Lamyas Welt
Warum die Muslime so rückständig sind
In der islamischen Welt gibt es keine einzige Demokratie. Auch hat sie kaum einen Nobelpreisträger hervorgebracht. Schuld allein ist der Islam. Gut gebrüllt, Löwe, findet Lamya Kaddor in ihrer neuesten Kolumne.
Von GastautorIn Freitag, 10.12.2010, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.01.2017, 10:13 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
In letzter Zeit hört man immer wieder zwei schlagende Argumente für die Rückständigkeit des Islam. Eines davon lautet, dass es in der gesamten islamischen Welt nicht eine einzige Demokratie gebe. Dem mag man im ersten Moment beipflichten, genauso wie der Aussage, dass es kein afrikanisches Land mit einer Demokratie gebe oder kein buddhistisches.
Der Hinweis auf die Türkei wird in der Regel damit gekontert, dass diese keine echte Demokratie sei, weil sie zu viele Defizite aufweise. Wenn dem so wäre, ist sie es ebenso wenig wie Südafrika, Thailand oder Brasilien, nur mit dem Unterschied, dass diesen Ländern in unseren Diskussionen der Status seltener abgesprochen wird. Aber bleiben wir beim Inhaltlichen.
Über welches andere Mitgliedsland der 57 Staaten der Organisation der Islamischen Konferenz wollen wir hinsichtlich der Demokratiefrage reden? Über den Irak? Über Afghanistan? Oder eines der anderen Staaten, in denen fremdländische Kulturen in den vergangenen Jahrzehnten kräftig an den Rädern der Macht gedreht haben – mal so herum, mal so herum? Wir können auch über den Iran sprechen, es muss ja nicht immer gleich ein Krieg mit ausländischer Beteiligung sein, der die eigenständige Entwicklung gestört hat. Wer griff dort in den 50er Jahren noch mal ein, um das autoritäre Regime von Schah Reza Pahlavi zu stärken, dessen Herrschaft später in die Islamische Revolution mündete? Richtig, ebenfalls Ausländer, schließlich mussten diese den Zugriff auf die iranischen Bodenschätze sicherstellen, was ihnen der Schah im Gegensatz zu den demokratischen Kräften im Land nun mal großzügig gewähren wollte. Und wenn wir schon dabei sind, fragen wir uns doch auch gleich, wie viele fremdländische Kulturen im Gegenzug eigentlich in Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Geschicke manipuliert haben? Richtig, keine!
Aber gut, lassen wir das, sprechen wir über die Vereinigten Arabischen Emirate oder über Katar, Bahrain, Kuweit. Diese Länder waren vor fünfzig Jahren nichts als eine Ansammlung von Gehöften in der Wüste. Plötzlich kam märchenhafter Reichtum in Form von Öl und Gas über sie, sodass das Sinnieren über staatliche Strukturen zur Nebensache geriet. Welche vergleichbare Entwicklungsgeschichte gibt es im Westen?
Oder sprechen wir über Indonesien, Malaysia oder Bangladesch. Das sind mehr oder weniger funktionierende Demokratien. Gewiss gibt es dort viel mehr Defizite als in Norwegen, Schweden oder Finnland. Aber die „Unabhängigkeit“ der Skandinavier währt auch schon länger als 60, 50 bzw. 40 Jahre.
Beim Stichwort „Unabhängigkeit“ kann man natürlich auch an Länder wie die USA, Kanada oder Australien denken. Der Unterschied zu Indonesien ist nur, dass die Urbevölkerung dort durch die Einwanderung ganzer Heerscharen aus der alten Welt marginalisiert wurde. Zugleich kamen die Einwanderer überwiegend zu einem Zeitpunkt, als das Abendland zur aufstrebenden Weltmacht in politischer, militärischer und wissenschaftlicher Hinsicht avanciert war. Entsprechend brachten sie die politischen, militärischen und wissenschaftlichen Ideen und Fortschritte ihrer Zeit mit, die denen der anderen überlegen waren. Ähnliches geschah übrigens im 7., 8. und 9. Jahrhundert durch die Muslime.
Allerdings gründen die Aufstiege der Europäer oder der Araber auf nichts anderem, als auf einem zufälligen Zusammentreffen bestimmter historischer Ereignisse. Ihr Erfolg rührt jedenfalls nicht daher, dass die Europäer an sich so besonders intelligent oder die Araber als solche so besonders begabt gewesen wären.
