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Petition

Warum die Idee einer Staatssprache Deutsch nicht harmlos ist

In der Diskussion um die Petition „Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz“ kommt häufig das Argument, dass die Petition zu aufgeregt und schwarzmalerisch oder auch ganz einfach zu unwichtig sei, um sich ernsthaft damit zu befassen.

Von Donnerstag, 24.02.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 12.01.2016, 14:11 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Die einfache Form dieses Arguments lautet „Es gibt wichtigere Dinge, über die wir uns Sorgen machen sollten“. Das ist zwar richtig, es ist aber kein Grund, sich an der Petition nicht zu beteiligen. Es gibt immer wichtigere Dinge — Atommüll, Bürgerversicherug, Castortransporte, Demographiewandel, Erdbeben, Finanzkrise, Generationenkonflikte, HIV, Irak, Jugendarbeitslosigkeit, Klimawandel, Länderfinanzausgleich, Militärdiktaturen, Netzneutralität, Oderhochwasser, Privatinsolvenzen, Quacksalberei, Rohstoffmangel, Sozialreformen, Tibetkonflikt, Umweltverschmutzung, Verteilungskriege, Whistleblowerschutz, Xenophobie, Yuppisierung und Zeitarbeitstarife. Aber es ist ja nicht so, als ob die zwei Minuten, die nötig sind, um sich auf der Webseite des Petitionsausschusses zu registrieren und die Petition zu zeichnen, jemanden davon abhalten würden, sich an der Lösung dieser Probleme zu beteiligen.

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Die differenziertere Form des Arguments lautet „Die Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz hätte keine rechtlichen Konsequenzen. Es geht nur darum, die deutsche Sprache zu würdigen.“ Und das ist nicht richtig. Es stimmt zwar, dass die Aufnahme einer Landessprache allein keine Konsequenzen hätte, aber die Befürworter einer solchen Aufnahme lassen keinen Zweifel daran, dass sie eine grundgesetzliche Verankerung der deutschen Sprache als Grundlage für eine Reihe gesetzlicher Regelungen betrachten.

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Der VDS nennt im Petitionstext selbst zwar keine konkreten Regelungen, aber andernorts werden solche Regelungen mal mehr, mal weniger offen gefordert. So schreibt VDS-Geschäftsführer Holger Klatte in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung zunächst von der „Wertschätzung“, dem „Ansehen“ und der „Anerkennung“, die der deutschen Sprache zuteil werden soll 1. Diese sieht er vor allem durch die englische Sprache bedroht, und nennt als Beispiele Anglizismen in der Werbung, die Verwendung von Englisch als Unternehmenssprache, und die Zulassung des Englischen als Gerichtssprache in Wirtschaftsprozessen. Er fügt zwar schnell hinzu, dass derlei Dinge gesetzlich nicht unterbunden werden könnten, lobt aber gleich darauf die Académie Française und die französischen Sprachgesetze, die genau dies tun. Nun kann man durchaus der Meinung sein, dass der VDS die Académie Française nur zufällig immer wieder in die Diskussion einbringt, aber es gehört eine große Portion Naivität dazu.

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Klatte nennt dann noch eine Reihe von Initiativen, für die er sich dann doch erhofft, dass sie durch eine Verankerung des Deutschen im Grundgesetz vorangebracht werden könnten, nämlich eine Erhöhung des Umfangs des Deutschunterrichts bei der Reform von Lehrplänen, klarere sprachliche Anforderungen in der Zuwanderungspolitik und die Forderung, das Deutsche als EU-Arbeitssprache gleichberechtigt neben Englisch und Französisch zu stellen. Unabhängig davon, ob diese Initiativen eine Chance auf Umsetzung hätten, dürfte also klar sein, dass es dem VDS keineswegs nur um die symbolische Wertschätzung der deutschen Sprache geht. Man kann auch nicht argumentieren, dass es sich hier um Klattes persönliche Einzelmeinung handelt: Der VDS nennt in einem offiziellen „Memorandum“ 2 dieselben Ziele und fügt zur Liste der bekämpfenswerten Einflüsse des Englischen auch noch den frühbeginnenden Fremdsprachenunterricht und den fremdsprachlichen Fachunterricht an bilingualen Schulen hinzu, damit kein Zweifel besteht, an welcher Stelle die Lehrpläne reformiert werden sollten.

