Zuwanderungs-Debatte
Potentiell folgenreich – Seehofers “7-Punkte-Programm” zur Integration
Das von Horst Seehofer aufgestellte „7-Punkte-Programm“ zur Integration könnte die CSU programmatisch nach rechts verschieben. Die CSU wird entscheiden müssen, ob sie eine mehrheitsfähige Volkspartei bleiben oder zu einer xenophoben Protestpartei degenerieren möchte.
Von Philipp Freiherr von Brandenstein Donnerstag, 28.10.2010, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 20.10.2015, 6:57 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Am Montag dieser Woche tagte im Münchner Franz-Josef-Strauss-Haus der CSU-Parteivorstand. In der medialen Berichterstattung über diese Zusammenkunft dominierte die innerparteiliche Kontroverse über die Rente mit 67, welche Parteichef Seehofer kurzfristig und im Alleingang zur Disposition gestellt hatte. Offenbar gänzlich ohne Kontroversen wurde vom Parteivorstand der Christsozialen hingegen ein sogenannter „7-Punkte-Integrationsplan“ beschlossen.
Die Kernaussagen des Papiers haben – wenig überraschend – mit Integration wenig bis nichts zu tun. Vielmehr werden in der Vorlage lediglich die Aussagen des Parteivorsitzenden Seehofers schlagwortartig wiederholt. Demnach sei Deutschland kein Einwanderungsland und in der Folge eine Zuwanderungspolitik (z.B. nach Kontingenten oder einem Punktesystem für Hochqualifizierte) in jeder Form ebenso abzulehnen wie die doppelte Staatsbürgerschaft. Inhaltlich bietet der „Plan“ also nicht Neues, aber gerade das macht es so außerordentlich problematisch.
Dass dem Papier bisher so wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde, kann als untrügliches Indiz dafür gedeutet werden, dass sowohl politische Entscheidungsträger wie auch die politische Öffentlichkeit angesichts einer quälenden und qualvollen Integrationsdebatte eine gewisse Ermüdung verspüren. Zu viele Personen, Gremien, Institutionen und eben auch Parteien hatten sich bereits zum besagten Themenkomplex eingelassen.
Die Publikation eines weiteren Positionspapiers zur Integration – dazu aus der Feder der in dieser Frage als wenig originell bekannten CSU – vermochte die reizüberfluteten Journalisten nicht mehr zu Leitartikeln hinreißen und auch die pragmatischen (und die wenigen noch verbliebenen progressiven) CSU-Politiker nicht mehr zum Widerspruch bewegen.
Dieser etwas nachlässige Umgang mit dem CSU-Papier könnte sich jedoch schon bald als folgenreiche Fehleinschätzung erweisen, denn das inhaltlich dünne Pamphlet hat durchaus das Potential, nachhaltigen ökonomischen und gesellschaftspolitischen Schaden anzurichten. Sollten die Thesen Seehofers nunmehr programmatisch verankert werden, würde das politisch-programmatische Koordinatensystem der CSU zudem deutlich nach rechts verschoben.
Hintergründe
Das Papier muss von seiner Entstehungsgeschichte her betrachtet werden. Am Anfang des Papiers stand Seehofers im Focus-Interview geäußerte und seitdem mehrmals von ihm bestätigte Position, Deutschland sei kein Einwanderungsland und seine daraus gefolgerte Forderung nach einem Zuwanderungsstopp für Menschen aus „fremden Kulturkreisen“ (ein wenig originelles Chiffre für die Türkei).
Diese Einlassung Seehofers stellte zwar eine beispiellose Entgleisung dar. Um einen gänzlich unbeabsichtigten Lapsus handelte es sich jedoch nicht. Bereits seit Jahren werden von der Spitze der CSU-Landesleitung Konzepte über die politische Kapitalisierung xenophober Ressentiments verfolgt. Auch Seehofers Europawahl-Kampagne gründete auf der apodiktischen Ablehnung des EU-Beitrittes der Türkei. In der jüngeren Debatte verspürte Seehofer keinerlei Hemmungen, sich als Trittbrettfahrer Sarrazins zu gerieren. Diesem Kalkül seines Hauses folgte er auch mit seinen Äußerungen zu „fremden Kulturkreisen“
Doch mit eben diesen Formulierungen war Horst Seehofer eindeutig zu weit gegangen. Selbst die BILD-Zeitung kritisiert seine Äußerungen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen als populistische Lautsprecherei. Bedenkenträger aus seiner eigenen Partei hatte Seehofer hinter sich gelassen. Allein von seinem Generalsekretär Dobrindt sekundiert, wandelte er nunmehr irrlichternd in einem eigens erzeugten diffusen Nebel aus berechnender Ausländerfeindlichkeit und dumpfen rechtspopulistischen Ressentiments. Auf seiner ewig opportunistischen Suche nach Mehrheiten hatte Seehofer endgültig die Orientierung verloren und war vom Weg abgekommen.
