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EU-Kommission

Verschärfungen des Ausländerrechts auf Türken nicht anwendbar

Stellungnahme der EU-Kommission: Ausländerrechtliche Verschärfungen wie Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug sind auf türkische Staatsbürger nicht anwendbar. Sie verstoßen gegen Europarecht. Die Linkspartei fordert Konsequenzen.

Von Freitag, 23.09.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 29.09.2011, 5:35 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Nahezu die gesamte Fachwelt, zahlreiche nationale Gerichte, der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages sind sich einig darin, dass ausländerrechtlichen Verschärfungen der vergangenen Jahre auf türkische Staatsbürger nicht anwendbar sind. Nur die Bundesregierung sieht das anders – noch.

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EU-Kommission widerspricht Bundesregierung
Aus einer jetzt bekannt gewordenen Stellungnahme der EU-Kommission an den Europäischen Gerichtshof vom 29. Juli 2011, die dem MiGAZIN vorliegt, lässt sich nun ebenfalls folgern, dass zahlreiche aufenthaltsrechtliche Beschränkungen in Bezug auf türkische Staatsbürger gegen EU-Recht verstoßen. Damit gerät die Bundesregierung, die sich ohnehin stark in Erklärungsnot befindet, weiter unter Druck.

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Hintergrund des Ganzen ist ein Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit der Türkei, das sogenannte Assoziationsabkommen (ARB 1/80). Darin ist geregelt, dass EU-Staaten die Arbeitnehmerfreizügigkeit türkischer Staatsbürger nicht einschränken dürfen (Verschlechterungsverbot).

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Weitereichende Folgen
Die Bundesregierung vertrat bisher die Meinung, dass das Verschlechterungsverbot nur für Arbeitnehmer gilt, die sich bereits in Deutschland aufhalten und nicht auf Zuwanderungswillige aus dem Ausland. Die EU-Kommission sieht das jedoch anders. Das Verbot greife bereits dann, wenn der türkische Staatsbürger beabsichtigt, von dieser Freizügigkeit Gebrauch zu machen.

Damit erstreckt sich das Verschlechterungsverbot, entgegen dem bisherigen Vorbringen der Bundesregierung, auch auf Personen, die in das Bundesgebiet einreisen wollen. Für die Praxis hat das weitreichende Folgen. So etwa die jüngste Anhebung der Ehebestandszeit, die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug oder der Nachweis von ausreichenden Deutschkenntnissen für die Niederlassungserlaubnis.

Pure Heuchelei
Für die migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei, Sevim Dağdelen, ist die Haltung und das Vorgehen der Bundesregierung „pure Heuchelei“. Ständig werde von Migranten die Beachtung der Rechtsordnung eingefordert. Dabei missachte die Bundesregierung selbst aus politischem Kalkül bewusst europäisches Recht.

„Die seit 2007 geltende Beschränkung des Familiennachzugs durch die Einführung von Sprachnachweisen im Ausland ist damit eindeutig auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar – wie auch zahlreiche weitere Gesetzesverschärfungen“, stellt auch die Linkspolitikerin fest. Nun müsse die Bundesregierung ihre jahrzehntelange Hinhalte- und Verweigerungspolitik in Bezug auf die Rechte türkischer Staatsangehöriger aufgeben.

Über kurz oder lang …
Dass die EU-Kommission der Rechtsauffassung der Bundesregierung widerspricht, könne nicht ignoriert werden. Dağdelen stellt die Bundesregierung zur Rede. In einer parlamentarischen Anfrage möchte sie wissen, welche Schlussfolgerungen die Bundesregierung aus der Kommissionsstellungnahme zieht.

Sollte die Bundesregierung an ihrer bisherigen Haltung festhalten, dürfte es über kurz oder lang darauf hinauslaufen, dass der Europäische Gerichtshof eine verbindliche Entscheidung fällt. Und sollte er seiner bisherigen Rechtsprechung treu bleiben, wonach es aussieht, erwartet die Bundesregierung eine schallende Ohrfeige, die ihre bisherige Integrationspolitik fast vollständig auf den Kopf stellen dürfte.
Leitartikel Politik

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  1. Homecare sagt:

    Da bin ich aber mal gespannt, wie sich die liebe Frau Merkel aus dieser Nummer herausreden möchte. Naja, wobei ich persönlich nicht unbedingt ein Freund von ehebedingten Nachzüglern bin. Ich bin nämlich der Meinung, dass bei der Einreise im fortgeschrittenen Alter überhaupt keinerlei Chance besteht, sich in das deutsche System erfolgreich einzugliedern. Ausnahmen gibt es schon, aber in der Regel weiss man ja welche Persepktiven dem Nachzügler angeboten wird. Nämlich so gut wie gar keine.

  2. Udo sagt:

    @Homecare
    Wollen Sie den Menschen dieses Landes verbieten mit ihrem ausländischen Ehepartnern hier zu leben?

