kann, ob überdurchschnittlich viele von ihnen zu dem Drittel der Bevölkerung zählen, das schlecht oder gar nicht Englisch spricht. Die Unionsfraktion nimmt einfach an, dass es so ist, denn sie stellt Migrant/innen ganz allgemein gerne als einheitliche Gruppe ungebildeter, sprachlich unfähiger Integrationsunwilliger dar.
Was wir über die Englischkenntnisse von Menschen mit Migrationshintergrund wissen, spricht aber eher gegen die Annahme, dass diese insgesamt schlechter sind als die von Menschen ohne Migrationshintergrund. Dabei dürfen wir „Menschen mit Migrationshintergrund“ aber eben nicht als einheitliche Masse betrachten, sondern wenigstens grob zwischen offensichtlich verschiedenen Gruppen zu unterscheiden.
Eine erste große Gruppe sind in Deutschland geborene oder sehr jung eingewanderte Menschen, die in Deutschland zur Schule gehen oder gegangen sind. Dort lernen sie natürlich – zusätzlich zum Deutschen, das die meisten von ihnen bereits als eine ihrer Muttersprachen oder als früh erworbene Zweitsprache mitbringen – auch Englisch. Und Studien zeigen, dass sie dabei aufgrund ihres mehrsprachigen Hintergrunds eher einen leichten Vorsprung gegenüber ihren einsprachig deutschen Mitschüler/innen haben. Einen Vorsprung, der allerdings laut neuerer Studien durch ihre insgesamt etwas schlechteren Bildungschancen wieder aufgehoben wird. Dagegen ließe sich durchaus etwas unternehmen – man müsste Bildungschancen ganz allgemein stärker von der sozialen Herkunft abkoppeln. Das wird aber sicher nicht an deutschen Bahnhöfen gelingen, sondern nur durch konsequente Investitionen in unser im internationalen Vergleich immer wieder schlecht abschneidendes Bildungssystem.
Eine zweite wichtige Gruppe sind Arbeitsmigrant/innen, also Menschen, die erst als Erwachsene nach Deutschland kommen, um hier in Branchen zu arbeiten, die qualifizierte Arbeitskräfte suchen. Diese Menschen wird man in dem Drittel der Bevölkerung, das sich durch englische Lehnwörter an Bahnhöfen oder anderswo verwirren lässt, völlig vergeblich suchen: Über neunzig Prozent von ihnen bringen mittlere bis gute Englischkenntnisse mit, womit sie deutlich über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegen. Sie sprechen insgesamt sogar besser Englisch als Deutsch (das aber immerhin drei Viertel von ihnen mittelmäßig bis gut beherrschen). Diese für die deutsche Wirtschaft so unverzichtbare Gruppe von Migrant/innen ließe sich für ein Leben in Deutschland vermutlich eher durch mehr als durch weniger Englisch an Bahnhöfen und anderen öffentlichen Orten gewinnen.
Schließlich gibt es natürlich auch eine in sich sehr heterogene Gruppe von Menschen, die erst vor kürzerer Zeit nach Deutschland eingewandert sind und durch die Umstände ihrer Migration zum Teil tatsächlich weder Deutsch noch Englisch gut beherrschen. Das betrifft zum Beispiel viele, die durch Familiennachzug oder Flucht nach Deutschland kommen. Für diese Menschen ist es aber natürlich völlig egal, wie die deutsche Sprache strukturiert ist und mit welcher Art von Lehnwörtern sie durchsetzt ist: Wenn sie erst nach ihrer Ankunft lernen, sich in Deutschland sprachlich zurechtzufinden, lernen sie die Wörter, mit denen sie hier häufig konfrontiert werden und die, die sie besonders nötig brauchen. Es darf bezweifelt werden, dass sie sich dabei besonders orientierungs- und hilflos anstellen: Wer es etwa als Flüchtling aus einem Krisen- oder Kriegsgebiet bis nach Deutschland geschafft hat, wird nicht am „Service Point“ eines deutschen Bahnhofs scheitern.
Menschen mit Migrationshintergrund sind keine einheitliche Gruppe in Bezug auf die sprachlichen Ressourcen, die sie mitbringen, oder die sprachlichen Barrieren, die sie zu überwinden haben. Ihr Bedarf an sprachlicher Förderung unterscheidet sich auf vielfältige Weise hinsichtlich Art und Umfang, und es gibt entsprechend vielfältige Möglichkeiten, den verschiedenen Gruppen zu helfen oder ihre vorhandenen sprachlichen Ressourcen gesellschaftlich zu nutzen. „Hotlines“ in „Servicenummern“ umzutaufen, ist keine davon. Aktuell Meinung
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Stafanowitsch/Goschler schreiben:
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Die Bundestagsfraktion der CDU/CSU begrüßte die Entscheidung als Umsetzung ihrer Forderung, „im Umgang mit Kunden und Mitarbeitern eine verständliche, vor allem aber die deutsche Sprache zu benutzen“.
So weit, so erwartbar. Ungewöhnlich ist aber die Begründung für die Forderung nach lehnwortfreiem Deutsch: [….]
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Das kann man so nicht stehen lassen. Nicht nur die Begründung der CDU/CSU ist ungewöhnlich, sondern bereits ihre Lobeshymne für die Entscheidung der DB auf Anglizismen zu verzichten. Vor allem ein Blick auf die Webseite der CSU (www.csu.de) zeigt uns, wie sehr sich die Schwesterparteium das Drittel der nicht des englisch mächtigen Bürger sorgt.