Das kann kaum verwundern, denn Werte und Programmatik dienen dem CSU-Chef schon lange nicht mehr als verlässlicher Kompass für politische Positionierungen. Längst geht es nicht mehr um gesellschaftliche Verantwortung, sondern nur mehr um kurzfristige politische Geländegewinne.
Die Alleinstellung Seehofers korrespondierte mit einer zunehmenden Isolierung in anderen (meist ordnungspolitischen) Fragen. Die innerparteiliche Stimmung gegen den Vorsitzenden ist kurz vor dem Parteitag der Christsozialen auf dem Siedepunkt angelangt. Isolation kann in der Politik aber das schnelle Ende bedeuten.
Seehofer selbst wurde bald klar, dass er überreizt hatte. Hinter seine einmal eingenommene Einlassung konnte er aber nicht mehr ohne Gesichtsverlust zurück.
In dieser brisanten Lage war der gewiefte Taktiker Seehofer gezwungen, seine Position schnellstmöglich zu konsolidieren. Seehofer wusste, dass seine Isolierung nur aufgehoben wäre, wenn es ihm gelänge, die Partei ins Boot zu holen.
Im Falle der Ausländerdebatte bedeutete dies für den Parteivorsitzenden, seine fragwürdigen zuwanderungspolitischen Grundannahmen, die der kontroversen Forderung nach einem Zuzugsstopp von Türken und Arabern zugrunde lagen, in die offizielle parteipolitische Programmatik zu überführen.
Seine Schlussfolgerungen stünden dann auf dem Boden offizieller Parteitagsbeschlüsse. Nicht explizit erwähnt, doch gleichsam unwidersprochen, würde auch die Forderung nach einem Zuwanderungsstopp in den Rang einer offiziellen programmatischen Position der Regierungspartei CSU gelangen.
In diesem Sinne suchte Seehofer den CSU-Parteivorstand mit dem hektisch zusammen gebastelten Papier noch vor dem Parteitag auf seine Linie zu verpflichten und in Form eines Leitantrags beschließen zu lassen. Da dies am Montag gelang, ist es für den Vorsitzenden nun ein Leichtes, seine bislang nur persönlich geäußerte Position vom Parteitag absegnen zu lassen.
Die Folgen wären weitreichend. Sollen die 7-Punkte Seehofers von den Delegierten als Position der Regierungspartei CSU beschlossen werden, würde die Formulierung einer modernen Zuwanderungspolitik durch die Regierung Merkel zumindest in dieser Legislaturperiode schwierig, wenn nicht gar unmöglich.
Angesichts des Fehlens irgendeiner Zuwanderungspolitik und angesichts des eklatanten Fachkräftemangels in der deutschen Wirtschaft kündigt sich hier eine beunruhigende Blockade an, die nicht zuletzt auch deutsche Wirtschaftsinteressen tangiert.
Für die CSU selbst würde eine solche Positionierung nicht nur bedeuten, an Dialogfähigkeit mit vielen gesellschaftlichen und politischen Akteuren einzubüßen. Die Volkspartei CSU würde auch ein Stück jener vielgepriesenen Mitte preisgeben, wo (absolute) Mehrheiten errungen werden. Im Ergebnis stünde eine latent rechtspopulistische Partei, die ihre christlichen, sozialen und liberalen Wurzeln verlieren würde.
Das letzte Wort liegt nun bei den Delegierten. Sollten noch Kritik und Widerstand gegen den rechtspopulistischen Ruck in der CSU vorhanden sein, wäre jetzt eine gute Möglichkeit, diese zu äußern. Dies wäre auch im Interesse der CSU selbst, denn die opportunistische Wende nach rechts, die unter dem Vorsitz Seehofers vollzogen wurde, hat die strukturelle Mehrheitsfähigkeit der CSU weiter erodieren lassen. Die CSU dümpelt eher unterhalb als oberhalb von 40%.
Die Delegierten der Christsozialen werden sich am Wochenende entscheiden müssen, ob die CSU eine mehrheitsfähige Volkspartei bleiben soll oder sehenden Auges das Risiko in Kauf nimmt, zu einer xenophoben Protestpartei zu degenerieren. Aktuell Meinung
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Danke fuer diesen guten Artikel.