Critical und Incorrect
Integrationsdebatte und Menschenbild
Der aktuelle Diskurs über die angeblichen Integrationsverweigerer sichert die Privilegien derjenigen, die zwar von „Fördern und Fordern“ reden, aber alles dafür tun, dass ein gleichwertiges Mittun nicht erfolgt.
Von Prof. Dr. Sabine Schiffer Dienstag, 16.11.2010, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.01.2011, 23:34 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Begriff ist in aller Munde und damit bestätigen selbst die Verdächtigten seine Existenz: Der Integrationsverweigerer. Der Idee der Integrationsverweigerung liegt jedoch ein bestimmtes Menschenbild zugrunde, das verbreitet zu sein scheint und dennoch nicht der Natur des Menschen entspricht. Wie in der ganzen Debatte wird an dieser Stelle deutlich, dass davon ausgegangen wird, dass man den Menschen zum Mittun besonders motivieren, ja notfalls zwingen, muss. Es ist aber genau umgekehrt: Der Mensch ist ein soziales Wesen, aufs Mittun angewiesen. Nervös oder gar bockig wird er erst bei drohendem oder tatsächlichem Ausschluss aus der Gemeinschaft.
„Es geht um die Aus- grenzung der Erfolg- reichen, der (potenti- ellen) Konkurrenten.“
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Und genau diesen Ausschluss betreibt der aktuelle Diskurs über die angeblichen Integrationsverweigerer. Diese Unterstellung, und die damit einhergehende Verlagerung der Verantwortung auf die Ausgeschlossenen, sichert die Privilegien derjenigen, die zwar von „Fördern und Fordern“ reden, aber alles dafür tun, dass ein gleichwertiges Mittun nicht erfolgt – wie man beispielsweise an der Erwägung von Kopftuchverboten sehen kann. Wo kämen wir denn hin, wenn etwa Akademikerinnen mit Kopftuch unsere Stellen wegnehmen?
Nehmen wir mal an, es gibt tatsächlich 15 Prozent Integrationsverweigerer, ob freiwillig oder unfreiwillig – das bedeutet nämlich, dass es 85 Prozent mäßig bis gut oder gar sehr gut Integrierte gibt, wie immer sich das auch misst. Würde man jedoch diesen hohen Anteil Erfolgreiche benennen, würde vielleicht mehr Menschen klar, dass es sich bei der sog. Integrationsdebatte um eine Abwehrdebatte handelt. Es geht um die Ausgrenzung der Erfolgreichen, der (potentiellen) Konkurrenten – und das dürfte sich in Wirtschafts- und Identitätskrise dank Globalisierung noch verschärfen. Es geht um Exklusion und nicht um Inklusion.
Auch wenn man auf Integrationsgipfeln betont, dass man sich um die Minderheit in der Minderheit nun besonders kümmern würde. Das kann ja nicht schaden, aber ehrlicher wäre die Debatte, wenn die Themen Rassismus und (diskursive) Frustration endlich mit auf den Tisch kämen.
Dann würde man beispielsweise zwei empirische Ergebnisse mit einbeziehen, die man dringend einmal zusammen betrachten sollte:
- Türkischstämmige Eltern sind schulischen und anderen Autoritäten gegenüber besonders hörig.
- Türkischstämmige Kinder gehören zu den Bildungsverlierern.
„Ehrlicher wäre die Debatte, wenn die Themen Rassismus und (diskursive) Frustration endlich mit auf den Tisch kämen.“
Sind die also vielleicht falsch beraten worden? Was viele Äußerungen aus Politik und sogar dem Bildungsbereich zur Mehrsprachigkeit anbelangt, lässt sich das eindeutig nachweisen. Hier wie anderswo wird der wissenschaftliche wie praxisbewährte Forschungsstand weitestgehend ignoriert. Und viele Betroffene plappern die falschen Parolen auch noch brav nach. Das soll nicht alle Verantwortung weg von den Betroffenen nehmen – aber eine richtige Analyse wäre die Voraussetzung für richtige Maßnahmen. Her wird jedoch vor allem Selbstbestätigung betrieben zum Schaden vieler Kinder!
