Lamyas Welt
Warum die Muslime so rückständig sind
In der islamischen Welt gibt es keine einzige Demokratie. Auch hat sie kaum einen Nobelpreisträger hervorgebracht. Schuld allein ist der Islam. Gut gebrüllt, Löwe, findet Lamya Kaddor in ihrer neuesten Kolumne.
Von GastautorIn Freitag, 10.12.2010, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 29.01.2017, 10:13 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
In letzter Zeit hört man immer wieder zwei schlagende Argumente für die Rückständigkeit des Islam. Eines davon lautet, dass es in der gesamten islamischen Welt nicht eine einzige Demokratie gebe. Dem mag man im ersten Moment beipflichten, genauso wie der Aussage, dass es kein afrikanisches Land mit einer Demokratie gebe oder kein buddhistisches.
Der Hinweis auf die Türkei wird in der Regel damit gekontert, dass diese keine echte Demokratie sei, weil sie zu viele Defizite aufweise. Wenn dem so wäre, ist sie es ebenso wenig wie Südafrika, Thailand oder Brasilien, nur mit dem Unterschied, dass diesen Ländern in unseren Diskussionen der Status seltener abgesprochen wird. Aber bleiben wir beim Inhaltlichen.
Über welches andere Mitgliedsland der 57 Staaten der Organisation der Islamischen Konferenz wollen wir hinsichtlich der Demokratiefrage reden? Über den Irak? Über Afghanistan? Oder eines der anderen Staaten, in denen fremdländische Kulturen in den vergangenen Jahrzehnten kräftig an den Rädern der Macht gedreht haben – mal so herum, mal so herum? Wir können auch über den Iran sprechen, es muss ja nicht immer gleich ein Krieg mit ausländischer Beteiligung sein, der die eigenständige Entwicklung gestört hat. Wer griff dort in den 50er Jahren noch mal ein, um das autoritäre Regime von Schah Reza Pahlavi zu stärken, dessen Herrschaft später in die Islamische Revolution mündete? Richtig, ebenfalls Ausländer, schließlich mussten diese den Zugriff auf die iranischen Bodenschätze sicherstellen, was ihnen der Schah im Gegensatz zu den demokratischen Kräften im Land nun mal großzügig gewähren wollte. Und wenn wir schon dabei sind, fragen wir uns doch auch gleich, wie viele fremdländische Kulturen im Gegenzug eigentlich in Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Geschicke manipuliert haben? Richtig, keine!
Aber gut, lassen wir das, sprechen wir über die Vereinigten Arabischen Emirate oder über Katar, Bahrain, Kuweit. Diese Länder waren vor fünfzig Jahren nichts als eine Ansammlung von Gehöften in der Wüste. Plötzlich kam märchenhafter Reichtum in Form von Öl und Gas über sie, sodass das Sinnieren über staatliche Strukturen zur Nebensache geriet. Welche vergleichbare Entwicklungsgeschichte gibt es im Westen?
Oder sprechen wir über Indonesien, Malaysia oder Bangladesch. Das sind mehr oder weniger funktionierende Demokratien. Gewiss gibt es dort viel mehr Defizite als in Norwegen, Schweden oder Finnland. Aber die „Unabhängigkeit“ der Skandinavier währt auch schon länger als 60, 50 bzw. 40 Jahre.
Beim Stichwort „Unabhängigkeit“ kann man natürlich auch an Länder wie die USA, Kanada oder Australien denken. Der Unterschied zu Indonesien ist nur, dass die Urbevölkerung dort durch die Einwanderung ganzer Heerscharen aus der alten Welt marginalisiert wurde. Zugleich kamen die Einwanderer überwiegend zu einem Zeitpunkt, als das Abendland zur aufstrebenden Weltmacht in politischer, militärischer und wissenschaftlicher Hinsicht avanciert war. Entsprechend brachten sie die politischen, militärischen und wissenschaftlichen Ideen und Fortschritte ihrer Zeit mit, die denen der anderen überlegen waren. Ähnliches geschah übrigens im 7., 8. und 9. Jahrhundert durch die Muslime.