Gleich auf der erste Seite der CSU-Webpräsenz springen und Anglizismen wie CSU-Shop und CSUnity entgegen. Im CSU-Geschäft wimmelt es dann von weiteren Anglizismen (Specials, Lounge in the City, web to print, roll ups, newsletter, Werbemittelshop). Sogar von Bavaria statt Bayern ist die Rede. Und man zieht dort den modernen, fortschrittlichen Flyer dem biederen Handzettel vor.
Das lässt „die angebliche Sorge der Unionsfraktion um die fehlenden Englischkenntnisse der Migrant/innen [noch] tief[er] blicken“, als Stafanowitsch/Goschler bereits in ihrem Artikel herausgearbeitet haben.
Das Problem besteht vor allem darin, daß nicht nur englische Wörter für neue Begriffe eingeführt werden, sondern ohne Notwendigkeit gute deutsche Wörter durch Anglizismen ersetzt werden. Warum muß man bspw. „Community“ anstatt „Gemeinschaft“ oder „Event“ anstatt „Ereignis“ sagen? Es ist doch paradox, von Immigranten zu verlangen, sie müßten Deutsch lernen, wenn sie einen Aufenthaltstitel erhalten möchten, während die Deutschen selbst ihre eigene Sprache immer mehr verderben (z. B. auch durch Feminisierung) und unnötig Anglizismen aufnehmen, die z. T. inkorrekt verwendet werden, wie „Handy“ für Mobiltelephon, da die Englischsprachigen hierfür das Wort „Mobile“ verwenden, oder „Public Viewing“, was im Amerikanischen die Ausstellung eines aufgebahrten Leichnams bedeutet.
@ aloo masala: Wunderbar, danke für den Hinweis!
@ Lynx: Über die Frage, ob wir von Migrant/innen zwingend verlangen müssen, Deutsch zu lernen, diskutieren wir gerne ein andermal in einer eigenen Kolumne. Aber wenn sie es müssen, dann schließt das selbstverständlich deutsche Wörter wie „Event“ und „Community“ ein, denn welchen Grund sollte es geben, sie auszuschließen, nur, weil sie aus dem Englischen entlehnt sind? Wollen Sie auch die Wörter „Keks“, „Schal“, „Streik“ und „Scheck“ aus der deutschen Sprache entfernen? Und warum nur englische Lehnwörter? Warum nicht auch französische, wie „Paket“, „Trasse“, „Bluse“ oder „Büro“? Wie kommen Sie darauf, dass geschlechtergerechte Sprache das Deutsche „verdirbt“? Ist es nicht viel verdorbener, die weibliche Hälfte der Sprachgemeinschaft einfach unsichtbar zu machen? Und inwiefern ist das deutsche Wort „Handy“ inkorrekt? Warum sollte es relevant sein, dass es im Englischen „Mobile“ heißt? (Mehr zur Geschichte des Wortes „Handy“ gibt es übrigens hier und hier. Und wer in aller Welt hat Ihnen eingeredet, dass „Public Viewing“ ausschließlich die „Ausstellung eines aufgebahrten Leichnams bedeutet“? (Die Wahrheit erfahren Sie hier.) Und selbst wenn es so wäre, was würde das für den Sprachgebrauch in Deutschland für eine Rolle spielen? Sie sehen, Fragen über Fragen. Zum Glück gibt es Antworten (für die, die es wirklich genau wissen wollen).
Ich höre immer „Lehnwort“. Bei „Flyer“, „Event“ und „Community“ handelt es sich meinem Verständnis nach aber nicht um Lehnwörter, sondern um Fremdwörter. Lehnwörter haben auch mal als Fremdwörter angefangen, wurden im Laufe der Zeit (und dies darf ruhig als Probezeit verstanden werden) dann aber den Eigenheiten der deutschen Sprache unterworfen, was Flexion und Schreibung betrifft. Ein Lehnwort hat also die Integration in die deutsche Sprache geschafft. ;-)
Aber dies ist lediglich mein Schulwissen, vielleicht ist die heutige Sprachwissenschaft da schon weiter.
Ich finde schon, dass der massenweise Gebrauch von Anglizismen die Sprache erheblich vehunzt und ich verstehe nicht, warum man unbedingt Denglisch zur Amtssprache machen muss – die Amerikanisierung sämtlicher Lebensbereiche schreitet unaufhaltsam voran. Dass die CDU/CSU ihr angebliches Bemühen um die deutsche Sprache mit Fürsorge für Migranten begründet, die angeblich kein Englisch verstehen, ist allerdings der Witz des Tages.
Die Hotlines sollen allerdings nicht in Servicenummern „umgetauft“ werden, vielmehr wurden und werden die Servicenummern in Hotlines umgetauft, die Treffpunkte in meeting points, die Veranstaltungen in events, die Geschäfte/Läden in shops, die Gemeinschaft in community und vieles, vieles andere mehr. Grausam, dieser Denglisch-Kauderwelsch.
Ich höre immer “Lehnwort”. Bei “Flyer”, “Event” und “Community” handelt es sich meinem Verständnis nach aber nicht um Lehnwörter, sondern um Fremdwörter.
So sehe ich das auch.
Sprache ist dynamisch. Sprache unterliegt dem Wandel der Zeit. Sprache wird verändert sich durch kulturelle Einflüsse. Das ist seit Jahrtausenden schon so.
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CDU/CSU -Wähler stammen entweder aus den Dörfern oder sind alte Mitbüger. Wenn CDU/CSU Ihren Dörflern und Alten das Lesen erleichtern will kann ich verstehen. Dass Sie sich über Migranten gedankenmachen, ist wirklich was neues.
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