Pressekonferenz
Die Statements zum 4. Integrationsgipfel
MiGAZIN dokumentiert die Pressekonferenz der vierten Integrationskonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Staatsministerin Maria Böhmer, Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Ministerpräsident Wolfgang Böhmer und Kenan Küçük, Geschäftsführer des Multikulturellen Forums e. V.
Donnerstag, 04.11.2010, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.11.2010, 2:53 Uhr Lesedauer: 21 Minuten |
Angela Merkel: Meine Damen und Herren, wir haben heute den 4. Integrationsgipfel abgehalten. Wie immer war die Zeit zu knapp, um überhaupt alle Wortmeldungen aufnehmen zu können. Wenn ich mich an den ersten Integrationsgipfel zurückerinnere, darf ich sagen, dass sich die Arbeitsatmosphäre doch sehr verändert hat. Heute ist es nicht mehr so, dass einige erstmals als Gast ins Bundeskanzleramt kommen, sondern wir haben miteinander eine richtige Arbeitsatmosphäre aufgebaut, in der man durchaus auch kontroverse Meinungen austauschen kann.
Wir haben angefangen mit einem Integrationsplan, der 400 Maßnahmen umfasst, die von Staatsministerin Böhmer zusammen mit anderen Mitwirkenden vereinbart wurden. Wir wollen jetzt als Vorbereitung auf den 5. Integrationsgipfel konkreter werden; wir wollen unsere Maßnahmen überprüfbar machen und auch klare Zeitangaben machen. Das Ganze wird ein Aktionsplan, sodass dann wirklich abgerechnet werden kann: Was haben wir geschafft, was haben wir nicht geschafft?
Ein Beispiel dafür war heute, dass der Innenminister darüber berichtet hat, wie die Integrationskurse laufen. Man kann sagen: Wir werden in Deutschland in etwa fünf bis sieben Jahren allen Menschen, die ein Interesse an einem solchen Integrationskurs haben wir schätzen, das werden etwa 1,8 Millionen Menschen sein, das Angebot gemacht haben und die Möglichkeit gegeben haben, hier einen solchen Kurs zu absolvieren. Da diese Kurse schon eine Weile laufen, können wir sagen: Wir werden in zehn Jahren von 2005 an gerechnet das geschafft haben, was 30 Jahre lang versäumt wurde. So wollen wir uns im Bereich der Schulabbrecher, im Bereich der Berufsausbildung und in vielen anderen Bereichen quantifizierbare Ziele setzen, um dann zu sagen: Haben wir sie eingehalten, woran hakt es, warum geht es nicht? Das ist die neue Qualität unserer Zusammenarbeit.
Der vierte Integrationsgipfel war ...nur heiße Luft. (88%) ausreichend. (8%) ein voller Erfolg. (4%)Wird geladen ...
Der zweite wichtige Punkt, der heute jenseits der einzelnen Themenfelder, die wir behandelt haben, immer wieder eine Rolle gespielt hat, ist die Tatsache, dass wir ein Land sind, in dem wir sowohl über das, was gelungen ist, was erfolgreich ist, sprechen, in dem wir aber auch und dazu gab es heute auch eine ganze Reihe von Beiträgen aussprechen können, was noch nicht gelungen ist. In diesem Zusammenhang hat das Thema Gewalt an der Schule, männliche Verhaltensmuster, die zum Teil auch in der Schule oder in der Öffentlichkeit gelebt werden heute eine Rolle gespielt. Es wurde über die Frage diskutiert: Wie geht man damit um? Auch diese Themen müssen auf den Tisch und können besprochen werden.
Ich habe mich sehr gefreut, dass zu allen drei Themengruppen, die wir hatten, erstens Sprache, zweitens Integration vor Ort sowie Gewalt und Prävention, drittens Ausbildung und Berufsausbildung, von den Migrantenverbänden immer wieder deutlich gesagt wurde: Auch wir müssen dort, wo es um das Fordern geht, nicht nur beim Fördern, sondern auch beim Fordern, deutlich machen, dass wir die Regierung und die Politik in ihrer Arbeit unterstützen.