Wenn wir uns also darüber unterhalten wollen, warum es „keine“ Demokratien in der islamischen Welt gibt, dann können wir dies nicht ohne die Berücksichtigung der Weltgeschichte und der jeweiligen Landesgeschichten tun. Die Betonung liegt auf „Berücksichtigung“. Das heißt, es sind nicht allein die Historie und die so genannten „exogenen Faktoren“, die für die diagnostizierte Rückständigkeit eine Rolle spielen. Sie sind lediglich ein gewichtiger Teil des Problems.
Der andere Teil des Problems sind die hausgemachten Defizite, die so genannten „endogenen Faktoren“ wie Korruption, Misswirtschaft, mangelnde politische Partizipation der Bevölkerung bzw. Bevölkerungsteile oder – und an dieser Stelle findet nun auch endlich „der“ Islam seinen Platz – ein restriktives Religionsverständnis.
Nobelpreisträger
Ein weiteres schlagendes Argument lautet: Der Islam ist bildungsfeindlich, schließlich haben die Muslime nur wenige Nobelpreisträger hervorgebracht. Gut gebrüllt, Löwe. Diese einfache „Beweisführung“ eignet sich prima, um munteres Kopfnicken an Stammtischen zu erzeugen. Dabei dürfte der Grund derselbe sein, warum die Hindus so wenige Nobelpreisträger hervorgebracht haben, oder die Afrikaner, oder die Südamerikaner oder die Chinesen. Nur, mit deren Religion und Kultur hat das weniger zu tun.
Man sollte besser fragen, warum die USA so einen Riesenvorsprung in allen Nobelpreis-Kategorien haben? Vielleicht sind US-Amerikaner ja tatsächlich so viel intelligenter als Europäer, Asiaten und andere. Ich glaub jedoch, es liegt weniger daran, dass eine Geburt in den nicht-muslimischen USA mit der Weitergabe einer besonderen Intelligenz verbunden ist. Ich glaube, es liegt eher daran, dass die Wissenschaftslandschaft in den USA um einiges besser ist als anderswo. Und beim Stichwort Wissenschaftslandschaft sind wir wieder bei den exogenen und endogenen Faktoren der staatlichen Entwicklung.
Selbstverständlich kann auch hier bezüglich der islamischen Welt das Islamverständnis als Faktor berücksichtigt werden, aber eben nicht als zentraler oder gar als einziger. Wenn explizit der Islam so sehr mit fehlender Bildung zu tun hätte, wie konnte dann die islamische Welt einst einen so großen Wissensvorsprung in allen Bereichen erzielen, während Europa im finsteren Mittelalter darben musste? Wer hätte wohl vor einigen hundert Jahren die meisten Nobelpreise bekommen?
Vielleicht der Mathematiker Khawarizmi wegen seiner Ausführungen zur Algebra. Oder sein Kollege al-Battani wegen seiner Arbeiten zur Trigonometrie, zur Planetenberechnung oder zur bis auf zwei Minuten exakten Bestimmung des Sonnenjahres. al-Biruni böte sich vielleicht an wegen seiner nahezu exakten Berechnung des Erdradius oder der Erfindung des Pyknometers, mit dessen Hilfe bis heute die Dichte von Flüssigkeiten und Pulvern ermittelt wird. Auch der berühmte Mediziner Ibn Sina wäre gewiss nicht leer ausgegangen. Ebenso der große Naturwissenschaftler Ibn al-Haytham, der maßgebliche Wegbereiter der Optik und Erfinder der Lupe. Oder der Konstrukteur al-Jazari, Vordenker der Kybernetik und Pionier der Zeitmessung. Oder al-Fazari, dem der Bau des ersten Astrolabs in der islamischen Welt zugeschrieben wird. Heiße Anwärter wären sicher auch der Geograf al-Idrisi mit seiner Weltbeschreibung und der dazugehörigen Karte („Tabula Rogeriana“) gewesen sowie der Botaniker al-Baitar für seine systematische Darstellung von mehr als 1.000 Heilpflanzen und Rezepturen. In den Fokus würde sich vermutlich auch der osmanische Erfinder Taqi al-Din drängen, von dem im 16. Jahrhundert – also auch noch nach dem so genannten goldenen Zeitalter des Islam – die Beschreibung einer Dampfmaschine überliefert ist; lange bevor sie in Europa entdeckt und zum Motor der Industrialisierung wurde. Die Liste der potenziellen Nobelpreiskandidaten ließe sich noch beliebig verlängern… Aktuell Meinung
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@Tei Fei Die protestantische Arbeitsethik (professioneller Berufsarbeiter!) und das Universitätswesen Europas (freie Lehre!) sind weitere Faktoren, die die arabische von der europäischen Welt unterscheiden.
