Brückenbauer
Sinti und Roma am Internationalen Holocaustgedenktag
Am 27. Januar wird der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus begangen (Internationaler Holocaustgedenktag). Für Merfin Demir ist das ein Anlass für einen Kurzblick auf die Minderheit der Sinti und Roma. Er erklärt, wieso die Erinnerung so wichtig ist.
Von Merfin Demir Donnerstag, 26.01.2012, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.01.2012, 23:39 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau. Schätzungsweise 1,1 Mio. Menschen vom Säugling bis zum Greis fanden allein in diesem Lager den Tod. Es ist daher selbstverständlich, dass gerade der 27. Januar der Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus ist. Selbst die Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärte diesen Tag zum „Internationalen Holocaustgedenktag“.
Bekanntlich sind die Juden die größte Opfergruppe der NS-Zeit. In diesem Beitrag soll der Fokus jedoch auf die Sinti und Roma gerichtet werden. Wohlgemerkt handelt es sich bei den Sinti und Roma um keine Randgruppe. Es leben etwa 10 bis 12 Mio. Menschen dieser Minderheit in ganz Europa.
Der Völkermord
Der Völkermord an den Sinti und Roma ist als Höhepunkt einer jahrhundertelangen Verfolgungsgeschichte zu betrachten. Bereits im 19. Jahrhundert richteten Bayern und auch andere deutsche Staaten sogenannte Landfahrerzentralen ein. Diese Zentralstellen dienten der Registrierung, Kontrolle und der Repression gegenüber Sinti und Roma. Letztlich bediente sich das NS-Regime dieser Daten und konnte mit zusätzlicher Hilfe der Kirchenbücher ganze Stammbäume rekonstruieren. Sinti und Roma, die als solche nicht mehr erkennbar waren, konnten so ausfindig gemacht werden. Im Wesentlichen benutzte das NS-Regime diese beiden Datenquellen, um eine möglichst flächendeckende Ermordung der Sinti und Roma vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund stellt sich noch heute die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma gegen jede statistische Erfassung nach ethnischen Merkmalen, was angesichts dieser Geschichte nicht erstaunt. Die Perfektionierung der systematischen Ermordung begann 1938 mit einem Runderlass Heinrich Himmlers. Der Erlass ordnete u.a. die „rassenbiologische Forschung“ an. Hierdurch sollte die pseudowissenschaftliche Rechtefertigungsgrundlage für die Vernichtung geschaffen werden. Fingierte Gutachten hatten beispielsweise angeborene asoziale Eigenschaften und kriminelle Verhaltensweisen im Sinne des NS-Regimes „nachgewiesen“.
1943 richtete die SS in Auschwitz-Birkenau das „Zigeunerfamilienlager“ als separierten Bereich ein. In diesem wurden ganze Sinti- und Roma-Familien untergebracht. Man hatte festgestellt, dass die gemeinsame Internierung der Familien zu weniger Aufständen führte. Die Lagerinsassen durften zwar Zivilkleidung tragen und sich die Haare wachsen lassen. Dennoch waren die Lebensbedingungen unerträglich. So berichtete der Häftling Helmut Clemens 1.
„Ich erinnere mich noch an den Vorfall mit den Kindern, den beiden Sintikindern aus Österreich. Sie liefen zum Stacheldrahtzaun und hatten dort gespielt. Es gab da einen Graben, die sogenannte neutrale Zone, davor waren glatte Drähte und dahinter Stacheldraht. Die beiden Kinder haben dort miteinander gespielt und miteinander geredet. Plötzlich hat ein SS-Mann vom Wachturm herunter auf die Kinder geschossen. Er hat einfach auf die Kinder geschossen. Eines der Kinder erhielt einen Schuss in den Arm und in den Bauch, es war schwer getroffen.“
Weibliche Häftlinge berichteten von Vergewaltigungen der schönsten Frauen. Hunger und Tod war allgegenwärtig. Neben der unmenschlichen systematischen Ausrottung des Volkes der Sinti und Roma ist auch ein Großteil ihres kulturellen Erbes vernichtet worden, welches bis zum Holocaust auf Grund einer fehlenden schriftlichen Tradition von Generation zu Generation mündlich weiter gegeben wurde.