  3. Kosmopolit sagt:

    Zur Orientierung.
    Wenn ich in das Land meiner Frau einreisen möchte, um dort zu leben, verlangt man von mir einen Nachweis, das ich Einkommen habe, um dort zu leben, da Sozialhilfe dort, wie in der überwiegenden Welt, nicht gewährt wird. Außerdem ist eine Kaution zu hinterlegen.
    Ob ich in diesem Land dann Sprachkenntnisse erwerbe ist sekundär. Wichtig ist, dass ich mich dort an die Sitten und Gebräuche anzupassen haben und mich selbst ernähren kann. Wenn nicht, flieg ich irgendwann raus. Wenn ist alles abgeklärt wird, bekomme ich regelmäßig mein Visum. Von Einschränkungen bezüglich einer Arbeitserlaubnis ganz zu schweigen.
    Was zum Teil in Deutschland und Europa abgeht, ist eine Selbstzerstörung der Gesellschaft und Kultur. Frage: Wollen wir das eigentlich in diesem Ausmaß, dass andere ohne Eigenleistung hier von der Gesellschaft partizipieren ohne sich anzupassen? Kann heute die BRD nicht eigenständig entscheiden, wer kommt oder nicht? Warum benötigen die Türken ständig einen Sonderstatus ?

  4. BiKer sagt:

    @kosmopolit

    gehoeren sie auch zu denen, die die europafahne hochalten aber wenn es darum geht eu recht zu akzeptieren, kapitulieren? das recht der turkischen staatsbuerger ergibt sich aus einem eu vertrag. koennen sie sich eigentlich vorstellen, dass das gegen den willen der brd geschlossen wurde? als die tuerken gut genug waren, niedrige arbeit zu erledigen und angeworben wurden, hat man sich darauf geeinigt, dass sie rechte haben. heute soll das nicht mehr gelten? man kann vom zuzug tuerk. staatsbuerger halten was man will. ihnen aber vorsaetzlich recht vorzuenthalten hat in einem rechtsstaat aber eine ganz andere qualitaet, dass jeden besorgt stimmen sollte oder wollen sie in einem staat leben, in der ihre rechte vom politischen willen der jeweiligen regierung abhaengt? solche staaten werden derzeit in den arabischen laendern abgeschafft.

  5. Sahin sagt:

    Ich finde es ist schön und wichtig in Deutschland die deutsche Sprache ausreichend bis hin zu perfekt zu besitzen, kein Mensch hat was dagegen,aber den Sprachnachweis schon vor dem Familienzuzug zu fordern ist wirklich nichts anderes als Schikane. Als ob die Prozedur für die Visumerteilung schon ohne hin nicht eine Frechheit wäre,durch die haufen Formulare und den sehr lange Warte- bzw. Bearbeitungszeiten, stellt man noch mehr Hürden (wie Sprachnachweis) auf um diese Menschen irgendwie noch den Antrag abzulehnen….

    Na hoffentlich wird was daraus :/

  6. Holger sagt:

    S, wie der ganze Prozess angelegt ist, ist er nicht nur Heuchelei, sondern eine Verstoß gegen die Menschenrechte – nicht nur für Türken, sondern für alle Ausländer und für ihre deutschen Ehepartner. Mit ewtas gutem Willen könnten die Spracherfordernisse auch in Deutschland erbracht werden. DIe Bundesgerierung glänzt in Selbstgefälligkeit der Sicht vom deutschen Standpunkt und in Ignoranz der Lebensbedingungen und Möglichkeiten in fast allen Teilen der Welt und schafft es nicht, einmal über den Tellerrand hinauszuschauen. Beschämend!

  7. Pragmatikerin sagt:

    Noch einmal m u s s ich mich zu Wort melden:

    Merkt hier von den Diskutanten Nichteuropäischer Herkunft eigentlich keiner, dass die Deutschen Blogschreiber immer weniger werden?!

    Es ist wie in der Politik, es wird auf Rechte gepocht, die die Türken sich erzwungen haben (Türken wurden nach Deutschland „geworben“ auf Zwang der USA und der Türkei) und heute soll die Bundesrepublik wieder ihre Grenzen aufmachen, für Menschen, die hier nicht gebraucht und schlussendlich auch nicht gemocht werden.

    Ich warte auf den Tag, wo Passdeutsche, Türken und Araber hier mit sich selbst schreiben. Das wird eine (Oktober)-Fest Gaudi ;-)

    Pragmatikerin

  8. Güler sagt:

    MIGAZIN – endlich eine Zeitung mit anspruchsvollem Inhalt und objektiver Berichterstattung, DANKE !!

  9. Naja sagt:

    Wir sollten endlich aus dieser totalitären EU austreten.

  10. gedanke sagt:

    Aus Unrecht wird kein Recht auch wenn der Unrechte sich zu rechtfertigen versucht.
    Wie sagte Her Gül:Der Türke sollte Deutsch lernen ohne Akzent zu sprechen,was machen wir mit den Bayern ,Sachsen,Schwaben.und Friesen ?
    Ich verstehe diesen Akzent meistens gar nicht…

    Ich hoffe die Deutsche Regierung besinnt sich und gibt den Türken jene Rechte die Vertraglich vereinbart wurden.Die Ohrfeige seitens der EU so laut ausfallen,das es den Nimbus des ABO Demokratie Deustchland aus den Angeln wirft.