Geschichte
Warum es Streit um Kreuz und Kopftuch gibt
Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger zieht Parallelen zwischen heute und der Zeit nach dem Westfälischen Frieden. Symbole der Gegenseite dienten dazu, sich abzugrenzen und die Identität der eigenen Gruppe zu beschwören.
Freitag, 29.10.2010, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.11.2010, 5:28 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Religiöse Konflikte um Minarette, Kreuze und Kopftücher sind aus Historikersicht kein neues Phänomen. Auch in früheren Epochen und Kulturen habe sich Streit an der „symbolischen Markierung des öffentlichen Raumes“ durch Kirchbauten, Glockengeläut oder Prozessionen entzündet, sagte Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger am Dienstagabend in Münster. Die Forscherin des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) eröffnete die Ringvorlesung „Integration religiöser Vielfalt“ mit einem Vortrag über die konfessionellen Konflikte nach dem Westfälischen Frieden von 1648.
Auch nach dem Friedensschluss habe es noch häufig Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten gegeben, die heutigen Problemen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ähnelten, sagte die Leibniz-Preisträgerin. Symbole wie Wegekreuze, Bilder und Statuen und der Spott der Gegenseite dienten nach den Worten der Expertin dazu, „sich abzugrenzen und die Identität der eigenen Gruppe zu beschwören – nicht viel anders als heute wieder.“ Wie scharf die Konflikte ausfielen und ausfallen, hängt laut Stollberg-Rilinger stark von der sozialen und politischen Situation der Gläubigen ab. „Man kann auch sehr gut beobachten, wie machtpolitische und ökonomische Interessen aus religiösen Konfrontationen Nutzen ziehen und sie verschärfen.“
Der Westfälische Frieden
Der berühmte Westfälische Frieden, dessen Jahrestag Münster jedes Jahr im Oktober begeht, muss laut der Historikerin in diesem Zusammenhang anders bewertet werden als in Sonntagsreden üblich. Er werde stets als „Durchbruch des Toleranzprinzips“ und „Markstein für die friedliche Koexistenz der christlichen Konfessionen“ gefeiert. Diese „Meistererzählung von Säkularisierung und Modernisierung“ müsse modifiziert werden. „Nach 1648 brach kein Zeitalter der Toleranz aus – die alten Konflikte und Feindseligkeiten verschwanden nicht einfach.“ Aber der Westfälische Frieden habe dazu geführt, dass religiöse Konflikte rechtlich und nicht mehr mit Gewalt ausgetragen wurden. Das sei zweifellos ein wesentlicher Fortschritt gewesen.
Der Friedensvertrag schrieb vor, dass sich die konfessionellen Lager auf dem Reichstag nicht mehr überstimmen konnten, sondern friedlich einigen mussten. „Obwohl die Verfahren die konfessionellen Auseinandersetzungen nicht immer lösen konnten, wurde der Streit doch von einer religiösen auf eine rechtliche Ebene gehoben. “ Das Vertragswerk sei aber in sich widersprüchlich gewesen und von beiden Seiten unterschiedlich ausgelegt worden, was neue Konflikte bewirkte, so die Wissenschaftlerin. „Der Westfälische Friede imprägnierte gleichsam die ganze Reichsverfassung mit dem Konfessionsgegensatz“, sagte die Historikerin. „Auch politische Konflikte, die zunächst gar nichts mit Religion zu tun hatten, ließen sich konfessionell aufladen.“ Das habe zur Polarisierung und schließlich zum Untergang des Heiligen Römischen Reiches beigetragen.
Download: Folgende Materialien stehen zur gepanten Ringvorlesung bereit: Programm und die Termine
Ringvorlesung
In der öffentlichen Ringvorlesung „Integration religiöser Vielfalt von der Antike bis zur Gegenwart“ kommen 15 prominente Experten zu Wort, darunter der Frankfurter Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani. „Wir fragen in der Ringvorlesung: Wie funktioniert friedliches und gewaltfreies Zusammenleben von Menschen verschiedener Religionen in derselben Gesellschaft“, sagte Stollberg-Rilinger. Kommenden Dienstag spricht der evangelische Theologe Prof. Dr. Reinhard Achenbach zum Thema „Zwischen Mose und Zarathustra. Zur gesellschaftlichen Stellung der Juden im antiken Perserreich“.
Die Referenten der Reihe beleuchten aktuelle Fragen ebenso wie historische Beispiele von der Antike über das vormoderne China und Indien bis zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Es sprechen Historiker, Soziologen, Juristen, Judaisten, Theologen, Religionswissenschaftler und Ethnologen. Der Vortrag „Nach dem Westfälischen Frieden – Wie gut vertrugen sich die Konfessionsgruppen im Römisch-Deutschen Reich?“ war Teil der Reihe „Dialoge zum Frieden“, mit der die Stadt Münster jedes Jahr an den Westfälischen Frieden erinnert. Aktuell Gesellschaft
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