Anonymes Bewerbungsverfahren
Startschuss für deutschlandweites Pilotprojekt
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes startet heute das Modellprojekt „Anonymisiertes Bewerbungsverfahren“. Sieben große Unternehmen und Behörden werden ein Jahr lang neues Personal anhand anonymer Bewerbungen auswählen.
Von GastautorIn Donnerstag, 25.11.2010, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.12.2010, 2:29 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) startet heute um 14 Uhr mit einer Pressekonferenz in der Glinkastraße 24 in Berlin-Mitte das Modellprojekt „Anonymisiertes Bewerbungsverfahren“. Sieben große Unternehmen und Behörden werden ein Jahr lang neues Personal für das gesamte Unternehmen oder für Teilbereiche ihres Unternehmens anhand anonymer Bewerbungen auswählen.
Die ADS ist im Jahr 2006 durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eingerichtet worden. Gemäß § 27 AGG kann sich jeder an diese Stelle wenden, der meint, aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität diskriminiert zu werden.
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Kein Foto, Keinen Namen
Die anonymen Lebensläufe der Bewerberinnen und Bewerber sollen kein Foto, keinen Namen, keine Adresse, kein Geburtsdatum und keine Angaben zu Geschlecht, Herkunft und Familienstand beinhalten. Im Vordergrund sollen Qualifikation, Kompetenz und fachliche Eignung stehen, sodass Personalverantwortliche ausschließlich anhand dieser Kriterien die betreffende Person auswählen und zu einem Gespräch einladen.
Zur Vorbereitung auf das Gespräch wird die Anonymität aufgehoben. Die anonyme Bewerbung soll verhindern, dass Bewerberinnen und Bewerber bereits in der ersten Stufe des Auswahlverfahrens beispielsweise aufgrund ihres Alters scheitern und keine Möglichkeit bekommen, sich persönlich zu präsentieren.
Diskriminierung ist belegt
Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ist in den vergangenen Jahren empirisch durch eine Reihe von Feldversuchen belegt worden. Die Universität Konstanz hat jüngst in einer Studie ermittelt, dass die Angabe eines türkisch klingenden Namens im Lebenslauf die Chance, eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch zu erhalten, um 14 Prozent reduziert. In kleineren Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten betrug der Wert sogar 24 Prozent. Untersucht wurden Stellenausschreibungen für studienbegleitende Praktika – die Bewerberinnen und Bewerber waren alle hochqualifiziert.
Im europäischen Ausland gibt es einige Erprobungen des anonymisierten Bewerbungsverfahrens. Ein schwedischer Versuch ergab, dass vor allem Frauen davon profitierten. Die Stadt Göteborg hat von Oktober 2004 bis Juni 2006 für den öffentlichen Dienst das anonyme Bewerbungsverfahren ausprobiert. Auf über 100 Stellen im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie im Bereich der sozialen Dienstleistungen hatten sich 3.500 Personen anonym beworben. Ziel war es, mehr Menschen mit Migrationshintergrund einzustellen. Tatsächlich hat sich sowohl für Frauen als auch für Menschen mit Migrationshintergrund die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine Einladung zu einem Auswahlgespräch zu erhalten. Für Frauen waren sogar die Chancen gestiegen, ein konkretes Arbeitsplatzangebot zu bekommen, was bei Bewerberinnen und Bewerbern mit Migrationshintergrund nicht der Fall war.
Kritiker skeptisch
Verschiedene Arbeitgeber- und Unternehmensverbände stehen der anonymen Bewerbung skeptisch gegenüber. So kritisiert beispielsweise der Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), Dieter Hundt, dass das anonyme Bewerbungsverfahren nicht praktikabel und mit viel Aufwand für die Unternehmen verbunden sei.
Download: Muster für einen anonymisierten Bewerbungsbogen und die Studie des IZA „Anonymisierte Bewerbungsverfahren im internationalen Vergleich“
Drei Bewerbungswege sind in deutschen Unternehmen gängige Praxis: Das Bewerbungsschreiben per Post, per E-Mail und per Online-Formular. Es besteht die Möglichkeit, relevante Merkmale wie Name, Alter, Geschlecht etc. im Nachhinein im Unternehmen zu anonymisieren oder aber den Bewerbern, die den Lebenslauf per Post oder Mail schicken, von vorneherein ein gesondertes Formular zur Verfügung zu stellen, das nur arbeitsplatzbezogene Angaben verlangt. Bei Online-Bewerbungen kann die Eingabemaske so verändert werden, dass Bewerberinnen und Bewerber anonym bleiben oder aber persönliche Angaben verdeckt werden und Personalverantwortliche zunächst keinen Zugriff auf diese Daten erhalten.
Auswertung nach einem Jahr
An dem in Deutschland bislang einmaligen Modellprojekt beteiligen sich das Kosmetikunternehmen L´Oréal, der Dienstleister Mydays, der Konzern Procter & Gamble, die Deutsche Post, die Deutsche Telekom, die Bundesagentur für Arbeit in Nordrhein-Westfalen und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und die Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt der Europa-Universität Viadrina (KOWA) evaluieren das Projekt nach Ablauf eines Jahres quantitativ und qualitativ. Unter anderem sollen Personalverantwortliche erläutern, ob sie das Verfahren der anonymen Bewerbung für praktikabel halten, und Bewerbende werden befragt, wie sie mit der anonymen Bewerbung zurecht gekommen sind. Zudem wird untersucht, ob es bestimmte Personengruppen mit der anonymen Bewerbung häufiger in ein Bewerbungsgespräch schaffen.
Quellen:
- Krause, Annabelle; Rinne, Ulf; Zimmermann, Klaus F. (2010). Anonymisierte Bewerbungsverfahren. IZA Research Report No. 27.
