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Verleihung des Freiheitspreises 2010

Die Verschleierin

Die Friedrich-Naumann-Stiftung verleiht den diesjährigen Freiheitspreis an Frau Dr. Necla Kelek und gibt damit an die Adresse der Muslime in Deutschland ein politisches Statement ab: So wie ihr seid, seid ihr nicht willkommen!

Von Kamuran Sezer Mittwoch, 27.10.2010, 8:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.11.2010, 2:50 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Freiheit – ein schöner Begriff! Er ist ein Leitwert, für den in der Geschichte verschiedener Gesellschaften und Nationen viele Menschen ihr Leben gelassen haben. Ein Leben ohne Zwang und fremder Autorität, frei von Unterdrückung und Bevormundung – ein Zustand, der es tatsächlich Wert ist, viel zu riskieren.

Heute genießen wir die Früchte jener vergangenen Zeit in Europa, in der Menschen sich für die Freiheit eingesetzt haben. Wir stehen daher in der Verantwortung, sorgsam mit diesem Gut umzugehen und in der Tradition, diese Freiheit zu verteidigen. Ich respektiere und würdige alle Menschen, die mutig und im Anblick der Konsequenzen ihres Einsatzes sich für diesen Leitwert einsetzen – dies gilt auch für Frau Dr. Necla Kelek.

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Sie war es, die eine breite Öffentlichkeit auf die Unterdrückung von jungen Mädchen und Frauen in den muslimischen Einwandererfamilien aufmerksam gemacht hat. Es kann nicht abgestritten werden, dass in dieser Community Mädchen und junge Frauen der Ehre wegen getötet oder gegen ihren Willen mit fremden Männern verheiratet werden. Es war richtig von Frau Dr. Kelek auf diese Missstände hinzuweisen. Entscheidend ist aber die Frage nach der qualitativen und quantitativen Entsprechung dieses Phänomens, die wesentlichen Beitrag zur Differenzierung leisten würde.

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Frau Dr. Kelek hätte nämlich eine Pionierin und eine Wortführerin werden können, die mit ihrem ethnisch-religiös-politisch transzendentalen Hintergrund Brücken zwischen der Aufnahmegesellschaft und der Einwanderergesellschaft hätte bauen können, um zu helfen, diese Missstände zu beheben, die sie heute noch anprangert.

Dazu hätte sie aber die Fähigkeit besitzen müssen, mit Differenzierung statt Pauschalisierung das Problem beim Namen zu nennen. Dafür hätte sie präzise sein müssen. Es wäre nur ehrlich gewesen, hätte sie wie andere seriöse Integrations- und Migrationsforscher auch auf die empirische Entsprechung ihres Untersuchungsgegenstands hingewiesen. Dann hätte sie gesagt: „Ja, Ehrenmord und Zwangsheirat sind Phänomene, die in den muslimischen Einwandererfamilien vorkommen. Dies betrifft aber einen (geschätzten) Anteil von X-%. Dabei existieren diese Phänomene in diesen oder jenen Milieus in der Einwanderergesellschaft, die solche und diese Merkmale aufweisen. Man muss diesen entgegen treten, in dem man…“

Sie hätte eine interkulturelle Vermittlerin und eine zeitgenössische Aufklärerin werden können, wie sie von der Friedrich-Naumann-Stiftung im Hinblick auf die Verleihung des Freiheitspreises 2010 gepriesen wird. Stattdessen hat Necla Kelek die Ebene der Wissenschaftlichkeit zugunsten eines auf Alltagsbeobachtungen beruhenden Populismus verlassen. Sie ist vom dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn verpflichteten Subjekt zu einem nützlichen Objekt von Medien und politischen Interessen geworden. In der medialen Islamdebatte funktioniert sie als vermeintliche Insiderin und Kronzeugin, die unmittelbar aus dem so genannten islamischen Kulturkreis berichten kann.

Hier geht es aber nicht um Necla Kelek in Persona. Sie ist mit ihren Statements und ihrem Wirken ein Label der deutschen Integrations- und Islamdebatte geworden. Sie steht für etwas, nämlich für eine anti-islamische Haltung oder eine so genannte Islamkritik. Es geht vielmehr um die parteinahe Denkfabrik Friedrich-Naumann-Stiftung, die das Objekt Necla Kelek vereinnahmt, um scheinbar einen Freiheitsbegriff zu propagieren, der einer weißen Mittelschicht vorbehalten ist.

Wenn man genau hinschaut, dann ist es schon ein äußerst bemerkenswerter Vorgang, der im Hinblick auf die Preisverleihung stattfindet: Necla Kelek wird auf dieselbe Stufe gestellt wie Dietrich Genscher und dem kürzlich mit dem Literatur-Nobelpreis geehrten Mario Vargas Llosa. Beide mit dem Freiheitspreis (2006/2008) ausgezeichneten Personen blicken auf ein langes Leben, in dem sie eine unbestrittene Leistung auf ihren jeweiligen Gebieten erbracht haben. Die Ehrung einer Lebensleistung bei der 50jährigen Necla Kelek – im Sinne eines Kampfes für die Freiheit – erscheint inkonsequent.

Dass der Islam zur Lebenswirklichkeit Deutschlands gehört, wozu der Bundespräsident Christian Wulff in seiner Bremer Rede zum Tag der Deutschen Einheit deutliche Worte fand, ist nicht nur eine frische, junge Erkenntnis. Die Kritiken, die den Bundespräsidenten nach seiner Rede erreicht haben, drücken auch aus, dass wir uns inmitten eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses darüber befinden, ob und inwiefern der Islam zu Deutschland gehört oder nicht. Necla Kelek ist in diesem stattfindenden Prozess eine Akteurin.