Wir haben heute sowohl aus dem Schulbereich als auch aus dem Unternehmensbereich sehr beeindruckende Beispiele für gelungene Migration von erfolgreichen Unternehmern und Lehrern gehört. Insofern glaube ich, dass wir hier auf einem Weg sind, der noch lange nicht zu Ende ist und der sicherlich immer wieder neue Probleme aufwerfen wird, aber bei dem wir auch auf bestimmte und viele Erfolge hinweisen können.
Ich glaube, es ist eine einmalige Gruppe, die sich heute getroffen hat: 120 Beteiligte, viele Migrantenverbände, Politiker aus allen Ebenen Ministerpräsidenten, Bundesminister, Oberbürgermeister, kommunale Spitzenverbände, die Medien, der Sport ein ganz wichtiger Integrationsfaktor, die Gewerkschaften, die Wirtschaft, Kirchen und Religionsgemeinschaften also unsere Gesellschaft. Es ist auch deutlich geworden: Natürlich ändert sich auch unsere Gesellschaft durch gelungene Integration. Das heißt, Integration ist niemals eine Einbahnstraße, sondern erfordert immer auch eine Offenheit auf allen Seiten.
Ich glaube, es war ein guter Gipfel.
Maria Böhmer: Ich will zum einen noch einmal ganz kurz in den Blick rücken, dass wir heute den Startschuss für die Entwicklung des Nationalen Aktionsplans gegeben haben das ist das, was die Bundeskanzlerin eben in den Blick gerückt hat, als sie gesagt hat, dass wir überprüfbare Ziele formulieren wollen. Im nächsten Jahr um etwa diese Zeit soll dieser Nationale Aktionsplan dann vorliegen.
Wir wollen ihn gegenüber dem Nationalen Integrationsplan um zwei neue Themenfelder ergänzen, und zwar zum einen um das Thema Gesundheit und Pflege. Das ist ein Thema, das angesichts einer Migrantengeneration, die auch älter wird, wachsende Bedeutung hat; von daher stellen sich diese Fragen verstärkt. Dieses Thema gewinnt aber auch mit Blick auf Kinder und Jugendliche Stichwort Prävention an Bedeutung. Das zweite neue Themenfeld wird sein: Migranten im öffentlichen Dienst. Der öffentliche Dienst hat eine Vorreiterfunktion. Wir wissen auch um die wichtige Brückenfunktion von Migranten, ob in der Polizei das war heute bei der Schilderung der Situation in sozialen Brennpunkten noch einmal sehr erfahrbar, bei Lehrerinnen und Lehrern, die selbst Migrationserfahrungen haben, oder in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Wir wollen auch dafür sorgen, mehr Auszubildende im öffentlichen Dienst zu haben, die selbst aus Migrantenfamilien stammen.
Das Zweite ist: Ich glaube, wir haben erneut erfahren können, dass Migrant nicht gleich Migrant ist. Man muss einen sehr viel differenzierteren Blick auf diese Gruppe haben. Man muss sehen: Es gibt sehr erfolgreiche Migranten, die Unternehmer, Ärzte, Rechtsanwälte oder Ingenieure sind und die bei uns Arbeitsplätze schaffen; jeder 20. Arbeitsplatz in Deutschland stammt aus einem Unternehmen, das von einem Migranten geführt oder gegründet worden ist. Zum anderen dürfen wir dort, wo es noch Probleme gibt, wo wir noch Bildungsrückstände aufzuholen haben, wo Sprachförderung notwendig ist oder wo der Übergang von der Schule in die Ausbildung besser klappen muss, aber nicht die Augen verschließen.