Allerdings gründen die Aufstiege der Europäer oder der Araber auf nichts anderem, als auf einem zufälligen Zusammentreffen bestimmter historischer Ereignisse. Ihr Erfolg rührt jedenfalls nicht daher, dass die Europäer an sich so besonders intelligent oder die Araber als solche so besonders begabt gewesen wären.
Wenn wir uns also darüber unterhalten wollen, warum es „keine“ Demokratien in der islamischen Welt gibt, dann können wir dies nicht ohne die Berücksichtigung der Weltgeschichte und der jeweiligen Landesgeschichten tun. Die Betonung liegt auf „Berücksichtigung“. Das heißt, es sind nicht allein die Historie und die so genannten „exogenen Faktoren“, die für die diagnostizierte Rückständigkeit eine Rolle spielen. Sie sind lediglich ein gewichtiger Teil des Problems.
Der andere Teil des Problems sind die hausgemachten Defizite, die so genannten „endogenen Faktoren“ wie Korruption, Misswirtschaft, mangelnde politische Partizipation der Bevölkerung bzw. Bevölkerungsteile oder – und an dieser Stelle findet nun auch endlich „der“ Islam seinen Platz – ein restriktives Religionsverständnis.
Nobelpreisträger
Ein weiteres schlagendes Argument lautet: Der Islam ist bildungsfeindlich, schließlich haben die Muslime nur wenige Nobelpreisträger hervorgebracht. Gut gebrüllt, Löwe. Diese einfache „Beweisführung“ eignet sich prima, um munteres Kopfnicken an Stammtischen zu erzeugen. Dabei dürfte der Grund derselbe sein, warum die Hindus so wenige Nobelpreisträger hervorgebracht haben, oder die Afrikaner, oder die Südamerikaner oder die Chinesen. Nur, mit deren Religion und Kultur hat das weniger zu tun.
Man sollte besser fragen, warum die USA so einen Riesenvorsprung in allen Nobelpreis-Kategorien haben? Vielleicht sind US-Amerikaner ja tatsächlich so viel intelligenter als Europäer, Asiaten und andere. Ich glaub jedoch, es liegt weniger daran, dass eine Geburt in den nicht-muslimischen USA mit der Weitergabe einer besonderen Intelligenz verbunden ist. Ich glaube, es liegt eher daran, dass die Wissenschaftslandschaft in den USA um einiges besser ist als anderswo. Und beim Stichwort Wissenschaftslandschaft sind wir wieder bei den exogenen und endogenen Faktoren der staatlichen Entwicklung.
Selbstverständlich kann auch hier bezüglich der islamischen Welt das Islamverständnis als Faktor berücksichtigt werden, aber eben nicht als zentraler oder gar als einziger. Wenn explizit der Islam so sehr mit fehlender Bildung zu tun hätte, wie konnte dann die islamische Welt einst einen so großen Wissensvorsprung in allen Bereichen erzielen, während Europa im finsteren Mittelalter darben musste? Wer hätte wohl vor einigen hundert Jahren die meisten Nobelpreise bekommen?
