Premiere von "Almanya"
Entweder – oder! Oder?
Mit ihrer Komödie „Almanya – Willkommen in Deutschland“ haben sich die Schwestern Yasemin und Nesrin Şamdereli an die Verfilmung eines leider schon überstrapazierten Zitats von Max Frisch gewagt. Das Ergebnis aber ist großes Heimatkino.
Von Dominik Baur Montag, 14.02.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 16.02.2011, 3:09 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Cenk hat ein Problem. Oder vielleicht auch zwei. Wenn in der Schule Türken gegen Deutsche Fußball spielen, wollen die Deutschen ihn nicht in der Mannschaft haben. Weil er angeblich kein Deutscher ist. Und die Türken auch nicht. Weil er angeblich kein Türke ist. Cenk ist sechs Jahre alt, lebt irgendwo im Ruhrgebiet und weiß nicht, wer er ist. Seine Mutter ist deutsch, sein Vater auch, hat aber anatolische Wurzeln und, wie Cenk, einen türkischen Namen. Cenk ist ratlos.
„Was sind wir denn jetzt? Türken oder Deutsche?“ Wütend schleudert der Junge seinen angestauten Identitätskonflikt der versammelten Großfamilie entgegen. Deutsche, sagt die Mutter. Türken, sagt der Großvater. Man kann auch beides sein, sagt Cousine Canan. „Nein, das geht nicht“, schimpft der frustrierte Cenk. „Entweder die eine oder die andere Mannschaft. Man muss sich entscheiden.“ Und: „Wenn Oma und Opa Türken sind, warum sind sie dann hier?“
Ja, warum eigentlich? „Na, weil die Deutschen sie gerufen haben“, erklärt die 22-jährige Canan und beginnt dem Cousin eine Geschichte zu erzählen. Es ist zugleich die Geschichte des Films „Almanya – Willkommen in Deutschland“. Sie beginnt lange vor Canans eigener Geburt, am 10. September 1964.
An diesem Tag kommt Armando Sá Rodrigues am Bahnhof in Köln-Deutz an, als millionster Gastarbeiter in der Bundesrepublik. Wir kennen die Szene mit Rodrigues samt Moped längst aus den Geschichtsbüchern. In Canans Erzählung geht es jedoch nicht um Rodrigues, sondern um Hüseyin Yılmaz. Er ist nur die Nummer einemillionundeins. Höflich, wie er ist, hat er dem Portugiesen am Bahnhof den Vortritt gelassen.
Hüseyin Yılmaz ist der Großvater von Canan und Cenk. Von ihm und seiner Familie handelt Canans Erzählung und damit auch das Kinodebüt der Schwestern Yasemin und Nesrin Şamdereli, das jetzt auf der Berlinale seine Premiere feierte. Um die Ankunft in einem neuen Land geht es darin, um fremdartige Toiletten und furchteinflößende, ans Kreuz genagelte nackte Männer in der Küche; aber auch um vermeintliche Riesenratten, die der Bundesbürger an der Leine spazieren führt, und um erwachsene Männer, die – man glaubt es kaum – keinen Schnauzbart tragen. Und darum, wie man richtig Weihnachten feiert. Fatma, Hüseyins Frau, will es zur Verzweiflung ihrer Kinder einfach nicht begreifen. Und schließlich handelt „Almanya“ auch von einer Reise Jahrzehnte später in die Türkei, auf der so manchem Yılmaz so manches Licht aufgeht.
Dabei dreht es sich freilich um etwas mehr als die Familie Yılmaz; die Geschichte, die hier erzählt wird, ist nicht weniger als die der Ankunft der Türken in Deutschland – und so wenig die Yılmaz’ in mancher Hinsicht dem Klischeemigranten entsprechen, so perfekt füllen sie doch diese Stellvertreterrolle aus – vielleicht gerade deswegen.
„Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen.“ Der durch seine Schlichtheit kraftvolle Satz von Max Frisch wird längst so inflationär zitiert, dass man den abgenutzten Worten Schonung wünscht. Dass nun auch die Macher von „Almanya“ das Zitat zu ihrem Motto erhoben haben, lässt einen daher kurz grummeln – wirklich böse sein will man angesichts der gekonnten Verfilmung dieser Aussage nicht. Denn es ist nicht Aufklärerei, mit der sich der Film dem Thema Migration nähert, sondern eine erfrischende Art von Selbstverständlichkeit. Genau das verleiht dem Film seinen Charme. Endlich ein Stück deutsch-türkische Normalität, wie man sie viel zu selten erzählt bekommt.
