Ein Fremdwoerterbuch
Thilo Sarrazin tut mir leid
Thilo Sarrazin und ich haben unsere Beziehungskrise überwunden. Noch vor kurzem sah ich in ihm nur einen bösen Ex-Bankier mit Hang zu hetzerischen Weltuntergangsthesen, den ich unter keinen Umständen namentlich in dieser Kolumne erwähnen wollte.
Von GastautorIn Donnerstag, 03.02.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 07.02.2011, 23:25 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Einen so gruseligen Zahlenverdrehenden – hätte ich keinen Verstand, würde ich, Kopftuchmädchen, mich vor mir selbst fürchten. Jetzt aber hat sich mein Blick geklärt: Sarrazin tut mir leid. Er ist ein trauriger Mann.
Vor einigen Tagen hatte ich – endlich! – das Vergnügen, mit ihm höchstpersönlich zu diskutieren. Allergrößtes Vergnügen! Vor allem deshalb, weil es sich um eine britische Radiosendung der BBC handelte, in der er seine Thesen vorstellen und gegen die Einwände von AnruferInnen verteidigen sollte.
Das hatte den Vorteil, dass Antworten radiogemäß möglichst kurz gehalten werden mussten – kurze Antworten sind absolute Sarrazin-Killer -, und noch dazu auf Englisch – wo sich doch in Fremdsprachen verquere Thesen nur schlecht schick verbrämen lassen.
Ich saß als Gast der Sendung in einem Hamburger Radiostudio und erwartete unser Aufeinandertreffen. Als es dann so weit war, erzählte ich ihm, dass ich in Deutschland studiert habe, die Sprache gut spreche, mich hier engagiere und fragte, was er noch von mir erwarte. Er antwortete: „I want yu tu intekräyt.“ Ich lachte, das war einfach zu lustig. Der große Experte weiß nichts Besseres, als mir solch eine Banalität hinzuwerfen wie einen alten Knochen?
Die nächsten zehn Minuten sprach ich so viel, dass ich wahrscheinlich mehr Redezeit hatte als Sarrazin im Rest der einstündigen Sendung. Als ich ihn nach der vergifteten Atmosphäre in Deutschland fragte, für die er mitverantwortlich ist, zitierte er eine mysteriöse türkische Frau: „Orientalen nutzen Emotionen, um Mitleid zu erregen.“ Aha, das würden Ur-Deutsche natürlich nie machen.
Das war nun auch dem Moderator zu rassistisch. So drängte er Sarrazin, Stellung zu diesem Zitat zu beziehen. Konnte er nicht. Er konnte auch weder etwas zu der Diskriminierung von Muslimen in diesem Land etwas sagen (wer das Kopftuch trägt, sei selbst für blöde Anmache verantwortlich) noch dazu, wie er Menschen integrieren will, die er genetisch minderwertig schimpft (er nenne nur Zahlen und Fakten).
Toll, da hatte ich ihn tatsächlich an die Wand geredet. Welch Genugtuung hätte das sein können! Doch ich empfand nur Mitleid. Wie traurig muss ein Mensch sein, der in Vielfalt kein Potenzial erkennt, nicht ihre Schönheit sieht. Ein Mensch, der jene respektlos vom Kopf stößt, die sein Land mit aufgebaut haben, und das im Gespräch nicht einmal begründen kann. Und langweilig muss es auch sein, wenn alles Andere und Neue per se verdächtig ist.
Selbst der Mann, der mir vor einigen Wochen eine Morddrohung schickte, hat sich in einer Mail entschuldigt: „Ich respektiere nicht unbedingt Ihre politische Überzeugung, aber ich respektiere Sie voll und ganz als Mensch“, schrieb er. Das muss man mal können, Herr Sarrazin. Menschen respektieren. Aktuell Meinung
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@BiKer
Unter BEKO kenne ich Fernsehgeräte. Sicherlich hat BEKO auch andere Produkte der Unterhaltungsbranche. BEKO hat mit GRUNDIG fusioniert. Unter BEKO/GRUNDIG werden diese Produkte in der Türkei hergestellt.
