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Ein Fremdwoerterbuch

Und dann war sie stumm

Komm her, mein Kind", sagt der alte Professor und führt die 17-Jährige in sein Büro. Gemächlich setzt er sich hinter seinen massiven Schreibtisch und lehnt sich zurück. Durchdringend schaut er sie an.

Von Mittwoch, 16.02.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 21.02.2011, 1:59 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Dann holt er tief Luft: „Auch ich bin Muslim, Allah sei dank“, sagt er, „Ich bete manchmal. Und Arabisch kann ich auch ein bisschen.“ Er lächelt sie väterlich an. Das junge Mädchen rutscht auf ihrem Stuhl herum. „Du kannst mir vertrauen“, beteuert der Professor. „Wer hat dich beauftragt?“, fragt er schließlich.

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Die junge Studentin blickt ihn stumm an. Heiß und kalt wird ihr. Still und regungslos sitzt sie da. „Welches Regime hat dich beauftragt? Saudi-Arabien?“, wiederholt er und blickt auf das Stück Tuch auf ihrem Kopf, das ihr in einigen Wochen die Sicherheitskräfte vor der Uni abziehen werden. Das Kopftuch ist verboten.

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Noch im selben Jahr verlässt das junge Mädchen die Universität. Sie, die in der Schule immer die Beste war, kehrt als gebrochener Mensch in ihre anatolische Kleinstadt zurück.

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Zwei Jahre später liegt sie in Deutschland im Krankenhaus. Ihr erstes Kind ist auf dem Weg. Das Krankenzimmer teilt sie sich mit einer Afghanin und einer Deutschtürkin. Beide verstehen die Ärzte. Sie nicht. Die Deutschtürkin hilft ihr. Und wenn sie mal nicht da ist, sprechen die Ärzte mit der Afghanin. Die Afghanin erzählt es später der Deutschtürkin und sie wiederum übersetzt. Die werdende Mutter fühlt sich erniedrigt. Sie spricht fließend Arabisch und Englisch, hat Gedichte in türkischen Zeitungen veröffentlicht. Nichts hilft ihr hier.

Nach der Geburt ihres Kindes, es wird ein Sohn, besucht sie einen Deutschkurs. Sie lernt schnell, aber die Lehrerin ist ungeduldig mit ihr. Sie spricht langsam und mit Akzent.

Ihr gefällt ein Kleid in einer kleinen Boutique. Die Verkäuferin klackert mit ihren roten Nägeln auf dem Tresen und beobachtet sie. Im Kopf baut die junge Mutter ihre Frage zusammen. Sie will nach dem Preis des Kleides fragen, natürlich fehlerfrei. Die Verkäuferin wartet nicht. Sie reißt ihr das Kleid aus der Hand, nennt den Preis und hängt es wieder auf. Die Fremde schweigt.

Sie stürzt sich in die Erziehung ihrer drei Kinder, sie sollen erfolgreich sein. Ihr Sohn hat in der vierten Klasse ein gutes Zeugnis. Er soll auf das „Jimmy lazim“, eine gute Schule. Danach kann man studieren, haben ihr die Nachbarn erzählt. Die Lehrerin aber glaubt nicht an ihren Sohn. Sie schickt ihn trotzdem hin.

Auf dem Gymnasium ist Elternabend. Ihr Mann muss arbeiten, deshalb geht sie alleine. Die Eltern setzen sich zusammen mit ihren Kindern in eine Runde und besprechen mit der Lehrerin den Klassenstand. Es gibt Lob. Auch ihr Sohn ist gut, hat viele Freunde und ist beliebt. Sie freut sich. Ob die Eltern noch etwas anzumerken hätten, fragt die Lehrerin. Sie meldet sich. Ihr Sohn nimmt ihre Hand und legt sie runter. „Mama“, sagt er, „bitte rede nicht.“ Sie schweigt. Im Bus, im Supermarkt und im Wartezimmer.

Das ist die Geschichte meiner Tanten, vieler ihrer Nachbarinnen und Freundinnen. Aktuell Meinung

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  1. Loewe sagt:

    Das liest sich auch wie eine Geschichte des Versagens der Männerwelt. Auf unterschiedliche Weise haben Männer dieser Frau, diesen Frauen einen großen Teil ihrer Lebenschancen geraubt.

    Die Zeiten ändern sich. In 30 Jahren wird die Hälfte der Moscheevereine in Deutschland von Frauen geleitet werden. Und in der Türkei wird eine Frau mit Kopftuch Staatspräsidentin.

    Mohammed hat es vorgemacht: Er hat den Frauen Rechte gegeben und eine starke Stimme. Die von ihm eingeleitete Revolution kann heute vollendet werden.

  2. Karl Willemsen sagt:

    @Loewe

    „Das liest sich auch wie eine Geschichte des Versagens der Männerwelt.“

    Also bei der Story die ich hier gelesen habe, sind die Rollen der kulturunsensiblen Bösewichte zwar nur weiblich besetzt…

    – da sind die rassistischen, xenophoben Deutschlehrer_INNEN, die ungeduldig mit Kübras Tanten, vieler ihrer Nachbarinnen und Freundinnen sind

    – da wären die rassistischen, xenophoben Verkäufer_INNEN, die Kübras Tanten, vieler ihrer Nachbarinnen und Freundinnen die Kleider aus den Händen reissen

    – und dann wären da abermals diese rassistischen, xenophoben Lehrer_INNEN, die nicht an die Söhne von Kübras Tanten, vieler ihrer Nachbarinnen und Freundinnen glauben!

