Gutachten
Kodex für Seenotretter verstößt gegen Völkerrecht
Ein Bundestags-Gutachten stärkt Hilfsorganisationen den Rücken: Der Verhaltenskodex, mit dem Italien die Arbeit der privaten Seenotretter im Mittelmeer einschränken will, verstößt danach gegen das Völkerrecht.
Freitag, 04.08.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 09.08.2017, 15:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Versuch Italiens, Hilfsorganisationen bei der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer einzuschränken, verstößt einem Bundestags-Gutachten zufolge gegen Völkerrecht. Das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages sieht die EU-Staaten völkerrechtlich in der Pflicht, bei der Rettung von Menschen aus Seenot zusammenzuarbeiten. Dazu gehöre auch, zivilen Schiffen mit Flüchtlingen an Bord einen Nothafen anzubieten. Damit stützt das Gutachten die Position der Hilfsorganisationen.
Italien hat damit gedroht, den Schiffen der privaten Seenotretter das Einlaufen in italienische Häfen zu verweigern, wenn diese nicht einen Verhaltenskodex unterzeichnen, den die Regierung Anfang Juli vorgelegt hatte. In dem Gutachten schreiben die Wissenschaftliche Dienste, zwar hätten die EU-Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum. Dieser dürfe aber nicht dazu führen, dass die Koordinierung von Rettungsaktionen blockiert wird oder ins Leere läuft.
Gutachten: Kodex verstößt gegen internationale Abkommen
Die Dienste kommen zu dem Ergebnis, dass das im Kodex vorgesehene Verbot, Flüchtlinge auf größere Schiffe wie Frachter oder Containerschiffe umsteigen zu lassen, internationalen Abkommen widerspricht. Jeder Staat müsse dafür sorgen, dass der Kapitän des Hilfe leistenden Schiffes so schnell wie möglich die Geretteten absetzen und seinen ursprünglichen Kurs wiederaufnehmen kann. Der Kodex, den die meisten Hilfsorganisationen nicht unterzeichnen wollen, sei zudem nicht rechtsverbindlich.
Download: Die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages könnenkostenlos heruntergeladen werden. Ein Gutachten befasst sich mit völkerrechtlichen Aspekten, ein weiteres Gutachten mit völker-, europa und strafrechtlichen Aspekten.
Nach Schätzungen werden derzeit mehr als 40 Prozent der geretteten Bootsflüchtlinge im Mittelmeer von privaten Hilfsorganisationen aufgenommen. Die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke, nannte den Verhaltenskodex der italienischen Regierung einen „völkerrechtswidrigen Knebelvertrag“. Jelpke sagte: „Es geht offensichtlich nur darum, mutige Aktivisten beim Retten von Schutzsuchenden zu behindern.“
Grüne: Keine Belege für Fehlverhalten
Die Grünen erklärten, es gebe keine Belege für ein angebliches Fehlverhalten der privaten Seenotrettungsorganisationen. Die Verhaltensmaßregeln, die Beschlagnahme von Schiffen und der Beginn der italienischen Militäroperation vor der libyschen Küste ließen aber befürchten, dass es in der nächsten Zeit weniger Rettungsversuche und mehr Tote im Mittelmeer geben werde, erklärten die Fraktionsvorsitzende, Katrin Göring-Eckardt und die Sprecherin für Flüchtlingspolitik, Luise Amtsberg.
Der Geschäftsführer von „Ärzte ohne Grenzen“, Florian Westphal bekräftigte im Deutschlandfunk die Weigerung seiner Organisation, den Kodex zu unterschreiben. Ausschlaggebend dafür sei das Verbot, gerettete Menschen an größere Schiffe zu übergeben. Es würde dazu führen, so Westphal, die Rettungskapazitäten einzuschränken. Außerdem akzeptiere „Ärzte ohne Grenzen“ keine bewaffneten italienischen Polizisten auf ihren Schiffen. An den Einsatzorten der Hilfsorganisation würden grundsätzlich keine Waffen zugelassen, um ihre Neutralität nicht zu gefährden, sagte Westphal.
Pro Asyl kritisiert Beschlagnahmung von Rettungsschiff
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisierte die Beschlagnahmung eines Schiffes der deutschen Organisation „Jugend Rettet“ durch die italienischen Behörden und brachte sie in Zusammenhang mit der Weigerung der Organisation, den Kodex zu unterschreiben. Den privaten Seenotrettern gebühre Respekt und Solidarität, so Pro Asyl. Sie hätten Zehntausenden Menschen das Leben gerettet.
Die italienischen Behörden hatten die „Juventa“ am Mittwoch im Hafen von Lampedusa beschlagnahmt. Begründet wurde dies mit laufenden Ermittlungen über mögliche Beziehungen zwischen Hilfsorganisationen und Schleusern. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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