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Nutzen und Schaden

Die sarrazinsche Debattenkultur

Thilo Sarrazin habe eine Debatte über Tabuthemen ausgelöst, eine Diskussion über die feige deutsche Debattenkultur. Er habe mutig ausgesprochen, was viele sowieso dachten und wussten. Er habe zwar zugespitzt und pauschalisiert, doch müsse man seine Worte differenziert und im Gesamtkontext betrachten.

Von Montag, 12.10.2009, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 11.10.2009, 17:13 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Thilo Sarrazin habe eine Debatte über Tabuthemen ausgelöst, eine Diskussion über die feige deutsche Debattenkultur, heißt es gut eine Woche nach Erscheinen seines Interviews. Er habe mutig ausgesprochen, was viele sowieso dachten und wussten. Er habe – zugegeben – zwar zugespitzt und pauschalisiert, so seine Befürworter, doch müsse man seine Worte differenziert und im Gesamtkontext betrachten.

Ja, er hat eine Debatte ausgelöst und ja, er war mutig. Ist die Debatte aber, die er ausgelöst hat, wünschens- und erstrebenswert? Und vor allem: wem nutzt es und wem schadet sie?

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Bereits jetzt ist abzusehen, dass dank Sarrazin Zuspitzungen und Pauschalisierungen um ein Stück weit hoffähiger geworden ist. Dank Sarrazin muss man sich nicht mehr dreimal umschauen, wenn man über integrationsunwillige und –unfähige „neue Kopftuchmädchen“ spricht, die in die Welt gesetzt werden, um Deutschland zu erobern, die vom Staat leben und diese zu allem Überdruss auch noch ablehnen. Wer lediglich sagt: „Sarrazin hat doch recht“, braucht sich nicht einmal mehr zu vergewissern, dass er unbeobachtet ist. In der Bahn, beim Einkaufen und vor allem am Arbeitsplatz und in der Schule.

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Und da wären wir auch schon beim Nutzen und Schaden der sarrazinschen Debattenkultur angelangt. Nicht alle einheimischen Nachbarn, Lehrer und Arbeitgeber haben schon immer wie Sarrazin gedacht. Und ganz sicher sind nicht bis zu 90 % der Türken und Araber so, wie Sarrazin versucht, es uns nahezulegen.

Wir wissen, dass türkischstämmige Akademiker immer häufiger mit dem Gedanken spielen, in die Türkei auszuwandern, weil sie trotz guter Ausbildung und Hochschulabschluss auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden und weil sie sich bei gleichen Leistungen zehn Mal häufiger um eine Stelle bewerben müssen als die deutsche Konkurrenz, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Wir wissen auch, dass Kinder aus sozial schwachen Familien bei gleichen schulischen Leistungen seltener eine Empfehlung für ein Gymnasium bekommen als Kinder aus gut betuchten Familien. Leider trifft dieser Umstand überdurchschnittlich Türken und Araber bzw. muslimische Kinder. Und wir wissen auch, dass Wohnungsinteressenten mit ausländisch klingenden Namen aus den großstädtischen Brennpunkten nur schwer herauskommen, selbst wenn sie sich damit eine bessere Schule in der näheren Umgebung für ihre Kinder erhoffen. Wir wissen, dass sozial schwache es ungleich schwerer haben und ein guter Wille allein nicht ausreicht.

Sicherlich. Nicht alle Türken und Araber haben einen Hochschulabschluss oder gute Schulnoten und wollen ihrer Kinder wegen raus aus den sozialen Brennpunkten. Doch es gibt sie.

Schauen wir uns den einheimischen Arbeitgeber, die Lehrerin oder den Wohnungseigentümer an, ergibt sich ein ähnliches Bild. Wir wissen, dass die ausländische Herkunft nicht für alle Arbeitgeber ein KO-Kriterium ist. Ein ähnliches Bild auch unter Lehrern: Wir wissen, dass nicht alle eine Empfehlung für das Gymnasium vom sozialen Status der Eltern abhängig machen. Und wir wissen auch, dass es Vermieter gibt, die keine Vorbehalte gegenüber Türken und Araber haben. Nichts Neues also; das alles wissen wir bereits.

