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Rückblick

Sarrazin schafft Deutschland ab

Wieso wurde Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ zum Bestseller? Mit welchen Folgen? Ein „Rückblick auf eine fatale Debatte“ vom Vorsitzenden des Sachverständigenrats Deutscher Stiftungen für Integration und Migration, Klaus J. Bade.

Von Montag, 29.11.2010, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 03.12.2010, 0:42 Uhr Lesedauer: 11 Minuten  |  

Der soziale Frieden in einer Einwanderungsgesellschaft lebt vom Grundvertrauen zwischen Mehrheitsgesellschaft und Einwandererbevölkerung. Die ‚Sarrazin-Debatte‘ hat über diesem, seriösen Umfragen zufolge in Deutschland nach wie vor tragenden Grundvertrauen, mancherlei Oberflächenwirbel erzeugt. Sie greifen unterschiedlich tief. Sie sind nicht zu verwechseln mit den in Deutschland seit den 1980er Jahren immer wieder zu beobachtenden Konjunkturen der Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit. Die folgten oft fahrlässiger Instrumentalisierung der Themen Migration und Integration zu Wahlkampfzwecken.

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Spiel mit dem Feuer
Schon damals war dieses Spiel mit dem Feuer buchstäblich brandgefährlich, wie man spätestens Anfang der 1990er Jahre beobachten konnte. Aber Integration wurde da noch immer als Randthema eingeschätzt. Heute ist dieses Spiel mit dem Feuer noch gefährlicher, weil Integration ein Mainstream-Thema geworden ist. Deshalb bewirken von der Politik populistisch aufgenommene integrationshysterische Strömungen heute tiefer reichende Brüche in der politischen Kommunikation, möglicherweise sogar in der politischen Struktur.

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Indirekt warben für das Buches von Thilo Sarrazin auch Kohorten von publizistischen Animateuren: […] selbsternannte profes- sionelle Islamkritiker; […] denunziative islamophobe bzw. islamophage Agitatoren, in deren Reihen sich neuerdings auch altfeministische Frauenretterinnen eingeschleust haben …

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Ausgangspunkt in Deutschland war das im Spätsommer 2010 erschienene Buch des früheren Berliner Finanzsenators, späteren Frankfurter Bundesbankvorstandes und – seines Buches wegen – heutigen Frührentners und wohlsituierten Auflagenmillionärs Thilo Sarrazin ‚Deutschland schafft sich ab‘. Sein Buch verzeichnete mit schon im Oktober 2010 erreichten 1,1 Millionen gedruckten Exemplaren innerhalb eines Vierteljahres in Deutschland die höchste Auflage seit 1945 und ist auch zuvor nur mit absoluten Auflagenspitzen vergleichbar: Der nationalsozialistische Ideologiestifter Arthur Rosenberg hat mit seiner Propagandaschrift ‚Der Mythos des 20. Jahrhunderts‘ für die gleiche Auflagenhöhe rund 14 Jahre gebraucht, von 260.000 Exemplaren der ‚Dünndruck-Ausgabe‘ abgesehen.

Damit sollen hier ausdrücklich nur Besteller-Auflagenzahlen, nicht aber Inhalte verglichen werden; denn Thilo Sarrazin ist weder ein Rassentheoretiker reinsten Wassers noch ein dumpfer Neonazi. Wer das behauptet, macht sich dem Umgang mit ihm und seinen Anhängern zu leicht. Es sind vielmehr die fließenden Grenzen zwischen nüchternen Bestandsaufnahmen mit pointierter Polemik einerseits, anthropologischen, ethno-nationalen und sozialbiologistischen Interpretationen andererseits, die dieses Buch so gefährlich machten, das nicht wenigen Lesern den Eindruck vermittelt, als geborene Deutsche schon mal kulturell im Vorteil zu sein.