    …aber ist ja eigentlich auch wurscht, auf alle Fälle haben Sie mich mit ihrem beinharten Holzhammer-Sarkasmus mal wieder auf das aller Köstlichste unterhalten:

    „Mohammed hat es vorgemacht: Er hat den Frauen Rechte gegeben und eine starke Stimme. Die von ihm eingeleitete Revolution kann heute vollendet werden.“

    Amen! :-)

  3. Loewe sagt:

    Es sind auch die Lehrerinnen.
    Im übrigen: der Uniprofessor. Die Ärzte. Der Ehemann. Am Ende der Sohn.

    Es sind Männer, die diese Welt dominieren. Dominiert haben. Die die Frauen erst einmal stumm gemacht haben. Und emanzipierte Frauen bei uns, die die Folgen dieser Entrechtung nicht verstehen und ungeduldig und verächtlich reagieren, wenn eine Frau sich nicht geschickt genug verhält – sozusagen in Fortführung der männlichen Arroganz.

    Nun, Karl Willemsen, so unterschiedlich kann man Texte lesen.

    Ich geb aber zu, es gibt in der sich wandelnden türkisch-deutschen Welt inzwischen recht oft schon eine gewisse Dominanz der Frau -und viele schöne Beispiele von Partnerschaft.

  4. el camino sagt:

    Es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, wenn sie in ihrer anatolischen Kleinstadt geblieben wäre.

  5. elmo sagt:

    Ich würde gern wissen, was Kübra Gümüsay über die obigen Kommentare denkt…..

  6. Loewe sagt:

    el camino,
    vielleicht nicht – denn dann wäre eben eine andere Gruppe von Menschen im Visier der deutschen Menschenfeinde; vielleicht solche, die sich selbst einen so undeutschen nickname geben.

  7. Miro sagt:

    @ Loewe

    Mohammed mag Frauen Rechte gegeben haben, aber nicht die gleichen die er Männern gebeben hat.
    Ansonsten ließt sich die Geschichte eher wie eigenes Versagen mit einem Schuß Selbstmitleid.

  8. Sonata sagt:

    Mensch, immer waren die anderen Schuld. Erst konnte sie sich nicht mal an die einfachen Hausregeln einer Universitüt halten und dann kommt sie in ein Land und spricht nicht einmal im Ansatz die Landessprache.

    Beim Kleid im Ladengeschäft vermutet man als geneigter Leser schon fast Verfolgungswahn, warum hat sie das Kleid nicht einfach gekauft? Zumindest die Verkäuferin hat ihr ja korrekt den Preis genannt. Ins Bild passt jetzt, daß sie auch im Deutschunterricht versagt, natürlich war die arme Lehrerin Schuld. Das sie sich am Ende mit dem Erfolg einer anderen Person, ihrem Sohn in der Schule, brüsten will, so was ist schon heftig.

    Immerhin wird hier wieder mal die Art sichtbar, in der diese Migranten denken. Nicht sie selber, ihr mangelnder Wille zur Integration egal wo ist Schuld. Nein immer sind es die anderen, die sie nicht verstanden und genügend unterstützt haben. Dieser Bericht ist ein Schlag ins Gesicht jedes integrierten Ausländers. Mehr als obiges habe ich aber auch noch nie von Kübra Gümüşay gelesen.

  9. Cosmopolit sagt:

    Frauenrechte hin oder her, religioese hintergruende wie z.bsp kopftuch sind immer ein zeichen des rueckschritts, tut mir leid, dass ich das so kurz und knapp formulieren muss, wir leben nicht im mittelalter, wer in Deutschland oder auch in der Tuerkei in einer Grossstadt lebt, sollte sich der Zeit anpassen, zumal Religion eine Private Angelegenheit ist – der Uniprof. hat es nicht boese gemeint, er hat seine gruende so zu urteilen, dass man in Deutschland aufgrund seiner Sprachkenntnisse oder gar Aussehen diskriminiert wird, ist auch nichts NEUES! Wenn diese Frau aus dem Anatolien kein Kopftuch getragen haette, was waere denn dann passiert?
    Frauen in dieser Situation sollten sich weiterbilden, mit oder ohne Unterstuetzung der Maenner, Prophet Mohammed hat nicht gesagt, die muslimischen Frauen muessen sich verschleiern!
    Damals hies dies Schutz fuer die Frauen vor den Maennern in der Wueste!Und heute heisst es muslimische Frauen muessen sich
    verschleiern!Maenner regieren die Welt, sage ich da nur!

  10. Loewe sagt:

    Sonata,
    so reden die arroganten Starken, oder die, die glauben, stark zu sein. Auf diese Weise schaffen sie sich das reine Gewissen, wenn sie die Schwachen ausnützen, missbrauchen, unterdrücken, verachten.

    Es ist eine sozialdarwinistische Art, die Menschen und ihre Verhältnisse zu betrachten.

    Ein Grund, warum ich den Islam schätze, ist: Er erlaubt keinen Sozialdarwinismus. Er fordert entschieden den Schutz der Schwachen.

    Genau wie Jesus und ein sich auf Jesus legitim berufendes Christentum auch.

    Wir müssen unsere christlich-jüdisch-islamische Kultur verteidigen gegen die zynischen, selbstgerechten, herzlosen, gefühllosen, kaltschnäuzigen, arroganten, gottlosen Übermenschen.