Sven Bensmann, Migazin, Kolumne, Bensmann, Sven
MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Mord rufen und des Krieges Hund‘ entfesseln

Deutschland hat jetzt einen Veteranentag – natürlich für Soldaten, und nicht für Pazifisten, die Leib und Leben aufs Spiel setzen, um nicht Kriegsverbrechen begehen zu müssen. Warum?

Von Montag, 29.04.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.05.2024, 10:28 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Als der Krieg aus war, kam der Soldat nach Hause.
Aber er hatte kein Brot.
Da sah er einen, der hatte Brot.
Den schlug er tot.
Du darfst doch keinen totschlagen, sagte der Richter.
Warum nicht, fragte der Soldat.
(Wolfgang Borchert)

Ausgerechnet an Hitlers Geburtstag, am 20. April, wurde es verkündet und schließlich am 25. auch beschlossen, ertränkt im Skandal um die Spionage in und durch die Bundeswehr-Partei AfD, die sich laut Spiegel nicht nur ihre politischen Manifeste in Russland schreiben lässt, sondern wo der russische Einfluss sogar so weit geht, dass man in Moskau auch schon mal selbstbewusst unverbindlich diskutiert, ob man die AfD nicht zum Beispiel in Vereinigtes Deutschland (streng analog zu Putins Partei Vereinigtes Russland) umbenennen wollen würde. Sicher, dass die sogenannten Volksvertreter von der AfD so öffentlich als Volksverräter enttarnt werden, war schlicht die größere Meldung. Aber doch nur in etwa so überraschend wie die Enttarnungen von Bundeswehr-Soldaten und -Veteranen, die sich in der rechtsextremen Szene und der AfD tummeln. Irgendwann ist die gespielte Naivität nur noch peinlich.

___STEADY_PAYWALL___

Beschlossen wurde jedenfalls am 25. ein Veteranentag für Deutschland, so haben es die Koalition und die Union beschlossen – um all diejenigen zu ehren, die für Volk und Vaterland, für Blut und Boden, für Handelsrouten und Rohstoffinteressen ihr Leben gegeben oder zumindest andere genommen haben. Dabei wäre mir persönlich ein Ehrentag, ein Ehrendenkmal – eine dieser hässlichen Statuen aus Bronze, die immer irgendwie so aussehen, als würden sie vergessen vor sich hinschimmeln von mir aus sogar – für alle Desertierten und Fahnenflüchtige doch so viel lieber gewesen. Sicherlich nicht nur mir.

„Für all jene Pazifisten, die Leib und Leben aufs Spiel gesetzt haben, um nicht in einem Krieg oder sonstwo Männer, Frauen und Kinder massakrieren und Kriegsverbrechen begehen zu müssen, bräuchte es doch so dringend einen Ehrentag.“

Pädagogisch wertvoller als eine Huldigung wäre das zudem. Für all jene Pazifisten, die Leib und Leben aufs Spiel gesetzt haben, um nicht in einem Krieg oder sonstwo Männer, Frauen und Kinder massakrieren und Kriegsverbrechen begehen zu müssen, bräuchte es doch so dringend einen Ehrentag, für den Widerstand gegen Ungerechtigkeit, nicht für Gehorsam.

Dass selbst SPD und Grüne das mittlerweile anders sehen und sich der obrigkeitsgeilen Erzählung der soldatischen Ehre anschließen, die von Konservativen weltweit verbreitet wird, um junge Männer aus wohlstandsfernen Elternhäusern für die Profitinteressen von Großkonzernen oder eigene Großmachtssucht opfern zu können, lässt jedenfalls tief blicken. Bei dem weiter oben zitierten deutschen Linken hieß es nach den Erfahrungen des 1. Weltkrieges jedenfalls noch (über die Wehrpflicht): „Zu seinem Wiederaufbau braucht Deutschland vor allem einmal viele Generationen, die gar nicht wissen, was ein Dienstbefehl ist. Wir haben genug von ›gedienten Leuten‹. Das Gesetz muss – im Namen der Freiheit – verschwinden.“ SPD und Grüne marschieren mit der Einführung eines Veteranentags heute in exakt die entgegengesetzte Richtung. Wo Linksruck?