Der dritte Punkt ist – darüber bestand vom Vorgespräch bis zum Zusammentreffen im Plenum Übereinstimmung: In den letzten fünf Jahren haben wir wirklich viel Boden gut gemacht. Die Integrationssituation, wie sie übereinstimmend ausgetauscht worden ist, wird besser eingeschätzt, als die Debatte der letzten Wochen es gezeigt hat. Ich glaube, wir können heute auch mit Fug und Recht feststellen: Früher mussten wir immer fragen, was das Nachbarland macht was macht Kanada, was machen die USA?; heute machen wir die Erfahrung, dass man selbst in Kanada fragt, was wir in Deutschland machen, wenn es beispielsweise um die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen geht.
Der große Schritt nach vorne wird sein, dass wir es schaffen, Integration konkret zu machen und Integration gemeinsam zu gestalten. Das ist der Weg, den wir in die Zukunft gehen wollen.
Wolfgang Böhmer: Für einen nicht geringen Teil der Probleme und der notwendigen Lösungen sind nach unserer bundesstaatlichen Kompetenzordnung die Länder zuständig. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Länder immer mit im Boot sind und nicht nur die Ziele auch als ihre Ziele erklären, sondern die praktische Umsetzung und Lösung mit organisieren. Das beginnt bei der vorschulischen Sprachausbildung. In allen 16 Ländern in Deutschland gibt es einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, meistens ab dem dritten Lebensjahr. In allen 16 Ländern in Deutschland gibt es eine verpflichtende Sprachprüfung, meistens etwa ein Jahr vor der Einschulung, mit der Möglichkeit, festgestellte Sprachdefizite bei den Kindern durch entsprechende Förderung auszugleichen, bevor sie in die Schule eintreten.
Zu den Aufgaben der Länder gehört auch die Bildungspolitik. Es ist schon angesprochen worden, dass wir eine hohe Schulabbrecherquote haben, die bei den Kindern mit Migrationshintergrund deutlich höher ist als bei den Kindern ohne Migrationshintergrund. Ich würde aber sagen: Sowohl die Defizite bei der Sprachfähigkeit im Vorschulalter als auch das Problem der Schulabbrecher sind nicht nur ein Problem von Kindern mit Migrationshintergrund, sondern das haben wir auch bei Kindern ohne einen solchen familiären Hintergrund. Deswegen ist das ein Problem, das ziemlich umfassend angegangen werden muss.
Ein anderes Problem, für das die Länder auch zuständig sind nicht allein, aber doch in nicht geringem Umfang, ist die Anerkennung von Qualifikationsnachweisen, die im Ausland erworben worden sind. Das ist ein schwieriges Problem. Die Kultusminister beschäftigen sich seit fast zwei Jahren damit. Wir haben auf der letzten Ministerpräsidentenkonferenz die KMK verpflichtet, uns bis zur nächsten Sitzung der Ministerpräsidenten im Dezember Bericht zu erstatten, zusammenzufassen und aufzulisten, welche konkreten Probleme jetzt gelöst werden müssen. Es ist ja keine Lösung des Problems, wenn wir ewig darüber reden; vielmehr müssen, nachdem eine Bestandsanalyse in Auftrag gegeben ist, Entscheidungen getroffen werden. Ich denke, das wird auch kommen.
Die Länder sind auch für die Polizei wenigstens für die Landespolizei und in diesem Zusammenhang auch für die Präventionsarbeit zuständig, speziell was Gewalt und auch Rechtsradikalismus angeht. Das sind Probleme, die uns in diesem Zusammenhang aber nicht neu sind und zu denen es seit längerer Zeit auch bei allen Polizeien der einzelnen Länder spezielle Gewaltpräventionsprogramme gibt. Sich darüber auszutauschen und zu sehen, welche Probleme und welche Erfahrungen in den einzelnen Ländern gemacht worden sind, ist ein Prozess, der schon eine Zeitlang läuft und der deutliche Erfolge zeitigt, sodass wir optimistisch sind, auch die heute angesprochenen Probleme, deren Lösung jeweils als Aufgabe formuliert worden ist, wenigstens schrittweise lösen zu können.