Die Geräte gibt es in auch in Deutschland.
Ghostrider
Pragmatikerin,
um da wieder anzuknüpfen, wo Sie kein Argument zu finden scheinen:
Seit 40 Jahren also tönt uns der xenophobe Chor die Ohren voll, mal mit mehr, mal mit weniger Dezibel, aber immer unüberhörbar — und Sie haben sich erst jetzt, nach Sarrazin, getraut, mitzusingen? Warum das? Der Chor war schon immer das halbe Volk. Oder mehr. Der xenophobe Chor hat schon immer den akustischen Raum beherrscht. Aber Sie haben Herrn Sarrazin gebraucht, um sich zu trauen, da einzustimmen?
Wenn das so stimmt, dann doch wohl nur deshalb, weil sie sich vorher geniert haben, so offen als Bösmensch aufzutreten. Weil sie das Gefühl hatten, dass etwas Unanständiges dran ist, so gehässig und pauschal über Mitmenschen zu reden. Sarrazin hat Ihnen dieses schlechte Gewissen genommen. Wenn jemand wie Bundesbanker Sarrazin das Schwein spielen kann, dann können Sie das auch! So hat er Sie also frei gemacht, öffentlich bösartig zu werden.
Interpretiere ich Sie hier richtig?
So ging das auch schon mal in unserer Geschichte. Eine glaubwürdige Führungsfigur hat dem Normalbürger den Weg frei gemacht zum hemmungslosen Hass. Vorher durfte man auch schon, und hat’s auch ausgiebig getan, aber jetzt mit höchstamtlicher Rückendeckung!
@ Loewe
Sie schrieben:
„Interpretiere ich Sie hier richtig?“
Ihre Frau ist Ihnen weggelaufen, ich habe es doch gewusst ;-)
@Loewe
„Deutschland hingegen barbarisiert sich allmählich…“
Das ist vllt eine gängige Meinung unter Türken aber unsere Nachbarländer haben noch nie ähnliche Dreistigkeit von sich gegeben. Es gibt nur eine sehr begrenzte Minderheit in Deutschland die ein Problem hat und nicht die Mehrheit.
Was kümmert es mich, wenn Sie Deutschland als barbarisch erachten? Erst will ich mal die Länder kennenlernen, die es besser machen. Ich kann ihnen an einer Hand, Länder aufzählen die demokratischer und in vielen Punkten besser sind als Deutschland, aber die Liste der Länder die schlechter als Deutschland sind, ist endlos lang.
Wie soll man Menschen wie Sie ernst nehmen, die ein ganz offensichtlich zivilisiertes Land barbarisch nennen. Realitätsfremd? Deutschphobisch? Europhobisch? Keine Ahnung
Sie sollten mal wieder versuchen auf den Boden der Tatsachen zurück zu kommen und aufhören hier ihre peinlichen Teestuben-facts zu veröffentlichen.
Guten Tag
Karl Gustav,
Sie sind mir ja doch selber so ein Beispiel für einen, der glaubt, zivilisiert zu sein, aber über andere Menschen herfällt, nur weil sie ihm kulturell fremd sind. Wie da bei uns in letzter Zeit eine Welle von Vorurteilen, Hass, Verachtung, Verläumdungen, wüster Unterstellungen über die Muslime in Deutschland hinweggegangen ist – das hat schon etwas Barbarisches, finden Sie nicht?
Gut, ich gebe Ihnen recht, die Welle könnte noch barbarischer ausfallen. Moscheen könnten angezündet, Muslime könnten auf der Straße angegriffen werden (ich meine jetzt nicht die paar Einzelfälle, die es schon gegeben hat, sondern eine breite Welle von dieser Art). Das kommt ja vielleicht noch – wenn’s uns mal wirtschaftlich-sozial richtig schlecht geht, stehen die Muslime als Sündenböcke und Blitzableiter und Prügelknaben bereit. Dann wird’s wohl richtig barbarisch werden.
Dies im Blick hab ich formuliert: Deutschland barbarisiert sich. Also: ist noch nicht barbarisch, aber auf dem Weg.