Ob nun Russen, die sich nicht am völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine beteiligen wollen, ob Deutsche, die sich weigerten, am Überfall auf Polen mitzuwirken oder Juden zu vernichten oder halt türkische Soldaten, die sich nicht am armenischen Völkermord beteiligen wollten – diese unbekannten Helden, oft noch an Ort und Stelle hingerichtet und nicht einmal notdürftig verscharrt, wären es, die unseren Respekt, unsere Hochachtung und mehr öffentliche Ehrung verdienten – dazu ein Denkmal vor jedem Rathaus, auf jedem Marktplatz, in jeder Schule, jeder Amtsstube und vor jedem verdammten Gericht, dazu einen Ehren- und Feiertag in jedem Monat des Jahres (gern auch anstelle der von der Mehrheit der Deutschen eh nicht gefeierten christlichen Feiertage).

„Was wir alle brauchen, ist mehr Friedenskultur, nicht mehr Soldatenkultur.“

Als die Zivilisation versagte, da waren und sind es nämlich diese Leute, die sich ihre Menschlichkeit bewahren, statt wahllos zu morden. Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, mehr Moral, mehr Ehre, mehr Tugend und mehr Haltung, als sich, noch mit der Waffe im Rücken, im Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut und deutlich zu sagen: Nein! (schon wieder diese Linke).

Was wir alle brauchen, ist mehr Friedenskultur, nicht mehr Soldatenkultur. Und nicht nur das. Dazu brauchen wir auch mehr Asyl, und zwar insbesondere für alle Wehrkraftzersetzer, alle Deserteure, alle Fahnenflüchtigen weltweit, ungeachtet ihrer Nationalität. Für die kolportierten 200 Milliarden, die sich Deutschland bisher den Krieg in der Ukraine hat kosten lassen, hätte man den 1,3 Millionen wohl derzeit in diesem Krieg eingesetzten Russen jedenfalls ein verlockendes Angebot machen können, fern von Mord und Totschlag.

Auch wenn natürlich längst nicht alle gekommen wären, darüber sollten wir uns keine Illusionen machen – die russische Front wäre womöglich trotzdem kollabiert, vielleicht sogar das Putin-Regime, dem so offen die Soldaten weglaufen. Und überhaupt ist es ja auch nicht so, als gebe es für die so schnell hochgezogenen Kasernen nicht auch andere Interessenten: Deutschland hat neben der Wohnungsnot und der Beherbergungskrise für andere Flüchtlinge schließlich auch noch ein gewaltiges Obdachlosigkeitsproblem, für das sich ebenso wenige Menschen interessieren oder Mittel bereitstellen wollen: Das angebliche Platzproblem ist und bleibt halt nicht mehr als ein Problem von Geld und Wille, das man gern köcheln lässt (damit der AfD dieses Wahlkampfthema nicht abhandenkommt wahrscheinlich, der gehts ja grad schließlich dreckig genug).

Schlussendlich bräuchte es dann noch ganz stringent natürlich auch ein Asyl für alle Journalisten, die all die Kriegsverbrechen von Veteranen aufdecken und denen dafür in den USA oder sonst einem failed state irgendwo am Arsch der Welt die Todesstrafe droht.

„Deutschland verdient halt schlicht zu gut an all dem Krieg weltweit, als dass es eine solche echte Friedenspolitik wirklich würde umsetzen wollen.“

Ja. Natürlich ist all das nur eine spinnerte, pazifistische Sturheit – aber die will ich mir von Putin und der neuen deutschen Kriegsbegeisterung in der Linken einfach nicht nehmen lassen. Deutschland verdient halt schlicht zu gut an all dem Krieg weltweit, als dass es eine solche echte Friedenspolitik wirklich würde umsetzen wollen. Selbst die Schweiz ist nur neutral, damit sie weiter Geschäfte mit allen Kriegsparteien, Menschenschlächtern und Tyrannen der Welt machen kann, damit Kim Jong-un dort zur Schule gehen kann, Ghaddafi und Hitler dort ihre Bankgeschäfte abwickeln und die CDU einen sicheren Ort für schwarze Kassen hat.

Trotzdem: Stell dir vor, nur für einen einzigen Moment, es wäre Krieg und keiner ginge hin. I wonder if you can. Meinung

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. Birgit Knoll sagt:

    Sehr klares und eindeutiges Statement, mit genialer Argumentationslinie – spricht mir aus der Seele – wird aber leider bis auf weiteres Utopie bleiben, genauso wie ein menschenwürdiger Umgang mit Geflüchteten oder dass Klimaflucht eine Anerkennung in irgendeinem Verursacherstaat dieser Katastrophe finden wird. Dennoch muss man dran bleiben, immer wieder aufzeigen, immer wieder den Finger in die „Wunde“ legen bis sich irgendwann vielleicht doch noch etwas ändert.