Vorurteil, Diskriminierung, Rassismus, Kopftuch, Muslime, Islam
Vorurteil gegenüber Muslimen (Symbolfoto) © 123rf.com

Studie

Differenziertes Bild über Muslime beugt diskriminierendem Verhalten vor

Antimuslimische Vorurteile sind weit verbreitet – und sie führen zu diskriminierendem Verhalten. Wie eine neue Studie jetzt zeigt, können Vorurteile mit Gegennarrativen neutralisiert werden. Folge: weniger Benachteiligung.

Donnerstag, 20.06.2024, 11:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 19.06.2024, 17:32 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Neben tief verwurzelten antimuslimischen Vorurteilen gibt es in breiten Teilen der deutschen Bevölkerung auch eine differenzierte Sicht auf muslimisches Leben in Deutschland. Das baut Vorurteile zwar nicht ab, trägt aber dazu bei, dass Muslime weniger benachteiligt und diskriminiert werden. Das geht aus der aktuellen Studie „Zwischen Pauschalisierung und Differenzierung. Einstellungen gegenüber Muslim:innen und dem Islam in Deutschland“ der Bertelsmann Stiftung hervor, die dem MiGAZIN vorab exklusiv vorlag.

Danach schließen sich antimuslimische Vorbehalte und ein differenziertes Bild der muslimischen Bevölkerung nicht aus. Beide Haltungen seien miteinander kompatibel und bauten sich einander nicht ab. Einen entscheidenden Effekt haben sie dennoch: sie verhinderten diskriminierendes Verhalten. Vor allem das Wissen, dass Muslime oft Diskriminierung und Rassismus erfahren, verhindert der Studie zufolge, dass Vorurteile in ausgrenzende Verhaltensweisen umschlagen.

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„Dieser wichtige Befund unterstreicht, wie relevant und wirksam Bemühungen sind, die eine differenzierte Sichtweise auf muslimisches Leben in Deutschland vermitteln“, erklärt Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung dem MiGAZIN. Interreligiöse Bildung bleibe hierbei ein zentraler Faktor. Auch das Bemühen um Differenzierung in Debatten trage dazu bei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. „Auch wenn das heute noch nicht greifbar ist, kann eine solche differenziertere Wahrnehmung von Muslim:innen und ihrer Religion in Deutschland dazu beitragen, bestehende antimuslimische Vorurteile zu dekonstruieren und damit auch zu verdrängen“, so El-Menouar, die den Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung verantwortet.

Antimuslimische Vorurteile weit verbreitet

Daten aus dem Religionsmonitor 2023 zeigen: antimuslimische Vorurteile sind weit verbreitet. 52 Prozent sehen im Islam eine Bedrohung. Auf der anderen Seite empfinden nur 18 Prozent den Islam als Bereicherung. Diese Negativwahrnehmung spiegelt sich auch in den Diskriminierungswahrnehmungen der muslimischen Bevölkerung wider: Rund ein Drittel berichtet von regelmäßig erlebter Benachteiligung im Alltag.

Für die jetzt vorgelegte Studie haben die Expertinnen ein breites Spektrum an antimuslimischen Vorurteilen untersucht. Anschließend haben sie Verhaltensintentionen analysiert, um zu erforschen, welche Vorurteile über den Islam und die muslimische Bevölkerung sich im alltäglichen Zusammenleben auswirken. Die Daten, die der Untersuchung zugrunde liegen, wurden im Jahr 2022, also vor dem Angriff der Hamas im Oktober 2023 und dem dadurch ausgelösten Krieg in Nahost erhoben. Die Studienautorinnen gehen deshalb davon aus, dass antimuslimische Einstellungen inzwischen weiter an Zustimmung gewonnen haben könnten.

Zusammenhang zwischen Vorurteilen und Diskriminierung

Doch die Daten aus 2022 zeigen bereits ein klares Bild: Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen negativen Stereotypen und diskriminierendem Verhalten. Insbesondere Vorurteile, die direkt Muslime betreffen, führten öfter zu diskriminierenden Handlungen als negative Einstellungen gegenüber der Religion Islam. „Insbesondere die Unterstellung, Muslim:innen seien anfällig für Extremismus, hat deutliche Auswirkungen auf die Verhaltensabsicht und löst den stärksten Distanzierungsreflex aus“, heißt es in der Studie.