Ich finde aber doch, dass Sie in einer wichtigen Hinsicht recht haben: Wir haben immer noch einen relativ hohen Zivilisationsstandard. Umfragen zeigen leider, dass Deutsche intensivere Ressentiments hegen gegen Muslime als zum Beispiel die Holländer oder Dänen. Wir haben wohl ein größeres Potential zur Barbarisierung. Vorerst hält noch die Phalanx der Vernunft: Unsere Bundestagsparteien sind alle für die Integration und meinen es dabei ernst.
Pragmatikerin,
Sie wären von mir weggelaufen, und ich von ihnen, hätten wir beide den schwer verzeihlichen Fehler gemacht, uns zu heiraten.
Wie wär’s, Sie würden auf meine Fragen antworten?
Ich seh schon, da ist Ihnen noch nichts eingefallen. Aber jetzt, in dieser Nacht, kommt Ihnen bestimmt eine Erleuchtung, eine Idee, wie sie sich aus der Argumentationsschlinge herauswinden können.
Ich hätt schon eine Idee, aber die verrate ich Ihnen natürlich nicht.
@ Loewe
Sie schrieben:
Sie wären von mir weggelaufen, und ich von ihnen, hätten wir beide den schwer verzeihlichen Fehler gemacht, uns zu heiraten.
Hi, hi, hi, Sie wissen gar nicht, was ich für eine Nette bin, dass Sie aber ein „Brumbär“ sind, brauchen Sie nicht noch extra zu betonen.
Mehr Antworten können Sie von mir nicht erwarten ;-)
Pragmatikerin
@ Loewe
>>>Und wer hat je behauptet, die Türken hätten Deutschland aufgebaut? <<>>Sie haben in den 60er Jahren kräftig mitgeholfen, dass die deutsche Wirtschaft führend in Europa geworden<<<
Dafür sind sie auch angemessen entlohnt wurden. Jedenfalls haben sie wesentlich mehr erhalten, als sie in ihrer Heimat je hätten verdienen können
Stimmt, Pragmatikerin.
Mehr können wir von Ihnen nicht erwarten. Hysterisches Getue, fiese Angriffe unter der Gürtellinie, das schon – aber keine Argumentation.
@Böser Wolf:
Wir haben Arbeitskräfte geholt – und es kamen Menschen.
Ein treffendes Wort von einem Schriftsteller, ich glaube, es war Max Frisch.
Die Gastarbeiter haben damals den Lohn bekommen, der mit ihnen vertraglich vereinbart war, und der war hoch genug, um sie hierher zu locken und die problematischen Bedingungen auf sich zu nehmen – Ausbeutung, Wuchermiete für ein Stockbett im 8-Betten-Zimmer, kaum Infrastruktur für ihre menschlichen Bedürfnisse.
Es kamen Menschen. Man sollte immer bedenken, wenn man es mit Menschen zu tun hat: dass es Menschen sind. Menschen verdienen es, menschlich beurteilt und behandelt zu werden.
Der Blick zurück auf die 60er Jahre zeigt mir: da ist was Abenteuerliches, Heroisches passiert. Diese Gastarbeitergeschichte ist ein besonderes Kapitel, und die Gastarbeiter selber sind für mich ein bisschen Helden des Alltags wie die Trümmerfrauen ein bisschen Heldinnen des Alltags sind.
Hut ab! – Meinen Sie nicht?
@ sonata & pragmatikerin
ehe ich es vergesse: raten sie doch auch mal, wie sich die türken auf dem dienstleistungssektor so machen! keine ahnung? hier lang:
http://www.youtube.com/watch?v=d5zfcnEItvQ
http://www.youtube.com/watch?v=nxgPx4TWMWg
http://www.youtube.com/user/TURKISHAIRLINES#p/u/10/piT7MCD9y4M
und? immer noch nicht genug? hier gibt’s noch ein sahnehäubchen für alle, die ebenfalls keine ahnung haben weil sie nur deutsches fernsehen schauen ;)
http://www.youtube.com/watch?v=TnLjlU4rCuc