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Wochenrückblick

KW 46/10 – Alles dreht sich um den Terror-Alarm

In dieser Woche dreht sich alles um den von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verkündeten Terror-Alarm. Im Fokus der Innenmnister der Länder stehen dabei die Muslime.

Von Montag, 22.11.2010, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 21.11.2010, 23:42 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

BILD macht Angst:

Deutschland steht im Zeichen des Terror-Alarms und in der U-Bahn fährt jetzt immer die Angst mit!

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Angela Merkel rate zwar zur Gelassenheit …

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Doch die Menschen im Land sind nervös. Sie müssen mit ihren Ängsten im Alltag zurechtkommen. …

Zwei Bundespolizisten patrouillieren am U- und S-Bahnhof Alexanderplatz. Pendler und Touristen sind nervös. Doch der Fahrbetrieb läuft weiter, denn Berlin kann nicht auf öffentliche Verkehrsmittel verzichten. …

DOCH DIE ANGST FÄHRT MIT!

Die Aufmerksamkeit der Berliner. Innensenator Ehrhart Körting (68, SPD) rief dazu auf, wachsam zu sein. Und auch die BVG bittet ihre Fahrgäste auf Anzeigetafeln, sich im Verdachtsfall per Notrufsäule zu melden. …

Die Lage ist ernst – nach Ansicht des Chefs der Bundespolizei, Matthias Seeger, ist die Anschlagsgefahr derzeit größer als je zuvor. Seeger zu BILD.de: „Auf einer Skala von 1 – keine Gefahr – bis 10 – akute Anschlagsgefahr – liegen wir im Moment bei 9,0“.

Nachdem solchermaßen die Flammen der Angst mächtig angefacht worden sind, möchte man sie wieder ein wenig beschwichtigen:

WIE KONTROLLIERE ICH MEINE ANGST?

Die Terror-Warnung sei kein Grund zu ständiger Angst, glaubt der Hamburger Diplom-Psychologe Michael Thiel!

Er sagte BILD.de. „Versuchen Sie Ihr Leben so normal wie möglich weiter zu führen! Die alltägliche Routine hilft, die Angst zu kontrollieren.“

Thiel rät trotz der Terror-Warnung zur Zuversicht: „Man muss sich vor Augen führen, dass unser Leben relativ sicher ist, dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terror-Anschlags zu werden, weitaus geringer ist, als von einem Auto überfahren zu werden.“

Es gilt das Wort des Bundesinnenministers: Es gibt „Grund zur Sorge, aber keinen Grund zur Hysterie“.

Gibt es jemals Grund zur Hysterie? Wäre eine sich realisierende Terrorgefahr ein Grund zur Hysterie? – Es scheint so.

Zum Beispiel Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (spiegel online). Bei ihm erfährt man auch gleich, wer in der allgemeinen Hysterie gemeint ist.

Wenn ab Donnerstag die Innenminister der Länder in Hamburg zusammenkommen, will Uwe Schünemann aus Niedersachsen ein Sofortprogramm gegen die gestiegene Terrorgefahr vorlegen. Der CDU-Minister fordert darin mehr Polizeipräsenz in islamischen Stadtvierteln sowie ein Handy- und Computerverbot für islamistische Gefährder.

Außerdem solle Gefährdern untersagt werden, radikale Moscheegemeinden oder Problembezirke aufzusuchen … Den Länderpolizeien sollten zudem Online-Durchsuchungen von Computern oder präventive Überwachungen von Telefonaten und E-Mails erlaubt werden.

Zuletzt hatte Schünemann im Zusammenhang mit dem Paketbomben aus dem Jemen für Aufsehen gesorgt, als er forderte, Frachtflugzeuge im Notfall abschießen zu dürfen.

Der Berliner Innensenator Erhart Körting (SPD) setzt mehr auf bürgerschaftliche Hysterie und möchte sie direkt auf die nachbarliche Umgebung lenken:

„Wenn wir in der Nachbarschaft irgendetwas wahrnehmen, dass da plötzlich drei etwas seltsam aussehende Menschen eingezogen sind, die sich nie blicken lassen oder ähnlich, und die nur Arabisch oder eine Fremdsprache sprechen, die wir nicht verstehen, dann sollte man glaube ich schon mal gucken, dass man die Behörden unterrichtet, was da los ist.“

Wer in unseren Städten sieht „etwas seltsam“ aus? – Wählen Sie sich Ihre Verdächtigen! Es wird nicht schwer zu erraten sein, wen das treffen soll.

Das MiGAZIN selbst gibt darauf die nötige Antwort.