Aber eigentlich ist es ja auch egal, was der VDS mit der grundgesetzlichen Verankerung der deutschen Sprache erreichen will — wichtiger sind die Vorstellungen der politischen Akteure, die diese Verankerung unterstützen. Und die haben eine ganze Reihe recht konkreter Vorstellungen.

Die Petition „Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz“ befindet sich im Endspurt. Sie kann noch bis zum 3. März 2011 online beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages mitgezeichnet werden. Den ursprünglichen Aufruf zur Mitzeichnung kann man hier nachlesen, die häufigsten Gegenargumente bespreche ich hier, die Sprachsituation in Deutschland hier, und mögliche Gefahren einer grundgesetzlichen Verankerung hier.

Erstens sprechen sie sehr offen über die Möglichkeit von sprachpuristischen Gesetzen. Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, möchte „die deutsche Sprache schützen gegen einen niveaulosen, globalisierten Sprach-Mischmasch und gegen eine seichte Anglisierung“ und schreibt „eine[r] entsprechende[n] Grundgesetzpassage eine Signalwirkung“ zu: „Frankreich hat den Passus mit der Landesprache in seine Verfassung geschrieben und daraus Konsequenzen gezogen, zum Beispiel in der Abwehr von Anglizismen“ 3. Die „Konsequenzen“, auf die er sich hier bezieht, sind die restriktiven französischen Sprachgesetze, z.B. das Loi Toubon, das den Gebrauch von englischen Werbeslogans ohne eine Übersetzung ins Französische verbietet, das Radiosendern eine Quote für französischsprachige Musik vorschreibt, das Französich zur alleinigen Schulsprache und zu einzigen erlaubten Sprache auf wissenschaftlichen Konferenzen erklärt und das ursprünglich sogar den Gebrauch englischer Lehnwörter verbieten sollte.

Kraus’ Vorstellung, dass das Grundgesetz als Begründung für den Kampf gegen englisches Lehngut eingesetzt werden könnte, wird auch vom saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller 4 und vom Bundestagspräsidenten Norbert Lammert 5 öffentlich vertreten.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse ist auch Bereit, der Wissenschaft Sprachregelungen vorzuschreiben: „Wo unsere Steuergelder zum Beispiel für die Forschung verwendet werden, sollten die Anträge auch nur noch in deutscher Sprache eingereicht werden“ 6.

Zweitens wird offen ausgesprochen, dass man sich von einer Grundgesetzänderung Konsequenzen im Bereich der Migrationspolitik erhofft. Ich zitiere zunächst noch einmal Lehrerverbandspräsident Josef Kraus:

Wir steuern auch sprachlich auf Parallelgesellschaften zu. Berlin-Kreuzberg und Neukölln sind fast schon autarke Gebiete. Vom Gemüsehändler bis zum Zahnarzt spricht dort alles türkisch. Ich sehe deshalb die Festlegung auf Deutsch als Landessprache als einen wichtigen Schritt zur Integration. Wer auf diese Festlegung verzichtet, kriegt Parallelgesellschaften. … Zuwanderer sollen auch qua Verfassung merken, was dieser Staat und dieses Gemeinwesen erwarten. Im übrigen hat Sprache sehr viel mit Identität zu tun. Hier haben die Deutschen ein Problem. Verkrampft neigen wir dazu, unsere zwölfhundertjährige Geschichte auf zwölf Jahre zu reduzieren. Diese zwölf Jahre sind Teil der Geschichte, aber nicht das Ende der Geschichte. 3