Wie man aber Kindern ermöglicht, ihre Fähigkeiten zu entfalten, dafür musste man kürzlich einmal von den Talkshowritualen im Fernsehen wegschalten – auf ARTE – zu einem Film der Berliner Philharmonie, der Balsam für die Seele ist: Rythm is it! Dieser Film verkörpert genau das hier angedeutete. Die Akteure, die eine Gruppe von Schülern für eine Tanzvorführung trainieren, sind dem natürlichen Menschenbild verpflichtet. Sie sehen bei der Verweigerung des Mittuns durch die Schüler eine Störung, die ihre Ursachen im Werden dieser jungen Menschen hat – in den Begegnungen, in der Art des Unterrichts, in dem was man soziales Umfeld nennt und das sich mehrheitlich dadurch auszeichnet, dass es die jungen Menschen schwächt. Dieser feststellbaren und sehr hinderlichen Schwäche geben die Tanzlehrer nicht nach, sondern sie ermöglichen es den Betroffenen dadurch, dass sie die Jugendlichen ernst nehmen, diese Schwäche zu überwinden – Inklusion statt Selektion, gemeinsames Erreichen statt Konkurrenz, und eine wunderbare Aufführung am Schluss, die den Erwerb von mehr Selbstwertgefühl und damit Leistungsfähigkeit plastisch werden lässt. Rythm is it! Aktuell Meinung
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@ bogo 70
Ihren letzten Satz finde ich – bezogen auf die Nettiquette – schon sehr starken Tobak, aber sei es drum, ich will Ihnen trotzdem antworten.
Sie fragen mich, was ich mir hier erhoffe? Sicher wohl das gleiche, wie Sie sich, aber umgekehrt ;-)
Ich will als Zeitzeugin die Sicht einer Deutschen aufzeigen, wie sie die Anfänge der Immigration erlebt hat – nicht mehr und nicht weniger.
Ich habe in keinem meiner Beiträge behauptet, dass es für die Migranten -am Anfang hier leicht war, denn ich schreibe überwiegend über muslimische Türken, denn diese Menschen habe ich Anfang der 60iger und 70iger Jahre kennengelernt. Ich kann mir also ein Urteil erlauben.
In Frankfurt hat es ganz sicher nicht diese Art des Zusammenlebens gegeben, denn das Rheein-main Gebiet war und ist überwiegend ohneI Industrie im Gegensatz zum Ruhrpott. Auch zogen die Deutschen hier nicht Reihenweise aus ihren Wohnungen aus, nur weil ein paar Ausländer in diese Häuser einzogen. Es wurden – nur für alleinstehende Männer -von Firmen Wohnblöcke gebaut – diese konnten aber jederzeit verlassen werden, wenn eine Familie gegründet wurde.
Was ich vielleicht noch bemerken sollte, und woher evtl. heute dieses Unbehagen über Migranten herrührt ist, dass es nicht soviele waren. Es war alles etwas übersichtlicher und vor allem die Situation war für uns Deutsche neu und wir waren sicher wohl etwas aufgeschlossener diesem Neuen gegegenüber!!!!!!!!!
Natürlich gab es zur damaligen Zeit auch keine Kirche oder Moschee, wo die „Gastarbeiter“ ihrer Religion nachkommen konnten, aber meine Meinung dazu ist, ich kann auch beten, ohne entsprechende Räumlichkeiten. Ich bin schon seit Jahren aus der Kath. Kirche ausgetreten, aber meine Religion ist mir immer noch heilig. Ich muss keiner Institution angehören um an Gott zu glauben. Sie werden es sicher auch nicht glauben, dass ich jeden Abend bete: „Lieber Gott ich danke dir für diesen Tag“; dies ist mir zum Bedürfnis geworden. Also, wo lag und liegt für dieses „Ritual“ jetzt speziell für Muslime das Problem?
Mein erster Freund war ein junger Italiener aus Sizilien ;-) und meine Eltern hatten keinen Einwände bezüglich unserer Freundschaft. Selbst Offenbach, welches heute eine Hochburg der muslimischen Türken ist, war eine „normale“ Stadt, in der es z.B. sehr viele Kneipen mit türkischen Inhabern gab!!!!!!! So eine Stammkneipe hatte ich, jeden 2. Abend traf ich mich dort mit jungen Leuten, die Abstammung war einerlei, hauptsache wir hatten Spass – und den hatten wir. Wir haben in der Kneipe gefeiert und bei uns zu Hause, und es war tatsächlich egal, welcher Nationalität der Einzelne angehörte. Stelllen Sie sich sowas mal heute vor, völlig undenkbar, oder?
