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Niedersachsen

Kontrollen vor Moscheen sind verfassungswidrig

In einer Experten-Anhörung im niedersächsischen Landtag äußerten Verfassungsrechtler große Bedenken gegen Kontrollen vor Moscheen – Betroffene empfinden die Moscheekontrollen als kriminalisierend, diskriminierend und erniedrigend. Innenminister Schünemann steht unter Beschuss.

Donnerstag, 03.12.2009, 8:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 23.08.2010, 7:08 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die niedersächsische Polizei führt – insbesondere nach Freitagsgebeten – immer wieder verdachtsunabhängige Kontrollen durch. Dabei müssen sich die Besucher ausweisen, die aus der Moschee kommen. Für das Landeskriminalamt sind die Kontrolle notwendig zur Verhütung von möglichen Anschlägen.

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Auf § 12 Abs. 6 Nds. SOG werden die verdachtsunabhängigen Moscheekontrollen gestützt: „Die Polizei kann zur Vorsorge für die Verfolgung oder zur Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung mit internationalem Bezug jede im öffentlichen Verkehrsraum angetroffene Person kurzzeitig anhalten, befragen und verlangen, dass mitgeführte Ausweispapiere zur Prüfung ausgehändigt werden, sowie mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen.

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Anders sehen es die Betroffenen. Vertreter verschiedener muslimischer Verbände und Organisationen betonten, die Kontrollen seien kontraproduktiv: „Sie führen dazu, dass friedliche Muslime aus Ärger über die Kontrollen radikalisiert werden, vor allem Jugendliche“. Besonders in der deutschen Nachbarschaft erzeugten Kontrollen „ein Klima des Misstrauens“. Durch solche Kontrollen würden alle Muslime als potenzielle Terroristen dargestellt. Außerdem werde durch die Kontrollen auch das Grundrecht auf freie Religionsausübung eingeschränkt. Da die Kontrollen viel Zeit in Anspruch nehmen, würden Viele auf einen Moscheebesuch verzichten weil sie befürchteten, zu spät zurück zur Arbeit oder zur Schule zu kommen.

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Sollten die Kontrollen anhalten, so der Vorsitzende des Landesverbandes der Muslime, Avni Altiner, werde sein Verband Kontrollen ohne konkrete Verdachtsmomente gerichtlich überprüfen lassen. Nach Einschätzung der Verfassungsrechtler hätte eine Klage Aussicht auf Erfolg. Keiner der gehörten Verfassungsrechtler hat die geltenden Gesetze für Personenkontrollen im Umfeld von Moscheen nach den Freitagsgebeten für anwendbar gehalten. Die Verhältnismäßigkeit sei nicht gewahrt. Und auch der Erkenntnisgewinn rechtfertige diese Praxis nicht. Die Verfassungsrechtler sehen in den Kontrollen einen Verstoß gegen die grundgesetzlich geschützte Religionsfreiheit.

Grüne fordern sofortige Einstellung der Kontrollen
Angesichts dieser Experten-Einschätzung sehen sich die Grünen in ihrer Forderung nach sofortiger Einstellung der ungezielten Moscheekontrollen bestätigt. „Die muslimischen Verbände haben deutlich gemacht, dass sie die Polizeikontrollen als starke Diskriminierung empfinden“, sagte der innenpolitische Sprecher Ralf Briese. Die Grünen haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der diese ungezielten Massenkontrollen vor Gebetshäusern zukünftig verbietet (wir berichteten).

Erneut werde in Niedersachsen das Grundgesetz gebeugt, sagte Briese weiter. „Für die einen beginnt der Verdacht gegen das Fremde beim Minarett – für die anderen schon bei der einfachen Moschee“, kritisierte der Grünen-Politiker. Die Kontrollen würden die Religion unter Generalverdacht stellen und seien deshalb nicht nur verfassungsrechtlich nicht korrekt, sondern auch integrationsschädlich.

