HRW-Bericht
Überrasschendes Presseecho
Das Presseecho auf den Bericht „Diskriminierung im Namen der Neutralität“ von Human Rights Watch (HRW) war erfreulich, aber auch überraschend. Keines der bundesweit erscheinenden Zeitungen hat den Bericht unbeachtet bei Seite geschoben. An teilweise prominenter Stelle wurden die Ergebnisse der Studie mal mit mehr, mal mit weniger Kritik mit dem Leser geteilt.
Von Engin Karahan Mittwoch, 04.03.2009, 9:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2010, 22:53 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Überraschend war das Presseecho, weil die Aussagen aus dem HRW-Bericht nicht neu sind. Ist es denn wirklich eine neue Erkenntnis, dass die in einigen Bundesländern geltenden Verbote religiöser Kleidungen und Symbole für Lehrkräfte und teilweise Beamte muslimische Frauen mit Kopftuch diskriminieren.
Das dies eines der Folgen der Kopftuchgesetzgebung sein würde, hätte jedem der damals Verantwortlichen klar sein müssen. Das Überraschungsmoment liegt wohl jetzt eher darin, mit dem erzeugten Leid konfrontiert worden zu sein. Mit dem Leid, das bei den betroffenen Frauen ausgelöst wurde, egal ob sie sich für eine konsequente Ausübung ihres Glaubens entschieden und ihrem angestrebten Beruf entsagt haben, oder schweren Herzens und mit viel Seelenpein auf ihre religiöse Kleidung verzichtet haben, um damit die eigene Existenz zu sichern.
Musste für diese Erkenntnis aber wirklich erst der Human Rights Watch-Bericht das allgemein Bekannte oder auch nur Befürchtete aussprechen. Dass die vereinzelte Berichterstattung zu diesem Thema zwar Kenntnis genommen wird aber unbeachtet bleibt, daran haben wir uns schon gewöhnt. Aber es hätte dem Journalismus in Deutschland sicherlich gut zu Gesicht gestanden, in dem ganzen Streit endlich auch mal die eigentlichen Betroffenen zu Worte kommen zu lassen. Bis auf einige wenige Ausnahmen von meist freien Journalisten hat sich daran aber bisher kaum eine Redaktion gewagt.
Diese Distanz zu der Gefühls- und Gedankenwelt von Muslimen oder im Allgemeinen von Migranten dürfte unter Medienschaffenden nicht zur Ausnahme gehören. Während in vielen anderen Bereichen Medien noch gerne ihre „Funktion“ als „vierte Gewalt“ wahrnehmen, auf Unstimmigkeiten in den Aussagen der politisch Verantwortlichen hinweisen, den Missbrauch durch politische Verantwortungsträger in den Blick der Öffentlichkeit stellen, gebaren sie sich beim Thema Integration und insbesondere beim Islam fast schon als verlängerte Pressestelle der jeweiligen Regierung.
Zu selten kommt ein Nachhaken, ob denn die gegen Migranten vorgebrachten Vorwürfe belegbar sind, eigene Recherchen zur Plausibilität finden in den seltensten Fällen statt. Und was für Auswirkungen die Sicherheits- und Präventionspolitik der letzten Jahre für Muslime und Migranten gehabt hat, dafür dürfte den meisten Redakteuren wohl einfach der Blick fehlen. Vielmehr verstehen sich nicht wenige Journalisten in dieser Debatte offen als Partei, als Partei die sich eher daran ereifert, die mehr als schwammigen Vorhaltungen der Politik mit vermeintlichen Paradebeispielen zu unterlegen. Der kritische Blick in die andere Richtung, das dürften die meisten als Nestbeschmutzung, als Einknicken vor „denen“, den „Anderen“, den Migranten verstehen. Vielleicht müsste einfach mal gefragt werden: „Können Muslime und Migranten eurer Meinung nach überhaupt diskriminiert werden?“. Die meisten Antworten dürften mit einem schwachen „Ja“ und einem starken „ABER“ anfangen.
Dies dürfte letztendlich der Mechanismus sein, der bis zum HWR-Bericht in den Problemen der von den Kopftuchverboten betroffenen Lehrerinnen keinen Nachrichtenwert sah. Er sorgt aber auch weiterhin dafür, dass noch viel weitergehendere Probleme weiterhin unbeachtet bleiben.
Die Auswirkungen der Kopftuchverbotsgesetze enden aber nicht am Schulausgang. So stellte die Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, Dr. Heidi Knake-Werner schon im letzten Jahr fest, „dass Musliminnen aufgrund des Kopftuchs immer wieder auf Unverständnis sowie Vorurteile stoßen und gerade auch im Erwerbsleben manifeste Benachteiligungen und Diskriminierungen erfahren“. Und diese Haltung hat nicht nur die privatrechtliche Wirtschaft beeinflusst. Selbst im Sport kam es zu Ausgrenzungen, die unverblümt mit Hinweis auf die Verbotsgesetze für muslimische Lehrerinnen begründet worden sind. So wollte ein Landessportbund eine Zeit lang Kopftuch tragende junge Frauen nicht zu Wettkämpfen zulassen – „um politisch, religiös und rassistisch neutral zu bleiben“.
Es gibt noch viele andere Aspekte dieser Debatte, die angesprochen werden müssten. Da die mediale Öffentlichkeit die Meinungen von dieser Warte wohl auch in Zukunft weiter rege ignorieren wird, müssen wir wohl auf den nächsten unabhängigen Menschenrechtsbericht warten, der Deutschland im Grunde dasselbe bescheinigt wie Afghanistan oder China: Die Diskriminierung seiner Menschen auf Grundlage des Geschlechts und der Religion. Feuilleton Meinung
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