Rezension
Elisabeth Hering: Schatten Gottes auf Erden
Der historische Roman „Schatten Gottes auf Erden“ von Elisabeth Hering erzählt die Lebensbeichte eines Mannes, der auf zwei Hochzeiten tanzt und gleichsam zwischen zwei Stühlen sitzt: dem Orient und dem Okzident.
Von Vicky Marie Eichhorn Montag, 20.09.2010, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.09.2010, 4:17 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Romanheld Kövary György wird 1406 in Samarkand geboren, als sich die Stadt unter dem Timuriden Ulug Beg in ein blühendes Wissenschaftszentrum verwandelt. Seine Eltern, eine Georgierin und ein Ungar, sind Christen, obgleich sein Vater sich im öffentlichen Leben als Muslim ausgibt. György selbst wird beschnitten, schreibt den Koran ab und studiert an der städtischen Medresse ehe seine Familie auf Grund einer Intrige nach Ungarn flieht. In Trapezunt wird er getauft. In Padua studiert György, der Doktortitel aber wird ihm verwehrt. Denn im Okzident gilt er als Bastard, weil seine Eltern nie von einem christlichen Priester getraut worden sind. So kehrt er nach Ungarn zurück und heiratet. Doch Ruhe kehrt nicht in sein Leben, die Unrast treibt ihn. In der Türkei schließt er sich dem Nakschbandi-Orden an und zieht gen Samarkand. Hier erlebt die letzten Tage des „Schatten Gottes auf Erden“ Ulug Beg, die indes nicht seine letzten Tage sind.
Ein besonderes Augenmerk legt Elisabeth Hering auf die Rolle der Religionen im Leben Györgys. Fundiert beschreibt sie Inhalte des Islams und des Christentums und arbeitet handwerklich geschickt Kleingeist und Machtmissbrauch heraus, wo religiöse Institutionen in öffentlichen Sphären agieren:
„Und kam es überhaupt darauf an, daß man verstand? Und nicht vielmehr darauf, daß man sich einreihte – hineinwuchs in eine Ordnung, die dadurch Gültigkeit hatte, daß sie eine Gemeinschaft zusammenfügte?“
Dies kontradiktiert Hering mit dem privaten, persönlichen Glaubenserlebnis, dem Zuflucht und Hoffnung innewohnt.
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„…denn es ist ein langer Weg , bis wir zu der Erkenntnis kommen, daß wir dankbar sein müssen für jede Enttäuschung, weil sie eine Ent-Täuschung ist, die uns der Wahrheit ein Stück näher rückt, bis wir dorthin finden, wo keine Täuschung mehr möglich ist, dorthin, wo alle Unruhe des Herzens mündet wie die Ströme ins Meer.“
Freilich mutet die unbedingte Wahrheitssuche, die György leitet, dem postmodernen, vom Relativismus geprägten Leser bisweilen pathetisch an. Nichts desto trotz liegt mit diesem Roman ein einzigartiger Dialog zwischen Islam und Christentum vor, der die Nähe beider Religionen veranschaulicht, ohne es nötig zu haben auf Abraham zu verweisen. Das Genre des historischen Roman erlaubt es Hering anachronistisch vorzugehen und den säkularen Duktus aus privater und öffentlicher Religion auf das 15. Jahrhundert zu übertragen.
Dabei ist das Buch selbst in gewissem Maße ein Anachronismus. Elisabeth Hering, 1909 im rumänischen Cluj-Napoca geboren, flieht sie im zweiten Weltkrieg verlassen nach Thüringen. Die Erfahrung der Heimatlosigkeit prägt ihr Schreiben ebenso wie die zweier totalitärer Systeme. Die Grenze zwischen Ideologie und Religion werden hier hauchdünn. Veröffentlicht wird „Schatten Gottes auf Erden“ erstmals 1977, also vor der iranischen Revolution, den Irakkriegen und dem 11. September. Auch deshalb ist die Auseinandersetzung mit Islam und Christentum in diesem Roman so erfrischend unbedarft. Aktuell Rezension
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