Auch diesen Aussagen schließen sich prominente Politiker an. Für CSU-Generalsekretär Alexander Dobrint ergeben sich aus einer Verankerung des Deutschen im Grundgesetz Forderungen an Einwanderer: „Respekt vor unserer deutschen Sprache ist Respekt vor unserer Kultur und unserem Land, den wir von allen einfordern, die bei uns leben“ 7. Das klingt harmlos, aber das Problem hier ist ja, dass es keinerlei Gründe gibt, anzunehmen, dass dieser Respekt den Einwanderern derzeit fehlt. Ein unbegründetes Einfordern von „Respekt“ ist aber eine beliebte Einschüchterungstaktik, der dann gerne Taten folgen. Norbert Lammert sagt sehr offen, worin solche Taten bestehen könnten:

Lammert räumte ein, dass die Verfassungsänderung zunächst „deklaratorischen Charakter“ habe. Ihr könne aber auch durchaus praktische Bedeutung zukommen. So hätte die vor einigen Jahren noch sehr kontrovers geführte Debatte über Deutsch als verbindliche Sprache auf den Schulhöfen schneller beendet werden können, „wenn es einen Bezugspunkt in der Verfassung gegeben hätte“. 8

Wie wahrscheinlich es ist, dass in absehbarer Zeit eine Zweidrittelmehrheit für eine Aufnahme des Deutschen als Staatssprache ins Grundgesetz zustande kommt, kann ich nicht beurteilen. Mein Eindruck ist, dass die Befürworter einer solchen Aufnahme nicht so bald aufgeben werden und dass sie, wenn niemand widerspricht, irgendwann Erfolg haben werden.

Aber wenn es einmal soweit ist, das zeigen die zitierten Aussagen, dann wird das der Startschuss für eine Reihe von Gesetzesvorlagen sein, die eine purisitsche Sprachpolitik, eine isolationistische Bildungspolitik und eine feindselige Migrationspolitik zum Ziel haben.

  1. Klatte 2010
  2. VDS 2010
  3. Kraus 2008
  4. Müller 2010 (PDF)
  5. RP-Online 2010
  6. Deutscher Bundestag 2011
  7. Welt Online 2010
  8. taz 2010
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  1. Sugus sagt:

    „„Respekt vor unserer deutschen Sprache ist Respekt vor unserer Kultur und unserem Land, den wir von allen einfordern, die bei uns leben“. Das klingt harmlos, aber das Problem hier ist ja, dass es keinerlei Gründe gibt, anzunehmen, dass dieser Respekt den Einwanderern derzeit fehlt.“
    Ich lach mich tot…

  2. Stephan sagt:

    Die Gegenpetition von Stefanowitsch ist schlicht und einfach im Lichte seiner persönlichen Auseinandersetzung mit dem VDS zu betrachten.

    Er beschimpft sie als Sprachnörgler, mancher aus dem VDS nennt ihn dafür ‚Blogwart‘. Kinderkram.

    Hier dem VDS und all denjenigen, die für die Aufnahme des Deutschen ins GG sind, Ausländerfeindlichkeit in die Schuhe zu schieben, ist unfair und nur dadurch zu erklären, dass mit dem Gutmenschentum für Stimmen geworben wird.

    Dabei widerspricht sich Stefanowitsch selbst.
    Einerseits gibt er selbst zu, dass die Aufnahme keine Konsequenzen hätte, andererseits schürt er Ängste vor möglichen Konsequenzen. Stefanowitsch auf Stimmenfang?

    Gerne reißt Stefanowitsch auch Sätze aus dem Zusammenhang, um an sich vernünftige Vorhaben ins Lächerliche zu ziehen. Auch malt er das Schreckgespenst Frankreich an die Wand. Dabei kann doch jeder bezeugen, dass internationale Konferenzen in Frankreich keineswegs nur auf Französisch stattfinden. Wie soll das überhaupt gehen?

    Also, heiße Luft um nichts. Stefanowitsch möchte nur mehr Stimmen als der VDS erhalten. Gibt es wirklich nichts besseres zu tun, Herr Stefanowitsch?