Und die Şamderelis erzählen es mit so viel Liebe und Selbstironie, dass der Zuschauer ihnen nicht auskommt. „Almanya“ bewegt, und der Unterschied zwischen Lachen und Weinen bleibt ein fließender. Getragen wird die Geschichte nicht zuletzt von den Protagonisten, die man ins Herz zu schließen nicht umhin kommt und die von einer Reihe grandioser, viel zu unbekannter Schauspieler verkörpert werden – wie etwa Demet Gül und Lilay Huser, die beide die Fatma verkörpern, damals und heute.
Letzten Endes – man hätte auf eine weitere Erwähnung des Namens gern verzichtet, schafft es aber dennoch nicht – ist „Almanya“ die bestmögliche Antwort auf Thilo Sarrazin. Ohne die durch Sarrazins abstruses Gedankengut ausgelöste Debatte auch nur zu streifen, zeichnet der Film ein Bild eines Deutschlands, das seit jenem 10. September 1964 nicht die geringsten Anstalten macht, sich abzuschaffen – sondern sich anschickt, bunter, facettenreicher und genetisch vielfältiger zu werden als das, was der Ex-Politiker gern als Deutschland sähe. So ist den Şamderelis großes Heimatkino gelungen.
Und zum Schluss weiß sogar Cenk, wohin er gehört. Nach Deutschland – und zu seiner türkischen Familie. Manchmal ist es wichtig, sich nicht entscheiden zu müssen.
Dieser Text ist eine Kooperation mit MAGDA, dem Magazin der Autoren.
„Almanya – Willkommen in Deutschland“. Deutschland 2011. Regie: Yasemin Şamdereli; Buch: Yasemin und Nesrin Şamdereli; Darsteller: Fahri Yardım, Vedat Erincin, Demet Gül, Lilay Huser, Rafael Koussouris, Aylin Tezel, Denis Moschitto u.a.; Länge: 97 Minuten; Verleih: Concorde; Start: 10. März 2011. Aktuell Rezension Videos
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mich hat keiner gerufen, habe auch leider aus keinem land eine einladung erhalten und bin trotzdem hier. habe sehr sehr dunkle schwarze haare und dunkle augen, wie die nacht… darüber hinaus spreche ich auch noch eine sehr sehr fremde sprache…
auf jeden fall bin ich schon immer hier und ich will viel mehr. ich will überall hin, überall zu sehen sein, normal sein in diesem land. ich will jeden anprangern der sich nicht an die regeln, an die gesetze hält oder andere beleidigt oder mies macht oder zb. ungerechtfertigt hartz4 erhält, ich will auch den anprangern der ohne zu fragen gibt und hinter dem rücken des nehmers meckert und die allgmeinheit verantwortlich macht..
das ich hier bin mit meinen schwarzen haaren (ich sehe überhaupt nicht deutsch aus) muss normal sein und alle müssen sich langsam aber sicher daran gewöhnen…
Ich bin bekennender Integrationsverweigerer………. und bleibe standhaft!
Wer bin ich? :-)
Diese ganze Integrationsdebatte finde ich irgendwie amüsant…….. clash of civilizations, und so´n Gesülze. Im Endeffekt schaut „jeder“ wieviel er selbst in der Tasche hat. Und wenn es nicht genug ist [relativ] , dann sind halt die anderen schuld.
Hallo Leon,
danke für die Antwort. Aber zwei meiner Fragen scheinen immer noch unbeantwortet geblieben zu sein. Ich möchte eine dieser Fragen noch einmal stellen. Sie schrieben:
Warum wurden Anwerbeabkommen mit Marokko und Tunesien geschlossen, wenn man doch keine außereuropäischer Arbeitskräfte wollte und dies auch noch aus arabischen Ländern?
