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Cem Özdemir

„Migranten- und Arbeiterkinder werden überall durch das Bildungssystem ausgefiltert“

In einem Interview mit Merkur Online erläutert Grünen-Chef Cem Özdemir, weshalb er für die doppelte Staatsbürgerschaft ist, wie er sich das Bildungssystem vorstellt und unter welchen Bedingungen er eine Volksabstimmung befürwortet.

Donnerstag, 27.08.2009, 6:52 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.02.2014, 9:32 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

„Die doppelte Staatsbürgerschaft gibt es doch bereits. Schließlich behält jeder zweite Eingebürgerte seinen früheren Pass. Dies gilt aber nicht für die größte Gruppe von Ausländern, die in Deutschland einen Einbürgerungsantrag stellt: die Türken. Hier wünsche ich mir Gleichbehandlung“, erklärt Cem Özdemir zum Vorstoß von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, die doppelte Staatsbürgerschaft generell einzuführen.

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Auf den Einwand, dass dadurch Migranten aus der Pflicht entlassen werden, sich aktiv für Deutschland zu bekennen erwidert er, dass erst durch das Optionsmodell ihr Bekenntnis zu Deutschland infrage gestellt wird. Er bleibe dabei: “Kinder, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, sollten auch den deutschen Pass haben. In Amerika gilt die Haltung: Der amerikanische Pass ist der wichtige. Warum machen wir es nicht genauso? Viel entscheidender für die Integration ist nicht der Pass, sondern welche Bildungschancen wir Migranten bieten. Hier gibt es noch viel zu tun.“

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In Deutschland würden Kinder aus Migranten- und Arbeiterfamilien strukturell benachteiligt werden. Migranten- und Arbeiterkinder würden überall durch das Bildungssystem ausgefiltert. Das sei nicht nur menschlich eine Tragödie. Deutschland könne es sich auch volkswirtschaftlich nicht leisten, einen potenziellen Albert Einstein auf die Hauptschule zu schicken. Daher würden die Grünen gleiche Bildungschancen für alle fordern.

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„Ich kann mich noch gut erinnern, wie unser Lehrer am Ende der vierten Klasse fragte, auf welche Schule wir gehen wollen. Bei der Hauptschule habe ich mich nicht gemeldet, bei der Realschule auch nicht. Als ich auf das Stichwort Gymnasium meine Hand hob, brach unser Lehrer in Gelächter aus. Kurz darauf die ganze Klasse. Dieses Lachen werde ich nie vergessen. Ich wünsche mir ein Schulsystem, wo niemand lacht, wenn jemand, der Cem Özdemir heißt, sagt, er will aufs Gymnasium gehen. Ich wünsche mir ein Schulsystem, das alle Kinder ihren Möglichkeiten entsprechend fördert – egal, ob ihre Eltern Professoren oder Hartz-IV-Empfänger sind.“

Auf die Frage, warum die Grünen eine Volksabstimmung in EU-Themen ablehnen, wie sie von der CSU gefordert wird, erwider er, dass die Grünen bereits seit Jahren Volksabstimmungen auf Bundesebene wünschen. Die Union habe dies bislang verhindert. Der aktuelle CSU-Vorschlag ziele vielmehr darauf ab, sich bestimmte Stimmungslagen in der Bevölkerung für die Wahlen zunutze machen.

Die Grünen würden sich Abstimmungen auf der richtigen Ebene wünschen. Landesthemen müssten auf Landesebene abgestimmt werden, Bundesthemen auf Bundesebene und Europathemen auf Europaebene. „Wenn die CSU über die Erweiterung der EU abstimmen will, dann beteiligen wir uns gern an einer europaweiten Volksabstimmung nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit, also Mehrheit der Länder und Mehrheit der absoluten Stimmen. Aber dann stimmen wir nicht nur über die Türkei ab, sondern auch über Kroatien.“, so Özdemir. Politik

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  1. Jens sagt:

    Lesetip für Cem:

    http://www.zeit.de/2009/05/B-Vietnamesen

    „Die Kinder von Einwanderern aus Vietnam fallen durch glänzende Schulnoten auf. Ihr Erfolg straft Klischees der Integrationsdebatte Lügen“

    • Markus Hill sagt:

      Zitat aus dem Zeit-Artikel:
      „Dass ihre Kinder dennoch zu den Musterschülern unter den Migranten wurden, ist der Beleg für die Kraft einer Kultur, deren Strebsamkeit selbst unter widrigen Bedingungen zum Aufstieg führt. Das zeigt sich seit Jahren bereits in den USA, wo überproportional viele Studenten aus asiatischen – genauer: von der konfuzianischen Mentalität geprägten – Nationen die amerikanischen Spitzenuniversitäten besuchen. Nun wiederholt sich das Bildungswunder in Deutschland.“
      Da können auch die Deutschen von lernen. Das ist die Form von Einwanderung, die man sich wünscht. Das bringt auch ein gutes Mass Wettbewerb in das Schulsystem. Man sollte die Erfolgsfaktoren etwas genauer erforschen, vielleicht lassen sich Anregungen gewinnen, wie auch türkische Migranten (natürlich auch Deutsche) von diesen Menschen lernen können. (Lerndruck bei Vietnamesen: Natürlich gibt es auch negative Effekte, glaube aber, dass sich auch dort in der Folgegenerationen einiges abschleifen wird.).