Öffentliche Debatten sind meinungsbildend und prägend zugleich für die Gesellschaft. Sie verfestigen bereits vorhandene Vorstellungen, lassen sie entstehen oder ändern sie. Wenn Sarrazin 70 % der Türken und 90 % der Araber über einen Kamm schert, ihnen Integrationsunwilligkeit und -unfähigkeit unterstellt, die nur darauf aus sind, Deutschland durch eine höhere Geburtenrate zu erobern mit „neuen Kopftuchmädchen“, so ist auch dies geeignet, das Meinungsbild der Gesellschaft zu prägen. Immerhin kommt das von einem Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank! Meinung

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  1. municipal sagt:

    Nachfolgend 2 Links zu einer Reportage von gestern auf SPIEGEL TV Magazin.

    „Sarrazin und die Kopftuchmädchen“

    Eine ernüchternde Zustandsbeschreibung zum Thema INTEGRATION.

    http://www.spiegel.de/video/video-1026496.html

    http://www.spiegel.de/video/video-1026483.html

    • delice sagt:

      Der Spiegel st wohl nur die feinere Art der BILD-Zeitung. Rassismus nur eben anders!

      • Markus Hill sagt:

        1. Türken sind keine Rasse. Es ist eine Nationaliät (Staatsangehörigkeit). Man spricht hier auch nicht ständig von einer deutschen Rasse, wenn man einmal einen deutschen Missstand kritisiert. Sie würde die Diskussion wieder auf eine Sachebene heben.
        2. Bildzeitungs-Leser – nicht intelligent und anfällig für „Rassismus“. Spiegel-Leser nicht intellegent und anfällig für Rassismus. Jetzt wird es langsam schwer, überhaupt noch kompentente Partner für Diskussionen zu finden.
        3. Gemäss 2 gibt es nicht viele intelligente Leute in Deutschland. Fühlen Sie sich da mit Ihrer „Meinungs-Erleuchtung“ nicht mittlerweile sehr einsam und unverstanden?
        (Ihr Glaube, den Sie da oft anführen, mögen Ihnen Kraft geben – nur bitte bei Sachdiskussion sauber von inhaltlichen Punkten trennen).

    • Selçuk sagt:

      Obwohl es sich nicht lohnt, möchte ich hier auf die von Ihnen verlinkten Videos eingehen.

      Zu der Video 1;
      0:00 – 0:30: Hier wird einfach mal dieser Familie und den eingeladenen Gästen indirekt vorgeworfen „fundamentalistische Muslime“ zu sein, weil die Braut komplett verhüllt ist. Diese Behauptung zeigt schon mal, dass die Redaktion von Spiegel sich mit diesem Thema überhaupt nicht auskennt. Wie der Herr Nuhr es so schön sagt: „Wenn man keine Ahnung hat: Einfach mal Fresse halten.“

      0:31 – 1:02: Das ist die Einstellung dieser Familie und wahrscheinlich einiger Ihrer Gäste. Auch wenn man es selber nicht nachvollziehen kann, sollte man diese Einstellung respektieren.

      1:03 – 1:27: Obwohl der Bräutigam ganz klar sagt, dass einige Entscheidungen von ihm und einige andere von seiner zukünftigen Ehefrau getroffen werden, wird das in dem Video im Vorfeld folgendermaßen kommentiert: „Auch beim Thema Gleichberechtigung ist der Bräutigam Lichtjahre von der deutschen Kultur entfernt.“ Es wird wieder mal einfach etwas, bezüglich dem Thema der Gleichberechtigung, behauptet, aber ohne Argumente dafür zu liefern.

      1:28 – 1:43: Zitat: „Bemerkungen, die den Ansichten des ehemaligen berliner Finanzsenators Sarrazin Recht zu geben scheinen. Sarrazin hatte in dieser Woche mit seiner Kritik an der Integrationspolitik einen Sturm der Entrüstung gesorgt.“
      Welche Bemerkungen bitte???

      1:44 – 2:44 : In diesem Ausschnitt werden zunächst drei Frauen gezeigt, die der deutschen Sprache nicht wirklich mächtig zu sein scheinen, obwohl sie bereits viele Jahre in diesem Land leben. Es ist traurig, aber wohl wahr. Eine dieser Frauen lebt seit 4 Jahren in Deutschland. Ich bin der Meinung, dass man nach vier Jahren die deutsche Sprache gut beherrschen sollte, obwohl ich das nicht jedem zutrauen würde. Als ich mit 13 Jahren nach Deutschland gekommen bin und davor kein Wort Deutsch sprach, habe ich ungefähr zwei Jahre gebraucht, um die Sprache gut sprechen zu können.

      2:45 – 3:14: In diesem Ausschnitt zwei Personen gezeigt, die ebenfalls Probleme mit der deutschen Sprache zu haben scheinen.