Zum Schluss noch dieses: Dass die Zeiten sich geändert haben, bemerke ich oft sehr schmerzvoll, obwohl ich jetzt schon 64 Jahre „jung“ bin. Das hat wohl sicher mit der schnell-lebigen Zeit aber vor allem mit der Ich-Sucht der Menschen zu tun!!!!!!!!!
Ich wünsche mir – nostalgisch – die frühere Zeit zurück, träumen darf man ja noch, oder?
In diesem Sinne einen freundlichen und versöhnlichen Gruss aus Frankfurt am Main
YMelodieY
P.S.: Ich denke sicher oft an den Spruch; „wir wollten Arbeiter, doch es kamen Menschen“
Liebe YMelodieY,
Das hört sich schon besser an, bis auf die Ausrufezeichen. Es gibt ungeschriebene Gesetze im Netz und diese Zeichen sind ein Ausdruck von, „jemandem seine Meinung aufzwingen wollen“, dass ist einfach unhöflich. Vielleicht wussten sie es ja nicht und tun uns in den folgenden Kommentaren den Gefallen.
Als Zeitzeugin haben sie sicher die Anfänge gesehen und ich kann natürlich nicht wissen, was mein Vater uns verschwiegen hat. ;-)
Führen wir es mal etwas gelassener fort, ich bin ja auch relativ früh hier gelandet, was nicht selbstverständlich war. Jugoslawen haben ihre Kinder oft drüben gelassen (jedenfalls die in Grenznähe), da sie gern jedes Wochenende rüberfuhren, war es kein Problem. Meine Eltern hier in NRW aber wussten oft nicht, wohin mit mir. Ich war nie im Kindergarten und konnte bis zur zweiten Klasse kein vernünftiges Deutsch sprechen. Heute erklärt man solche Umstände zu einem Integrationsproblem, aber auch meine Kinder die selbstverständlich hier geboren sind, haben ersteinmal ihre Vatersprache gelernt (mein Mann ist Türke).
Im Kindergarten haben sie innerhalb eines halben Jahres Deutsch gelernt und besuchen mittlerweile beide ein Gymnasium. Auch das ist vielleicht nicht Repräsentativ, wenn es in Großstädten überwiegend Migrantenkinder ohne Sprachkenntnisse sind, die aufeinander treffen, können sie ja nicht richtig Deutsch lernen und brauchen evtl. eine andere Förderung. Ist aber ein soziales Problem und falsche Planung der Behörden. Wobei ich mir z.B. in bestimmten Berliner Stadtteilen und anderen Großstädten vorstellen kann, dass der beste Plan zu gemischten Klassen nichts nutzt, wenn es mehr Migranten gibt als Deutsche. Das ist aber kein Gesamtdeutsches Problem und sollte auch nicht so behandelt werden.
Ich habe ein ähnliches Verhältnis zu Religion wie sie, die gläubige Familie meines Mannes, ist zwar nicht begeistert, dass ich den Kindern weder die russisch orthodoxe Religion meiner Familie aufzwinge noch sie in die Moschee schicke, aber die meisten Muslime in unserem Bekanntenkreis nehmen es hin wie es ist oder versuchen selbst ihre Religion, meinen Kindern nahezubringen. Dazu gehört auch das diese selbst entscheiden, was sie mitnehmen und was nicht. Mein Sohn versucht wenigstens Freitags in die Moschee zu gehen, während meine Tochter nichts davon wissen will. Oft kann man auch wunderbar diskutieren, dass geht schon soweit das viele ihre sehr konservativen Ansichten überdenken und die meisten eigentlich doch das Beste für ihre Kinder wollen. Wir tauschen uns aus und versuchen voneinander zu lernen. In jeder Lebensweise steckt sehr viel, was man zu seinem Vorteil auch für sich anwenden kann. Wir feiern die Feste, wie sie fallen, ob Bayram, Weihnachten oder unser orthodoxes Weihnaten am 6. Januar. Manche muslimischen Freunde schicken am Heiligen Abend ihre Kinder zu uns, damit sie etwas von der weihnachtlichen Atmosphäre mitbekommen. Die Fotos von muslimischen Mädchen mit uns unter dem Weihnachtsbaum, dürften jeden Wettbewerb in Sachen „Multi Kulti geht doch“ gewinnen.