Vielleicht der Mathematiker Khawarizmi wegen seiner Ausführungen zur Algebra. Oder sein Kollege al-Battani wegen seiner Arbeiten zur Trigonometrie, zur Planetenberechnung oder zur bis auf zwei Minuten exakten Bestimmung des Sonnenjahres. al-Biruni böte sich vielleicht an wegen seiner nahezu exakten Berechnung des Erdradius oder der Erfindung des Pyknometers, mit dessen Hilfe bis heute die Dichte von Flüssigkeiten und Pulvern ermittelt wird. Auch der berühmte Mediziner Ibn Sina wäre gewiss nicht leer ausgegangen. Ebenso der große Naturwissenschaftler Ibn al-Haytham, der maßgebliche Wegbereiter der Optik und Erfinder der Lupe. Oder der Konstrukteur al-Jazari, Vordenker der Kybernetik und Pionier der Zeitmessung. Oder al-Fazari, dem der Bau des ersten Astrolabs in der islamischen Welt zugeschrieben wird. Heiße Anwärter wären sicher auch der Geograf al-Idrisi mit seiner Weltbeschreibung und der dazugehörigen Karte („Tabula Rogeriana“) gewesen sowie der Botaniker al-Baitar für seine systematische Darstellung von mehr als 1.000 Heilpflanzen und Rezepturen. In den Fokus würde sich vermutlich auch der osmanische Erfinder Taqi al-Din drängen, von dem im 16. Jahrhundert – also auch noch nach dem so genannten goldenen Zeitalter des Islam – die Beschreibung einer Dampfmaschine überliefert ist; lange bevor sie in Europa entdeckt und zum Motor der Industrialisierung wurde. Die Liste der potenziellen Nobelpreiskandidaten ließe sich noch beliebig verlängern… Aktuell Meinung
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@Kehrhelm Kröger
Die Antwort ein paar Interviews von arabischen Intelektuellen auf MemriTV wurden quasi gelöscht. So bringt der Artikel natürlich nix. Aber für Frau Kaddor wären diese bestimmt von Interesse gewesen da Sie ja quasi selbst auf der Suche nach der Antwort ist.
@Kehrhelm Kröger
Das steht im Text. Sie sollten ihn vielleicht einmal lesen, das könnte helfen. Interessant für sie wird es an der Stelle, wo es um endogene und exogene Faktoren geht.
Mal abgesehen davon, dass es sich offensichtlich um einen rhetorischen Titel handelt. Falls Sie verstehen, was ich damit meine?
Nun, in dem Artikel werden Faktoren gewälzt, die KEINE Gründe für die islamische Rückständigkeit sein sollen. Dabei bleibt aber offen, was denn nun die Gründe für die erbärmliche Rückständigkeit des Orients sind. Wenn Sie diese Ursachen in dem Text finden, friendofthesun, fassen Sie sie doch mal zusammen. Ich finde in dem Text jedenfalls nichts.
@Kehrhelm Kröger
1. Grund: Die Historie der einzelnen Ländern
2. Grund: Die Weltgeschichte
3. andere exogene Faktoren der staatlichen Entwicklung. (zugegeben, das führt sie nicht aus, aber damit sind z.B. die Abhängigkeiten im globalen Wirtschaftskreislauf gemeint, auf die ein Land nur bedingt selber einfluss nehmen kann.
4. Grund: endogene Faktroren, als ersten nennt sie: Korruption
5. Grund: Misswirtschaft
6. Grund: mangelnde politische Partizipation der Bevölkerung bzw. Bevölkerungsteile
7. Grund: ein restriktives Islamverständnis.
Vielleicht stecken noch mehr Gründe in dem Text. Das sind aber die offensichtlichen.
Aber noch mal, ich glaube, ihr ging es nicht in erster Linie darum, die Ursachen der Rückständigkeit zu erläutern, sondern diejenigen auszukontern, die behaupten die Rückständigkeit habe nur mit dem Islam zu tun.
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Der Islam ist rückständig.
Was für eine lächerliche Argumentation. Der Islam kann auch aufholen.
Wenn er die sogenannten westlichen Werte intergriert. So einfach ist das.
Verehrte Muslimin, schauen Sie sich doch mal die Entwicklung des Westens in den letzten 500 Jahren an, dann sehen Sie, was der islamische Kulturkreis modifiziert noch vor sich hat bzw. zum Teil schon verwirklicht hat.
Ich finde es peinlich, wie man hier mit relativistischen und spitzfindigen Argumenten diese selbstverschuldete Rückständigkeit wegerklärt.
Die deutsche Kultur wurde übrigens schon mal fremdbestimmt, verehrte Gelehrte, und das gleich zweimal und zeitlich parallel. Das ist noch nicht so lange her.
