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Weltsicht

Migration in die Bundeswehr?

Angesichts steigenden Personalbedarfs als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine wird diskutiert, ob auch Nicht-Deutsche in die Bundeswehr aufgenommen werden sollten. Kein abwegiger Gedanke.

Von Dienstag, 25.06.2024, 10:12 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.06.2024, 9:14 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Das Gespenst des Krieges ist zurück in Europa. Der vollumfängliche russische Angriffskrieg in der Ukraine seit Februar 2022 zwingt uns alle, vermeintliche Gewissheiten über Bord zu werfen: Deutschland ist nicht mehr nur „von Freunden umzingelt“, wie es der ehemalige Verteidigungsminister Volker Rühe in den 1990er Jahren einmal feststellte. Die Gefahr, dass Deutschland andere NATO-Bündnispartner oder gar sich selbst mit allen ihm zur Verfügung stehenden militärischen Mitteln verteidigen muss, ist auf einmal wieder sehr real.

Zwar wollen es einige Wenige – weil sie vielleicht einer besonders naiven oder irrationalen Form des Pazifismus anhängen oder aus anderen Gründen – immer noch nicht wahrhaben, den meisten Menschen in Deutschland ist aber mittlerweile klar, dass Frieden, Freiheit und Wohlstand in Deutschland und Europa nicht nur von inländischen Extremisten und Verfassungsfeinden, sondern auch durch aggressive Mächte von außen bedroht sind. Die Bundeswehr muss nach Jahrzehnten der Vernachlässigung dringend wieder fit gemacht werden für die Landes- und Bündnisverteidigung. Schon seit einiger Zeit wird die Frage diskutiert: Welche Rolle könnten Migrantinnen und Migranten bei der „Zeitenwende“ spielen?

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Was die materiellen Aspekte angeht, so hat der Bundestag bereits vor zwei Jahren mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ein Instrument geschaffen, mit dem wichtige Aus- und Aufrüstungsvorhaben der Bundeswehr finanziert werden können. Beim Personal scheinen die Herausforderungen ungleich größer: Bis zum Jahr 2031 sehen die Planungen des Verteidigungsministeriums vor, dass die Bundeswehr von derzeit gut 180.000 Soldatinnen und Soldaten auf über 200.000 anwachsen soll. In Anbetracht von allgemeinem Fachkräftemangel und demografischem Wandel ist dies eine große Herausforderung. Um ihren Personalumfang allein halten zu können, muss die Bundeswehr pro Jahr schon rund 20.000 neue Soldatinnen und Soldaten rekrutieren.

„Nicht-Staatsangehörige sind in den Reihen der Streitkräfte bei unseren europäischen Nachbarn nichts Außergewöhnliches.“

Neben den aktuellen Diskussionen um eine sogenannte Auswahl-Wehrpflicht, dachte Verteidigungsminister Boris Pistorius im Januar laut darüber nach, auch Menschen, die über keinen deutschen Pass verfügen, in die Bundeswehr aufzunehmen. Ein Blick über den deutschen Tellerrand hinaus zeigt, dass Nicht-Staatsangehörige in den Reihen der Streitkräfte bei unseren europäischen Nachbarn nichts Außergewöhnliches sind: Die französische Fremdenlegion ist wohl das bekannteste Beispiel für Ausländer in einer europäischen Armee: Vor beinahe 200 Jahren gegründet, dienen derzeit etwa 9.000 ausländische Freiwillige (v.a. aus Osteuropa und Asien) in dieser Eliteeinheit der französischen Armee. Die Rekrutierung von Soldaten aus den (früheren) Kolonien hat ebenso im Vereinigten Königreich eine lange Tradition. Die nepalesischen Gurkha-Einheiten etwa dienen seit dem frühen 19. Jahrhundert der britischen Krone. Das britische Militär hat vor einigen Jahren seine Rekrutierungsregeln gelockert, sodass Bürger aus den Ländern des Commonwealth nicht mehr fünf Jahre in Großbritannien gelebt haben müssen, bevor sie der Armee beitreten dürfen.