Die Friedrich-Naumann-Stiftung erkennt in Necla Kelek ein „Beispiel, wie gut Muslimen die Integration in die europäische Wertegemeinschaft gelingen kann.“ Sie ist also das Maß, an das sich die Muslime orientieren sollen, wenn sie sich in diese Gesellschaft integrieren wollen. Die Begründung offenbart einen einseitigen und obrigkeitsfreundlichen Integrationsbegriff der Friedrich-Naumann-Stiftung. Es stellt sich sodann die Frage, ob beispielsweise eine Muslima, die Kopftuch trägt, die Gebote ihrer Religion achtet, ihre Bildungssozialisation in Deutschland abschloss, nicht in der Lage ist, sich mit der europäischen Wertegemeinschaft zu identifizieren? Oder anders gefragt: Was müsste die Kopftuch-tragendende Muslima tun, damit sie die Voraussetzungen für erfolgreiche Integration erfüllt? Will die Denkfabrik Friedrich-Naumann-Stiftung damit sagen, dass das Privileg der Freiheit einem Menschen gehört, der ist, wie man gewollt ist?

Necla Kelek ist keine unumstrittene Person. Nicht nur deutsch-türkische Intellektuelle und Kulturschaffende wie Hilal Sezgin oder Feridun Zaimoglu kritisieren sie. In den Feuilletons deutscher Zeitungen waren sie und ihr Gedankengut Gegenstand heftiger Kontroversen. Daher ist es erstaunlich, dass der Juryausschuss – dessen Mitglieder mit Ausnahme der Vorsitzenden im Übrigen unbekannt sind – auf Nachfrage die Entscheidung zur Verleihung des Freiheitspreises an Necla Kelek einstimmig getroffen hat. Fand bei der Auswahl und Benennung von Necla Kelek keine interne Kontroverse statt? Fand sich niemand, der zumindest seine Stimme enthalten hat?

Eine Denkfabrik wie eben die Friedrich-Naumann-Stiftung ist ein intellektueller Vorfeld-Betrieb. Sie ist der gesellschaftsanalytische Sinnesorgan einer Partei, der die Gesellschaft beobachtet, Entwicklungen, Veränderungen und Phänomene aufbereitet, diskursfähig macht und in die Partei und Öffentlichkeit zurückführt. Eine Denkfabrik ist nur so gut, wie es ihr gelingt, die in der Gesellschaft gelebte Vielfalt strukturell, programmatisch und personell zu spiegeln.

Mein Fazit: Die Friedrich-Naumann-Stiftung ignoriert, dass der Islam in der Lebenswirklichkeit Deutschlands angekommen ist. Es gibt nicht den Islam! Die Denkfabrik ist blind für die Vielfalt im gelebten Islam und in den muslimischen Einwanderermilieus, wo Atheisten, Agnostiker und Laizisten, Gläubige, Orthodoxe und Fundamentalisten nebeneinander existieren und miteinander streiten.

Mit der Würdigung von Necla Kelek gibt die Denkfabrik in Richtung der Partei und Öffentlichkeit ein politisches Statement ab. Durch Vereinnahmung des Objekts Necla Kelek präferiert sie einen obrigkeitsfreundlichen Integrationsbegriff. Dieser ist aber nicht freiheitlich.

Freiheitlich ist, wenn eine junge Muslima kein Kopftuch tragen muss, wenn sie es nicht möchte. Und sie Kopftuch tragen darf, wenn sie es will. Und es ist an der Zeit, die Freiheit jener Menschen zu schützen und zu verteidigen, die ihre Religion leben und achten möchten. Denn – und das scheint die Friedrich-Naumann-Stiftung vergessen zu haben –die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt in einer Gesellschaft ist stets das Ergebnis einer gelebten Freiheit. Aktuell Meinung

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  1. Klauspeter sagt:

    Sehr geehrter Kamuran Sezer,

    vielen Dank für Ihren Artikel. Allerdings vermisse ich an Ihrer Perspektive die Realität unserer Informationsgesellschaft, in der jener Gehör findet, der nur laut genug tönt. Das konnten Sie — egal, wie Sie seine Thesen beurteilen — sehr gut an den Aktionen von und den Reaktionen auf Thilo Sarrazin erkennen, auch schon vor seinem Buch.

    Dasselbe gilt auch für Necla Kelek, welcher ich primär hehere Motive unterstelle. Ohne eine entsprechende Polarisierung kommt sie nicht aus, wenn Sie gehört werden will. Damit besteht zwar immer die Gefahr, daß sie ausspricht, was Idioten hören wollen. Trotzdem habe ich nicht den Eindruck, daß es Frau Kelec darum ginge, den Islam oder die Muslime zu verunglimpfen. Warum setzt sich wohl so eine hervorragend ausgebildete und gut versorgte Frau Morddrohungen aus? Wegen ein paar Euro? Des Ruhmes wegen?

    Auf der sachlichen Ebene darauf einzugehen, was Frau Kelec sagt, hätte Ihnen gut angestanden. Sie hätten beispielsweise etwa das berühmte „X“ in „X-%“ beziffern können. Vielleicht hätten Sie sogar sagen können: bei muslimischen Einwanderern liegt die Zahl der Ehrenmorde bei m Promille, bei buddhistischen bei n Promille, und bei christlichen bei p Promille. Sie wissen schon: Differenzierung.