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Analyse

Der Rassismus des Migrationshintergrunds

Am 1. Juli 2009 erstach im Dresdner Landgericht ein deutscher Mann mit einem Küchenmesser eine ägyptische Frau. Die Tat gilt als der erste islamfeindliche Mord in Deutschland, vermutlich weil es der erste ist, bei dem der Täter seine rassistische Einstellung so offen äußerte: Zuvor hatte er sein Opfer als ‚Islamistin’ und ‚Terroristin’ beschimpft und Nichteuropäern und Muslimen ein Lebensrecht in Deutschland abgesprochen.

Von Montag, 15.02.2010, 8:04 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 23.10.2015, 17:24 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Ein klarer Fall, doch diese Geschichte kann man auch anders erzählen: Bei beiden Menschen handelt es sich nämlich um Menschen mit Migrationshintergrund. Sie, das Opfer, war ägyptische Staatsbürgerin, die auf Dauer in der Bundesrepublik Deutschland lebte; Er, der Täter, war Spätaussiedler, deutscher Staatsbürger, aber erst vor wenigen Jahren aus Russland in die Bundesrepublik gezogen. Sie hatte in Alexandria Pharmazie studiert und arbeitete entsprechend in einer Dresdner Apotheke, ihr Sohn ging in den Kindergarten nebenan – immerhin war sie so integriert, dass sie von ihrem Recht Gebrauch machte und ihren späteren Mörder anzeigte, als er sie beschimpfte. Er hingegen war in seinem Übergangswohnheim schon ‚problematisch’ aufgefallen, war arbeitslos und hatte schon mehrmals Menschen mit einem Messer bedroht. Gut integriert versus schlecht integriert. Guter Migrant, schlechter Migrant.

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Der Deutsch-Bengale Lalon Sander wanderte mit 19 Jahren nach Deutschland ein und liegt als Journalistik-Student und Stipendiat der Böll-Stiftung dem Staat auf der Tasche. Während sein Großvater noch Offizier der Wehrmacht war, engagiert er sich gegen den völkisch-deutschen Nationalismus.

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Man kann diese Geschichte auch ein drittes Mal erzählen und sie von ihren rassistischen Untertönen säubern. Denn eigentlich hat der Mord an der Apothekerin nichts mit ihrem Aussehen, ihrer Identität als Muslima, ihrer ägyptischen Staatsbürgerschaft zu tun – sie hat etwas mit dem Verständnis vom Deutsch-Sein ihres Mörders zu tun, mit seinem Bild von Muslimen und nicht-weißen Menschen. Eine Frau wurde von einem rassistischen Mann erstochen, könnte man auch erzählen.

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Das „Othering“
Diese drei Erzählungen zeigen wie sehr die Identität von Menschen mit Migrationshintergrund verwoben ist mit den Geschichten, die über sie erzählt werden. Während diese Geschichten im wissenschaftlichen oder amtlichen Diskurs sicherlich differenzierter sind – hier ist der Begriff „Migrationshintergrund“ relativ scharf definiert – sind sie es im alltäglichen, im medialen und im politischen Diskurs auf sehr wenige Topoi eingeschränkt: Integration, das „Leben zwischen den Kulturen“, Gewalt in Form von Angriffen durch Jugendliche oder Terroristen, islamischer Fundamentalismus, Unterdrückung von Frauen, rückständige Wertesysteme. In liberaleren Kreisen ist der Begriff des „Migrationshintergrund“ positiver aufgeladen: Menschen mit Migrationshintergrund haben ungeahnte andere Fähigkeiten, sprechen viele Sprachen, können exotisch kochen, toll musizieren und tanzen und machen die Welt einfach bunter.

Beiden Argumentationen liegt jedoch dieselbe rassistische Taktik des „Othering“ zugrunde: Menschen mit Migrationshintergrund sind irgendwie anders, sie ticken anders, es gibt Mentalitätsunterschiede – auf jeden Fall sind sie nicht so wie „die Deutschen“. Der Begriff „Deutscher mit Migrationshintergrund“ wird so zu einem politisch korrekt ausgedrückten „Nicht-Deutscher, der sich so gut benommen hat, dass wir ihm mal einen deutschen Pass gegeben haben“. Integration bedeutet nicht auffallen, Anpassung, im besten Fall Assimilierung.