- Aslund, Olof; Nordström Skans, Oskar (2007). Do anonymous job application procedures level the playing field? Institute for Labour Market Policy Evaluation. Working Paper 31.
- Kaas, Leo; Manger, Christian (2010). Ethnic Discrimination in Germany`s Labour Market: A Field Experiment. IZA DP No. 4741.
- Stuber, Michael; Hesse, Jürgen (2010). Pro & Contra: Anonymisierte Bewerbung. In: Personal. Zeitschrift für Human Ressource Management. 62 (9) S. 18.
- Stellungnahmen des BDA
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Auch wenn ich grundsätzlich sehe, dass es diese Diskriminierung gibt, und sie bekämpft werden muss, so bezweifle ich doch, dass man Lebensläufe wirklich sinnvoll anonymisieren kann. Wenn ich zB als Sprachkenntnisse Deutsch und Türkisch als Muttersprache angebe, wenn ich älter bin und deswegen auf der Volksschule und nicht Hauptschule war, oder auf einer POS oder wie das in der DDR hieß… irgendwo im Lebenslauf gibt es immer Indizien – Elternpause usw.
Außerdem muss man natürlich gleichzeitig auch die Personaler schulen, damit sie dann nicht einfach im persönlichen Gespräch wieder nach Vorurteilen auswählen.
Idiotenkram nach deutscher Art. Weiter gibt es in dieser Sache
nicht mehr zu kommentieren.
wieso deutscher Art? Wird doch in Großbritannien seit Jahren so gemacht… Könnten Sie „Idiotenkram“ näher spezifizieren?
Forist MoBo ist mit der Argumentation auf dem richtigen Weg – wo soll man weitere Angaben unterlassen, um „Vorurteile“ zu beseitigen?
Bsp. in einer Stadt gibt es mehrere Gymnasien, eins mit gutem Ruf („da lernt man etwas“, die Noten liegen aber wegen des Anspruchs unter dem städtischen Schnitt), eins mit schlechten Ruf („viele Kinder, die kaum deutsch können, die Anforderungen wurden gesenkt und praktisch jeder bekommt eine gute Note“, vom Abschluss her „bestes“ Gymnasium) …
Als Personaler weiß ich das und sortiere schon mal aus …
Also sollte man die Schle nicht mehr benennen?
Bei den Angaben zu Sport finde ich bei einem „geschlechtslosen“ Bewerber „Fußball bei Türkyem Spor“, „Muckibude“ und „Kickboxen“ …
Ähh, sicherlich eine junge Dame?
Also besser auch Hobbies aus der Bewerbung streichen?
Wie weit soll dieser Unsinn noch gehen?
Ich habe vergleichbare Fragen auch bei der ADS gestellt … keine qualifizierte Antwort.
Tröstlich ist nur, dass diese Initiative nach deren Selbsteinschätzung niemals „Gesetz“ wird.
Ich denke ebenfalls nicht, dass ein anonymisiertes Verfahren Abhilfe schafft. Jedoch denke ich ebenfalls nicht, dass ein Bewerber in seiner Bewerbung umgangssprachliche Begriffe wie „Muckibude“ o.ä. verwendet, sondern eher „Fitnessstudio“ wobei dies wieder eine geschlechtslose Ausdrucksweise ist, da auch viele Frauen solche besuchen. Daher würde ich persönlich an der Kompetenz des Bewerbers zweifeln, würde er seine Bewerbung in Umgangssprache verfassen.
Um dem Problem der Diskriminierung entgegen zu wirken, müssten zu erst einmal Vorurteile aus den Köpfen der Personaler verschwinden, doch ob dies so möglich ist, ist ebenso fraglich.
@Azubine
Ich denke auch, dass das anonymisierte Verfahren keine Abhilfe schaffen wird. Und sollten mal die Vorurteile aus den Köpfen der Personaler verschwinden, dann gibt es immer noch die Kollegen.
Achtung Mobbinggefahr!
Das Problem ist die Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. Verkrustete Vorurteile gegenüber anderen Kulturen.
Franzosen sind Schneckenfresser, Holländer sind Käsköpfe, Afrikaner sind Buschneger, Asiaten sind Schlitzaugen ect.pp.
Nur Deutschland ist über alles in der Welt!
Jetzt versteht man das Deutschlandlied auch wieder besser. Besonders die ersten beiden Strophen!
Armes Deutschland!
Ghostrider
Rassismus ist die extremste Form von Intoleranz!
Das was hier als Diskriminierung gilt, ist in anderen Ländern auch so und in der Türkei sogar schlimmer. Deutschland ist ein Durchschnittsland, was rassismus, diskriminierung oder Nationalismus angeht. Jeder Ausländer wird in Deutschland wie in jedem anderen Land der Welt auch ein bisschen benachteiligt. Das ist kein Problem Deutschlands sondern der Menschheit insgesamt. Wenn ich mich als Europäer in der Türkei bewerben würde, dann würde ich wegen meiner Religion auch nirgendwo eine Stelle finden bzw. würde gemobbt werden.
Aber in Deutschland besitzt man die Freiheit sich einbürgern zu lassen, dann kann man wenigstens die Chancen etwas erhöhen. Lernt man dann noch die Sprache richtig und beweist, dass man in der Schule mehr gelernt hat, als Pause machen, dann läuft das auch.
Genau so ist es, lieber Frank, ich habe schon in vielen Ländern der Welt gearbeitet und ich kann Dich nur bestätigen, Wer das anders sieht, mit dessen Wahrnehmungsfähigkeit ist definitiv etwas nicht in Ordnung.
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