Publizistische Desintegrationsindustrie
Sarrazins Buch war eine argumentative Feuerleitstelle für die Einschläge der schon lange zuvor in Stellung gebrachten Geschütze der publizistischen Desintegrationsindustrie. Seine Wirkung wurde, über die aggressive mediale Vermarktungsstrategie des zum Bertelsmann-Konzern gehörenden Verlags hinaus, forciert durch methodisch hochproblematische, weil zwar richtig gerechnete aber unvertretbar überinterpretierte wissenschaftliche Untersuchungen (‚je muslimisch-frommer, desto gewaltbereiter, je christlich-frommer, desto mildtätiger‘), durch quasiwissenschaftliche Bierdeckel-Demographie (Deutsche als ‚Fremde im eigenen Land‘) und durch volkskundliche Mausklick-Demoskopie (‚Ist der Islam gefährlich – ja oder nein?‘).

Nicht minder animierend wirkten populistisch-politische Redensarten zum Zweck der Selbstfindung in der Boulevard-Presse, vor allem aber skandalisierende Mediendiskurse nach dem bekannten Motto ‚Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht‘. Deshalb auch verkaufte sich die falsche Information, die Integration sei schlechter als ihr Ruf in Deutschland viel besser als die zutreffende gegenteilige Botschaft.

Das zeigt ein Vergleich des im Frühsommer 2010 vorgelegten Jahresgutachtens des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) „Einwanderungsgesellschaft 2010“ mit dem im Spätsommer erschienenen Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“. Heribert Prantl hat das in der Süddeutschen Zeitung vom 11.9.2010 eindringlich analysiert: „Gut zwei Monate vor dem Sarrazin-Buch ist das Buch erschienen, auf das seit dem Sarrazin-Buch alle warten […]. Es handelt sich um das Jahresgutachten ‚Einwanderungsgesellschaft 2010‘ samt einem ‚Integrationsbarometer‘. Dieses Werk […] ist in fast jeder Hinsicht ein Anti-Sarrazin.“

Indirekt warben für das Buches von Thilo Sarrazin auch Kohorten von publizistischen Animateuren: notorische Künder des kulturellen Untergangs der deutschen Nation; selbsternannte professionelle Islamkritiker, die heute in jeder Talkshow vertreten sein müssen, auch wenn es nur um Rasierschaum für muslimische Bartpflege geht; denunziative islamophobe bzw. islamophage Agitatoren, in deren Reihen sich neuerdings auch altfeministische Frauenretterinnen eingeschleust haben, die in appellativer Verzweiflung gegen die angeblich drohende ‚Schariarisierung‘ Europas ankämpfen.

Dabei geht es oft um publizistische Strömungen, die dahin tendieren, zum Teil auch expressis verbis dazu aufrufen, eine differenzierte, unaufgeregt-pragmatische Diskussion und das Bemühen um abgewogene Einschätzungen alarmistisch und agententheoretisch zu denunzieren – als intellektualistischen Relativismus, als ahnungslos-dümmliches Gutmenschentum oder gar als arglistige Teufelei im Dienste der islamistischen Weltverschwörung. Pöbelnde Unterstellungen machen heute auch nicht vor Präsidentenschelte Halt, z.B. im Blick auf die mutige und richtungweisende Bremer Rede des Bundespräsidenten Christian Wulff zum 20. Jahrestag der deutschen Vereinigung am 3. Oktober 2010.

Dabei trat in der islamophoben bis islamophagen Desintegrationspublizistik eine Botschaft des Bundespräsidenten ganz in den Hintergrund, die wichtiger war als das nicht mehr sonderlich originelle, weil schon 2006 zum Auftakt der Islam-Konferenz von dem seinerzeitigen Bundesinnenminister Schäuble geprägte Diktum, daß auch der Islam zu Deutschland gehöre. Die für die Einwanderungsgesellschaft in Deutschland viel wichtigere Botschaft lautete dem Sinne nach: Gesellschaftliche Vielfalt aushalten lernen ist eine Aufgabe für alle. Diese Vielfalt kann sich in Deutschland frei entfalten. Sie muß aber, wo nötig, entschieden, streitbar und abwehrbereit in den Grenzen unserer Verfassungsordnung gehalten werden. Deren wichtigster Grundgedanke aber ist es, daß der eigene Anspruch auf Recht und Freiheit sich nicht auf Unrecht und Unfreiheit für andere gründen darf. Aktuell Meinung

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  1. NDS sagt:

    Liebe Bogo70,
    der Link zur Studie von Herrn Pfeiffer lautet:
    http://www.kfn.de/versions/kfn/assets/fob109.pdf
    Mir fallen keine Studien ein, bei der Familien als Einheiten untersucht worden sind. Höchstens als Einzelfälle, dann aber in sehr kleinen Studien. Ich könnte mir vorstellen, dass die Daten bei vielen untersuchten Familien nicht so einfach zu erheben wären, weil ja dann auch die nicht befragte „Großelterngeneration“ eine gewisse Rolle spielt. und die Wechselbeziehungen der Personen untereinander. Bei nur einer befragten Person kann sauber getrennt werden, welchen Einfluss wer oder was gehabt haben könnte.
    Die zweite Sache ist die, dass eine Idee/ Religion/ Weltansicht -wie Sie richtig sagen- natürlich anders verwendet werden kann. So kommt es tagtäglich vor, dass Menschen, in unserem Beispiel Jungendliche mit muslimischen Elternhäusern, etwas, was ihnen gerade passt, mit dem Etikett „islamisch“ versehen.
    Eine persönliche Meinung von mir ist, dass einige gleichgültige Eltern sich bei der Moralerziehung ihrer Kinder auf die Moschee verlassen, die aber außer einigen Geboten „Du sollst fasten; du sollst spenden“ und Verboten „du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren, was dir nicht gehört“ usw. sehr an der Oberfläche bleibt, da soziales Zusammenleben zu komplex (Umgang mit Verantwortung, Umgang mit Dilemmata, solidarisches Verhalten in Gruppen, Umgang mit Kritik und Zurückweisung usw.) dafür ist, als das es innerhalb einer Stunde in der Woche von einem Geistlichen „beigebracht“ werden könnte. Damit wären wir wieder bei den Familien und bei der Erkenntnis, dass es bei -sagen wir- schwierigen deutschen Jugendlichen wegen ähnlicher Umstände hapert, auch wenn diese sich vielleicht seltener auf Gott und Religion beziehen.

  2. bogo70 sagt:

    Hallo NDS, bin erst bei Seite 79, möchte aber vorab schon mal zusammenfassend sagen: „Mich erstaunt die eher schlechte Integration der Menschen aus Jugoslawien und der Sowjet Union.“ Im Großen und Ganzen, kann man feststellen, dass diese Gruppen in fast allen untersuchten Punkten nur um wenige Prozentpunkte hinter den türkischen bzw. arabischen Jugendlichen liegt. Die öffentlichen Diskussion aber, fokussiert sich auf zweitere Gruppe. Die Eigensegregation von Deutschen, besonders im Süden auffällig auch durch Zuweisung der Schulform, hat meines Erachtens eine erhebliche Wirkung auf die Integration der Gruppen die sich zugehörig fühlen wollen. In der öffentlichen Wahrnehmung funktioniert Integration im Süden Deutschlands besser, laut Studie ist aber das Gegenteil der Fall.

    Ein interessanter Bestandteil der Studie ist, wie wenig Einfluß die sprachliche Kompetenz der türkischen Eltern auf die Integration der Jugendlichen hat. Was bei der Gewaltbereitschaft auffällt, dass die Jugendlichen häufig aus Krisengeschüttelten Gebieten entstammen, sodass ich annehme, die Eltern unbewußt ihr erlebtes Leid auf die Kinder übertragen. Besonders auffällig Kurden, Araber, Afrikaner und Ex Jugoslawen, sowie Südamerikaner und Russen, wobei die Problematik der Aussiedler Kinder eine ganz andere sein dürfte, hier würde ich eher die Zerrissenheit zwischen den Kulturen für ausschlaggebend halten, der Zugehörigkeitstatus bleibt ungeklärt was eine gelungene Integration verhindert in dieser Hinsicht scheinen mir Aussiedler Kinder enorm belastet, sie wollen zuerst als Deutsche wahrgenommen werden, was aber von der Mehrheitsgesellschaft (auch Migranten) nicht wahrgenommen wird, sie bleiben Russen.

