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Halal-Medikamente

Muslime müssen bei Kapseln und Hustensaft abwägen

Alkoholhaltiger Hustensaft und Kapseln mit Schweinegelatine: Für viele gläubige Muslime sind solche Medikamente tabu. Doch oft gibt es Alternativen. Und wenn es mal keine gibt, ist Gesundheit oberstes Gebot. Von Andreas Gorzewski

Von Andreas Gorzewski Donnerstag, 11.02.2016, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 11.02.2016, 17:36 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Wenn Muslime in einer Apotheke Tabletten oder Tropfen kaufen, wollen sie vom Beipackzettel nicht nur Auskunft über Nebenwirkungen. Denn einige Inhaltsstoffe sind im Islam eigentlich tabu. Dazu gehören vor allem Alkohol und Produkte vom Schwein, wie Zouhair Halabi erläutert, Arzt für Innere Medizin in Düren und Medizin-Beauftragter des Zentralrats der Muslime in Köln. Doch in der Pharma-Industrie spielen diese Produkte eine wichtige Rolle. Sie kommen in Pillen und Säften ebenso vor wie in Salben oder Transplantaten. Muslime müssen deshalb oft abwägen.

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Für Medikamente gilt wie für Speisen im Islam, dass bestimmte Tiere und berauschende Getränke „haram“, also verboten, sind. Die Einhaltung der entsprechenden Gebote hat nach Ansicht vieler Gläubiger Auswirkungen auf das Leben nach dem Tod. Nach ihrer Vorstellung hängt deshalb von der richtigen Medikation nicht nur ihr körperliches, sondern auch ihr seelisches Heil ab.

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Muslime uneins

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Wann eine Pille, ein Tropfen oder eine Injektionslösung „halal“ – erlaubt – ist, darüber sind Muslime indes uneins. Viele sind damit zufrieden, wenn ihre Kapseln keinen Überzug aus Schweinegelatine haben. Einige gehen weiter: Sie wollen sichergehen, dass die Produktionsanlage für ihre Kapseln nicht für andere Medikamente genutzt wird, die Bestandteile vom Schwein enthalten. Nach dieser Sichtweise wären alle Erzeugnisse der betreffenden Anlage „haram“.

Wieder andere beharren darauf, dass auch die im Islam grundsätzlich erlaubten Rinderprodukte nur dann „halal“ sind, wenn die Rinder nach islamischem Ritus geschlachtet wurden. Das dürfte in der pharmazeutischen Industrie eher die Ausnahme sein.

Oft gibt es Alternativen

Oft können Muslime die für sie problematischen Bestandteile vermeiden. Ein alkoholhaltiger Saft als Schmerzmittel lasse sich durch gepresste Tabletten ersetzen, sagt Ali Ihsan Ünlü, Orthopäde in Bad Eilsen. Hustensäfte und viele andere Medikamente gebe es auch ohne Alkohol. Auch zu Schweinegelatine findet sich laut Ünlü oft eine Alternative. Das für Zuckerkranke lebenswichtige Insulin stammt zwar oft von Schweinen, doch es gibt Ausweichmöglichkeiten.

Allerdings gibt es nicht immer einen gleichwertigen Ersatz. So ist etwa der Blutgerinnungshemmer Heparin bei Thrombosen kaum verzichtbar. Heute wird der Stoff vor allem aus der Dünndarmschleimhaut von Schweinen gewonnen. Wenn es keine Alternative gebe, seien Schwein und Alkohol auch für Muslime vertretbar, betont Ünlü. In solch einem Fall sei der Erhalt der Gesundheit im Islam oberstes Gebot.

Im Notfall erlaubt

Die Mehrheit der Islam-Gelehrten sehe das genauso, pflichtet Internist Halabi bei. „Man darf diese Mittel in dringenden und lebensbedrohlichen Indikationen einsetzen, wenn keine adäquate Alternative zu Verfügung steht“, erläutert der Medizin-Beauftragte des Zentralrats der Muslime. Eine Minderheit sei jedoch dagegen, räumt Halabi ein. In sozialen Medien diskutieren Muslime kontrovers, ob der Gerinnungshemmer Heparin vertretbar ist.

In Deutschland gibt es laut Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) keinerlei „Halal“-Hinweise auf Packungen oder im Beipackzettel. Muslimische Patienten können nicht ohne weiteres erkennen, welches Medikament für sie erlaubt oder trotz Bedenken unersetzbar ist. Selbst in islamisch geprägten Ländern sind entsprechende Kennzeichnungen rar. In der Türkei läuft eine Online-Petition, die Hinweise auf Medikamenten fordert, ob Schwein verarbeitet wurde.

Deshalb ist der behandelnde Arzt oder Apotheker gefragt. Halabi begrüßt, wenn sich ein Mediziner die Mühe macht, muslimische Patienten auf für sie relevante Inhaltsstoffe hinzuweisen und über Alternativen aufzuklären. Das schaffe Vertrauen. Bei vielen Medizinern und Apothekern fehle dieses Bewusstsein jedoch, schränkt Orthopäde Ünlü ein. Er sieht vor allem die Patienten in der Pflicht, auf ihre religiösen Bedürfnisse hinzuweisen. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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