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LG Traunstein, Polizei & Co.

Visumfreie Einreise für türkische Touristen nur mit Anwalt

Nach Rücksprache mit dem Landgericht Traunstein entlässt die Münchener Polizei eine türkische Touristin ohne Visum aus der Justizvollzugsanstalt. Eine wahre Geschichte über die rechtswidrige Praxis der Grenzbehörden mit einer schwangeren Frau.

Dienstag, 08.03.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 14.03.2011, 2:22 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Erneut lässt die Polizei einen türkischen Touristen ohne Visum frei. Der Fall ereignete sich Anfang Februar 2011 im bayerischen Bad Reichenhall. Ein türkisches Ehepaar passiert mit dem Auto die Deutsch-Österreichische Grenze und wird kurz darauf von der Polizei angehalten. Die Papiere des Mannes, ein in Nordrhein-Westfalen lebender türkischer Staatsbürger mit Niederlassungserlaubnis, sind in Ordnung. Er darf weiterfahren. Die im sechsten Monat schwangere Ehefrau hingegen besitzt weder einen Aufenthaltstitel noch ein Visum.

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Die Eheleute verweisen auf türkische Zeitungsberichte. Danach bräuchten türkische Staatsbürger kein Visum mehr. Das Europäische Gerichtshof habe das so entschieden. Sie verbringen die Nacht auf der Wache und werden am nächsten Tag dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Der Ehemann dürfe weiterfahren. Für die Frau werden Vorkehrungen für die Abschiebung nach Österreich getroffen. Bis dahin bleibt sie in Gewahrsam.

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Die Abschiebung steht kurz bevor
Der Ehemann schaltet seine Anwältin Gönül Kurt ein. „Nur nach Langem hin und her mit der Polizei“, darf sie mit der Frau sprechen und kann von ihr bevollmächtigt werden. Die Anwältin greift auf, was die Eheleute bereits aus den türkischen Zeitungen wussten. Sie erklärt der Polizei, was die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der sogenannten Soysal-Entscheidung („Soysal“, C-228/06) festgestellt haben. Danach gilt für türkische Staatsbürger die Dienstleistungsfreiheit, was die visumfreie Einreise zur Folge hat.

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Das überzeugt die Polizei nicht. Die Abschiebung der Frau steht kurz bevor. Nur in letzter Minute gelingt es der Anwältin, die Abschiebung nach Österreich zu verhindern. Der Polizei sind die Hände gebunden. Eine schnelle Abschiebung ist nicht mehr möglich. „Und nach einer Viertelstunde rief man mich noch einmal an. Der Polizeibeamte sagte mir, er habe mit Österreich telefoniert und die würden zusichern, die Frau werde in spätestens drei bis vier Tagen in den Flieger in Richtung Türkei gesetzt“, so Kurt im Gespräch mit MiGAZIN.

Abschiebung nur nach Österreich
Für den Fall einer Abschiebung nach Österreich besteht die Münchener Juristin aber auf eine schriftliche Zusicherung der österreichischen Behörden, da sonst zu befürchten ist, dass die schwangere Frau von Österreich aus weiter nach Slowenien abgeschoben wird, bis zurück in die Türkei. Auf eine schriftliche Zusage lässt sich die österreichische Polizei jedoch nicht ein.

So verlangt Kurt, dass ihre Mandantin von Deutschland aus mit einem Flieger in die Türkei abgeschoben wird. Einen Flugticket habe man bereits. Die Frau sei Schwanger und könne keine weiteren Strapazen auf sich nehmen. Darauf lässt sich die Polizei ebenfalls nicht ein. Sie müsse unbedingt nach Österreich abgeschoben werden.

Justizvollzugsanstalt
Im Folgenden stellt die Bundespolizei einen Antrag auf Zurückschiebehaft und die schwangere Frau wird in die Justizvollzugsanstalt in Aichach verlegt. Dagegen legt die Anwältgin Beschwerde ein und führt mit dem zuständigen Amtsrichter in Bad Reichenhall „lange Telefonate“.