Thomas de Maizière: Ich habe heute noch einmal die Rolle der Integrationskurse gewürdigt und das sogenannte aufenthaltsrechtliche Paket vorgestellt, das das Bundeskabinett vor kurzem verabschiedet hat und das jetzt in der Gesetzgebung ist. Beides zusammen zeigt, dass Integration eine Differenzierung braucht in der Analyse und in dem, was zu tun ist. Weder darf man die Probleme kleinreden, beschönigen, wegdefinieren, noch darf man vor lauter Problemen die Erfolge nicht sehen. Vielmehr sind die differenzierte Analyse und auch eine differenzierte Sprache Teil der Lösung des Problems. Darüber waren sich, glaube ich, alle Teilnehmer dieses Gipfels einig. Ich glaube, die politische Führung wenn ich das einmal so altmodisch sagen darf hat im Umgang mit diesem Thema auch eine Vorbildfunktion.
Die zweite Bemerkung: Wir arbeiten sehr eng mit dem Sport zusammen, sowohl mit dem Deutschen Olympischen Sportbund als auch mit dem Deutschen Fußball-Bund. Das hat zwei Ziele, erstens die Integration in den Sport dabei sind wir sehr weit und zweitens die Integration durch den Sport in die Gesellschaft. Das ist eine wunderbare Aufgabe, die in dieser Breite und Tiefe kaum eine andere Verbandsstruktur in unserer Bevölkerung sowie der Sport leisten kann. Das geht vom Spitzensport, wie Sie alle wissen, bis hin zum kleinen Fußballverein um die Ecke. Darin liegen Chancen, und diese wollen wir weiter nutzen.
Kenan Küçük: „Multikulti ist gescheitert“ – das hat man in den letzten Tagen immer wieder zu hören oder lesen bekommen. Aber, meine Damen und Herren, Sie sehen: Ich sitze hier als Geschäftsführer des Multikulturellen Forums, das in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert, auf einer Pressekonferenz mit der Bundeskanzlerin, der Integrationsbeauftragten, Ministerpräsident Böhmer und natürlich dem Innenminister zusammen. Wie Multikulti funktioniert hat, hat Frau Böhmer vor Ort im Kreis Unna selbst erlebt.
Die multikulturelle, plurale Gesellschaft ist Realität, ist die Zukunft. Der Islam gehört zu Deutschland, so hat es unser Bundespräsident Christian Wulff zu Recht formuliert und damit erneut eine Debatte über Werte unseres Landes ausgelöst. Es ist nicht nur der Islam, der neben Christentum und Judentum zu Deutschland gehört. Auch viele andere Religionen und Glaubensrichtungen wie der Buddhismus, Hinduismus, dass Alewitentum, aber auch der Atheismus gehören zu Deutschland. Sie sind hier vertreten und müssen respektiert werden. Diese kulturelle Vielfalt widerspricht unserem Verhältnis zum Staat, unserem Grundgesetz nicht. Ganz im Gegenteil: Das Grundgesetz ermöglicht erst eine solche Vielfalt in unserem Lande. Deutschland hat bereits eine klar definierte Leitkultur: die Werte, die in unserem Grundgesetz festgeschrieben sind. Auf diese können und müssen wir uns alle einig.
Vielfalt ist für unser Land ein Gewinn. Die Debatten in der Sache müssen genau diese Vielfalt berücksichtigen. Das Thema wird zu sehr auf den Aspekt der Sprache reduziert. Es ist völlig klar, dass die deutsche Sprache enorm wichtig ist. Das Thema muss aber differenzierter betrachtet werden. Wir hören immer wieder „Die Migranten sollen Deutsch lernen“. Über wen reden wir dabei, über die erste Generation, die vor 50 Jahren nach Deutschland kam, oder über die dritte, vierte Generation, die hier geboren worden ist? Das größte und wichtigste Thema ist es doch, denjenigen, die hier zur Schule gegangen sind, gleiche Chancen zu ermöglichen. Das ist unser Bildungsauftrag. Für mich ist es egal, ob das Kind Mia, Kevin, Selma oder Ali heißt. Wenn es unser Bildungssystem nicht schafft, soziale Ungleichheiten besser auszugleichen, dann müssen wir dringend etwas daran ändern.