Mario sagt: 16. Juli 2016 um 11:31
„Wenn Sie mir schon Halbbildung vorwerfen, dann müssen Sie sich auch erklären, ansonsten kann ich (und auch die anderen Leser) ihr Kommentar nur als kindische Beleidigung einordnen, eine Art Trotzreaktion.“
Meine Erklärung stand ja schon im Posting: „Da schnappt man ´nen coolen Spruch auf und deutet sich den schön zurecht, ohne die Zusammenhänge überhaupt zu kennen.“ Sie haben die halt nur ignoriert. Nochmal extra für Sie die ZUSAMMENHÄNGE sind das entscheidende Wort meiner Erklärung. So und nun googlen Sie am besten mal Darwin und Spencer und die wissenschaftlichen Erläuterungen Ihres Zitats.
Susan sagt: 17. Juli 2016 um 18:16
„@Tei Fei Die protestantische Arbeitsethik (professioneller Berufsarbeiter!) und das Universitätswesen Europas (freie Lehre!) sind weitere Faktoren, die die arabische von der europäischen Welt unterscheiden.“
Mir ist nicht klar, worauf sie damit hinaus wollen. Was die Freiheit der Lehre angeht, die ist heute bedrohter denn je, da öffentliche Ressourcen hier immer weniger zur Verfügung stehen und allein schon der Begriff protestantische Arbeitsethik bezeugt doch deren klerikalen Ursprung. Der professionelle Berufsarbeiter ist eher ein Produkt der Industrialisierung und hat nur bedingt mit der Arbeitsethik zu tun – siehe doppelt freier Lohnarbeiter.
@Tei Fei Das mit den professionellen Berufsarbeitern ist falsch, denn deutsche Ingenieure haben schon um 1500 Seen in Nordamerika entwässert und Bergwerke dort errichtet. Außerdem gibt es einen professionellen Arbeiter ohne Arbeitsethik nicht. Beides gehört zusammen. Protestantismus mit „klerikal“ gleichzusetzen offenbart Unwissen, denn mit klerikal bezeichnet man den katholischen Klerus. Einen Klerus im eigentlichen Sinn gibt es im Protestantismus nicht. Reichsstädter, Handwerker und Kaufleute waren bekanntlich gerne Protestanten …
@Ernst
Klerikalismus ist das Gegenteil von Laizismus und der kathol. Klerus ist nur eine Ableitung. Selbstverständlich kann und muss man den Protestantismus
mit dem Klerikalismus in Verbindung bringen. Bevor Sie mir „Unwissen“ bescheinigen, googlen Sie doch bitte erst mal die Definition von klerikal!
Der professionelle Berufsarbeiter ist eine Erfindung der Industrialisierung – ich habe schon auf den doppelt freien Lohnarbeiter hingewiesen. Davor kann man „nur“ von handwerklichen Manufakturwesen sprechen. Das hierbei auch schon großes geleistet wurde, streite ich gar nicht ab. Aber Bergwerke, Trockenlegung von Seen oder Errichtung von Kanälen und Pyramiden sind architektonische Leistungen, welche die Menschheit seit vielen tausend Jahren beherrscht und hat nichts mit einem angeblichen Arbeitsethos zu tun. Deutsche Ingenieure haben weder die Cheops-Pyramide, noch den Kaiserkanal noch Angkor Wat und auch keine römischen Viadukte erbaut.
@Tei Fei Klerikalismus ist das Gegenteil von Laizismus und der kathol. Klerus ist nur eine Ableitung. Selbstverständlich kann und muss man den Protestantismus
mit dem Klerikalismus in Verbindung bringen. Bevor Sie mir „Unwissen“ bescheinigen, googlen Sie doch bitte erst mal die Definition von klerikal!
So einen ungeheuren Blödsinn habe ich schon lange nicht mehr gelesen! Der Klerus ist keine „Ableitung“. Wovon denn? Von der Wasserrinne? Und der Protestantismus kennt keinen „Klerikalismus“. Protestantische Pastoren gehören keinem Weihestand an (Luther würde sich im Grabe umdrehen!). Die Weihe ist aber das Kennzeichen des Klerus. Protestantische Pastoren sind herausgehobene Laien, nicht mehr.
Die katholische Kirche leitet sich unmittelbar von Jesus Christus ab (bzw. Petrus, seinem „Felsen“, dem Gründer der römischen Kirche, auf den das Papsttum zurückgeht). Sie daher kein „Verein“, sondern eine weltumspannende ecclesia, die sich auf eine ungebrochene Tradition berufen kann. Der Klerus ist also eine Weihegemeinschaft, die – wenn man es zu Ende denkt – direkt auf die Jünger zurückgeht.