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@Friendofthesun
Richtig, alle angegebenen Punkte beeinflussen diese Rückständigkeit, jedoch beeinflusst vor allem ein restriktives Islamverständnis alle anderen Punkte so sehr das dieser Punkt eben doch der Hauptgrund ist.
1. Weniger die Kolonialmächte die am Öl im Nahen Osten interessiert waren sondern die jahrhundertejange Besetzung durch das Osmanische Reich hat diese Rückständigkeit insofern mitbegründet da zwar im Kernland und Istanbul dieses Reiches Kultur aufgeblüht ist aber eben auf Kosten der besetzten Gebiete die dementsprechend ausgeblutet sind. Das trifft im Übrigen auch auf das alte römische Reich zu wobei man aber dazu sagen kann das sich Infrastruktur und Handel in den europäischen Gebieten stärker entwickelt haben da näher an Rom.
2. Punkt 2 entspricht fasst genau Punkt 1
3. Punkt 3, 4 und 5 hängen unmittelbar zusammen mit der restriktiven Islamauslegung da in dieser durch Sharia etc. vorgeschrieben wird was als Halal oder Haram gilt, auch im wirtschaftlichen Sinne. Das ist ein Grund wieso so wenig Produkte den gesamten Nahen Osten in andere Länder verlassen. Und durch das stark patriarchale Verständnis der Gesellschaft wo immer noch viele Großfamilien vorhanden sind führen diese auf den wenigen guten Plätzen der Binnenwirtschaft harte Kämpfe mit Hilfe von Korruption etc., und das wie wir alle wissen endet in der Misswirtschaft und dann letztlich in der Rückständigkeit.
Das heißt erst mit der Beendigung des Einflusses des Islam auf alle Dinge des täglichen Lebens wird sich die Gesellschaft freier entfalten können und dadurch aufholen können.
Und weil in einem Zeitungsartikel angeführt wird, das „der Westen
den Wandel im Orient übersieht“
http://www.welt.de/debatte/die-welt-in-worten/article11522682/Westen-uebersieht-den-Wandel-in-islamischen-Laendern.html
und hier dann libanesische Studentinnen in Beirut auf einem Bild gezeigt werden. Wer könnte denn behaupten das es Frauen muslimischen Glaubens sind. Im Libanon sind immerhin ein Drittel der Menschen Christen.
Ein weiterer Beweis dafür das der Islam massgeblich an der Rückständigkeit des Nahen Ostens schuld ist ist die Tatsache das die christlichen Bevölkerungsanteile in jeglichen islamischen Ländern des Nahen Ostens zumeist die bürgerliche gebildete Mittelschicht stellen. Und diese Leute sie wie im Falle des Irak das Land aufgrund restriktiven Islamverständnisses das Land verlassen nehmen dann die letzte Intelligenz dieser Länder mit.
Industriespionage und Wissensdiebstahl. An der Religion liegt es jedenfalls nicht, denn die war schon vor 1200 Jahren Wissenshungrig.
Ich finde die Debatte hier ein wenig, wie Kräftemessen mit zwei gleichstarken Gegnern, da können wir alle noch so klug tun, jeder hat etwas Recht und etwas Unrecht. Vielleicht können die Herrschaften sich wenigstens darauf einigen. ;-)
Welt der Wunder Islam und Wissenschaft Teil 1/5
http://www.youtube.com/watch?v=mWW8rXehmkY
@Boli
Es tut mir leid, aber Sie haben leider gar keine Ahnung. Deshalb lässt sich Ihr ganzer Eintrag mit wenigen Worten ad acta legen:
Im 19. Jahrhundert bzw. insbesondere im 20. Jahrhundert spielte der Islam so gut wie keine Rolle. Denn in dieser Zeit hatten sich „die“ Muslime leider für den Nationalstaatsgedanken entschieden. Also nix mit Scharia. Die kam erst später.
Auch wenn es um den Islam geht, ist es manchmal sinnvoll, sich vorher etwas zu bilden, bevor man drauf los plappert.