      3:15 – 3:38: In diesem Ausschnitt wird eine Person gezeigt, die nicht möchte, dass vor der Moschee Aufnahmen gemacht werden. Diese Person sagt, dass sie mit „diesen Leuten“ nicht sprechen. Ob mit „diesen Leuten“ die von Presse gemeint sind oder doch etwas anderes, ist nicht wirklich klar.

      3:39 – 5:05: Das ist ein Ausschnitt, den ich bereits vor einpaar Jahren gesehen habe. Es ist einfach nur beschämend!

      5:05 – 5:55: Ich weiß nicht, ob man noch etwas dazu sagen muss. 80% der Verurteilten (im Bezirk Tiergarten) sind wohl Migranten. Man müsste jetzt wissen, wievielt Prozent der Bewohner dieses Bezirkes einen Migrationshintergrund hat. Da aber keine weiteren Details vorgelegt werden, kann man nicht wirklich eine Meinung darüber bilden. Ich jedenfalls nicht.

      5:56 – 7:36: Eine Hauptschulklasse. Wo ist der Bezug zum Thema Integration? Also soll ich jetzt annehmen, dass alle der nicht anwesenden Schüler dieser Klasse einen Migrationshintergrund haben?

      Zu der Video 2:
      0:00 – 0:55: Zum Kopfschütteln! PS: Auch ich habe einige Jahre in dieser Straße gewohnt ;-)

      0:56 – 3:23: Wo ist hier wieder der Bezug auf das Thema Integration???

      3:23 – 4:13: Tja. was soll man denn zum Rest dieses Videos sagen?

      Mein persönliches Fazit: Das war wohl eine Zeitverschwendung!

      • Markus Hill sagt:

        Alle Achtung. Inhalte und Interpretation kann ich nicht im Detail (Zeit) prüfen. Ich finde es aber toll, dass Sie sich da einmal die Mühe gemacht haben, diese Clips genau anzusehen. Zeigt Wertschätzung für den anderen, ohne dass man dessen Meinung teilen muss.:-)

  2. Otto Z. sagt:

    Na ja, nun ist der Herr Sarrazin ja entmachtet und somit öffentlich gedemütigt worden.

    Das sei eine Warnung an jeden Deutschen, der es noch einmal wagen sollten, einen türkischen oder arabischen Migranten zu kritisieren!

    • Markus Hill sagt:

      Übertreiben Sie da nicht etwas in der Wahrnehmung? Er ist von Herrn Weber „zurechtgestutzt“ worden. Man vermutet fast, dass das nicht nur der Interviewinhalt war, sondern auch sonst die beiden sich nicht „grün“ waren. Ich habe das nicht so empfunden, dass hier eine Form von „Zensur“ ausgeübt wird oder ein Exempel statuiert wurde. Vielleicht war das Interview nur der Auslöser, aber nicht die Ursache der „Reduzierung“ des Aufgabenfeldes. Und seinen Posten mit verkleinertem Verantwortungsbereich hat man ihm ja gelassen. Dazu muss man auch noch sagen, dass er mit Ärger rechnen musste. Fazit: Die Themen, die von ihm etwas „unsachlich“ angestossen wurden, sind auch weiterhin normaler Bestandteil der Debatte. Er lebt noch. Meinungsfreiheit gibt es auch weiterhin.:-)

    • delice sagt:

      Sie können ja auch ein SPD-Mitglied werden und ihn so unterstützen. Der Sarrazene braucht jede Unterstützung. Oder „Mr. Sarrazin for President!“

      Kommisch sind die Deutschen schon. Sie lieben einen Hussain Obama, aber hassen ein „Türkenkind“ namens Hüsseyin? Ob je einer Bundeskanlzer werden kann, der türkische Vorfahren hat?! Wohl kaum!