„Klerikalismus“ ist ein moderner Kunstbegriff. Weder im Mittelalter noch in der Neuzeit (vor 1800) hätte irgendjemand mit diesem Terminus etwas anfangen können. Der Klerus ist in der katholischen Welt ein Teil der Ständegesellschaft (Arbeitende, Betende, Adel). Deswegen ist die feudale Welt aber keine Welt, in der irgendein „Klerikalismus“ vorherrscht. Das ist Blödsinn, da der Landesfürst das Sagen hat. Der Landesherr bestimmt, was der Untertan zu glauben hat. Er bestimmt darüber, wer in seinem Territorium welchen Posten in der Kirche bekommt (einfach ausgedrückt!). Der Papst hat auch in katholischen Ländern nicht viel dreinzureden (außer in formalen Glaubensangelegenheiten). Darum ist das ganze Blabla um die angeblich so große Macht der Kurie Unsinn. Wäre diese „Macht“ wirklich so groß gewesen, hätte es im Reich keine Reformation gegeben.
Deutsche Handwerker haben schon im Mittelalter Draht hergestellt, mechanische Uhren, Spiegel, Kompasse, Messgeräte, Brillen, gedruckte Bücher, Papier und zwar so, dass man einen größeren Markt damit beliefern konnte, das ist der Unterschied zum arabischen oder asiatischen Raum. Ist ja auch heute noch so, dass Baden-Württemberg aufgrund langer Traditionen immer noch die Nr. 1 in Sachen Erfindergeist in Europa ist (ähnlich auch in der Schweiz). Von nichts kommt nichts. Und dass der protestantische Norden im Allgemeinen reicher ist als der Süden Europas sehen wir ja heute noch (siehe Max Weber). In Nordamerika ist das im Übrigen auch nicht anders. Ganz von ungefähr kommt das nicht.
Wenn Sie weder Katholik noch Protestant sind, dann maßen Sie sich nicht an, darüber zu urteilen!
@Ernst
Zum Klerikalismus, ja der Begriff findet erst seit dem 19. Jh. breite Verwendung. Dass das Mittelalter den nicht kannte ist mir aber schnuppe. Wir leben nicht mehr im Mittelalter/Neuzeit und zur Analysierung der damaligen Zustände ist der Begriff zulässig. Selbst der Papst hat ihn schon verwendet. Ferner wird Klerus umgangssprachlich sehr wohl auch auf Protestanten übertragen, da die dortige Ordination letztendlich auch nichts anderes als eine Weihe darstellt. (ja ich weiß: blubb blubb …religiöser Schei.. blubb blubb). Wenn ich also feststelle, dass der protestantische Arbeitsethos ein klerikaler Begriff ist abgeleitet von Klerikalismus dann ist die Definition korrekt. Was Luther dazu sagen würde ist mir egal. Luther glaubte auch an Hexen. Was soll der also der Verweis? Der ist eine Person des 15./16. Jh., wir leben im 21. Jh.
Ernst sagt: 20. Dezember 2016 um 19:05
„Deutsche Handwerker haben schon im Mittelalter Draht hergestellt, mechanische Uhren, Spiegel, Kompasse, Messgeräte, Brillen, gedruckte Bücher, Papier und zwar so, dass man einen größeren Markt damit beliefern konnte, das ist der Unterschied zum arabischen oder asiatischen Raum. …“
Mal von den mechanischen Uhren abgesehen, wurde dass alles z.B. auch in China produziert und ja auch für einen großen Markt, denn die Bevölkerung in China war zu dem Zeitpunkt deutlich größer und es gab auch im gesamten indo-pazifischen Raum umfangreiche Handelsbeziehungen. Ferner besaß China eher ein meritokratisches System und war bis in 18. Jh. im Manufakturwesen in etlichen Bereichen Europa deutlich überlegen. Da änderte sich eben mit der Industrialisierung, die im 18. Jh. in Europa langsam einsetzte. Im Übrigen war der maghrebinische und levitische Raum, z.B. für Kupferschmiedearbeiten ebenfalls bis in 19. Jh. lange berühmt. Die Behauptung, dort hätte es keine handwerkliche Tradition gegeben ist falsch.