Wir dürfen in den Debatten nicht ständig Äpfel mit Birnen vergleichen und bei jedem Migranten, der nur gebrochen Deutsch spricht, den Generalsverdacht aussprechen, der Migrant sei nicht willig, Deutsch zu lernen. Wir müssen außerdem dringend das Lagerdenken überwinden. Wir müssen aufhören, über „die“ und „uns“, über „ihr“ und „wir“ zu sprechen. Wir müssen Klischees überwinden und Stereotypen vermeiden. Das gilt natürlich für alle.
Es ist wichtig, dass Migranten gegenüber nicht immer fast automatisch dieselben Anschuldigungen gemacht werden. Auch wir Migranten müssen aufhören, jede Kritik als Angriff zu begreifen und automatisch zu Abwehrreaktionen zu greifen. Schließlich gibt es auch berechtigte Kritikpunkte, die ernst genommen werden müssen. Wir Migranten müssen untereinander eine gesunde Diskussionskultur und klare Vorstellungen über Zukunftsperspektiven in diesem Land entwickeln.
Was ich von der Politik erwarte, ist mehr Verbindlichkeit in der Sache. Wir brauchen nicht alle paar Jahre erneut darüber zu diskutieren, ob Deutschland nun ein Einwanderungsland ist oder nicht. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Für mich stellt sich eher die Frage: Wie möchten wir diese Einwanderungsgesellschaft gestalten? Es gibt dabei einige Tatsachen. Es ist ein Fakt, dass Migranten seit mehr als 50 Jahren in Deutschland leben. Es ist ein Fakt, dass beinahe jeder Fünfte in Deutschland einen Migrationshintergrund hat, Tendenz steigend. Es ist ein Fakt, dass die Menschen hier heimisch sind und ihre Zukunft hier sehen. Es ist auch ein Fakt, dass Migranten Verantwortung für dieses Land übernommen haben und auch mehr Verantwortung übernehmen möchten.
Debatten mit dem Fokus auf Defiziten und einseitige Diskussionen, wie sie derzeit geführt werden, nähren Ablehnung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Diese Entwicklung beobachten wir mit großer Sorge. Daher fördern wir eine beständige, ehrliche Integrationspolitik. Lassen Sie uns dieses Thema alle zusammen anpacken und die Zukunft gemeinsam gestalten!
Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben schon vor Jahren unter anderem im Nationalen Integrationsplan das Ziel formuliert, dass mehr Migranten in den öffentlichen Dienst kommen sollen. Es gibt auch schon Beispiele wie Hamburg, wo es, glaube ich, um 20 Prozent der Auszubildenden geht. Was können Sie sich denn für den Bund vorstellen?
Zur zweiten Frage: Herr Kolat von der TGD hat heute die Befürchtung formuliert, dass die gegenwärtige Integrationsdebatte Migranten mehr und mehr ausgrenzt. Wie haben Sie darauf reagiert? Inwieweit können Sie das nachvollziehen?
Angela Merkel: Ich glaube, dass manches, was in der Diskussion war, die Migranten sicherlich nicht erfreut hat. Das ist ganz klar. Man hat heute auch gespürt ich habe ein Vorgespräch mit den Vertretern der Migrantenverbände geführt, dass die Sorge besteht, dass alles über einen Kamm geschoren wird und die gelungenen Beispiele nicht so recht zur Geltung kommen. Das hat Herr Küçük eben ja auch zum Ausdruck gebracht. Deshalb müssen die differenzierten Diskussion sowohl über das, was man nicht geschafft hat, als auch über das, was man geschafft hat, auseinandergehalten werden und genauso differenziert geführt werden, wie man die Diskussion über diejenigen führt, die ganz unterschiedlich sind, obwohl sie vielleicht schon seit Jahrhunderten mit ihren Familien hier leben. Dieser Anspruch ist sehr klar formuliert worden.
