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Kellnerin bei der Arbeit (Archiv) © de.depositphotos.com

Ukrainer in Deutschland

„Kenne ganz wenige, die nicht arbeiten möchten“

Die Bundesregierung versucht derzeit, mit einem „Job-Turbo“ mehr Ukrainer in den Beruf zu bringen. CSU will Ukrainer ohne Job sogar ausweisen. Derweil machen Arbeitgeber gute Erfahrungen mit Frauen und Männern aus der Ukraine – das Bürgergeld sei aber auch attraktiv.

Von Dienstag, 25.06.2024, 10:52 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.06.2024, 11:02 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Von Normalität kann man schwer sprechen, wenn in der Heimat ein blutiger Krieg tobt. Und doch bemühen sich Menschen aus der Ukraine um einen Alltag in Rheinland-Pfalz. Gut ein Dutzend von ihnen arbeiten in der Gaststätte des Winzervereins Deidesheim. „Sie waren zum Teil bei Kriegsausbruch in Westeuropa und können jetzt nicht zurück“, sagt Pächter Erich Tome der Deutschen Presse-Agentur. Tome kam 2002 als Spätaussiedler aus Kasachstan nach Deutschland und kann sich fließend mit der Belegschaft unterhalten. Und so ist in den Fluren Ukrainisch und Russisch nebeneinander zu hören.

Vor Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 waren einige der neun Männer und vier Frauen zum Beispiel in Polen oder Bulgarien beschäftigt. „Durch Mundpropaganda ist in der ukrainischen Kommunität bekannt, dass man in Deidesheim arbeiten kann“, erzählt Tome. „Es gibt auch Internet-Plattformen, auf denen man Alter, Geschlecht und Beruf einträgt und sehen kann, wo in Europa jemand zum Arbeiten gesucht wird.“ Einige seiner Mitarbeiter wollten wieder einmal zurück in die Ukraine. „Aber das können oder wollen sie derzeit nicht. Sie warten darauf, dass der Krieg zu Ende ist.“

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Menschen aus der Ukraine in Arbeit bringen

Tome kennt die Diskussion, mehr Menschen aus der Ukraine in Arbeit zu bringen. CSU-Politiker Alexander Dobrindt hat sogar gefordert, ukrainische Kriegsgeflüchtete auszuweisen, wenn sie nicht arbeiten. Dem Ausländerzentralregister zufolge lebten im März 2024 rund 1,3 Millionen Menschen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit in Deutschland. Die meisten sind Kriegsflüchtlinge, die Mehrheit Frauen und Kinder. Im Februar 2024 waren 21 Prozent der Geflüchteten berufstätig.

„Ich kenne nur ganz, ganz wenige Menschen aus der Ukraine, die nicht arbeiten oder nicht arbeiten möchten“, betont Tome. „Von denen, die bei mir arbeiten, ist kaum einmal jemand krank, und sie kennen sich in der Gastronomie gut aus. Die machen das so gut, dass ich unbesorgt in den Urlaub gehen kann.“

Ähnlich sieht es Steven Kärgel, Geschäftsführer des Winzervereins Deidesheim. „Die ukrainischen Mitarbeiter haben sich im Team der Winzergaststätte ausgezeichnet integriert und können vor Ort in einer frisch renovierten, hellen Mitarbeiter-Wohnung leben“, sagt er der dpa. „Sie leisten eine sehr gute Arbeit. Über den freundlichen Service, die hervorragende Qualität der pfalztypischen Speisen und die kundenfreundlichen Öffnungszeiten unserer Winzergaststätte sind wir sehr begeistert.“

An diesem Tag arbeiten Oleg, Mykyta, Antonia und Marina in der Küche, ein Stück weiter sitzen Mitarbeiterin Karina und Pächter Tome am Tisch. „Manchmal machen die deutschen Behörden es den Menschen aus der Ukraine gleichzeitig leicht und schwer, zu arbeiten“, sagt Tome. „In Deutschland bedeutet jeder Schritt ein Formular. Wer die deutsche Bürokratie nicht kennt, hat es schwer. In der Ukraine läuft vieles digital. Deutschland arbeitet dagegen noch auf Papierbasis“, meint der 38-Jährige.

Staatliche Unterstützung attraktiv

Zudem sei die staatliche Unterstützung für Ukrainer in Deutschland attraktiv. „Keiner, den ich kenne, ist faul. Aber manche sagen, dass sich arbeiten nicht wirklich auszahlt“, schildert Tome. „Was zum Beispiel eine Familie aus zwei Erwachsenen und drei Kindern an Hilfe erhält, reicht auf alle Fälle für den Lebensunterhalt.“ Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine erhalten Bürgergeld. Aus mehreren Bundesländern war der Appell gekommen, dass künftig niedrigere Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz fließen sollten.

Bei der Arbeit gehe es aber nicht nur ums Geld, meint Tome. „Immer wieder ist von meiner Belegschaft zu hören, dass es Spaß und Sinn macht, im Team zu arbeiten. Aber auch, wer auf den Verdienst schaut, ist zufrieden. Und unsere Gäste zahlen ein gutes Trinkgeld.“

Wehrfähige Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen die Ukraine wegen des Krieges nur unter bestimmten Umständen verlassen, trotzdem haben allein in Deutschland nach Kriegsbeginn mehr als 200.000 wehrpflichtige Ukrainer einen Flüchtlingsstatus erhalten. Auch in Deidesheim arbeiten Männer aus der früheren Sowjetrepublik. Sollten sie zurück – und kämpfen? „Das muss jeder selbst entscheiden“, sagt Tome. „Ich habe Verständnis, wenn jemand sagt: Ich möchte bei meiner Familie bleiben und nicht im Krieg sterben.“ (dpa/mig) Aktuell Panorama

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