In Sachen Gebetshäuser bin ich aufgeschlossener als sie, es gibt wunderschöne Kirchen und Synagogen in Deutschland. Hier schauen sie sich diese Pracht an,die alte Synagoge in Essen. Warum also keine Moscheen, raus aus den Hinterhöfen, rein in die Öffentlichkeit, war es doch was man von Muslimen verlangte. Genauso wie sie den Kölner Dom oder die alte Synagoge besichtigen würden, können sie es doch auch mit der neueren Geschichte halten und es unter dem Aspekt betrachten, etwas sehr ungewöhnliches miterlebt zu haben. Eine Zeit des Umbruchs, eine Zeit in der Menschen sich durch Globalisierung so nahe kommen, wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Eine Zeit in der wir die Welt mit anderen Augen sehen müssen, wir sind beweglicher geworden, offener für andere Kulturen und fördern damit einen Dialog, ein Luxus den es sich zu leisten in vielen anderen Ländern unmöglich ist. Unsere Offenheit ist doch kein Makel, er beweist nur wie klug Menschen sein können, wenn sie Hass und Neid unterdrücken zum Zweck eines friedlichen Zusammenlebens aller Kulturen.
Das diese Offenheit nicht ausgenutzt werden darf, ist natürlich Voraussetzung für den Erfolg und auch deswegen ist das MiGAZIN entstanden (meine ich). Hier können wir unsere Offenheit untermauern, aber auch die Voraussetzungen für diese Offenheit erläutern. Wir können uns austauschen und beweisen, dass wir klug genug sind zu unterscheiden zwischen totaler Aufgabe und Kompromisssen, die man unweigerlich auf sich nehmen muss. Es ist wie mein Familienleben, ich muss auf die Muslime zugehen aber auch klar darstellen was ich für mich verlange. Für mich kommt es nicht in Frage, dass meine Kinder oder ich unter bestimmten Regeln der Gläubigkeit der Muslime oder anderer Religionszugehöriger leiden, im Gegenzug akzeptiere ich Regeln die für mich umsetzbar sind und toleriere andere Sitten, wenn man auch meine toleriert.
Natürlich ist träumen erlaubt, ich wünsche mir auch die grauen Haare weg und habe nostalgische Träume davon, wie es gekommen wäre wenn ich in der Heimat aufgewachsen wäre. Ich mache mir aber auch Sorgen, was werden soll wenn die Stimmung gegen Muslime in Deutschland und Europa sich weiter verschlechtert. Ich mache mir Sorgen um meine Kinder und wo sie Fuß fassen sollen, wenn der Bürgerkrieg den die Rechten vorhersagen, ausbrechen sollte. Ich denke auch nicht das es dann noch einen Unterschied macht ob Muslime oder andere Ausländer, denn wenn Rechtaußen das bekommt was es will, fällt die Maske der berechtigten Islamkritik und macht der wahren Gesinnung der Rechtspopulisten Platz. Finden sie nicht, dass nostalgische Träume dann nicht des Problems Lösung sind. Wichtig ist die Zukunft und ob wir in der Lage sind, diese zusammen zu gestalten, sodass sich der Großteil der Bevölkerung hier gemeinsam wohlfühlen kann?
Querulanten und Extreme gab und gibt es in jeder Gesellschaft, von denen dürfen wir uns nicht in die Ecke drängen lassen und wenn sie genau hinsehen, ist es doch der Großteil der Muslime der angekommen oder im Begriff ist anzukommen, wenn wir sie lassen und unterstützen, soweit auch sie selbst es zulassen. Unterschiede sind vorhanden, doch relativieren diese sich von Generation zu Generation. Der Vorschlaghammer um bessere Integration zu erzwingen ist meiner Meinung nach nicht förderlich. Es braucht kluge und gemäßigte Menschen, die zwar Verärgerung über bestimmte Dinge äußern, aber auch in der Lage sind daraus kein Drama zu machen, was unweigerlich andere Extreme auf den Plan ruft, die es nicht so gut mit den Menschen meinen, in diesem Fall Rechtsextreme, denen unsere Demokratie genauso am PoPo vorbeigeht wie islamischen Fundamentalisten oder Linksextremen.