Was die Frage des öffentlichen Dienstes anbelangt, so gibt es hierbei sicherlich noch eine Menge Nachholbedarf – auch auf der Bundesebene. Es zeigt sich, dass man immer erst einmal langsam Einstellungen vornehmen muss, um dann zu schauen, dass man daraus auch Beförderungen machen kann. Ich weiß nicht, ob Thomas de Maizière noch etwas dazu sagen möchte, weil es gerade im Innenbereich eine Vielzahl von Stellen gibt. Ich habe jedenfalls in meinem politischen Leben immer geschaut, dass man auch Türkischstämmigen oder Menschen mit einem anderen Migrationshintergrund immer wieder eine faire Chance gibt, und ich bin dabei nie enttäuscht worden.
Thomas de Maizière: Es reicht nicht aus, auf Bewerbungen zu warten und dann bei gleicher Leistung Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen, sondern wir müssen dorthin gehen, wo viele sind. Wir sind etwa vor einiger Zeit im Rahmen einer größeren Aktion in Wiesbaden in anderen Städten wird das fortgesetzt mit der Bundespolizei in eine Gesamtschule mit einem Migrantenanteil von 80 Prozent gegangen dies auch mit der Technik, die die Bundespolizei bietet, um junge Männer und junge Frauen für diesen Beruf zu begeistern. Das wird im Unterricht bearbeitet und setzt sich dann in Form von Praktika am Flughafen fort. Wir hoffen, dass daraus dann auch Bewerbungen entstehen werden.
Wir müssen also, glaube ich, nicht nur warten, bis sich jemand bei uns bewirbt, und dann mit oder ohne Quote ich halte wenig von der Quote Leute einstellen, sondern wir müssen gezielt nicht nur die Bundespolizei, sondern alle Bundesbehörden in die Viertel, Schulen und Milieus gehen, um auch zu einer Bewerbung zu ermuntern. Das ist der richtige Weg.
Frage: Meine Frage betrifft den Haushalt. Frau Ministerin Schröder hat angekündigt, 400 Millionen Euro für die Sprachförderung der Vorschulkinder bereitzustellen. Aus welchem Haushalt kommt dieses Geld? Sind das zusätzliche Mittel? Inwiefern ist die gesamte Integrationsfrage eine Geldfrage? Will die Bundesregierung insgesamt mehr Mittel bereitstellen? Die Opposition kritisiert, dass zum Beispiel Mittel für die Soziale Stadt oder für die interkulturelle Bildung gekürzt werden.
Angela Merkel: Das sind Mittel aus dem Haushalt des Familienministeriums. Ich finde, das ist ein sehr sinnvoller Einsatz, weil gerade in der frühkindlichen Entwicklung die Sprache sehr wichtig ist und weil im Hinblick hierauf Manches oft im Rahmen der Regelerziehungsleistungen nicht geleistet werden kann. Wenn zusätzliche Kräfte in Kindertagesstätten kommen, in denen ein hoher Migrantenanteil vorhanden ist, dann ist das mit Sicherheit zu begrüßen.
Ministerpräsident Böhmer hat auf die Zuständigkeiten hingewiesen; aber wir haben uns bei guten Sachen eigentlich immer geeinigt und sie schließlich doch gemeinsam hinbekommen.