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/content/1262506
Heeey, hier ist doch der Beweis, dass die Deutschen nicht die Türken gerufen haben, sondern … : http://almanya-film.de/data/video/TeaserALMANYA.mov
Hihi :-D
@ Der Türke
Tja, da nützt es auch nichts, wenn man sich in Deutschland engagiert, in Schulpflegschaften oder anderswo, als „bekennender Integrationsverweigerer“ (sind Sie also einer von den hier immer „runtergerechneten“ 1-2 % ?)wird das nix, nicht war, Türke ?
Und ist es einfach besser, man geht wieder „in seine Heimat“ zurück, Nach Istanbul,Ankara,Izmir oder vielleicht Tekirdag, DA ist alles auf jeden Fall VIEL BESSER, ich weiß.
@ Selçuk
Sie fragten:
„Warum wurden Anwerbeabkommen mit Marokko und Tunesien geschlossen, wenn man doch keine außereuropäischer Arbeitskräfte wollte und dies auch noch aus arabischen Ländern?“
Ich nehme doch nicht an, dass Sie mein Posting nicht gelesen und beantwortet haben, nur weil ich eine Frau bin?!
Hier nochmals den Link,da bekommen Sie auf alle Ihre Fragen – und noch etwas mehr – Antworten.
Pragmatikerin
sagt http://de.nntp2http.com/soc/politik/texte/2009/09/cc43dacd7be8faabd147656197ff9d7c.html
@Pragmatikerin:
Sie haben auf Seite 3 einen Link zum Text einer Person mit dem Namen „Frank Bügel“ gesetzt. Dieser Text erschien im Usenet. „Frank Bügel“ war inn politischen Usenetgruppen als Neonazi bekannt, der gern auch mal Texte von NPD-Politikern empfiehlt. Entsprechend kann man davon ausgehen, dass die Inhalte von vorn bis hinten erlogen sind. Eine kurze Betrachtung von Bügels Umgang mit Zahlenmaterial bestätigt diese Vermutung auch schon. Näheres vielleicht, wenn ich wieder etwas Zeit habe.
Hallo Selcuk,
viele außereuropäische Staaten wollten damals ein Anwerbeabkommen schließen, darunter China, Japan und einige zentralafrikanische Staaten.
Hätte China in gleicher Relation wie die Türkei Arbeitskräfte geschickt, würden jetzt etwa 50 Millionen Chinesen in Deutschland leben…
Außenpolitische Erwägungen dürften bei den Verträgen mit Marokko und Tunesien dominiert haben – die junge BRD suchte nach internationaler Anerkennung; außerdem galt die Hallstein-Doktrin, die konkurrierende DDR sollte ja isoliert werden.
Im Fall von Marokko, einem Land mit Bergbautradition, intervenierten zudem 3 große Bergbauunternehmen; der Grundsatz nur europäische Kräfte zu nehmen war ja bei der Türkei de facto schon gebrochen worden.
In den Verträgen mit Marokko und Tunesien war bestimmt, dass nur Unverheiratete kommen, kein Familienachzug erfolgen sollte.
Die Aufenthaltsdauer war auf 2 Jahre begrenzt.
Das Jahr 1964 habe ich gewählt, weil der Spielfilm im Jahr 1964 beginnt.
Die Umfrage des Wickert-Instituts fand nur zufällig auch in diesem Jahr statt; frühere und spätere repräsentative Umfragen zeigten, dass die deutsche Bevölkerung der Gastarbeiteranwerbung sehr skeptisch und überwiegend ablehnend gegenüberstand.
Hätte man in den 60ern gewusst, dass sich später daraus eine millionenfache dauerhafte Ansiedlung entwickeln würde…
Die Zahl der Gastarbeiter aus der Türkei war in den frühen 60ern noch sehr bescheiden.
1961 waren es 6 800 und Ende 1963 erst 28 000.
1964 kam ein erster großer Schub mit 58 000.
@ NDM
Danke für diese Informationen. Ich habe mir den verlinkten Text durchgelesen und er beinhaltet Verlinkungen auf eine Seite mit dem Titel „Fakten – Fiktionen“. Nach kurzem Durchstöbern dieser Seite wurde es mir schon schlecht. Außerdem fragte ich mich auch, wer dieser Frank Bügel ist. Google hilft weiter.
@ Leon
Danke für die Antwort.