Zwiespalt
“Nachfahrin Mohammeds”
Schreibt sie kritisch über Migrationsthemen, feiern sie die Rechten. MigrantInnen verlangen, dass sie ihr Sprachrohr ist. Eine taz-Redakteurin über den Zwiespalt ihrer Arbeit.
Von GastautorIn Dienstag, 21.09.2010, 8:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.09.2010, 5:10 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Mein Vater sagt immer: „Kind, dein Blut ist genauso rot wie das der anderen.“ Oder: „Alle Menschen sind gleich, keiner ist gleicher.“ Mit den „Anderen“ meint er die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Spätestens seit ich als Journalistin arbeite, mag ich das nicht mehr so recht glauben. Ständig wird mein Migrationshintergrund thematisiert, und ich sehe mich fortwährend als „Andere“ wahrgenommen. Ich war noch nicht lange in der taz, da fragte mich ein Redakteur in der Kaffeeküche, ob ich einen Döner wolle. Es sollte ein Scherz sein. Und als die Debatte über die Rütli-Schule losging, sagte ein Kollege zu mir: „Na, was habt ihr wieder angestellt?“
„Lernt, damit ihr nicht in der Fabrik landet wie wir! Seid besser als alle anderen, nur so könnt ihr euch zur Wehr setzen.“
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Leser und Journalisten unterstellen mir wahlweise, ich würde für oder gegen Migranten oder die Ursprungsdeutschen schreiben. Ich frage mich öfter, wie ich in diese Position geraten bin. Meine Eltern sind klassische Gastarbeiter. Unter meinen Vorfahren finden sich Türken, Kurden und Iraker, sunnitische Muslime ebenso wie Aleviten. Ich und meine zwei Geschwister wuchsen im Ruhrgebiet auf. Meine Eltern mahnten uns, seit ich denken kann: „Lernt, damit ihr nicht in der Fabrik landet wie wir! Seid besser als alle anderen, nur so könnt ihr euch zur Wehr setzen.“ Ihr Glaube an die Gleichheit war wohl doch nicht so stark. Als ich bei der Abiturprüfung meines Deutschleistungskurses die Klausur abgab, sagte mein Lehrer laut in die Klasse: „Hier stinkt es nach Knoblauch.“
Nach dem Abitur begann eine wunderbare Zeit für mich. Ich studierte Völkerrecht und Osteuropäische Geschichte an der Universität Köln, wo ich mich mit meinen Lieblingsthemen Völkermord, Kriegsverbrechen, internationales Strafrecht und dem Kaukasus beschäftigte. Meine Herkunft war kein Thema. Ich putzte, um meine Miete zahlen zu können. Auch hier war ich eine unter vielen, denn putzende, dunkelhäutige Menschen gibt es eine ganze Menge. Mit Stipendien machte ich mir eine herrliche Zeit an russischen Hochschulen. Nach dem Studium bewarb ich mich dann an der Journalistenschule und wurde angenommen. Das änderte alles. Denn seitdem fühle ich mich des Öfteren, als sei ich ein Exponat im Zoo.
Wie selbstverständlich wurde ich schon im Bewerbungsgespräch für die Schule nach meiner Herkunft gefragt. Als Französin oder Amerikanerin wäre ich langweilig gewesen. Aber eine Frau, deren Eltern aus dem Irak und der Türkei ausgewandert sind, eine Frau, die islamisch und liberal geprägt ist und die einen Haupt- von einem Nebensatz unterscheiden kann, schien den Journalisten ein Faszinosum zu sein.
Seither werde ich regelmäßig nach meinem Privatleben ausgehorcht. Man stellt mir Fragen, die ich anmaßend finde, einige sind peinlich, manche beschämen mich. Bei Heidi und Hans interessiert sich doch auch niemand für ihre Familien. Aber bei mir darf man das wohl? Aktuell Meinung
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Migranten stehen oft im „Zwiespalt“. Es liegt in der Natur der Sache; sie sind mindestens in zwei Sprachen heimisch und haben (dadurch) Bezug zu mindestens zwei Ländern, Kulturen und Menschen. Diese „Zwiespältigkeit“ führt aber nicht zwingend zu einer „Zerrissenheit“ (Stichwort Identitätskonflikt). Vielmehr bietet die Migrationserfahrung einen dritten Weg – ein „drittes Auge“. Migration ist somit eine Bereicherung, sofern die Gesellschaft offen für Erneuerungen ist. Ihr Beitrag zeigt, dass diese „Offenheit“ selbst bei der taz erst „erkämpft“ werden muss. Das ist allzu menschlich. Die Konservierung von (Vor)urteilen bietet (auch den Intellektuellen) halt. Dieses „Menschliche“ ist aber nur dann „verständlich“ und legitim, wenn man Auseinandersetzungen mit „anständigen Mitteln“ führt. Der „Knoblauchgeruch“ ihrer Arbeit gehört definitiv nicht dazu. Vielen Dank für diesen tollen Beitrag.