Integration ist mit Sicherheit nicht nur eine Geldfrage. Dennoch ist es gut, dass wir in den letzten Jahren zum Beispiel einen starken Aufwuchs bei den Integrationskursen hatten und dass wir das auch auf hohem Niveau weiter fortsetzen. Ich sagte ja: Wir werden nicht in einem Jahr alle Wünsche befriedigen können. Aber wenn wir sagen könnten, dass wir von 2005 bis 2015 in Deutschland etwas nachgeholt haben, was 30 Jahre lang nicht möglich war, dann wäre das, wie ich finde, schon eine sehr positive Erfolgsbilanz.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, Sie würden die Versäumnisse von 30 Jahren bis zum Jahr 2015 beseitigen. Kann ich das so interpretieren, dass wir in fünf Jahren nicht mehr über Integration reden werden oder keine Integrationsprobleme mehr haben werden?
Angela Merkel: Nein. Ich habe mich auf die Integrationskurse bezogen. Ich glaube nicht, dass wir in allen Fragen der Integration dann schon am Ende unserer Arbeit sind. Wir werden diesbezüglich sicherlich von Generation zu Generation immer wieder viel miteinander zu tun haben. Es gibt ja ganz unterschiedliche Themen. Die jungen Menschen haben dadurch, dass es jetzt auch Sprachüberprüfungen gibt, bevor die Kinder in die Schule kommen, dass von vornherein auf die Sprache geachtet wird, eine ganz andere Chance, später ihre Lehrer und ihre Mitschüler zu verstehen. Das ist viele Jahre lang nicht gemacht worden.
Wir haben immer wieder das Thema der nächsten Generation in den Blick zu nehmen, und jede Generation wird vielleicht auch ihre eigenen Probleme haben. Was wir den jungen Menschen sagen können, ist das war viele Jahre nicht so: Auf dem Arbeitsmarkt gibt es alle Chancen. Für jeden, der lernt, für jeden, der sich bildet, für jeden, der einen guten Schulabschluss macht, wird es einen Ausbildungsplatz geben. Nach der deutschen Einigung hatten viele Kinder mit Migrationshintergrund Angst und dachten: Wir kommen nicht mehr dran; jetzt sind da auch noch die Ostdeutschen. Diese Zeit ist überwunden, und jeder, der sich darauf einstellt zu lernen, wird eine Chance haben. Das ist, finde ich, eine gute Nachricht für die Kinder mit Migrationshintergrund.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, würden Sie auch nach diesem Gipfel wieder sagen, Multikulti sei gescheitert, und wenn ja, was wollen Sie eigentlich damit genau zum Ausdruck bringen?
Angela Merkel: Ich will zunächst sagen, in welcher Art und Weise ich das verstehe. Das ist ein Ansatz, den es jahre-, wenn nicht jahrzehntelang gab und der davon ausgegangen ist, um Integration als solche müsse man sich nicht kümmern, man lasse die Menschen einfach nebeneinanderher leben; dann werde sich das schon von ganz alleine regeln. Das hat sich als nicht richtig erwiesen. Vielmehr muss eine politische Kraftanstrengung und eine gemeinsame gesellschaftliche Anstrengung unternommen werden, um diese Integration zu schaffen. Sie ist immer damit verbunden, dass unser Land vielfältiger wird. Das ist überhaupt keine Frage. Dass Vielfalt ein Teil unserer Gesellschaft ist, hat uns im Übrigen schon immer stark gemacht. Ich stimme auch zu, dass sich dies nicht auf die Sprache reduziert. Aber wer die Sprache gar nicht beherrscht, hat auch schlechte Möglichkeiten der Teilhabe. Es geht um grundlegende Werte, die wir miteinander teilen müssen. Insofern, glaube ich, ist es notwendig, Aufmerksamkeit auf Sprache, Werte und Ausbildung und darauf zu legen, dass wir dabei vorankommen. Diese Aufmerksamkeit ist in der Zeit, als man die Menschen einfach hat nebeneinanderher leben lassen, eben nicht aufgebracht worden.