Spannend ist hier, auf welcher Basis Menschen mit Migrationshintergrund im Alltag identifiziert werden. Die offensichtlichsten Merkmale des Anders-Seins werden zu Rate gezogen: Hautfarbe, gelegentlich auch Haarfarbe, Aussprache und oft auch ein fremd wirkender Vor- und/ oder Nachname. Eine weiße Deutsche mit polnischer Mutter wird nicht als Frau mit Migrationshintergrund wahrgenommen, solange sie einen deutschen Akzent und den Nachnamen ihres Vaters hat. Ihr „Migrationshintergrund“ wird – wenn überhaupt – sehr viel später thematisiert werden als bei einem sich prügelnden jungen Mann mit nicht-weißem, türkischem Vater.

Kurz, wenn nicht-weiße Menschen, oder Menschen mit einem fremd klingendem Akzent oder Namen problematisch auffallen, werden die Gründe für diese Probleme in ihrem wie auch immer vorhandenen Migrationshintergrund gesucht. Dass diese Hintergründe oft gar nicht existieren spielt keine Rolle, denn die Suche nach Gründen hat wenig mit der Realität zu tun. Dadurch werden nur die Probleme bestimmter Menschen sichtbar und in einem tückischen Zirkelschluss beginnen dann Menschen mit Migrationshintergrund, die problematisch auffallen, die „problematischen Menschen mit Migrationshintergrund“ zu repräsentieren – wobei das Adjektiv „problematisch“ beschreibend und nicht qualifizierend genutzt wird. Meinung

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  1. Elfriede Reichert sagt:

    Im Wort „Migrationshinterrund“ stecken zwei Wörter:
    Also könnte man das zweite Wort auch in Augenschein nehmen.
    Ich zitiere aus einem Text, dessen Herkunft ich nicht mehr weiß:
    „Der Hintergrund bestimmt das, was im Vordergrund geschieht, er leitet unsere Analyse des vordergründigen Geschehens. Im Gegensatz zu dem veränderlichen Vordergrund ist der Hintergrund außerdem konstant, er erlaubt es also, die Ereignisse im Vordergrund auf feste, gleich bleibende Strukturen zurückzuführen und gibt uns damit eine interpretative Sicherheit.
    Im Falle eines Menschen mit „Migrations-hintergrund“ ist demnach das veränderliche Handeln eines Individuums durch seine Herkunft, sein „nicht-von-hier-sein“, erklärbar. „Migrationshintergrund“ ermöglicht offenbar die Unterscheidung zwischen Personen, die erst über ein Gewandertsein (ihr eigenes oder das ihrer Eltern oder Großeltern) verstehbar sind.“

    isteiniges meines Verhaltens aus der Tatsache zu erklären, dass mein Vater aus dem Sudetenland stammt? Nein. Niemand würde von den „Heimatvetriebenen“ als Migranten sprechen, obwohl sie ein“gewandert“ sind. Aber zumindest in 50iger Jahren waren sie auch als Zugewanderte und damit als fremd klassifiziert. Es hat sich das Wissen durchgesetzt, dass sie bleben werden und sie hatten ja die deutsche Staatsangehörigkeit und das richtige Blut. Also der „Hintergrund stimmte.
    jetzt haben wir in Deutschland ein verändertes Staatsbürgerrecht. Nicht nur das „Blut“ zählt – angeblich.
    jedoch – ich zitiere
    „Die Veränderung des Staatsbürgerschaftsrechts wird sprachlich quasi rückgängig gemacht, der Ausdruck „Migrationshintergrund“ erlaubt die Tradierung des Abstammungsprinzips.“ Eine schwarze Deutsche mit deutschen Eltern, hier geboren wird über ihre Hautfarbe als „anders“ identifiziert und ihr wird ein Migrationshintergrund zu geordnet. Ist ihr deutscher Pass dann weniger wert?! Ist sie nicht „biodeutsch“? Bei Weißen wird die Frage nicht gestellt!

    und noch eine Bemerkung: noch nie habe ich so eine intensive – sichtbar in der Länge der Kommentare, ich mache auch mit – Diskussion erlebt. Wir wehren uns dagegen,, das scheinbar hilfreiche Wort Migrationshintergrund“ aufzugeben, um Menschen schneller einordnen zu können. Es ist nicht hilfreich: es ist rassistisch.