Ranas Mutter
(Kurz-)Geschichte eines Wiedersehens
Die Ganztagsschule hat einen Betreuungsraum, in dem etwa zwanzig Kinder frei spielen können. Felix spielt am liebsten hier, die Betreuerin ist so freundlich, sagt er. Ich hätte ihren Namen erkennen können, als mein Sohn mir von ihr erzählt hat, ich habe ihn aber nicht erkannt.
Von GastautorIn Montag, 15.03.2010, 8:07 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.06.2011, 23:53 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
In 20 Arbeitsjahren trifft man auf so viele Namen, viele davon kann ich kaum aussprechen. Ich erkenne Ranas Mutter erst, als ich vor ihr stehe. Die Haare sind kürzer und ihre Denkfalten zwischen den Brauen sind tiefer. Sie ist etwas dicker, aber die Augen sind dieselben. Sie lacht und wenn sie lacht, sieht sie jünger aus, als sie wohl je war. Sie wirkt nicht mehr müde, denke ich. Sie erkennt mich sofort. „20 Jahre“, sagt sie und in mir kommen die Erinnerungen an ihren Akzent wieder auf.
„Wir haben in diesem Teil der Stadt einen hohen Migrantenanteil“, hatten sie damals zu mir gesagt. Wir haben in jedem Teil dieser Stadt einen hohen Migrantenanteil, dachte ich damals und habe mich regelmäßig auf die fremden Naschereien an den Kindergeburtstagen gefreut. Wir hatten vier Gruppen mit je ca. 20 Kindern, acht Erzieherinnen, eine davon ich. Die Kindergartenfeste waren auf die türkischen Feiertage gelegt und die Wurst unseres Frühstücksbuffets kennzeichneten wir jeweils mit Puten- und Schweinebildern. Die neuen Dreijährigen waren kaum einzugewöhnen, wir konnten sie nicht in ihren Muttersprachen davon überzeugen, dass ihre Mütter bald kommen würden, um sie abzuholen.
Dann der Elternabend. Die Kinder sollten nicht mitkommen, die meisten Kinder kamen mit, zum Übersetzen. Die Väter blieben stumm und guckten grimmig, die Mütter ließen nichts auf ihre Söhne kommen. Ranas Mutter kam damals alleine, der Vater passte zuhause auf die drei Mädchen auf. „Tut mir leid“, sagte die Mutter, „jeden Morgen so früh, so schnell, jeden Morgen, tut mir leid.“ Sie sah müde aus. Sie sah immer müde aus.
Die anderen Mütter kamen morgens um neun mit ihren Schützlingen, Ranas Mutter war immer gegen halb acht 8 da. Manchmal stand sie vor der Tür und wartete auf die Putzfrau. Dann schrie Rana, wo sie doch eigentlich ein fröhliches Kind war, schrie in die leeren, schwach beleuchteten Kindergartenräume und hörte nicht auf zu schreien. Ranas Mutter in ihrem hellen Mantel und in ihrer freundlichen Art, bückte sich zur Dreijährigen hinab, küsste jeden Morgen ein verweintes Gesicht und redete auf die Kleine ein, die fremdartigen, persischen Worte verhallten in den leeren Räumen. Dann verschwand sie wieder in der winterlichen Dunkelheit und versteckte ihr eigenes, tränenreiches Gesicht. „Morgens Uni“, hatte sie mir einmal gesagt, als ich ihr gerade entgegen kam, „Morgens Uni, in andere Stadt“. Und ich nickte und sagte nicht, dass ich Ranas schmalen Körper allmorgendlich im Arm hielt und ihr Zittern und Schluchzen auch mit den Worten „Mama hat Uni“ nicht abmindern konnte. Feuilleton
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Ich bin heute durch die Story „Das Viertel, die Straße und die Blumen“ in der Anthologie „Metropolenpilger“ auf diese Aurorin gestoßen und möchte an dieser Stelle kundtun, dass es sich bei ihr ganz offensichtlich um ein außergewöhnliches Talent handelt, das jede Förderung verdient. – Respekt!