Die Nachkriegszeit
In der Nachkriegszeit endete zwar die systematische Ermordungspolitik, aber die Anerkennung des Völkermordes erfolgte nicht. Die sogenannten Landfahrerzentralen blieben weiterhin bestehen. Selbst das Personal, welches darin beschäftigt war und die SS unterstützte, war das gleiche. Die Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit durch den NS-Staat blieb oftmals bestehen. Ansprüche auf Entschädigungszahlungen sind immer wieder zurückgewiesen worden. Die deutschen Behörden erklärten, dass die Verfolgung im Nationalsozialismus mit der Kriminalität zusammengehangen habe. Auch hätte es keine rassistisch motivierte Verfolgung gegeben, was selbst durch Urteile deutscher Gerichte bestätigt worden ist.
Erst nach einer langen zivilgesellschaftlichen Anstrengung der Bürgerrechtsbewegung unter Führung von Romani Rose stellte sich der Erfolg ein. 1982, also 37 Jahre nach Kriegsende, erkannte Bundeskanzler Helmut Schmidt den Völkermord gegen die Sinti und Roma als rassistisch motiviert an. Bundeskanzler Helmut Kohl bestätigte 1985 die Anerkennung seines Vorgängers. Das Denkmal für die Opfer ist jedoch bis heute nicht eingeweiht. In diesem Fall ist die Bundesregierung noch in der Bringschuld.
Die Situation heute
Derzeit haben insbesondere die osteuropäischen Roma mit dramatischen Lebensbedingungen zu kämpfen. In den meisten dieser Länder leben Roma ausgegrenzt in eigenen Stadtteilen mit schlechter und zum Teil keiner Anbindung an die Infrastruktur. Verfolgung und Ausgrenzung sind alltäglich. Aus dem Kosovo sind nach dem Einmarsch der NATO-Truppen etwa 200.000 Roma, nach fast fünfhundertjähriger Geschichte, vertrieben worden. Heute leben sie verstreut in ganz Europa. Trotz der vorherrschenden Diskriminierung von Roma im Kosovo müssen in Deutschland noch viele mit einer Abschiebung in das Land rechnen. Noch 2011 gab es pogromartige Zustände gegen Roma in Bulgarien, die durch Hetzen rechtsradikaler Parteien geschürt wurden. In Ungarn wiederum marschieren rechtsradikale Garden durch Romasiedlungen und verbreiten Angst und Schrecken. Übergriffe tschechischer und serbischer Polizisten gegen Roma-Jugendliche sind in Youtube-Videos nachgewiesen. Die Aufzählung könnte unendlich fortgesetzt werden.
Rückschlüsse
Für die Roma ist es gerade wegen dieser aktuellen Zustände, umso wichtiger aus der Geschichte zu lernen und sich weiterhin für die eigenen Rechte einzusetzen. Für die Menschheit insgesamt wiederum ist das Gedenken an den nationalsozialistischen Völkermord mindestens genauso wichtig. Denn die ethnischen Säuberungen und Massenvergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina fanden in den 90ern statt. Mitten im Herzen Europas, weil es manche versäumt haben, aus der Geschichte zu lernen.
- Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau in Zusammenarbeit mit dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg: Gedenkbuch: Die Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz Birkenau. Saur-Verlag, München u.a. 1993, Seite 1495
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Lieber Herr Demir,
ich danke Ihnen für diesen aufschlussreichen Beitrag. Mir war gar nicht bewusst, dass schon vor dem Holocaust eine „Datenbank“ existiert hat, auf die die späteren Nazis zurückgegriffen haben. Die Verfolgung der Sinti und Roma hatte sicherlich in den 12 Jahren Nazidiktatur ihren Höhepunkt, aber es gab wohl doch vorher schon eine systematische Diskriminierung und auch heute, nach dem Naziterror ,gibt es noch immer systematische rassistische Vorbehalte in dieser ach so „modernen“ Gesellschaft!
Sie gehen als intellektuelles Vorbild voran und ich hoffe, dass weitere Arbeiten und Akteure aus Ihrem Umfeld folgen werden, wir alles sollten die Verfolgung von Juden, Sinti und Roma und anderer Ethnien verdammen und rechtstaatlich verfolgen! Gemeinsam sind wir stark!
Freundlichst
S.