Religiöse Pluralisierung
„Immer mehr Menschen lassen sich von mehr als einer Religion inspirieren“
Religionswissenschaftler über multireligiöse Identitäten in westlichen Gesellschaften – zum Beispiel buddhistische Christen und buddhistische Juden. Durchaus keine Seltenheit mehr in multireligiösen Gesellschaften.
Donnerstag, 16.04.2015, 8:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.04.2015, 23:03 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Immer mehr Menschen lassen sich nach Untersuchungen von Religionswissenschaftlern von mehreren Religionen inspirieren. „Waren die westlichen Gesellschaften in der Vergangenheit noch weitgehend monoreligiös, nehmen sie inzwischen zunehmend multireligiöse Gestalt an“, sagte der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ am Dienstagabend in Münster. Ein empirisch gut belegter Fall für multireligiöse Identitäten im Westen seien buddhistische Christen und buddhistische Juden, so der Forscher. „Als wichtiges Motiv für diese Doppelidentität lässt sich herausfiltern, dass der Buddhismus vielfältige Meditationsformen bewahrt hat, während dem westlichen Christentum seine eigene kontemplative und mystische Tradition in der Moderne weitgehend abhandengekommen ist.“
Multireligiöse Identitäten seien keine Seltenheit mehr, unterstrich der Forscher in der Ringvorlesung „Transfer zwischen Religionen“ des Exzellenzclusters und des Centrums für religionsbezogene Studien (CRS). Er verwies auch auf Erhebungen wie den Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung: „So stimmten 71 Prozent der Menschen in Indien, 32 Prozent in den USA und 22 Prozent in Deutschland dem Satz zu, dass sie auf Lehren verschiedener religiöser Traditionen zurückgreifen.“ Als Beispiel nannte er die Schriften des Dalai Lama, die für viele protestantische oder katholische Christen ebenso eine spirituelle Quelle seien wie die des Benediktinerpaters und Buchautors Anselm Grün. „Es gibt keineswegs nur eine fundamentalistische Abgrenzung gegenüber allen fremden religiösen Einflüssen, wie angesichts aktueller Religionskonflikte vermutet werden könnte, sondern auch die umgekehrte Entwicklung zur Herausbildung multireligiöser Identitäten“, sagte der Wissenschaftler. Im Vergleich zu früher stünden heute viel mehr Menschen die schriftlichen Quellen unterschiedlichster Religionen offen.
Genaue statistische Angaben zur religiösen Mehrfachzugehörigkeit lassen sich dem Forscher zufolge nicht machen, da viele Staaten bei der Erhebung von Bevölkerungsdaten – im Unterschied zu beispielsweise Japan – bei der Frage nach Religionszugehörigkeit nur eine Antwort zulassen oder nur enge Zugehörigkeitsformen als Kleriker oder Angestellter einer religiösen Institution erfassen.
„Durch den Buddhismus neue Wahrheiten erkannt“
Mit Blick auf buddhistische Christen und buddhistische Juden stellte der Forscher unterschiedliche Grade der Zugehörigkeit fest. „Neben einer Vielzahl an Christen und Juden, die sich unterschiedlich stark durch den Buddhismus beeinflussen lassen, gibt es die kleine Gruppe der Double Belonger, die ganz bewusst und gezielt eine buddhistische Doppelidentität leben“, so Prof. Schmidt-Leukel. Unter den buddhistischen Christen seien sogar Gläubige, die beiden Religionsgemeinschaften offiziell angehörten.
Als Beispiele nannte er Persönlichkeiten wie den sri-lankischen Jesuit Aloysius Pieris, die anglikanische Nonne Sister Ruth Furneaux, die US-Religionswissenschaftlerin Sally King, die sowohl Zen-Buddhistin als auch Mitglied der Quaker ist, sowie Zen-Buddhist und Jude Norman Fischer. Sie alle hätten persönlich oder teils institutionell zwei Religionen angenommen. Das Buch „Without Buddha I Could not be a Christian“ (Ohne Buddha könnte ich kein Christ sein) des katholischen Theologe Paul Knittler sei in den USA lange ein Bestseller gewesen.
