Pegida
Wohin mit dem Dialog?
In Dresden marschiert die unweigerliche Zielgruppe des interreligiösen Dialogs. Wer, wenn nicht sie, sollte überzeugt werden, dass ihr geliebtes Abendland keinesfalls vom Untergang bedroht ist? Von Michael Adler
Von Michael Adler Donnerstag, 10.12.2015, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 10.12.2015, 16:46 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Es scheint inzwischen wie Jorge Luis Borges gesagt hat: Argumente überzeugen niemanden.
Während Pegida auf der Partitur des aufrechten Nationalismus durch die barockisierten Straßenzüge deutscher Vorzeigestädte marschiert und die Wiedergeburt des nationalen Sozialismus beschwört, bemüht sich der noch immer mehrheitliche Rest aufgeklärter Humanisten im Angesicht des Unheimlichen noch immer um Verständnis, Aufklärung und eine zurückhaltende Suche nach den Ursachen. (Das betrifft auch die militanten Islamisten, die das Schlachten im Namen der Freiheit nach Europa zurück bringen. Aber das ist eine andere Geschichte.)
Dabei scheinen derzeit Erklärungen zu überwiegen, die das „Phänomen“ ins sagenumwobene Reich des Irrationalen verklären und damit der Bewegung zumindest implizit ihren politischen Gehalt absprechen und ihre Anhängerschaft pathologisieren. Dabei sind es überwiegend dieselben Menschen, die im letzten Jahr von der überwiegenden Mehrheit der parlamentarischen und medialen Leistungsträger beklatscht wurden, als sie nicht bloß zu Zehntausenden, sondern zu Millionen Flaggen schwenkend auf Plätzen und entlang der sauber gefegten Straßen den Stolz der Nation aufleben ließen und bejubelten.
Hass spricht und er spricht die Sprache des Nationalen. Die Menschen, die sich um Pegida scharen sind weder ignorant noch irrational. Und ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt wünschenswert wäre. Denn in dem Fall müsste Borges auf ewig Recht behalten. In der Regel sind es Menschen, die eine Schule besucht haben, einer regelmäßigen Lohnarbeit nachgehen oder den überwiegenden Teil ihres Lebens nachgegangen sind. Sie sind polizeilich unauffällig, besitzen ein stabiles soziales Umfeld und waren zuvor kaum politisch aktiv. Diese Menschen sind die Ausgeburt des Normalen. Was sie in diesem Moment als anormal erscheinen lässt und woraus sich das Unbehagen des Liberalismus speist, ist allenfalls ihr sichtbar artikuliertes Begehren, ihre Position als gute Staatsbürger tatsächlich auch auf die Straße zu tragen. Darin liegt etwas für deutsche Verhältnisse tatsächlich unwirkliches – etwa wie das öffentliche Bekenntnis zur Masturbation oder zur Homosexualität.
Nun möchte ich aber so weit gehen, zu behaupten, dass in Dresden die unweigerliche Zielgruppe des interreligiösen Dialogs marschiert. Wer, wenn nicht sie, sollte überzeugt werden, dass ihr geliebtes Abendland, das sie gerade erst wieder für sich entdeckt haben, keinesfalls vom Untergang oder von einer Islamisierung bedroht ist?
Aber der Dialog hat ein Problem. Er ist angetreten, die Geschlossenheit und Selbstgenügsamkeit der nationalen Einheit aufzubrechen und den (in ihr) Ausgeschlossenen die Möglichkeit zur Teilhabe zu eröffnen und der Gefahr eines potentiellen Anteils der Anteillosen zu begegnen. Dies geschah dadurch, dass die Menschlichkeit des Anderen verkündet und zugleich auf das Stigma oder die Markierung seiner Alterität reduziert wurde. Gestatten, dieser Mensch ist Muslim. Ein Stigma übrigens, dass zunächst zumindest zu einem guten Teil konstruiert war (Riem Spielhaus). Vertraut man Étienne Balibar, ist das der Schwierigkeit geschuldet, überhaupt von außen (wie von innen) zu begreifen, wer zu dieser Minderheit gehört, weshalb vielleicht wieder versucht wird, „es mit Gewalt zu bestimmen.“ Dass die Markierung „Muslim“ außerhalb der Rassismusforschung keinen analytischen Wert für die Probleme besitzt, mit denen die auf diese Weise markierten Menschen konfrontiert sind, wurde inzwischen oft genug wiederholt.