Das Alles ändert aber eben nichts an der Tatsache, dass das Vorhandensein von Manufakturwesen nichts mit Berufsethos oder gar Berufsarbeiter zu tun hat. Berufsarbeiter, sprich freie ausgebildete Menschen, deren Lebensmittelpunkt der Verkauf der Arbeitsfähigkeit ist, gibt es so erst seit der Industrialisierung. Zuvor herrschte in Europa vor allem ein Zunftwesen, welches keine freie Berufswahl möglich machte. Es gab Zünfte, die als unehrlich galten und deren Angehörige nicht in sogenannten ehrlichen Zünften aufgenommen wurden. Gesellen standen in direktem Abhängigkeitsverhältnis zu den Zünften und Meister, als Vollbürger, hatten i.d.R. Besitz, der den Lebensunterhalt sicherte. Zudem erlaubten die Zünfte Monopolstellungen, die z.B. von Adam Smith deutlich kritisiert wurden.
Die propagierte „Arbeitsethik“ welche sich im 16. Jh. herausbildete, ging einher mit der ursprünglichen Akkumulation, ist also eine Ethik welche vom aufstrebenden Besitzbürgertum (in England auch Teile der Gentry) geprägt wurde und damit nichts anderes als eine neue Verbrämung ausbeuterischer Besitzverhältnisse.
„Und dass der protestantische Norden im Allgemeinen reicher ist als der Süden Europas sehen wir ja heute noch (siehe Max Weber). In Nordamerika ist das im Übrigen auch nicht anders.“
Nun, ich bin nicht der größte Weber-Fan, da viele seiner Darlegungen historischer und wirtschaftlicher Fakten einer eurozentrischen Bewertungsskala unterliegen. Seinen okzidentalen Rationalismus kann man zwar schlecht entkräften, jedoch wird hier die „Ressourcen-Akkumulation“ etwas vernachlässigt. Dennoch ist das Kennzeichen für den Erfolg des europ. Modells eindeutig im freiem, urbanen Bürgertum zu suchen. Jedoch ist die protestantische Arbeitsethik halt nur ein Bruchteil der europ. Expansion und inzwischen als Antrieb auch längst widerlegt. So lässt sich z.B. Chinas Aufstieg zur neuen Supermacht eben NICHT mit Protestantismus erklären.
@Tei Fei Das Argument „ist mir egal“ ist unwissenschaftlich. Hier geht es um kulturelle Unterschiede und kulturelle Unterschiede liegen letztlich in historischen Entwicklungen begründet. Ihr Ansatz ist daher unsinnig. China hat ähnlich wie Russland die europäische Arbeitsethik radikal übernommen. Dafür hat der Kommunismus gesorgt. Die Asiaten sind ja generell dafür bekannt, alles den Europäern nachzuahmen. Kein Mensch käme bei uns auf die Idee Shanghai oder Lhasa nachzubauen. :)
China hat immer noch einen gewaltigen Entwicklungsrückstand, moderne Zentren ändern daran rein gar nichts. Das gesamte chinesische Hinterland ist z.B. von einer enormen Strukturkrise betroffen. Und ähnlich wie in Japan oder Südkorea wurde zwar gewaltig expandiert, aber auf Basis fauler Kredite. Chinas Wachstum ist gekünstelt, basierend auf einer Manipulation des US-Dollars. Mit einer echten Wettbewerbsfähigkeit und hervorragenden Produkten hat das wenig zu tun.
Das was Sie über die Zünfte schreiben, stimmt, ändert aber nichts daran, dass industrielle Zentren in Deutschland sehr oft eine lange Tradition haben. Die oben beschriebene Arbeitsethik wurde von den absolutistischen Staaten und Stadtrepubliken gefördert. Hohe Abgaben und ständiger Ressourcenmangel dürften den Drang, aus wenig Geld mehr Geld zu machen, beschleunigt haben. Wo knappe Ressourcen sind, herrscht meist individueller Erfindungsreichtum. Darum waren deutsche Städte schon früh Innovationszenttren. Nicht die Größe – wie in Asien – sondern die Tatsache, dass diese Städte seht klein waren, führte zu Vorteilen, da man eben nicht auf Macht bauen konnte, sondern innovativ sein musste.
Das war im Alten Griechenland nicht anders als 1945. Deutschland ist ein – rein materiell betrachtet – übervölkertes und armes Land. Großpapa und Urgroßmama haben in Verhältnissen gelebt, die noch halb im Mittelalter verankert waren. Die Zeit des Adels und der Kirche war selbst noch um 1950 sehr präsent in den Köpfen. Das ist Teil unserer deutschen Identität. Mach was dagegen!