  3. delice sagt:

    Migrationspolitik

    Die Union entdeckt Integration als Regierungsziel
    Von Mariam Lau 13. Oktober 2009, 18:44 Uhr

    Die Äußerungen von Thilo Sarrazin haben die Debatte um die Zuwanderer in Deutschland neu befeuert. Gleich mehrere Ressorts der künftigen Regierung erheben Anspruch auf das Thema. Armin Laschet, NRW-Integrationsminister, fordert schon die dritte deutsche Einheit – und erhält auf einmal unerwartete Konkurrenz. …

    Quelle: http://www.welt.de/politik/deutschland/article4834024/Die-Union-entdeckt-Integration-als-Regierungsziel.html?page=10#article_readcomments

    • Markus Hill sagt:

      Danke für den Hinweis. Interessanter Artikel:
      „Wir können so etwas doch, lautet sein Credo, wir haben es mit den 20 Millionen Vertriebenen geschafft, mit den knapp 17 Millionen Ostdeutschen – dann werden wir es auch mit den vier Millionen Muslimen hinkriegen.“
      (Armin Laschet)
      Einmal weg von der deutschen (!) Jammerhaltung auf hohem Niveau. Positiv – man kann über viele Dinge konstruktiv streiten – ist doch, dass ein Bewusstsein für die Dringlichkeit entsteht. Vergessen wird auch oft (der %-Satz ist schwer einzuschätzen), dass ja viele von den vier Millionen schon hier angekommen sind, sich wohl fühlen und auch ihre Zukunft hier sehen. Bei allen kontroversen Diskussionen – auch die Existenz von so einer Seite wie migazin.de zeigt doch, dass sich etwas bewegt in eine konstruktive Richtung.

  4. Otto Z. sagt:

    „Ob je einer Bundeskanlzer werden kann, der türkische Vorfahren hat?! Wohl kaum!“

    Ich halte das durchaus für realistisch.

    Sobald ein Kurde oder Armenier türkischer Ministerpräsident wird, wäre auch ein Türke als Bundeskanzler diskutabel.

    • Markus Hill sagt:

      Einen Türken könnte man nicht wählen (passives Wahlrecht). Einen Deutschen mit türkischen Migrationshintergrund – natürlich, wenn er fachlich und persönlich überzeugt. Das machen wir als mündige Wähler nicht davon abhängig, wie andere Länder das intern handhaben – indirekt würde ich da noch ein ausländischen Wahl-Veto kreiieren. Leistung/Respekt zählt, nicht die Herkunft.:-)

  5. Erkan A. sagt:

    Otto Z.

    da scheint jemand eine Wissenslücke zu haben, die ich doch sofort schliessen möchte.
    Wir hatten vor etwa 20 Jahren schon einen Ministerpräsidenten mit kurdischen Eltern, Turgut Özal.
    Der war sogar sehr beliebt und hat auch viel für die TR getan. Also halten Sie das jetzt offensichtlich für realistisch,
    dass eine Person mit türkischen Vorfahren Bundeskanzler wird. Das freut mich. Danke

    • Markus Hill sagt:

      Mit oder ohne Özal: Deutscher Pass, deutscher Staatsbürger (zufällig mit türkischem Migrationshintergrund) – NATÜRLICH kann er Bundeskanzler werden!:-)

  6. Sag_die_Wahrheit sagt:

    …und jetzt nochmal ohne Rechtschreibfehler…

    Lieber Herr Senol,
    wenn jemand die Wahrheit, wirklich die reine Wahrheit und nichts als diese spricht, dann sollte man dagegen nichts sagen. Denn es schadet den Türken und Arabern viel mehr, wenn jeder die Wahrheit über die weitgehende Integrationsverweigerung eines großen Teils der der türkisch/muslimischen Unterschicht kennt, aber keiner sie ausspricht. Das ist wie beim Märchen vom König mit den neuen Kleidern: Durch Sprech-und Redeverbote, baut sich irgendwann ein riesiger angstbesetzter Popanz auf, und dann gelten irgendwann insgeheim ALLE Türken und Moslems nur noch als feindselig, ungebildet, schmarotzerhaft, islamistisch, kriminell etc. Eben weil nicht über gesprochen werden darf. Sollten Sie mal drüber nachdenken.

    • Selbstverständlich habe ich darüber nachgedacht, bevor ich geschrieben habe. Ich kam zu dem Schluss, dass Herr Sarrazin die Wahrheit zu lasten von Türken und Arabern derart verzerrt hat, dass diese beiden Bevölkerungsgruppen nahezu komplett unter Generalverdacht gestellt wurden mit teilweise unmöglichen Unterstellungen. Wenn das Ihr Verständnis von Wahrheit ist, bitte. Meine ist es nicht.

      Im Übrigen teile ich Ihre Auffassung, dass Redeverbote oder Nichtnennung von Problemen den Betroffen schadet. Das ist in der Tat kein Gefallen. Wofür ich aber plädiere ist, eine differenzierte Nennung der Probleme und Defizite. Nur so kann man Probleme lösen ohne gleichzeitig welche zu schaffen.

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