Was mir besonders aufstößt, ist diese Formulierung von ihnen, die Muslime würden dauernd fordern, fordern, fordern. Ist es nicht eher so, dass Momentan jegliche Aussagen von Muslimen, egal welcher Art sie sein mögen, auf die Goldwaage gelegt werden? Sind sie gegen Terrorismus, kann das nicht sein schließlich „steht es ja so im Koran“ (da werden plötzlich alle zu Koran Experten), also muss jeder Muslim dafür sein. Sprechen sie sich gegen religiöse Zeichen, Kopftuch und Kreuz in Schulen und Behörden aus, unterstellt man ihnen die christlichen Werte zu missachten. Sind sie für mehr Rechte der Christen in islamischen Ländern, wird die Behauptung aufgestellt, sie wollen sich nur einschleimen um hier ihre Gutmenschlichkeit auszunutzen. Sagen sie garnichts , weil es sowieso anders aufgefasst wird, tun sie zu wenig. Sagen sie etwas, heißt es sie fordern nur. So kann man keinen Dialog aufbauen, es kann nur in die Hosen gehen, wenn sie Argumente von Rechtaußen gelten lassen, weil sie meinen anders den Problemen nicht beikommen zu können. Damit bauen sie Widerstand auf, ich selbst bemerke wie meine Kinder nun Bockig werden, weil sie sich ausgeschlossen fühlen. Dagegen anreden nutzt nicht viel, wenn sie in der Schule und von Deutschen Freunden zu hören bekommen: „Aber der Sarrazin hat doch recht.“
Kleiner Tipp noch wie man sich einbringen kann, wenn man nicht die Zeit oder Kraft hat ehrenamtliche Vereinsarbeit zu leisten. (nach der Erfahrung mit Wäschebergen, Fahrgemeinschaften, Grillfesten ohne Organisatoren im Fußballverein meines Sohnes, bin ich geheilt.) ;-)
Versuchen sie einfach mal eine Nachbarin für ihre Kultur zu begeistern. Schnappen sie sich eine Muslima oder mehrere, zeigen sie ihnen die Sehenswürdigkeiten ihrer Stadt, ihr Deutschland. Sie glauben garnicht wieviel Begeisterung sie bei diesen Menschen auslösen können, wenn sie ihnen etwas zeigen, was sie noch nie gesehen haben. Ich schleppe Frauen mit Kopftuch ins Theater oder in Museen, ihre Kinder nehme ich mit auf Ausflüge in die Natur, in Freizeitparks und zum schwimmen. Der Versuch zählt auch schon, die meisten fühlen sich abgelehnt und denken, keiner will ein Kopftuch im Museum sehen. Haben sie sich mit ihrer Unterstützung aber einmal getraut, wollen sie es immer wieder. Sie wollen für sich und ihre Kinder mehr Bildung, sie wollen dabeisein und wir können ihnen helfen, so wie mir früher geholfen wurde, von Menschen wie Ihnen? Was sie aber nicht vergessen sollten, auch die Kultur der Muslime ist eine interessante Kultur, lassen sie sich die Kultur erklären und zeigen, dass ist die Lieblingsbeschäftigung vieler muslimischer Frauen, die werden sich überschlagen wenn Sie Interesse zeigen.
Im Großen und Ganzen lässt sich jedenfalls feststellen, dass man Muslime nicht in eine Schublade stecken kann. Sie werden gute und schlechte Erfahrungen machen, genauso wie diese mit „den Deutschen“. Ein anderes Problem wäre aber inwieweit Deutschland bereit ist, sich als Einwanderungsland zu realisieren. Wenn ihre Überfremdungsängste so groß sind wie sie hier darstellen, habe ich keine Lösungsvorschläge. Abschottung inclusive, müssten sie uns alle rausschmeissen und sich dann mit ihren eigenen Problemen beschäftigen. Das halte ich vorerst lieber für Utopie, man wird ja auch mal die Augen verschließen dürfen, vor so vielen Problemen. ;-)
@YMelodieY
Da Sie fast zehn Jahre älter sind als das doppelte von meinem Alter, werden wir uns über die Zustände, wie sie in den 1970ern usw. geherrscht haben mögen und wie diese empfunden worden sind, wohl eher nicht einig. Ich kenne nur die Lebensbedingungen aus der Literatur.