Bei spiegel online kommentiert Yassin Musharbash die ungeheuerliche Entgleisung:

Ein Innensenator, dem als erstes solche Vorschläge einfallen, hat weder die Natur der Gefahr verstanden, noch ein Gespür dafür entwickelt, wie angespannt die Stimmung bereits ist. Viele Menschen fragen sich derzeit, ob sie in diesem Jahr auf den Weihnachtsmarkt gehen können – und Körting redet ihnen ein, die Gefahr lauere womöglich schon in der Nachbarwohnung.

Der Kommentator ist besorgt:

Die Schablonen in seinem Kopf sind offenbar nie aktualisiert worden – und das ist wirklich beunruhigend. Was würde passieren, wenn in Berlin tatsächlich ein Anschlag verübt würde – und es eine besonnen und angemessen reagierende politische Führung braucht?

Christian Bommarius sagt es in der Frankfurter Rundschau noch härter:

Da es nicht genügt, sich mit einer Alarmanlage (die bisherigen Maßnahmen zur Terrorabwehr) zu schützen, bedarf es einer zweiten Alarmanlage (Vorratsdatenspeicherung), und da auch zwei Alarmanlagen nicht genügen, bedarf es einer dritten, dem Misstrauen gegen jedermann, der sich verdächtig macht, wenn er sich blicken lässt und dabei seltsam verhält, oder sich dadurch verdächtig macht, dass er sich seltsam verhält, weil er sich nicht blicken lässt. Die Forderungen sind von dem Geist beseelt, uns selber dessen zu berauben, was islamistische Terroristen uns nehmen möchten, das freiheitlich-demokratische Staats- und Gesellschaftsmodell zu zerstören, um seine Vernichtung durch die terroristische Bombe zu verhindern.

Bommarius wird grundsätzlich:

Der Terrorist hat nicht gewonnen, wenn er die Welt in einen Tatort und den Weihnachtsmarkt in ein Schlachtfeld verwandelt. Sein Triumph steht fest, wenn er unsere Köpfe besetzt, unsere Gedanken lenkt und unsere Gesetze schreibt. Die Sicherheit, die wir vom Staat verlangen, ist ein hohes Gut, aber nicht der höchste Zweck. Sie ist die Bedingung der Möglichkeit der Freiheit, mit anderen Worten: Wir brauchen Sicherheit, um in Freiheit leben zu können. Wer aber in Freiheit leben will, der akzeptiert, dass Freiheit ohne Risiken niemals zu haben ist.

Bisher war nur wenig Vertiefendes zu lesen über die momentane Terrorhysterie. In Heribert Prantls Kommentar (Südddeutsche Zeitung) findet sich dieser wertvolle Hinweis:

Die „Faszination des Bösen“, von den Sicherheitsbehörden angestachelt, überschlug sich in den Eilmeldungen der Nachrichtenagenturen. …

Der Mechanismus der Terror- Angst funktioniert wie eine riesige Orgel. Vor ihr sitzen viele Spieler – nicht nur Terroristen, sondern auch Politiker und Journalisten. Die Orgel verfügt über eine Klaviatur mit vielen Registern und ein Windwerk, welches die verdichtete Luft den Pfeifen zuleitet. Wenn dann von so vielen Spielern alle Register gezogen werden, erbebt und erschauert alles.

In der taz schüttelt der Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator Ranga Yogeshwar den rationalen Kopf:

Niemand von uns Bürgern kann kontrollieren, ob das alles stimmt. Und überhaupt mag ich diese Panikmache nicht. Als Naturwissenschaftler habe ich gelernt, Risiken quantitativ zu vergleichen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich von einem Auto oder einem Schäferhund getötet werde, ist weit größer, als Opfer eines Terroranschlags in Deutschland zu werden. Nein, ich habe keine Angst, und selbst dann, wenn alle Polizisten Hamburgs um mein Bett stehen, behalte ich meinen klaren Kopf. Das, was hier passiert, ist eine Inszenierung. …

Ich ärgere mich über diese unkritische Haltung meiner Journalistenkollegen. Warum beteiligen sie sich an dieser Sicherheitshysterie? Warum wird nicht hart hinterfragt, statt einfach zu glauben, was uns da verkündigt wird?

Es bleibt zu hoffen, dass über die Medien noch etwas mehr und tiefere Analyse kommt, sobald der momentane Anfall von Hysterie überstanden ist. Was treibt eine Gesellschaft mit sich selbst, wenn sie sich so blindlings in genau die Angst hineinmanövriert, auf die Terroristen abzielen?

Die Medien haben sich außerdem dadurch zum Helfershelfer der Terroristen, dass sie ausplaudern, was die Terroristen denn so alles planen würden; der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, kritisiert die Veröffentlichungen:

Solche Berichte könnten die verdeckten Ermittlungen der Sicherheitsbehörden und deren Quellen gefährden.

Ist Verantwortung für unsere kommerziellen Medien ein Fremdwort? Wochenschau

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