Viele Christen, die sich auf den Buddhismus einließen, hätten die Erfahrung gemacht, „dass sie durch die buddhistischen Augen neue Wahrheiten erkannten und alte Wahrheiten in neuem Licht sahen“, so der Religionswissenschaftler. Das sei neben den Meditationsformen ein weiteres wichtiges Motiv für eine buddhistisch-christliche Doppelidentität. Den Menschen gehe es aber nicht um eine Fusion buddhistischer und christlicher Elemente, sondern um „deren spannungsvolle Integration“. Menschen, die mit mehr als einer Religion leben, gehen demnach davon aus, „dass sich existentiell wegweisende Wahrheit nicht nur in einer religiösen Tradition findet und dass sich die Einsichten und Erfahrungen der verschiedenen Religionen einander ergänzen, bereichern und korrigieren können, auch wenn dies keineswegs immer leicht ist.“
„Buddhistisches Judentum aus dem Holocaust verstehen“
Auch jüdische Theologen stellen dem Vortrag zufolge Bezüge zwischen Buddhismus und jüdischer Mystik her, so, wie christliche Theologen sich von der buddhistischen Meditation eine Wiederbelebung der mystischen Traditionen erhofften. Dabei könne das Verhältnis von Judentum und Buddhismus nur vor dem Hintergrund der „im Holocaust gipfelnden jüdischen Leidensgeschichte“ verstanden werden. „Für viele Juden bietet der Buddhismus mit seiner Fokussierung auf das Thema Leid eine echte Hilfe.“
Historisch gesehen, ist die Verbindung und Mischung unterschiedlicher religiöser Ideen und Praktiken Prof. Schmidt-Leukel zufolge nicht neu. Es gebe sogar gute Gründe für die Einschätzung, dass alle großen Religionen aus synkretistischen Prozessen, also der Verbindung verschiedener religiöser Einflüsse, hervorgegangen seien und sich im Laufe ihrer Geschichte dadurch weiterentwickelt hätten. „In der Moderne sieht es jedoch ganz danach aus, als ob die stark wachsende religiöse Pluralisierung aller Gesellschaften synkretistische Prozesse besonders befördert.“ (ska/vvm/mig) Aktuell Feuilleton
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Nach islamischem Verständnis ist es (eigentlich) unzulässig, neben dem Islam einer anderen Religion anzugehören oder Riten aus einer anderen Religion zu praktizieren. Es gibt jedoch einige Sufi-Orden, deren Leiter der spirituellen Ausrichtung einen höheren Stellenwert einräumen als der formalen Zugehörigkeit zum Islam oder der Einhaltung von dessen Riten, so daß man auch Religionslose oder Angehörige anderer Religionen finden kann, die an den dort praktizierten Übungen teilnehmen und deren Beiträge akzeptiert werden.
In seinem Buch über den islamischen Naqschbandi-Orden sagt Feriduddin Aydın, daß dieser auf Grund seiner Entstehung in Zentralasien Elemente der alttürkischen Religion übernommen habe und später, als die führenden Scheiche dieses Ordens in Indien ansässig waren, Praktiken aus dem Hinduismus, wie Yoga-Atemtechniken bei der Dhikr genannten islamischen Form von Meditation. Der Verfasser meint dazu, es sei zwar nichts dagegen einzuwenden, als Muslim Yoga-Übungen zu machen, man dürfe sie jedoch nicht in die islamische Religion einbringen und dann als zur Religion gehörig ansehen.
Muslimen mag die Person des Dalai Lama eher abstoßend erscheinen, wenn sie sehen, wie er bei einem Besuch Jerusalems, eine jüdische Kippa auf dem Kopf, einen Zettel mit Gebeten in eine Spalte der Klagemauer steckte.
karakal, sie verallgemeinern wieder stark denn das was sie sagen gilt sicher nicht für alle Muslime, sondern eher für diejenigen die wenig Verständnis für ander aufbringen, leider.
Denn was soll daran „Abstoßend“ sein, wenn der Dalai Lama einen Gebetszettel in die Klagemauer steckt? Ich empfinde das eher als eine Geste der Verständigung – etwas zutiefst beeindruckendes über seine eventuell eigene Religion auch den Glauben anderer zu achten.
Im übrigen etwas was so doch auch im Koran steht, oder etwa nicht?
Wenn Muslimische Geistliche den Christen eine osterbotschaft senden – ist das doch das selbe.
Und „im Glauben ist jeder frei“. Wenn sich einer Elemente aus einer spirituellen Richtung (dem Islam) und einige einer anderen (Hinduismus) nimmt und damit ein gücklicher Mensch wird – GOTT SEI DANK!
Zudemv
Wie schon gesagt ich bin auch Muslim und trotzdem Buddhist, nur weil irgendwelche Fanatiker behauten das würde nicht funktionieren bedeutet das nicht automatisch dass das stimmt.
Die Katholische Kirche hat zu dem Thema bestimmt eine ähnliche Einstellung und trotzdem redet niemand davon dass Christentum und Buddhismus nicht zusammenpassen würden. Gerade weil es im Buddhismus keinen Gott gibt passt er mMn, perfekt zur jeder monotheistischsten Religion.
Der bekannte französische Philosoph Louis Cattiaux (1904–1953), “Die Wiedergefundene Botschaft” (Herder, 2010, S.387), schreibt: «Jeder praktiziere die Religion seiner Väter oder die seiner Wahl und jeder dringe in seinen partikulären Glauben ein, bevor er ihn dem der anderen gegenüberstellt.»