Umut Karakas
„Wahlergebnisse spiegeln die Stimmungen und Prioritäten der angesprochenen Zielgruppe wieder“
Am Sonntag, den 27. September 2009 wird der Bundestag gewählt. Die aktuellen Meinungsumfragen sehen gute Chancen für die amtierende Bundeskanzlerin Angela Merkel ihr Amt zu behalten. Wird Deutschland künftig von einer Kollation von CDU/CSU und FDP regiert. Die Berliner Markt- und Meinungsforscherin Umut Karakaş äußert sich in einem Interview mit dem Journalisten Max Werner zu einem möglichen anderen Ausgang der Bundestagswahl. Alles eine Frage der Zielgruppen.
Von GastautorIn Dienstag, 25.08.2009, 6:48 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2010, 0:32 Uhr Lesedauer: 9 Minuten |
Die Geschäftsführerin der Data 4U Gesellschaft für Kommunikationsforschung mbH hat sich auf ethnische Zielgruppen spezialisiert. Erst vor kurzem hat das Institut erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die Sonntagsfrage an die hier lebende türkische Bevölkerung gestellt.
Max Werner: Aktuelle Meinungsumfragen sehen die SPD wenige Wochen vor der Bundestagswahl im Dauertief. Die Partei also völlig chancenlos vor der Wahl im September?
Umut Karakaş: Das ist nicht gesagt. Ich habe hier Werte vorliegen, die ein ganz anderes Bild aufzeigen.
Werner: Also wird Frank-Walter Steinmeier doch zum Bundeskanzler?
Karakaş: Nein, das habe ich auch nicht gesagt.
Werner: Wer soll dann zum Bundeskanzler werden?
Karakaş: Nach unseren Befragungen Cem Özdemir, der Bundesvorsitzende der Grünen. Zumindest dann, wenn der Bundeskanzler direkt vom Volk gewählt werden würde. An zweiter Stelle findet sich Frank-Walter Steinmeier noch vor der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie wäre nur dritte Wahl.
Werner: Das müssen Sie uns jetzt erstmal erläutern.
Karakaş: Die Ergebnisse von Meinungsforschung hängen immer von der Zielgruppe ab. Während die meisten Demoskopen ihre Sonntagsfrage den Wahlberichtigen Bundesbürgern stellen, konzentriert sich die Data 4U Gesellschaft für Kommunikationsforschung auf die ethnischen Zielgruppen. Entsprechend hat unser Institut die in Deutschland lebenden Türken befragt. Nach unseren Erkenntnissen wurde auch erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik überhaupt eine repräsentative Wahlforschung in dieser Zielgruppe durch uns durchgeführt. Es gab immer wieder „Kneipenabstimmungen“ unter bis zu 100 Teilnehmern, aber eine telefonische Befragung hat es noch nie gegeben.
Werner: Aber die Ergebnisse weisen schon erhebliche Unterschiede zum Bundestrend auf?
Karakaş: Ja, es gab schon einige Überraschungen, dennoch hat uns das Gesamtergebnis nicht besonders verwundert, eigentlich haben wir es erwartet. Vieles lässt sich auch eindeutig erklären.
Werner: Die Schwäche der CDU in der Zielgruppe etwa?
Karakaş: Auch die. Wahlergebnisse spiegeln doch die Stimmungen und Prioritäten der angesprochenen Zielgruppe wieder. Die Folgen der globalen Finanzkrise sind derzeit ein Thema, das auch die Bundestagswahlen beeinflussen wird. Was Wirtschaftsthemen angeht, hat die Bevölkerung schon immer ein großes Vertrauen in die Unionsparteien gehabt, die SPD steht eigentlich mehr für soziale Aspekte. Bei den in Deutschland lebenden türkischstämmigen Bürgern spielen aber auch noch andere Themen eine herausragende Rolle, etwa der seit Jahren verzögerte Beitritt der Türkei zur Europäischen Gemeinschaft. Wahlergebnisse werden also auch vom Agenda-Setting in den entsprechenden Zielgruppen bestimmt.
Werner: Aber um die Türken braucht sich doch die CDU nicht kümmern, die sind doch eh zumeist nicht wahlberechtigt?
Karakaş: Das scheint auf den ersten Blick eine logische Konsequenz zu sein. Ist aber kurzfristig gedacht. Zum einen dürfen ein Teil der durch die Data 4U befragten Personen auch wählen und zweitens gibt es das große Thema Integration.
Werner: Ist Integration den überhaupt noch ein Thema?
Karakaş: Vielleicht hat die Finanzkrise es momentan auf die hinteren Plätze verbannt. Aber im Endeffekt ist Integration eines der ganz großen Themen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Es gibt Flüchtlingsströme, die fortwährend in das Gebiet der Gemeinschaft drängen oder die Schwierigkeiten, die durch die Osterweiterung entstanden sind. Es darf auch nicht vergessen werden, das Europa selber aus vielen verschiedenen Kulturen besteht.
Die Türken, die vielleicht ursprünglich als Gastarbeiter gekommen sind, fanden in Deutschland ihr neues zu Hause, leben in der zweiten und dritten Generation hier, das Land ist ihre Heimat, aber die Heimatgefühle sollen ihnen verwährt werden. Es bewegt sich doch etwas, jetzt wurde erkannt, das Deutschland ein Einwanderungsland ist. Endlich, weil es doch schon immer von Einwanderung gelebt hat. Ein gutes Beispiel sind doch die Hugenotten, die nach Preußen kamen. Deutschland hat immer durch die Einflüsse verschiedener Kulturen profitiert. Das ist bis heute so. Die türkische Bevölkerung stellt einen enormen Wirtschaftsfaktor da. Gerade im Mittelstand gibt es viele Selbständige, und damit meine ich nicht nur Familienbetriebe in der Fast Food Gastronomie. In allen Bereichen finden sich gut ausgebildete türkischstämmige Bürger, die eine hohe unternehmerische Verantwortung tragen. Und was das Konsumverhalten angeht, die Markenaffinität ist um einiges höher als bei den Deutschen und das Geld geben sie für ihr Leben aus. Die Zeiten als Geld nur in die Türkei transferiert wurde ist zumindest seit der zweiten Generation vorbei. Gesellschaft Interview
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„Es wird halt Zeit, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu einem positiven Ende zu bringen, dann dürfen sie zumindest auf kommunaler Ebene mitbestimmen, so wie jeder andere Europäer auch.“
Kein Wunder, dass der Widerstand gegen den Beitritt so gross ist. Die Dame redet von Integration und scheint wohl einfach nur die Zementierung des Status Quo zu unterstützen. Zumindest werden damit noch einmal klar die Interessen von türkischer Seite sauber benannt.
PS: Sie lebt von diesen Strukturen, das sollte aber kein Modell für die Gesamtgesellschaft sein. Mir scheint, als könnte man einige der Ausführungen sehr schwer mit den natürlichen Interessen der „Bio-Deutschen“ in Einklang bringen. Die Interessenlage ist wohl zu unterschiedlich.