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Vorurteile und Ängste

Fremde Familien

Viele öffentliche Debatten kreisen um das Thema Integration. Doch wie unterschiedlich zugewanderte Familien ihren Lebensalltag gestalten, bleibt meist unberücksichtigt. Welche Vorurteile und Ängste das multikulturelle Zusammenleben behindern.

Von Mittwoch, 27.01.2010, 8:10 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2010, 17:10 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Was ist unser Bild von Normalität, wenn es um Familien geht? Am Beispiel der »Lindenstraße« lässt es sich vielleicht erahnen: In Deutschlands berühmtester Fernsehserie, die in der Stadt München spielt, sind Fälle von Trennung, Scheidung oder Kriminalität stark überrepräsentiert. Familien mit Migrationshintergrund kommen hingegen deutlich seltener vor als in der Realität: Haben in der »Lindenstraße« von derzeit 14 Familien nur drei Migrationshintergrund, also lediglich ein Fünftel, so liegt der tatsächliche Anteil in München bei 35 Prozent (BAMF 2009).

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Was sich an der »Lindenstraße« verdeutlichen lässt, offenbart sich auch in öffentlichen Diskussionen: Die Situation von Migrationsfamilien wird meist als Sonderfall betrachtet (BMFSFJ 2000). Tatsächlich hat in Westdeutschland aber fast jede dritte Familie Migrationshintergrund (30 Prozent), in den neuen Ländern sind es 14 Prozent (Statistisches Bundesamt 2008). Zu diesen Familien zählen alle Eltern-Kind-Gemeinschaften, bei denen mindestens ein Elternteil eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt oder die deutsche Staatsangehörigkeit beispielsweise durch Einbürgerung erhalten hat.

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Die Missachtung der kulturellen Vielfalt
Empirische Studien zeigen, wie heterogen die Lebenslagen der Familien mit ausländischen Wurzeln in Deutschland sind. Unterschiede gibt es besonders zwischen den Einwanderungsgenerationen, den Herkunftsländern (der Eltern oder Großeltern) und den sozialen Milieus. Obwohl sich die Integrationsdebatte häufig auf türkischstämmige Mitbürger konzentriert, kommt lediglich knapp ein Viertel der zugewanderten Familien aus der Türkei. Etwa ein Fünftel stammt dagegen aus Osteuropa, ein weiteres Fünftel aus süd- oder westeuropäischen Ländern (Statistisches Bundesamt 2009).

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Entsprechend der Herkunft unterscheiden sich auch die Lebensformen. Türkische Familien halten besonders stark an traditionellen Mustern fest: 92 Prozent der Eltern sind verheiratet, was die Quote in allen anderen Einwanderungsgruppen übertrifft. In einheimischen Familien sind lediglich 79 Prozent der Eltern ein Ehepaar, die übrigen gelten als alleinerziehend oder als Lebensgemeinschaft. Doch auch in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund finden sich überraschend viele Alleinerziehende. Ihr Anteil ist beispielsweise bei afrikanischen, amerikanischen und zum Teil auch osteuropäischen Zuwanderern sogar höher als in der einheimischen Bevölkerung (Statistisches Bundesamt 2009).

Bundesweit gelten 14 Prozent der Familien als armutsgefährdet (Statistisches Bundesamt 2009). Laut den Ergebnissen der Sinus-Milieu-Studie finden sich Menschen mit Migrationshintergrund zwar in fast allen sozialen Milieus, allerdings sind sie in der Unterschicht und in der unteren Mittelschicht stärker repräsentiert. Die nationale Herkunft allein ist dabei aber offenbar weniger bestimmend als vielmehr der Bildungsgrad und der einstige Heimatort: Je höher das Bildungsniveau und je urbaner die Herkunftsregion, desto leichter und besser gelingt laut der Untersuchung die Integration (Wippermann 2007).

Diese wenigen Daten zur sozialen Lage und zu den Lebensformen und Herkunftsländern von Migrationsfamilien in Deutschland zeigen: »Die« Migrationsfamilie gibt es nicht. Bereits im sechsten Familienbericht wird deshalb die Rhetorik, die die Unterschiede der Migrantinnen und Migranten zur Mehrheitsgesellschaft akzentuiert und Exotisches betont, als eine »Folklore des Halbwissens« (BMFSFJ 2000) kritisiert. Das jüngste Beispiel hierfür lieferte Thilo Sarrazin bei einem Interview mit der Kulturzeitschrift »Lettre International« im Herbst 2009. Das Vorstandsmitglied der Bundesbank und früherer Berliner Finanzsenator warf darin Türken und Arabern vor, sich der Integration zu verschließen und hat unter anderem gesagt: »Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.« Laut einer anschließenden Emnid-Umfrage stimmte die Hälfte der Bevölkerung dieser Aussage zu. Meinung

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  1. Pingback: 29.1.10 Vorurteile und Ängste - Fremde Familien « Für eine bessere Welt