Ich stelle meine Ansprüche im Alltag gar nicht stark hervor, weil ich da eher keine Probleme habe. Erst in der anonymen Auseinandersetzung in Foren wie diesen wird eine gewisse Skepsis gegenüber bestimmten Menschen deutlich. Meistens gegen solche, die sich nicht erklären können. Damit meine ich keine Extrembeispiele, die Sie und ich gemeinsam kopfschüttelt mit anderen MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen betrachten. Dass Menschen seit 30 Jahren hier leben und nicht gut Deutsch können, ist aber noch lange kein Hinweis für eine „Integrationsverweigerung“. Und diese Lücke versuche ich zu füllen.
Mein Engagement in diesem Bereich hat sehr stark wissenschaftlichen Charakter. Als Mitarbeiterin einer Universität und Promovendin versuche ich hinter die Kulissen zu blicken, wie Abgrenzungsmechanismen entstehen. In Vereinen leiste ich Vernetzungsarbeit zwischen Organisationen (Institutionen, Unternehmen, Verbänden) und Individuen (türkische Studierende, türkische AkademikerInnen, AkademikerInnen mit Migrationshintergrund, wissenschaftlicher Nachwuchs ohne alles usw.). Denn Nachteile dieser Gruppe (Migranten, Arbeiterkinder, junge Frauen) auf dem Arbeitsmarkt sind natürlich auch strukturbedingt: zum Beispiel aus Mangel an Vernetzung haben diese gebildeten Menschen gegenüber Akademikern mit Papas und Onkel in entsprechenden Positionen das Nachsehen. Außerdem sind deutsche Anlaufstellen/ Unternehmen sehr froh darüber, auch mal ihre Zielgruppe organisiert „auf einem Haufen“ anzutreffen, wodurch sie besser informieren, mobilisieren, rekrutieren und selber informiert werden können.
Hallo Bogo70
Zuerst zu den Ausrufezeichen: Ich schreibe schon seit Jahren bei AOL (Chaträumen) und bei t-online (Foren). Bei diesen Providern ist es Usus, dass man keine Sätze nur in Grossbuchstaben schreibt – es bedeutet lautes Rufen oder Schreien. Jede andere Form der Darstellung ist erlaubt; ich möchte also um Verständnis bitten, wenn ich hier so schreibe, wie ich schreibe; schreien werde ich nicht, versprochen ;-)
Ich habe Ihren Beitrag mehrmals gelesen und er hat mich in seiner Ehrlichkeit berüht. Ich danke Ihnen ausdrücklich für Ihre Antwort und Argumentation auf meinen Beitrag.
Ich wollte am 24.11.2010 eigentlich nur über einen Dokumentarfilm über zurückgewanderte muslimische Türken nach Istambuhl berichten, den ich äusserst interessant fand und erwartete, einige Kommentatoren hier hätten ihn auch gesehen. Gerne hätte ich nämlich über diesen Film diskutiert, denn ich dachte, das Thema „Rückwanderung“ wäre eine Meinung wert, denn es wird ja von Deutscher und Türkischer Seite behauptet, das Rückwanderungen (von Türken) und Auswanderungen (von Deutschen) massiv stattfinden.
Ich hatte die Hoffnung, meine „nostalgischen“ Erinnerungen wären für diese Thematik ein „guter Aufhänger“. Es ist doch unstreitig, dass nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa das Verhältnis und das Zusammenleben zwischen Muslimen und den entsprechenden anderen Ethnien nicht nur sehr schwierig, sondern im Gegensatz zu den Anfangsjahren der Immigration zu teuer geworden ist (77,62 Milliarden Euro ist die Summe, die Migration die deutschen Steuerzahler jährlich kostet. Dies ist die Summe, die Jahr für Jahr nicht für Schuldentilgung und Infrastruktur ausgegeben werden kann. Die Summe ist fast doppelt so hoch, wie die Schuldentilgung bzw. der Zinsabtrag für die Staatsverschuldung).
Da mich aber Ihr Text an mich beeindruckt hat, nehme ich Abstand von weiteren Kommentaren hier. Bewusst möchte ich niemand verletzten aber ich kann auch nicht – aus Sympathie – gegen meine Erfahrungen und die allgemeine Stimmung in Deutschland, gegen Migranten, schreiben.