Ursula von der Leyen hat zum Beispiel eine interessante Zahl genannt: Wir gehen davon aus, dass 30 Prozent der Arbeitsuchenden Menschen mit Migrationshintergrund sind, aber nur 10 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund nehmen an den arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil. Daran sehen Sie, dass wir insoweit Nachholbedarf haben und dass wir speziell hierauf achten müssen, dass wir fragen müssen: Warum ist das so? Die Aufmerksamkeit, die man dem Thema der Integration widmet, ist stärker geworden, sie ist notwendig, und sie ist gut für die gesamte Gesellschaft. Das ist das, was ich sozusagen als das Gegenteil von dem verstehe, was ich als Multikulti beschrieben habe.
Frage: Sie sagten neulich gegenüber der Presse, dass zu viele Zuwanderer das Land verlassen, speziell die mit einem Universitätsabschluss. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Liegt es vielleicht daran, dass es in Deutschland nicht genügend Möglichkeiten für diese Menschen gibt? Oder gibt es einen anderen Grund?
Frau Böhmer hat vorhin die Anerkennung von Berufsabschlüssen angesprochen. Wie ist die Prozedur? Wann werden sie anerkannt?
Angela Merkel: Wir haben im Augenblick eine negative Zuwanderungsbilanz, das heißt es verlassen mehr Menschen das Land als Menschen ins Land kommen. Wenn wir jetzt einmal die Türkei nehmen, so hängt das zum Beispiel damit zusammen, dass die Türkei ein Land mit einer großen wirtschaftlichen Dynamik ist, dass es dort sehr gute Arbeitschancen gibt, dass es intensive Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Türkei gibt und dass Menschen, die hier aufgewachsen sind und eine prima Ausbildung haben, natürlich sehr gute Arbeitschancen gerade in der Türkei haben und diese Arbeitschancen auch nutzen. Das ist ja auch ganz normal.
Deshalb müssen wir schauen, dass auch wir Fachkräften und gut ausgebildeten jungen Leuten exzellente Arbeitsmöglichkeiten geben. Ansonsten werden sie sich in einer zusammenwachsenden Welt ihren Arbeitsplatz dort suchen, wo Sie den besten für sich finden.
Wir sind aber auch nicht dagegen, dass jemand, der in Deutschland studiert hat, für eine bestimmte Zeit zum Beispiel in die Türkei oder in ein anderes Land geht, um zu arbeiten. Vielleicht kommt er ja auch eines Tages wieder.
Was die Berufsabschlüsse anbelangt, so ist es unser Anspruch, dass jemand nach einer bestimmten Zahl von Monaten sagen wir, nach drei Monaten, wenn er zu einem Amt geht, auch eine Auskunft erhält, ob sein Berufsabschluss anerkannt wird oder nicht und was man gegebenenfalls tun muss, um diesen Berufsabschluss anerkannt zu bekommen. Das gestaltet sich bei uns deshalb so schwierig, weil die Bundesregierung dafür gar nicht zuständig ist. Die Länder erkennen vielmehr diese Berufsabschlüsse an. Das wird gemeinsam mit den Handelskammern gemacht. Insoweit muss jetzt etwas zügiger gearbeitet werden, weil natürlich auch von Berufsanerkennung zu Berufsanerkennung bestimmte Unterschiede bestehen. Man muss sagen, was der Qualitätsstandard in Deutschland ist, was der Qualitätsstandard der Ausbildung in einem anderen Land ist und was man gegebenenfalls noch zusätzlich lernen muss.
Wir wollen das Thema aber jetzt nicht weiter diskutieren, sondern das Problem lösen. Ich hoffe, dass wir, wenn wir über den 5. Integrationsgipfel berichten, nicht mehr sagen, wir wollten das machen, sondern dass wir es dann gemacht haben.
Wolfgang Böhmer: Ich möchte, dass eine Zahl, die Herr Küçük nur ganz nebenbei genannt hat, nicht untergeht. Er hat gesagt, dass bei jeder fünften Ehe, die in Deutschland geschlossen wird, wenigstens ein Ehepartner einen Migrationshintergrund hat. Ich muss sagen: Insoweit sind wir doch schon richtig gut. Die restlichen Probleme werden wir auch noch lösen. Aktuell Politik Videos
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