Anonymisierte Bewerbungsverfahren
Bewerbung ohne Namen, Foto und Herkunft
Ab Herbst 2010 wollen das Bundesfamilienministerium und fünf weitere namhafte Firmen ein Jahr lang anonymisierte Bewerbungsverfahren testen. Einer Studie des IZA zufolge werden türkische Bewerber seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.
Montag, 13.09.2010, 7:57 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 21.04.2014, 15:00 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Fünf Unternehmen sowie das Bundesfamilienministerium werden sich am Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) zu anonymisierten Bewerbungsverfahren beteiligen. Die beteiligten Unternehmen werden ein Jahr lang anonymisierte Bewerbungsverfahren testen, also Bewerbungen ohne Foto, Name oder Angaben über Alter, Geschlecht, Herkunft und Familienstand, wie die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, am Dienstag (24. September 2010) in Berlin sagte.
Starten soll der zwölfmonatige Testlauf im Herbst dieses Jahres. Das Pilotprojekt wird während der gesamten Dauer wissenschaftlich begleitet und anschließend ausgewertet. Gestern hatten sich die beteiligten Unternehmen und Institutionen erstmals zum Runden Tisch in der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle des Bundes getroffen. Dabei wurde unter anderem eine Expertise des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) vorgestellt, in der internationale Modellprojekte verglichen und Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Das IZA ist der wissenschaftliche Kooperationspartner der ADS bei diesem Projekt.
Lüders verwies auf eine beim IZA erschienene Studie von 2010, wonach die Angabe eines türkisch klingenden Namens die Chancen auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch für einen Praktikumsplatz verringert – im Durchschnitt um 14 Prozent, bei kleineren Unternehmen sogar um 24 Prozent. Bei der IZA-Untersuchung wurden Bewerbungen für Praktikumsplätze verschickt. „Wir gehen davon aus, dass die Diskriminierungsquote bei Stellenausschreibungen – vor allem im niedrigqualifizierten Bereich – deutlich höher liegt“, sagte Lüders. „Aber es kann nicht sein, dass Bewerberinnen und Bewerber oftmals nur auf Grund ihres Namens oder ihres Alters keine erste Chance erhalten. Entscheidend für die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber sollte nur die Qualifikation sein. Wir brauchen in Deutschland eine neue Bewerbungskultur.“
Bei den Firmen handelt es sich um die Deutsche Post, die Deutsche Telekom, das Kosmetikunternehmen L´Oréal, den Geschenkdienstleister Mydays und den Konsumgüterkonzern Procter & Gamble.
ADS-Leiterin Lüders betonte: „Wir sind stolz darauf, dass sich fünf große Unternehmen und das Bundesfamilienministerium an unserem Pilotprojekt beteiligen. Es handelt sich um namhafte Firmen und Institutionen, die für die Themen Antidiskriminierung und Chancengleichheit seit langem sehr aufgeschlossen sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit den Ergebnissen unseres Pilotversuchs weitere Unternehmen von den Vorteilen von Vielfalt und Diskriminierungsfreiheit überzeugen können.“ Lüders fügte hinzu: „Bei unserer Initiative setzen wir auf Überzeugung und Freiwilligkeit. Deshalb verstehe ich die Aufregung in Teilen der Wirtschaft nicht. Uns geht es darum, ein in anderen Ländern schon verbreitetes Verfahren zu testen und anschließend zu bewerten.“
Die Leiterin der ADS trat dem Argument entgegen, dass benachteiligte Bewerberinnen und Bewerber zwar nunmehr eine erste Chance erhielten, Diskriminierung aber lediglich ins Vorstellungsgespräch verschoben werde. „Ein deutscher Personaler oder eine Personalerin verwendet im Durchschnitt 2 bis 4 Minuten für die Durchsicht einer Bewerbung. In dieser frühen Phase wollen wir verhindern, dass eingefahrene Selektionsmuster zum Tragen kommen. Zudem zeigen internationale Erfahrungen, dass sich an anonymisierten Bewerbungen auch Menschen beteiligen, die sich aufgrund von vielen frustrierenden Absagen sonst gar nicht mehr die Mühe gemacht hätten“, sagte Lüders. Wirtschaft
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