Aber auch einige kleinere europäische Länder rekrutieren Soldatinnen und Soldaten mit ausländischen Pässen: Seit 2004 dürfen EU-Bürger im Alter von 18 bis 34 Jahren zum Beispiel den belgischen Streitkräften beitreten. In Dänemark können ausländische Rekruten aufgenommen werden, wenn sie bereits im Land leben und die Sprache beherrschen. In Irland können Bürger des Europäischen Wirtschaftsraums – wozu neben den EU-Ländern Island, Liechtenstein und Norwegen gehören – den Streitkräften beitreten. Auch andere ausländische Staatsangehörige werden akzeptiert, wenn sie seit mindestens seit drei Jahren in Irland leben.

„Nun ist die Bundeswehr schon seit langem kein Hort des „Biodeutschen“ mehr und spiegelt vielmehr die post-migrantische Realität der deutschen Gesellschaft wider.“

Nun ist die Bundeswehr schon seit langem kein Hort des „Biodeutschen“ mehr und spiegelt vielmehr die post-migrantische Realität der deutschen Gesellschaft wider. Bereits vor acht Jahren wurde unter Berufung auf eine interne Studie des Verteidigungsministeriums berichtet, dass 26 Prozent der Soldatinnen und Soldaten in den Mannschaftsdienstgraden einen Migrationshintergrund haben. Auf der anderen Seite fielen die Reaktionen auf Pistorius‘ Ausländer-in-die-Bundeswehr-Vorschlag eher verhalten bis negativ aus. Tobias Schulz von der TAZ trug mehrere Contra-Argumente zusammen: Die Bundeswehr könne mit ihren attraktiven Gehältern potenzielle Rekrutinnen aus Ost- und Südeuropa abwerben, was dort zu leeren Kasernen führen könnte. Zudem würde ein ausländischer Soldat seine Rechte nicht einfordern, da er in diesem Fall ja befürchten müsse, sein Aufenthaltsrecht zu verlieren. Vor allem aber wird immer wieder das Argument angeführt, dass Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in einem besonderen Treueverhältnis zum deutschen Staat stehen sollten. Dieses Verhältnis sei „notwendig für den Dienst für unser Vaterland […]. Unsere Staatsbürger in Uniform sollten daher deutsche Staatsbürger sein“, wie es der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Henning Otte (CDU), auf den Punkt bringt.

Diese Argumente wirken wenig stichhaltig. Bei in Deutschland arbeitenden polnischen Handwerkern etwa wird auch eher selten die Frage gestellt, wer sich nun eigentlich um Wasseranschlüsse, neue Fenster oder Heizungsreparaturen in Polen kümmert. Überzeugender sind da eher Stimmen, die betonen, dass die Bereitschaft der Angehörigen der deutschen Streitkräfte, Deutschland, seine Nato-Verbündete und Werte wie Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu verteidigen, wesentlich wichtiger sei als ihre Staatsbürgerschaft.

„Dass diesen ausländischen Soldatinnen und Soldaten in Deutschland jemals mehr als nur Gleichgültigkeit zuteilwerden würde, ist leider unwahrscheinlich.“

Allerdings wäre Pistorius‘ Plan sehr aufwändig, denn es würde eines neuen speziellen Rechtsrahmens, der genauen Definition von Auswahlkriterien und passender Anreize für die Anzuwerbenden bedürfen. Ob einer dieser Anreize der Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft sein kann, könnte der zentrale Streitpunkt werden, sollten diese Überlegungen einmal konkreter werden. Entscheidend wird die Frage sein, wie die deutsche Gesellschaft Bundeswehrangehörige ohne deutschen Pass betrachten würde. Es ist klar, dass niemand eine deutsche Fremdenlegion oder eine „Söldnertruppe“ haben möchte. Es geht um reguläre Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Dass diesen ausländischen Soldatinnen und Soldaten in Deutschland jemals mehr als nur Gleichgültigkeit zuteilwerden würde, ist leider unwahrscheinlich. Denn die deutsche Gesellschaft schafft es in großen Teilen bis heute nicht, diejenigen wertzuschätzen, die im Ernstfall bereit wären, ihr Leben für die Landesverteidigung zu geben. Und das ist weitaus bedenklicher als es ausländische Staatsangehörige in der Bundeswehr jemals sein könnten.

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