Weder die Regierung noch die Polizei hätten bislang deutlich machen können, was genau mit diesen Kontrollen überhaupt erreicht werden soll, außer willkürlicher Abschreckung. Briese: „Das ist in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht akzeptabel. Die Bürger sollen in ihren Rechten geschützt werden und nicht gegängelt. Die Moscheekontrollen sind daher einzustellen!“ Politik

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  1. municipal sagt:

    @ Redaktion

    Mal abgesehen von der für mich sehr einseitigen Berichterstattung zu diesem Themenkomplex durch MIGAZIN:

    Die Überschrift entspricht definitiv NICHT der Wahrheit.

    Eine Entscheidung darüber, ob diese Praxis verfassungswidrig ist, wurde vom Bundesverfassungsgericht noch nicht getroffen, ja, noch nicht einmal verhandelt.

    • Markus Hill sagt:

      Da gebe ich Ihnen recht. Journalistisch gesehen wohl eher BILD-Zeitungsniveau. Um journalistisch sauber zu arbeiten, hätte man vielleicht in die Überschrift einfach ein „möglicherweise“ oder „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ einfügen können. Es ist davon unbenommen, dass natürlich eine gerichtliche Prüfung da mehr Rechtssicherheit geben würde und auch angebracht wäre – wie gesagt: Schreiber bzw. die Redaktion stellen sich mit solchen „Tendenzüberschriften“ handwerklich kein gutes Zeugnis aus. Wenn das in Summe auftritt, schliesst man mehr und mehr auch auf die Recherchequalität bei den Artikeln. Ich würde als Redaktion solche Tendenzen schon zu Beginn stoppen, man ruiniert sich den Ruf mit so einer Form von Berichterstattung. Nachher heisst es womöglich: Diese Migranten-Lobby-Seite mit Bildzeitungs-Stil.:-)

  2. HoKo sagt:

    Ob die Regelung verfassungswidrig ist, entscheidet ein Verfassungsgericht und zum Glück nicht das ‚Migazin‘.

  3. Ibrahim Ates sagt:

    Das ist doch mal eine konstruktive Kritik, die berücksichtigt und auch von der Redaktion kommentiert werden könnte. Entwicklung und Zugeständnisse födern Seriösität, Wachstum und Leserschaft.

    Selam!
    Ibrahim A.

  4. Ahmet S. sagt:

    Verfassungswidrigkeit als Begriff wird zwar meist von Gerichten festgestellt und definiert, aber zum Glück auch von Bürger_innen kommuniziert. Insbesondere bei Verletzung von Grundrechten ist die Verfassungswidrigkeit gegeben. Da können wir gerne ein Gerichtsurteil abwarten, da dies die Konstruktion unserer demokratischen Gesellschaft ist. Gefühlt ist das ganze für mich nach wie vor verfassungswidrig, diskriminierend und menschenverachtend – auch ohne Bescheinigung.

    Selam
    Ahmet S.

    Am Rande:
    Ich wurde in der letzen Woche drei mal auf offener Straße von der Polizei kontroliert. Das geschah vor einem Einkaufszentrum, auf dem Bahngelände und vor einer Discothek, in die ich nicht reingekommen bin.
    Vor der Moschee habe ich es persönlich bisher nocht nicht erlebt, aber vielleicht ja demnächst, wenn die Kontrollen sogar weitverbreitet gerichtlich legitimisiert und strukturalisiert werden und auch die Bildzeitung dann über diese Thematik berichtet.

    • DezFafara sagt:

      Tja, ich empfinde auch so manches als verfassungswidrig, trotzdem sollte man mit dem Begriff nicht um sich schmeißen, da das immer nur von einem Gericht (und nicht nur meistens) festgestellt werden kann. Bevor ein Verfassungsgericht nicht darüber geurteilt hat, ist gar nichts verfassungswidrig.

      Bist du der Ansicht, die Kontrollen werden grundlos durchgeführt, nur um Leute zu diskriminieren?

      • Ahmet S. sagt:

        Na dann warten wir mal ab, was die in Karlsruhe irgendwann dazu sagen,,, Bis dahin lass ich mich auch gerne weiterhin kontrolieren ohne ein Extremist zu werden und kommuniziere mur meine Frustration über die vielfältigen diskriminierende Praktiken. (Ist ja auch halb so schlimm, in anderen Ländern hätte ich dies und jenes nicht…) Vielleicht legitimiere ich nun aber auch diese Diskriminierung, weil ich ja auch selbst Angst vor Terror und Gewalt habe. Demnach sollten die Kontrollen und auch weitere gesetzliche Maßnahmen noch mehr geschärft werden. Sicher ist sicher… Selam!