  2. Sinan A. sagt:

    Komisch, dass bei diesen akademischen Beiträgen oft das Gegenteil vom dem drin steckt, was auf der Verpackung steht. Wenn man den Text durchscannt, fallen sofort die bekannten Keywords auf:

    – halten besonders stark an traditionellen Mustern fest
    – Unterschicht
    – je urbaner die Herkunfstregion, desto leichter und besser
    – Vorstellungen der Eltern gegenüber den Heranwachsenden kulturell veraltet
    – durch die Orientierung an traditionellen Mustern Halt suchen
    – Konflikt zwischen gesellschaftlichen Anforderungen und den Idealen ihrer Eltern
    – große Anzahl der Verwandtschaftsbeziehungen neben den Eltern und Großeltern

    Fazit: Alles beim alten. Sarrazin hatte doch recht. Der Anatole kam gerade auf seinem Esel angeritten Jetzt sitzt er hier mit seiner Riesen-Sippschaft, arm, erfolglos, ungebildet, hält an seinen Hinterweltler-Traditionen fest und verbaut seinen Kindern alle Chancen.

    Leute, ist euch schon aufgefallen, dass es immer Menschen wie Frau Dr. Thiessen sind, die euch und euren Kindern das Leben schwer machen? Achtet mal drauf. Nehmt euch vor denen in Acht. Ich beobachte das sehr genau. Mit einfachen Menschen gibt es sehr selten Probleme, die über normale Zwischenmenschlichkeiten hinaus gehen. Nur diese Bildungsbürger, die permanent mit dem Finger auf die fremdländische Herkunft zeigen, spalten, wo es nichts zu spalten gibt. Was wir brauchen, ist keine Integration. Was wir brauchen, ist Normalität.

  3. Kosmopolit sagt:

    @Sinan A
    Was ist so falsch an den Keywords ??
    Wenn fünf Prozent der Bevölkerung 20 Prozent der Schlagzeilen verursachen und die Öffentlichkeit permanent zwingen, sich mit den Problemen von vorgestern zu beschäftigen; wenn Migranten, getrieben von politischer Verfolgung oder ökonomischer Not, nach Europa kommen und nichts Besseres zu tun haben, als just die unwürdigen Zustände zu reproduzieren, denen sie entflohen sind; wenn eine Minderheit, die schon durch ihren Lebensstil signalisiert, dass sie unsere rechtsstaatlich garantierten Freiheiten für Teufelswerk hält, sich dank Wachstumsraten von bis zu 6,6 Prozent (in England sind bereits 10 Prozent erreicht) anschickt, langfristig die Mehrheitsbevölkerung in Europa zu stellen: dann ist doch ein gewisses Unbehagen angebracht?
    Das habe ich heute in der Welt gelesen und macht Sinn für mich.
    Mögen die Dauerbeleidigten das anders sehen.

    • Mehmet sagt:

      „wenn eine Minderheit, die schon durch ihren Lebensstil signalisiert, dass sie unsere rechtsstaatlich garantierten Freiheiten für Teufelswerk hält“

      Die Masse,die so denkt, über die sind wir uns einig und da muss etwas in den Köpfen dieser Menschen geschehen. Sie werden jedoch auch mir Recht geben, wenn wir anders über die Menschen reden müssen, die die Gesetze dieses Staates akzeptieren. Und über genau DIESE Masse reden wir. Diese werden nämlich deswegen benachteiligt, weil sie mit den vorher genannten Menschen gleichgesetzt werden. Das sollte jedoch nicht der Fall sein. Sind wir hier einer Meinung?

  4. Sinan A. sagt:

    Lieber Kosmopolit,
    mein Appell richtetete sich an Migranten, die hier mitlesen, und nur an die. Hoffentlich erreiche ich ein paar. Hoffentlich schauen viele hier rein und werden ein wenig sensibilisiert für Texte dieser Art. Für die tatsächlichen Hürden, mit denen Migranten zu kämpfen haben. Für die Hürden denen man im Alltag begegnet, die als Hilfe, Förderung und Integration daherkommen, wo einfach nur Normalität und Wertschätzung gefragt wäre.

    Sorry, aber Herkunfstdeutschen, die mit mir über die Rückständigkeit von Migranten, Islamgefahr, Asyl und Wohlstandflüchtlinge sprechen wollen, sage ich immer, nicht mit mir.

  5. YMelodieY sagt:

    „Obwohl sich die Integrationsdebatte häufig auf türkischstämmige Mitbürger konzentriert, kommt lediglich knapp ein Viertel der zugewanderten Familien aus der Türkei. Etwa ein Fünftel stammt dagegen aus Osteuropa, ein weiteres Fünftel aus süd- oder westeuropäischen Ländern (Statistisches Bundesamt 2009).“

    1/4 = 25 Prozent (Türken)
    1/5 = 20 Prozent (andere)