Ernst sagt: 21. Dezember 2016 um 17:43
„@Tei Fei Das Argument „ist mir egal“ ist unwissenschaftlich. Hier geht es um kulturelle Unterschiede und kulturelle Unterschiede liegen letztlich in historischen Entwicklungen begründet. Ihr Ansatz ist daher unsinnig.“
Ja eben, historische Entwicklungen. Das ein Herr Luther nicht unseren heutigen Horizont hatte ist genau dadurch zu erklären. Daher ist es für eine Gesellschaftsanalyse nicht entscheidend, was eben ein Herr Luther zu dem Thema gedacht (ist sowieso nur eine Interpretationsfrage) hätte. Das ist also durchaus wissenschaftlich. Man sollte sich von Mythenbildung distanzieren.
Ernst sagt: 21. Dezember 2016 um 17:43
„China hat ähnlich wie Russland die europäische Arbeitsethik radikal übernommen. Dafür hat der Kommunismus gesorgt. Die Asiaten sind ja generell dafür bekannt, alles den Europäern nachzuahmen. Kein Mensch käme bei uns auf die Idee Shanghai oder Lhasa nachzubauen.“
Genau auf so eine Argumentation habe ich gewartet. Die Slawen und die Asiaten sind also nur Kulturbewahrer und ahmen alles nach. Sie wissen schon, dass Ihre Darlegungen der NS-Rassenideologie entsprechen.
Sie reden von PROTESTANTISCHER Arbeitsethik. Schreiben sogar:Ernst sagt: 20. Dezember 2016 um 19:05 „Und dass der protestantische Norden im Allgemeinen reicher ist als der Süden Europas sehen wir ja heute noch (siehe Max Weber). In Nordamerika ist das im Übrigen auch nicht anders. Ganz von ungefähr kommt das nicht.“ Wenn es Ihnen dann aber in den Kram passt, ist das ganz plötzlich gar nicht mehr protestantisch sondern auf einmal kommunistisch oder gar (China betreffend) konfuzianisch. Sie merken schon, dass diese Argumentation Blödsinn ist. Der Erfolg des europ. Modell ist nicht einer „gottgewollten Arbeitsethik“ zu verdanken und Sie können die lächerliche Propaganda schon gar nicht auf Ländern projizieren, die hier überhaupt keine vergleichbaren Traditionen aufweisen können. Und natürlich kam man auch schon in Europa auf die Idee chinesische und japanische Pavillons und Gärten anzulegen. In der Zeit der Aufklärung gab es sogar ganze Kunst- und Architekturepochen, die hier inspiriert wurden, nennt sich Chinoiserie. Es gibt sogar die These, dass die Aufklärung durch die Kenntnisnahme konfuzianischer Schriften, deren Übersetzungen zu dieser Zeit in Europa auftauchten, überhaupt erst einen solchen Schub erhielt. Das christliche Auserwählten-Modell war nämlich nicht mehr aufrecht zu erhalten, als man die Existenz anderer hochstehender Zivilisationen akzeptieren musste. Die Folge war dann die Entwicklung der „wissenschaftlichen“ Rassentheorien, denen schon Kant teilweise erlegen ist.
Ernst sagt: 20. Dezember 2016 um 19:05
„China hat immer noch einen gewaltigen Entwicklungsrückstand, moderne Zentren ändern daran rein gar nichts. Das gesamte chinesische Hinterland ist z.B. von einer enormen Strukturkrise betroffen. Und ähnlich wie in Japan oder Südkorea wurde zwar gewaltig expandiert, aber auf Basis fauler Kredite. Chinas Wachstum ist gekünstelt, basierend auf einer Manipulation des US-Dollars. Mit einer echten Wettbewerbsfähigkeit und hervorragenden Produkten hat das wenig zu tun.“
Wo haben Sie denn den Quatsch her? Chinas Hinterland hat tatsächlich noch einen gewaltigen Entwicklungsrückstand, das gilt inzwischen aber auch schon wieder für das USamerikanische. Das ändert aber nichts an der ökonomischen Vormachtstellung. Von einer Strukturkrise kann auch in China überhaupt keine Rede sein. Die Wachstumszahlen der Wirtschaft sind einfach nur nicht mehr zweitstellig. Das ist aber eine ganz normale Entwicklung. Kein Mensch redet in DE von einer Strukturkrise, obwohl unser „Wachstum“ inzwischen weniger als 1% beträgt. Ferner ist es komplett lächerlich anzunehmen, Chinas Wachstum wäre nur auf Manipulationen des US-Dollars zurückzuführen. Soweit mir bekannt ist hat immer noch die FED die Hoheit über den USD und nicht die chinesische Staatsbank. Da China der amerikan. Hauptgläubiger ist, sollten die Chinesen sogar ein großes Interesse an einem stabilen Dollar haben. Es ist zwar richtig, dass viele chinesische Kommunen einen Boom über faule Kredite finanziert haben (vor allem einen Bauboom), die wirtschaftliche Exportindustrie ist davon aber nicht betroffen. China hat hier eher sozialen Sprengstoff geschaffen, den es zu lösen gilt. Da aber in China eine Art Staatskapitalismus vorherrscht, ist dieses Problem sehr beherrschbar.