Info & Download: Die Bertelsmann-Studie „Zwischen Pauschalisierung
und Differenzierung Einstellungen gegenüber Muslim:innen und dem Islam in Deutschland
kann hier kostenfrei heruntergeladen werden.

Zu den am meisten verbreiteten Vorurteilen gegenüber Muslimen gehört den Angaben zufolge die Annahme, Muslime würden lieber unter sich bleiben (74 Prozent), gern in eigenen Stadtteilen leben (70 Prozent) und seien frauenfeindlich (65 Prozent). Noch verbreiteter sind Vorurteile gegenüber dem Islam als Religion. Sie sind mit der Vorstellung verbunden, der Islam sei grundsätzlich mit „westlichen“ Werten unvereinbar und gewaltbereit (57 Prozent). Gleichzeitig haben 58 Prozent der nichtmuslimischen Befragten ein Problem damit, in einen Stadtteil zu ziehen, in dem viele Muslime leben. „Dies ist bemerkenswert vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Vorstellung, Muslim:innen würden sich selbst abschotten“, so die Studienautorinnen.

Die Vorbehalte zeigen sich laut Studie auch im Wahlverhalten. Für etwa jeden Zweiten spielt die Religionszugehörigkeit für die Wahl eines Politikers eine Rolle: 51 Prozent würden einen Bürgermeister allein deswegen nicht wählen, weil er eine muslimische Religionszugehörigkeit hat. Zudem äußert mehr als jeder Vierte die Bereitschaft, eine Partei zu wählen, die sich explizit gegen Muslime richtet.

Weniger Bedenken haben die Befragten bei muslimischen Lehrkräften mit einem Kopftuch: Immerhin 60 Prozent der Befragten würden ihr Kind an einer Schule anmelden, in der auch eine kopftuchtragende Muslimin unterrichtet. Auf der anderen Seite würden immerhin 40 Prozent sich gegen eine Schule entscheiden, wenn dort eine kopftuchtragende Lehrkraft angestellt ist.

Neben diesen Vorurteilen gibt es aber auch differenzierte Bilder: 83 Prozent der Befragten ist bewusst, dass es sowohl streng religiöse als auch weniger streng religiöse Muslime gibt. 85 Prozent bringen das Problembewusstsein mit, dass Handlungen einzelner Muslime häufig der ganzen Gruppe zugeschrieben werden. 60 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Muslime häufig benachteiligt oder angefeindet werden; 69 Prozent glauben, dass Muslime Rassismus erfahren.

Begegnung baut Vorurteile ab

Um den Zusammenhang zwischen Vorurteilen und diskriminierendem Verhalten zu durchbrechen, fordert die Studienleiterin die Schaffung von Begegnung. Ein positiver Befund sei, „dass die jüngere Generation eine deutlich differenziertere Sicht auf Muslim:innen und den Islam hat. Diese Sicht fußt in alltäglichen Erfahrungen und insbesondere in interreligiösen Kontakten in Schule und Ausbildung“, erklärt El-Menouar. Erforderlich in diesem Zusammenhang sei aber auch eine kritische Auseinandersetzung mit Lehrplänen und Schulbüchern.

Aber auch die Erwachsenengenerationen müsste sensibilisiert werden. Dazu brauche es neben persönlichem Kontakt auch ein differenzierteres Wissen über das muslimische Leben in Deutschland. Gefragt seien keine detaillierten theologischen Kenntnisse, sondern eine Auseinandersetzung mit der lebensweltlichen Praxis. Die Berichterstattung und die öffentlichen Debatten zum Islam seien aber durch einen starken Problemfokus geprägt. Sie reproduzieren und festigen damit eine negative und pauschalisierende Sicht auf Muslime. „Wir brauchen daher mehr Erzählungen über die Normalität muslimischen Lebens, die den kursierenden Negativbildern etwas entgegensetzen. Wer versteht, warum für eine religiöse Gruppe bestimmte Alltagsregeln oder religiöse Feiertage wichtig sind, kann eher Verständnis und Toleranz entwickeln“, so El-Menouar. (mig) Gesellschaft Leitartikel

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