Das Problem im Dialog besteht nun genau darin, dass das Bekenntnis zu seiner Alterität, zum Stigma also, zur Bedingung für den Eintritt in den Dialog erhoben wird. In einer Gesellschaft, die sich als Mehrheitsgesellschaft konstituiert und in der „Minderheiten“ offiziell dem Schutz unterstehen aber strukturell der rassistischen Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sind, hat dieser Zwang zum Bekenntnis etwas unheimliches. Vielleicht sind deswegen „Minderheiten“ in Dialoginitiativen kontinuierlich unterrepräsentiert. Aber was hat das jetzt mit Dresden zu tun? Auf eine gewiss perfide, aber schließlich konsequente Weise verkörpert Pegida die Geschlossenheit der Nation. Es ist die vollkommene Affirmation der Diskurse und Werte und Normen und die Kontinuität der historischen Erzählung. Das inszenierte Andere in diese Erzählung zu integrieren muss scheitern, weil es als konstitutives Außen der nationalen Einheit immer schon integriert und zugleich ausgeschlossen ist. Aus der Logik der Nation heraus ist es irrsinnig zugleich einen Anderen zu kultivieren und diesen im Nachgang zum Eigenen erklären zu wollen. Von daher versteht sich vielleicht auch die seit einigen Jahren zu beobachtende Strategie die Sichtbarkeit religiöser Subjektivierung etwa durch Berufsverbote zu sanktionieren. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, folgt die Disziplinierung der Sichtbarkeit einer Strategie der Normalisierung und damit der Wahrung des sozialen Friedens in einer stark fragmentierten Gesellschaft durch die Unsichtbarmachung des Anderen. (Zugleich steht diese Strategie natürlich nicht allein, sondern ist eingewoben in ein viel komplexeres Gefüge von gesellschaftlichen Kämpfen und Aushandlungsprozessen, in denen auch marginalisierte Stimmen keinesfalls unartikuliert bleiben) Innerhalb des Nationalstaates müssen „nationale Minderheiten früher oder später assimiliert oder liquidiert werden“, schrieb Hannah Arendt und hat damit bis zu einem gewissen Punkt recht.
Im Angesicht des rassistischen Flächenbrandes des Jahres 2015 und jüngster Eruptionen werden Stimmen lauter, die fordern, der Gewalt mit Gewalt zu begegnen – sei es staatliche oder autonome. Gewalt ist sicher keine Lösung, aber sie ist ein Argument. Sie ist ein Argument dafür, den Dialog nicht aufzugeben sondern nach neuen Ansatzpunkten für den Dialog zu suchen. Der Literaturwissenschaftler Michail Bachtin schrieb einmal, „Sein bedeutet sich dialogisch zueinander zu verhalten. Wenn der Dialog aufhört, hört alles auf.“ Die Suche muss damit beginnen, die Bedingungen des Dialogs ganz grundlegend zu hinterfragen und ihn von identitären Bekenntniszwängen zu emanzipieren. Denn der Dialog kann nicht an eine Wahrheit – sei es eine Wahrheit der Identität oder eine Wahrheit der nationalen Integrität – gebunden sein, sondern sollte, wie Bachtin weiter schreibt, potentiell unendlich sein. Das bedeutet auch, sich auf ein Moment der Unbestimmtheit einzulassen. Aktuell Meinung
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