Die Lage ist so verquer und aufgeheizt, dass auch ich als Deutsche hoffe, dass es nicht – wie z.B. im früheren Vielvölkerstaat Jugoslawien – zum Bürgerkrieg in Deutschland kommen wird. Schuld an dieser Situation hat zu einem grossen Teil unsere Regierung (keine Partei und Regierung, die jemals seit 1960 regiert hat, kann sich ausschliessen), dass durch die bisherige Political Correctnes vieles verschwiegen oder als Tabuthema erklärt wurde. Das rächt sich jetzt. In vielen Bereichen gebe ich Herrn Dr. Thilo Sarrazin recht, obwohl er – nicht korrekt – nur angeklagt hat, aber keine Lösungsvorschläge gemacht hat.
Was ich mit meinen Ausführungen ausdrücken will ist, beide Seiten – Sie als (frühere) Migrantin und ich als Deutsche – haben unter der heutigen Situation zu leiden. Es ist einfach zuviel in den vergangenen Jahrzehnten „zusammen gekommen“, das „Fass ist einfach übergelaufen“.
Mir fehlen jetzt auch die Worte, mich von Ihnen angemsessen zu verabschieden, denn ich kann Ihre Erwartungen an mich nicht erfüllen.
Mit Wertschätzung :-)
YMelodieY
@NDS
Ich glaube nicht, dass es am Altersunterschied zwischen Ihnen und mir liegt, dass wir uns nicht „näher kommen“ vielmehr bin ich der Meinung, dass Sie zu „wissenschaftlich“ gegenüber meiner Meinung sind. Das kann ich aber verschmerzen. ;-)
Traurig bin ich aber darüber, dass, wenn zwischenmenschliche Bedürfnisse bestehen, diese aber nur einseitig befriedigt werden. Das bedeutet, dass Sie vor lauter Verständnis für die „Missliebigkeiten von Migranten“ die Befindlichkeiten nicht erkennen, die Nichtmigranten haben.
YMelodieY
@YMeoldieY
Es war nie ein Tabuthema deutsche Interessen sind auch unsere Interessen, ein Tabuthema scheint mir eher der Dialog zu sein. Wie auch sie sich nun aus der Diskussion schleichen, sind es Menschen die an einem Dialog nicht interessiert sind und dem ganzen noch Zunder geben. Lieber solange drauf hauen bis es kracht, unter dem Motto irgendwann geben die schon auf.
Wir alle wissen, wie leicht Menschen zu beeinflussen sind und leichte Wege suchen. Der leichteste Weg ist es, sich in eine Richtung zu bewegen oder in die andere. Der Dialog oder aus mehreren Richtungen aufeinande zuzugehen, ist sicher der schwerste Weg, doch ist er der einzige der tatsächlich Frieden wünscht.
Sie können die Menschen hier nur verletzen, wenn sie ihnen jegliche Emotion zu diesen Themen absprechen.Wenn sie also lieber schweigen wollen, heißt es das sie ihr Urteil längst gefällt haben und nur eine Lösung sehen, sie haben aufgegeben und wünschen sich nur noch Ruhe, eine Bestätigung für ihre Meinung und dass, das Ganze ein Ende hat auf die leichteste Weise.Im Fall von menschliche Interessen, gibt es aber keine leichten Wege.
„Neues Deutschland
Der längst eingetretene identitäre Wandel ist eine alltägliche Banalität, in Zahlen messbar und für die Zukunft prognostizierbar. Auch wenn sich im Moment ein Großteil der Deutschen die Zeit vor dem Anwerbeabkommen mit der Türkei im Jahr 1961 herbeisehnt, so wird das nicht passieren. Abgesehen davon, dass für den anderen Großteil diese Zeit nicht das „goldene Zeitalter“ (Thilo Sarrazin) darstellt, sondern ein vermieftes, biederes, geschlossenes, schlechtgelauntes und getrenntes Deutschland. Im heutigen Deutschland umarmen sich sogar die Männer zur Begrüßung, während sie ihren eigenen Vätern immer noch nur steif die Hand reichen, man sitzt abends draußen auf der Straße, trinkt und ist laut – gerne auch bis in den November hinein.“
Wissenschaftlerin Dr. Naika Foroutan, Auszug aus dem Beitrag in „Aus Politik und Zeitgeschichte“, zu lesen auch unter: http://www.migazin.de/2010/11/24/neue-deutsche-postmigranten-und-bindungs-idenditaten-wer-gehort-zum-neuen-deutschland/4/