Ich glaube nicht, dass hier ein „Zwiespalt“ oder eine „Zerrissenheit“ herrscht, wie Bekir meint. Das ist nämlich der Vorteil derjenigen, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind: dass sie einfach nur „sein“ wollen, weder „gespalten“ noch „zerrissen“ oder wie man so schön klischeehaft sagt: zwischen zwei Stühlen.
Nein, ich glaube vielmehr, dass Frau Akyol zu jenen Türkischstämmigen gehört, denen garkeine andere Wahl bleibt, als Zu- und Missstände objektiv und holistisch zu bewerten. Hin- und her- oder zerrissen und im Zwiespalt zu sein würde ja implizieren, dass die nötige Distanz zu beiden Seiten fehlt. Diese aber ist unabdingbar, wenn man realitätsnah und unzensiert beobachten, bewerten und letzten Endes berichten möchte.
Und ja, in dieser Hinsicht sind Sie ein absolutes Faszinosum, wie Sie es nannten, weil gerade diese Tugenden im Journalismus von unglaublicher Bedeutung sind; aber nicht nur dort. Diesen komparativen Vorteil, den Sie- und ich und viele andere „Knoblauchfresser“- sich über Jahre erarbeitet und unter schwierigen Umständen angeeignet haben, versuchen sowohl einige Türken als auch viele Ur-Deutsche gegen uns zu verwenden, indem die Türken an unsere gemeinsame Herkunft appellieren und die Deutschen uns integrationsfeindlich nennen. Und das, weil wir es gewagt haben, den subtilen und verblümten Alltagsrassismus anzuprangern, den man selbst unfassbarerweise bei der taz erlebt. Aber das ist ein sehr wichtiger Punkt, den Sie, Frau Akyol, zur Untermauerung Ihrer Beobachtungen und Erfahrungen verwenden könnten. Denn dieser Alltagsrassismus ist nicht nur bei CDU-Wählern und pi-news-Lesern gegenwärtig, sondern in der Mitte und links der Gesellschaft. Das wissen Sie und ich, schön und gut. Aber: Konfrontieren Sie mal einen Deutschen damit, wird er dies vehement bestreiten und auch Ihre taz-Kollegen werden das bestreiten, weil, hallo? Immerhin arbeitet er/sie bei der taz, das dürfte ja wohl als Alibi ausreichen, um ihn/sie von Diskriminierung freizusprechen.
Deswegen Frau Akyol, so sehr ich nachvollziehen kann, dass Sie auf diese Scheinintegrationsdebatten keine Lust haben: Sie fehlen dort.
Sie fehlen dort deswegen, weil Sie ja selbst sehen und hören, wer die „Kanakenseite“ in Talkshows und Interviews repräsentieren darf. Es sind jedenfalls die Falschen. Man sieht nur Migranten, die entweder die eine, oder die andere Seite vertreten und um jeden Preis verteidigen. Entweder einer vom Zentralrat der Muslime, der nur die Verfehlungen der Politik thematisiert, oder Necla Kelek oder Seyran Ates, die lediglich den kriminellen Analphabeten türkischer Herkunft anprangern. Alles Menschen mit einer Agenda und keineswegs gewillt, beide Seiten gleichmäßig kritisch zu analysieren.
Sie wären dazu sehr gut in der Lage, weil Sie sich von keiner Seite vereinnahmen lassen. Außerdem würde endlich mal jemand ein repräsentativeres Bild der Türkischstämmigen wiedergeben, damit auch scheinbar seriöse Medien als effekthascherisch und opportunistisch entlarvt werden.
Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen, dass Sie stets die passende Reaktion parat haben, sei es auf Bemerkungen rückständiger Türken oder ausländerfeindlicher Deutsche.
Werte/r Migro, ich empfehle Ihnen den Beitrag nochmal in Ruhe durchzulesen. Ich habe den Begriff der „Zwiespältigkeit“ (aufgegriffen aus der Abhandlung von Fr. Akyol) nicht im Sinne einer „Zerissenheit“ verwendet. Vielmehr beschreibe ich damit einen „dritten Raum“ jenseits der Minderheiten- und Mehrheitsgesellschaften. Mit der Theorie des dritten Raums wird von Homi Bhabha die Erfahrung benannt, dass diese „Zerrissenheit“ (in Gänsefüßchen) eine eigene Qualität hat, die weder auf die Traditionen der Herkunftsgesellschaft noch auf die der Aufnahmegesellschaft, noch auf eine Kombination von beiden zurückführbar ist. Man kann hier von einer doppelten kritischen Haltung sprechen oder von einem Recht auf Differenz; und das finde ich als eine Bereicherung. Ich empfehle Ihnen diesbezüglich die Lektüre folgender Bücher: Bhabha: The Third Place, in: Identity: Community, Culture, Difference, S. 207-221; Schiffauer: Nach dem Islamismus; Amartya Sen, Die Identitätsfalle.