Rezension
“Blume ist Kind von Wiese” – Helga Glantschnig.
„Wunder ist was du noch nie gehabt hast.“ – oder: Helga sieht die Welt mit Kinderaugen. Eine Rezension zum Buch „Blume ist Kind von Wiese“ von Helga Glantschnig.
Von Franziska-Julia D. Knupper Mittwoch, 29.09.2010, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 01.10.2010, 9:04 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Jeder, der jemals einen sprach-oder literaturwissenschaftlichen Kurs an der Universität belegt hat, weiß, dass Sprache vorrangig der sozialen Interaktion und Kommunikation dient. Steigt man später tiefer in die Materie ein, ist bald von Abstraktion, Sprechakten oder gar einer Sprachkrise der Moderne zu hören. Reichlich kompliziert und hoch interessant. Sprachen umgeben uns jeden Tag, sie sterben, durchmischen sich. Sie erleichtern uns den Einkaufsbummel, ermöglichen das Telefon und den Streit mit den Schwiegereltern, erfanden die Ironie und grenzen uns voneinander ab. Auch Helga Glantschnig, die Autorin des Buches „Blume ist Kind von Wiese“, hat sich auf eine mutige Reise durch ihre Muttersprache und andere Kulturen begeben und ist schließlich bei der Poesie angelangt.
So ist ein Blitz ein „dünnes Feuer“, eine Seele „wiegt 1 ½ Kilogramm“, und Glück ist „Urlaub gehen. Dass du Hund hast. Wenn man nicht vom Fahrrad fällt. Dass man geboren ist.“
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Befragt hat sie dafür Kinder aus Familien mit Migrationshindergrund in Deutschland. Kinder, die der deutschen Sprache noch völlig unvoreingenommen, gleichsam unbeschwert gegenüber treten und uns die Welt einmal wieder ganz frisch und sonderbar vor Augen führen. Es ist kein einfaches Jungsein, es ist kein platter Blick auf die Wirklichkeit um sie herum. Glantschnig förderte kindliche Sichtweisen und Eindrücke zu Tage, die oft erstaunen und erfreuen.
So führen sie den Leser durch die Geisterbahn, ins Gewitter bis hin zu den Indianern, indem sie den Dinge durch ihre ungewollte Sprachkunst und einem unkonventionellen Blick auf den Alltag,neue Gestalt verleihen. Diese Kinder, die mit der neuen Sprache und dem neuen Land noch unvertraut sind experimentieren, kosten, sind geradeheraus. So ist ein Blitz ein „dünnes Feuer“, eine Seele „wiegt 1 ½ Kilogramm“, und Glück ist „Urlaub gehen. Dass du Hund hast. Wenn man nicht vom Fahrrad fällt. Dass man geboren ist.“
Ihre Beschreibungen sind berührend, klug, stets überraschend und auch aus wissenschaftlicher Sicht interessant. Das Sprache oft die Nation beeinflusst oder umgekehrt, ist bis heute wohl so ungeklärt wie die Frage nach dem Huhn oder dem Ei. Sicher ist jedoch, dass jede Grammatik ihr unvergleichliches Denkmuster inne hat, geprägt durch Geschichte, Eroberungen oder heutige Globalisierung. Jeder Wandel, jeder Zeitgeist hinterlässt seine Spur in unseren Worten und Ausdrücken.
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Die Kinder, die heute in der Bundesrepublik aufwachsen und sich noch mit der deutschen Sprache schwertun, sind ein Beweis dafür. Sie zeigen in diesem Buch eine beeindruckende Vielfältigkeit an einfallsreichen Denkweisen, eine bunte Kombination aus Heimatland und neuer Heimat. Sie fassen ihre komplexe Generation in Worte, verkörpern einen neuen Geist und erfanden eine neue spielerische Ausdrucksweise.
Geformt und perfektioniert wird diese wohl früher oder später von ganz allein. Ihre einstige Phantasie und Leichtigkeit jedoch ist in Glantschnigs Buch verewigt und dem Erwachsenen – dem bleibt noch die Weisheit Salingers „Fänger im Roggen“: „Es ist nicht Bildung. Es ist Geschichte. Es ist Poesie.“ Aktuell Rezension
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Erinnert mich jetzt irgendwie sehr stark an Faßbinders „Angst essen Seele auf“.