Auch Chinas Wettbewerbsfähigkeit in Frage zu stellen zeugt von Ignoranz. China meldet inzwischen mehr Patente an als DE und dt. Unternehmen sind hier in den Top10 praktisch kaum noch vorhanden chinesische schon. Chinesische Bauteile sind inzwischen in den meisten elektronischen Produkten verbaut. Ihre Argumentation ist ähnlich der herablassenden Art, mit der in 70ern japanische Produkte belächelt wurden. Das sind nur Ressentiments.
„Das was Sie über die Zünfte schreiben, stimmt, ändert aber nichts daran, dass industrielle Zentren in Deutschland sehr oft eine lange Tradition haben. Die oben beschriebene Arbeitsethik wurde von den absolutistischen Staaten und Stadtrepubliken gefördert. Hohe Abgaben und ständiger Ressourcenmangel dürften den Drang, aus wenig Geld mehr Geld zu machen, beschleunigt haben. Wo knappe Ressourcen sind, herrscht meist individueller Erfindungsreichtum. Darum waren deutsche Städte schon früh Innovationszenttren.“
Nochmal, das hat nichts mit protestantischer Arbeitsethik zu tun auch die Ressourcenfrage vor Ort ist eher sekundär und was heißt denn bitte „frühe Innovationszentren“? Die ersten menschlichen Innovationszentren lagen in der Levante und im Iran, später dann in Ägypten, Türkei, Nordafrika, Griechenland und später Italien, von Kulturen die nicht im europ. Einflussgebiet lagen mal ganz zu schweigen. All das wurde ganz OHNE protestantische Arbeitsethik geschaffen. Auch die Ursprünge des kapitalistischen Systems, was zweifellos das europ. Erfolgsmodell ist, liegen eher im katholischen Italien und bei habsburgischen Bankhäusern. Das der europ. Norden, sprich Niederlande/England letztendlich mehr Erfolg erreichen konnten liegt an VIELEN Faktoren. Ein wichtiger war z.B. der bedeutungslos gewordene Mittelmeerhandel. Ein weiterer war die Kapitalschwemme aus der Ausbeutung Lateinamerikas und der feindlichen Übernahme des indo/arabischen Zwischenhandels an Gewürzen sowie der Errichtung von Handelsmonopolen bzw. der im 17. Jh. anlaufende atlantische Dreieckshandel. Hier konnten GEWALTIGE Ressourcen erschlossen werden, die dann natürlich in effektive Produktionsmethoden und technische Entwicklungen investiert wurden.
@Tei Fei Der Unterschied zu anderen Kulturkreisen liegt darin, dass der protestantische Mensch arbeitet, um Gott zu gefallen. Weil er Gott gefällt, verdient er und weil er verdient, belohnt dies Gott mit Konsum. Man sieht ihm daher Gottes Gnade an. Der gottgefällige Mensch ist erfolgreich, weil er etwas leistet. Wer reich ist, ist daher von Gott prädestiniert, weil er etwas geleistet hat. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass jeder der nicht erfolgreich, der nicht reich ist, der nichts leistet, der nicht konsumiert, der nicht verdient, der nicht arbeitet, ein Parasit in Gottes Weltordnung ist. Ab ins Arbeitshaus! Arbeit macht froh, denn Arbeit ist gottgewollt. Mit solch einer Ideologie bringt man die Leute auf „Zack“. Wer schwach ist, wird diesen Wertekanon noch mehr verinnerlichen als der Starke, da er ja im System bestehen will (wie raffiniert!). Man schafft so eine Gesellschaft, die ständig expandiert und alles unterwirft, was diesem Credo im Weg steht. Die protestantische Arbeitsethik ist also nichts anderes als die totale Mobilmachung der Arbeit, zur Vermehrung von Geld, zur Reinvestition von Geld in Arbeit, um mit Arbeit Geld zu verdienen. Ist das logisch? Das letztliche Ziel der protestantischen Arbeitsethik ist es, die Welt zum Arbeitshaus zu machen. Expansion total. Die protestantische Arbeitsethik verbannt das Unnütze aus der Welt. Dieses Ziel hat diese Ideologie auch mit Bravour erreicht. Unnütze Menschen werden „konditioniert“ (oder schlimmstenfalls „weggemacht“), Produkte werden optimiert, Gebäude wirken kahl, weil sie nützlich zu sein haben, Emotionen sind kleinzuhalten, solange man sie nicht ökonomisch nutzen kann. Kunst hat Geld zu bringen. Sie hat funktional zu sein. Sie soll gefällig sein, damit sie gekauft wird. All das ist die Folge dieses Denkens. Welch ein Unterschied zum barocken Süden!