  5. Battal Gazi sagt:

    Dabei heißt es in der Türkei hätten andersgläubige Schwierigkeiten ihre Religion auszuüben…

  6. hoko sagt:

    In der Türkei gibt es keinerlei Einschränkungen der Religionsausübung gerade für Christen. Das ist bekannt. Die gegenteiligen Bereichte der EU zu diesem Thema sind anti-islamische Propaganda. Auch in Saudi-Arabien oder dem Iran können Christen Kirchen bauen.

    • municipal sagt:

      @ hoko

      Das, was ich Ihrem Beitrag eigentlich entgegnen möchte, verbietet mir meine gute Erziehung.
      Ihre Behauptung ist absurd und unrichtig. Und ich hoffe für Sie, das Sie das selber auch wissen. Die Gründe, solch einen Unsinn zu schreiben, können nur in einer absoluten Negierung von Tatsachen liegen.

  7. Boli sagt:

    @Battal Gazi

    Der Artikel ist zwar schon älter, aber bestimmt kein Einzelfall. Auch in Deutschland.
    http://www.wz-newsline.de/sro.php?redid=154020

    Das heißt im Islam braucht es nicht einmal einen Staat der repressiv vorgeht sondern es reichen schon radikale Gläubige. Und ob die Türkei bzw. die Türken wirklich Religionsfreiheit akzeptieren bzw. überhaupt entwickeln wird man in der Zukunft sehen da vor allem nicht wenige Kurden zum Christentum konvertieren und ihre Glaubensgemeinschaften anmelden wollen. Des weiteren müssten die Aleviten endlich einmal nicht nur als Kultur- sonder als Religionsgemeinschaft akzeptiert werden, zumal es diese nicht erst seit gestern gibt.

    Und was die Kontrollen angeht. Es ist halt mal äußerlich nicht zu unterscheiden ob man jetzt einen Muslim, Christen oder was sonst noch vor sich hat. Man sollte halt auch immer seinen Ausweis dabei haben, dann ist die Sache normalerweise in max. ein paar Minuten wieder vorbei.
    Und viele Leute wissen scheinbar auch gar nicht das z.B. die sogenannten Taliban keine reine afghanisch – pakistanische Gruppe sonder vielmehr multiethnisch ist und nicht wenige stammen aus dem Westen und sind dort auch aufgewachsen. Das heißt jetzt nicht das man jeden Moslem talibanisieren soll aber eine Ausweiskontrolle ist denke ich doch mal das kleinste Übel wenn es letztlich auch darum geht die schwarzen Schafe zu finden.

  8. HoKo sagt:

    @ municipal

    mein Text war eine ironische Entgegnung auf Battal Gazi.

  9. Boli sagt:

    @HoKo

    Yep, die durchweg positive Situation der Christen in besagten Ländern war zu positiv beschrieben als das dies wirklich ernst gemeint sein konnte. Vielleicht einfach beim nächsten Mal „Ironie off“ dazu schreiben.

  10. Boli sagt:

    Anders sehen es die Betroffenen. Vertreter verschiedener muslimischer Verbände und Organisationen betonten, die Kontrollen seien kontraproduktiv: „Sie führen dazu, dass friedliche Muslime aus Ärger über die Kontrollen radikalisiert werden, vor allem Jugendliche“.

    Also dieses Argument ist dermaßen lächerlich. Wenn doch jemand friedlich ist, vorausgesetzt er behauptet es auch von sich, wieso soll er durch eine lumpige Ausweiskontrolle „radikalisiert“ werden. Ich hege hier viel mehr den Verdacht, das Menschen die so etwas sagen die Radikalität schon längst in sich tragen wenn sie durch solche Lapalien in Rage geraten. Das heißt dann das das was schon längst vorhanden ist sich von Innen nach Außen kehrt. Das ist alles. Allerdings sind mir deutlich aggressive Menschen lieber als solche die nur so tun (Taqqiya). Dann weiß man wenigstens woran man ist und kann genauso deutliche Gegenmaßnahmen treffen.