  3. Danica sagt:

    Stephan, wo widerspricht sich Dr. Stefanowitsch? Er schreibt doch klar, dass der Grundgesetzartikel *für sich genommen* keine Konsequenzen hätte (was ja nicht er, sondern die Staatssprache-Befürworter ständig wiederholen), aber dass der Grundgesetzartikel eine Grundlage für Gesetzesvorhaben bieten würde, die dann ihrerseits Konsequenzen hätten. Ist das zu kompliziert für Sie?

    Er wirft dem VDS auch nirgends die Fremdenfeindlichkeit vor, nicht hier, noch irgendwo anders. Die Fremdenfeindlichkeit wirft er den Politikern vor, die sich fremdenfeindlich äußern. Wenn Sie der Meinung sind, er würde diese Aussagen aus dem Zusammenhang reißen, dann sagen Sie doch, was ist der korrekte Zusammenhang.

    Er interessiert sich nicht für Auseinandersetzungen mit VDS. Er schreibt seit vielen Jahren über dieses Thema, lange, bevor der VDS seine Petition gestartet hat.

  4. Mogli sagt:

    Deutsche Sprache ins Grundgesetz – kann man machen, muss man nicht. Ich persönlich kann auch wunderbar ohne leben. So sehen das sicher auch die meisten Deutschen.

    Was ich an dieser Aufgeregtheit allerdings kritisch sehe, das ist die Tatsache, dass bei vielen auch der Eindruck entsteht, dass „deutsch“ (nicht nur auf die Sprache bezogen ein insgesamt definitorisch immer noch nebulöser Begriff) im eigenen Land nicht viel gelte und man zwar auf vielfältigste Befindlichkeiten unterschiedlichster Migrantengruppen Rücksicht zu nehmen hat und ihnen Rechte und Vorzugsbehandlung zuzugestehen hat, der eigene kulturelle Hintergrund der Mehrheitsgesellschaft aber keine weitere Beachtung verdient hat.

    Desweiteren kann ich dem Alarmismus des Autors nicht ganz folgen. Zumindest sehe ich nicht, was an „Deutsch als Schulhofsprache“ so grundfalsch ist.

  5. Yilmaz sagt:

    auch die ghettokinder aus neukölln sprechen deutsch, sie sprechen vielleicht nicht so gut deutsch wie ein schüler aus grunewald aber sie sprechen deutsch…
    mann müsste jetzt genauer hinhören und versuchen das die sprachprobleme verringert werden. mein motto lautet: „deutsch wie ein deutscher und arabisch wie ein araber“

  6. TinaB sagt:

    Ein Teil meiner Familie lebt nachweislich seit dem 12. Jahrh. in Deutschland, ein anderer seit dem 16. Jahrh. In meinem Land habe ich es nicht nötig, mir gesetzlich eine Sprache vorschreiben zu lassen. (Entschuldigt die emotionale Reaktion, aber Sprache besteht eben nicht nur aus Grammatik und Vokabular, sondern bedeutet z.B. auch Heimat und Geborgenheit).

    Sprachen verändern sich, beeinflussen sich gegenseitig und verschwin-den mitunter leider auch, wenn die „SprecherInnen“ aussterben. Zwang und Vorschriften haben dabei selten etwas genützt. Verständlich, wenn LehrerInnen ihre nicht mit der Landessprache aufgewachsenen SchülerInnen ermuntern, die Schulsprache auch untereinander zu benutzen und zu üben; dies darf aber nicht zu einem Zwang ausarten. Eine Sprache, die mit Zwang gelehrt wird, wird vergessen, sobald der Zwang wegfällt. Deshalb halte ich (als Sprachwissenschaftlerin) selbst so zarte Ansätze wie die gesetzliche Verankerung einer Sprache im Grundgesetz eines Landes für kontraproduktiv.

    Übrigens äußert Fernanda Eberstadt in „Little Money Street“, einem (nicht wissenschaftlichen) Bericht über die Koexistenz unterschiedlicher Kulturen und Sprachen in Perpignan, einige interessante Gedanken über die emotionalen Bindungen zwischen den SprecherInnen von Minderheitensprachen.

  7. MoBo sagt:

    Ansonsten ist auch der Beitrag von Frau Kiyak in „Manfiest der Vielen“ dazu sehr lesenswert.

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