Der gute alte Kapitalismus à la Fugger oder Medici wirkt da wie ein Waisenknabe.
Die gesamte moderne Kultur beruht auf der Konditionierung durch die protestantische Arbeitsehtik von Honkong bis nach Alaska. Wer diese Ethik nicht übernimmt, ist nicht wettbewerbsfähig. Darum will jeder, der etwas aus sich machen will, entweder nordamerikanisch oder europäisch sein. Das ist der tiefere Grund, wieso Asien und Russland so viel aus Europa 1:1 kopiert haben. Auch katholische Länder haben das Arbeitsethos der Protestanten übernommen, allerdings nicht ganz so brutal. Vielleicht auch kein Zufall, dass die Selbstmordrate und die Rate an Amokläufern heute noch in katholischen Ländern geringer ist. :)
Die europäischen Juden – besonders die deutschen – haben auf geistigem Gebiet im Übrigen eine ähnliche Dynamik entfacht. Allerdings war nicht die Arbeit ihre Stärke, sondern das Denken und der Handel, was ein bisschen zu Missverständnissen geführt hat. Wer nämlich sein Geld nicht durch harte und quälende „Arbeit“ verdient (es soll ja das Leiden Christi nachgeahmt werden), ist aus dem Blickwinkel der protestantischen Arbeitsethik etwas suspekt. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Mit anderen Worten: Die europäische Kultur ist superdominant und es wird den asiatischen Ländern nicht so schnell gelingen, etwas Eigenständiges, vollkommen Neues zu entwickeln. Der moderne Chinese, der nach Europa kommt, ist nichts anderes als ein europäisierter Asiate. Eigentlich schade! Noch krasser ist es bei den Nordamerikanern, denn die haben die letzten Reste älterer Kulturen gänzlich abgestreift. Money, money, money, work, work, work. Der Unterschied zu den anderen besteht darin, dass wir Europäer noch einigermaßen wissen, woher wir kommen.
Ressourcenknappheit, Armut, Geldmangel, Machtstreben des Staates, die Enge der Verhältnisse und zufällige Entwicklungen der Religion sind die wahren Ursachen für die Expansion der europäischen Arbeitskultur. Die Expansion nach Innen hatte die Expansion nach Außen zur Folge.
Dass viele Muslime mit unserer Kultur überfordert sind, wundert mich nicht. Willkommen im Arbeitspardies!
@Ernst
Ihre schöne Theorie hat nur einen Haken. Vor Erfindung des protestantischen Arbeitsethos war die Menschheit auch nicht anders organisiert. Sie verwechseln Ursache und Wirkung. Die kapitalistische Produktionsmethode hat sich als erfolgreich durchgesetzt. Um diese zu legitimieren, wurde der „berühmte“ Ethos inspiriert. Durch ehrliche Arbeit sind aber in der Menschheitsgeschichte die Wenigsten reich geworden. Es ist also nur eine Verbrämung.
Ernst sagt: 22. Dezember 2016 um 21:11
„Mit anderen Worten: Die europäische Kultur ist superdominant und es wird den asiatischen Ländern nicht so schnell gelingen, etwas Eigenständiges, vollkommen Neues zu entwickeln. Der moderne Chinese, der nach Europa kommt, ist nichts anderes als ein europäisierter Asiate. “
Das die europ. Kultur super dominant ist, ist keine Frage. Das ist aber nur oberflächlich. Ich glaube auch, dass die meisten Chinesen auf die obige Aussage ziemlich beleidigt reagieren würden. Sie ist imho in der Praxis auch nicht haltbar. Das ein Werteaustausch in einer globalisierten Welt stattfindet ist natürlich klar. Das der Kulturtransfer hierbei vor allem von den dominanten Mächten ausgeht ebenfalls, die haben ja die Ressourcen und bestimmen die Regeln. Das in den „beherrschten“ Ländern jedoch nichts eigenständiges existiert ist reiner Eurozentrismus und, wie schon erwähnt, die Grundlage eines rassistischen Weltbildes.