    Alles in Allem finde ich die Konzentration auf die Religionszugehörigkeit immer noch völlig daneben, vielmehr würde ich die Ursprungsländer und die Lebenssituation dort in den Fokus nehmen wollen bzw. die Haltung der Eltern zu ihren Urspungsländern, was mir sehr viel ausschlaggebender erscheint als die Religion.

    Sehr viele offene Fragen, stellen sich auch bei der Integration der Italiener. Da kann ich keine Linie erkennen, die mir irgendwelche Erklärungen liefern würde.

  3. kuchen sagt:

    Auch dieser Autor ist und bleibt letztendlich ein Theoretiker, der von der Realität scheinbar keine Ahnung, oder einfach keine Kenntnis davon genommen hat. Jeder der mit offenen Augen durch unser Land geht wird feststellen, daß die Integration insbesonders von Muslimen überwiegend gescheitert ist. Es ist einfach Fakt, daß der Islam nicht zu unserer westlichen Kultur passt, dafür ist er viel zu rückständig und ideologisch. Der Islam ist nicht nur eine Religion, sondern eine Ideologie die unseren Werten weit hinterher hinkt. Und wer das leugnet oder nicht erkennen will, den halte ich für einen verblendeten Realitätsverweigerer.

  4. MoBo sagt:

    Hallo Kuchen.

    Sie haben bei einem anderen Beitrag behauptet, im Migazin würde „berechtigte Islamkritik“ „linkspopulistisch“ ausgegrenzt. Ich vermute, Ihr Beitrag hier wird von Ihnen als solche berechtigte Kritik angesehen.

    ABER…
    – „jeder der mit offenen Augen..:“, „wer das leugnet (…) halte ich für einen verblendeten Realitätsverweigerer“ : sie kanzeln pauschal alle Gegenargumente gegen ihre Behauptungen als „blind“ oder falsch ab, ja Sie beleidigen Gegenmeinungen sogar als „Realitätsverweigerer“
    – „es it ein Fakt, dass der Islam nicht zu unserer westlichen Kultur passt“ ist eine nicht belegbare persönliche Meinung von Ihnen
    – „der Islam ist eine Ideologie“ – Atheismus, Sekularismus, Protestantismus aber auch…
    – „die unseren Werten weit hinterher hinkt“ – was sind den „unsere Werte“? Das Recht, muslimische Mitbürger zu beleidigen so dass sie Deutschland den Rücken kehren, das mit Meinungsfreiheit begründen und sich hinterher auf die Schulter klopfen? Die ersten Moscheen brannten schon, irgendwoher wird’s kommen. „Sie hinken uns hinterher“ – rückständig also? Sie passen nicht dazu… also weg damit???

  5. kuchen sagt:

    @MoBo

    Wollen Sie mir hier Worte in den Mund legen, oder warum kommen Sie mir hier mit ihrer Polemik? Wenn Sie unsere christlichen freiheitlichen Werte nicht kennen, dann kann ich auch nicht weiterhelfen. Das der Islam eine menschenverachtende und zurückgebliebene Ideologie der Unterwerfung ist, werden Sie doch wohl nicht ernsthaft anzweifeln.

  6. NDS sagt:

    @kuchen
    MoBo hat Sie zitiert und Sie werfen ihm vor, dass er Ihnen „Worte in den Mund“ legt??? Wie soll ich das denn ernst nehmen?
    Es mag sein, dass man in Ihren vier Wänden das über den Islam glaubt, was Sie hier schreiben. Das heißt aber noch lange nicht, dass es überall geglaubt werden muss. Dass bei den einen Schweinshaxe und Bier auf den Tisch kommt heißt daher auch noch lange nicht, dass es überall auf den Tisch kommen muss. Sie müssen aushalten, das andere Menschen andere Meinungen haben, statt Bier lieber Wein, Uzo, Raki, Tee, Orangensaft oder Roibustee trinken. Für mich haben Sie eine autoritäre und totalitäre Weltanschauung. Sorry!

  7. MoBo sagt:

    Ein freiheitlicher Wert war auf jeden Fall einmal, andere zu tolerieren und nicht gleich darauf einzudreschen wenn es fremd ist.

    Ja, ich zweifele ernsthaft an, dass der Islam „eine menschenverachtende und zurückgebliebene Ideologie der Unterwerfung ist“.

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