Rückblick
10 Jahre neues Staatsangehörigkeitsgesetz
Vor zehn Jahren trat das neue Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft. Zeit, seine Entstehung und Hintergründe, Revue passieren zu lassen.
Von Aylin Karadeniz Montag, 01.03.2010, 8:02 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 11.01.2018, 13:27 Uhr Lesedauer: 8 Minuten |
Eine „Politik des Nichtstuns“ sei die schlechteste aller Politik, so der ehemalige Innenminister Otto Schily kurz nach dem rot-grünen Wahlsieg im Jahr 1999. Er meinte damit 16 Jahre CDU-Regierung und 16 Jahre Abwesenheit von Integrationspolitik. Das Jahr 1999 sollte den Anfang einer „Politik des Tuns“ in der deutschen Einbürgerungs- und Migrationspolitik markieren. Es war das Jahr, in dem Deutschland auch im öffentlichen und politischen Diskurs zum „Einwanderungsland“ wurde, nachdem es ebendieses in der Realität bereits seit Jahrzehnten war, ist und vor allem: so bleiben wird.
Die rot-grüne Regierung bemühte sich um Sanierung. Ihr erstes Projekt sollte ein Gesetz sein, an dem 87 Jahre fast ohne Spuren vorbeigegangen waren: Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht, das ausschließlich auf dem Abstammungsprinzip basierte. Von Geburt an „deutsch“ war ein Kind demnach nur, wenn mindestens ein Elternteil deutscher Staatsbürger war. Ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht sah, zumindest für Befürworter der Reform, anders aus. Es sollte mehr einschließen, als ausschließen, mehr und leichter Ausländer zu Deutschen machen, als es das bisher getan hatte.
No taxation without representation
Betrachtet man die lange Zeit, in der die Abstammung ein entscheidendes Kriterium bei der Vergabe der Staatsangehörigkeit darstellte, ist die Einführung des Geburtsortsprinzips ein revolutionärer Bruch im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht. Ein Paradigmenwechsel im Recht und ein Signal an die Gesellschaft als Ganzes. „Fast vierzig Jahre nach Ankunft des ersten Gastarbeiters“, so der damalige Innenpolitische Sprecher der Grünen und heutige Grünenvorsitzende, Cem Özdemir, „leben rund 7,3 Millionen Menschen dauerhaft in Deutschland. Sie arbeiten, sie zahlen Steuern und Abgaben, sie halten sich an Recht und Gesetz. Sie sind Ärzte, Einzelhändler, Betonbauer oder Rentner. Kurzum: Sie sind Teil unserer Gesellschaft und Kultur geworden.“ Gleichzeitig verhinderten jedoch die restriktiven Einbürgerungsbedingungen im Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht, dass diese Menschen auch rechtlich und damit politisch Teil der Gesellschaft werden. Diesen Zustand wollte die rot-grüne Regierung ändern.
Niedrige Einbürgerungszahlen als Demokratiedefizit
Die Einbürgerungsquote ist ein Indikator für die Offenheit eines Einbürgerungssystems eines Landes. Und das deutsche System ist im europäischen Vergleich ziemlich verschlossen. So ließen sich in den 1980er Jahren durchschnittlich nur 0,3 Prozent der ausländischen Bevölkerung einbürgern. Mit der Änderung des Ausländergesetzes im Jahre 1991, der Erleichterung der Einbürgerung und der Einführung eines Einbürgerungsanspruches nach acht Jahren stieg die Zahl der Einbürgerungen in den folgenden Jahren langsam an. Seitdem ließen sich durchschnittlich 93.000 Ausländer pro Jahr einbürgern. Viele europäische Länder – darunter die Niederlande, Schweden, Dänemark, und Finnland als Spitzenreiter – weisen eine vielfach höhere Einbürgerungsquote als Deutschland auf.
Problematisch ist eine niedrige Einbürgerungsquote aus folgendem Grund: Der dauerhafte rechtliche Ausschluss eines bedeutsamen Teils der Bevölkerung ist ein Demokratiedefizit. Denn die vom Wahlrecht ausgeschlossenen haben keine direkte Möglichkeit, die Politik des Landes zu beeinflussen. Meinung
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