Am 9. Februar 2011 entscheidet das Verwaltungsgericht (VG) München zufällig über einen ähnlichen Fall. Türkische Touristen dürfen für einen Aufenthaltszeitraum von bis zu drei Monaten ohne Visum und Aufenthaltserlaubnis in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, entscheiden die andere Münchener Richter. Die schwangere Frau sitzt währenddessen in der Justizvollzugsanstalt.

Kann nicht entscheiden
Noch liegt keine Urteilsbegründung des VG München vor und die Anwältin schickt dem Bad Reichenhaller Amtsrichter die Pressemitteilung des Gerichts, eine weitere Entscheidung des Amtsgerichts Hannover in einem ähnlich gelagerten Fall sowie die Soysal-Entscheidung des EuGH. „Und dann rief ich den Richter noch einmal an und er sagte, dass er von der Soysal-Entscheidung noch nie etwas gehört habe. Dabei liegt sein Zuständigkeitsgebiet nahe an der Grenze und er müsste täglich mit Visaangelegenheiten zu tun haben“, so Kurt.

Hintergrund: Weitere Einzelheiten und Hintergründe zur Soysal-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und der Politik der Bundesregierung zur Thematik gibt es im MiG-Dossier „Visumsfreiheit für Türken„.

Die Entscheidungen seien „ja gut und schön“, habe ihr der Richter gesagt, doch werde er den Haftbefehl nicht aufheben. Er könne das nicht machen. Er werde den Fall aber an das Landgericht Traunstein weiterleiten. Die sollten schauen, wie sie damit umgehen. Ein weiteres Ausharren für die schwangere Frau von mehreren Tagen ist die Folge.

Nicht ohne Grund
Nach mehreren Tagen und Telefonaten teilt der zuständige Landrichter schließlich mit, dass die Polizei von der weiteren Verfolgung des Falles absehen und die Frau binnen weniger Stunden freilassen wird. Sie dürfe sich zu touristischen Zwecken bis zu drei Monate im Bundesgebiet aufhalten.

Kurt besteht im Namen ihrer Mandantin darauf, dass der Richter den Fall entscheidet. Ohne Erfolg. Wohl aber auch nicht ohne Grund meint die Münchener Juristin. Würde das Landgericht die Freilassung der Türkin per Entscheidung erzwingen, hätte Deutschland ein weiteres Urteil gegen sich. So aber könne die Polizei auch nach der nächsten Kontrolle versuchen, türkische Touristen abzuschieben. (hs)
Recht

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  1. NDM sagt:

    Boli,

    „Also es kann doch nicht sein das es in so einem Vertrag keine Ausnahmeklauseln gibt.“

    Völlig unabhängig von ideologischem Hick-Hack gilt in einem Rechtstaat: „Pacta sunt servanda“.
    http://www.aufenthaltstitel.de/arb180.html

    „Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.
    (…)
    Dieser Beschluß tritt am 1. Juli 1980 in Kraft.“

    Die Aufhebung der Visafreiheit, eine Beschränkung im Sinne des Art 13 ARB 1/80, geschah danach, am 5. Oktober 1980, und damit entgegen geltendem Recht. Für einen Rechtstaat und das Vertrauen in diesen ist es eine einzige Katastrophe, dass dieser Zustand bis heute anhält.

    Die Motivation, in der Situation politischer Spannungen das Asylrecht einzuschränken, konnte temporär bei entsprechender Auslegung des Art. 14(1) als Grund herhalten. Entschieden hatte dies noch die sozialliberale Koalition. Dass dieser Grund für die folgende liberal-konservative Koalition nur noch vorgeschoben war und als Mittel zum Zweck betrachtet wurde, erweist sich aus der Tatsache, dass diese zunächst temporär angelegte Regelung in den gesamten folgenden 18 Regierungsjahren nicht wieder aufgehoben wurde, nachdem . Kurioserweise auch unter Rot/Grün nicht. Vermutlich aufgrund Schröders vielbeschworener „Kontinuität“.

    Übrigens steht diese bis heute rechtsgültige Stillhalteklausel (Art. 13) auch entgegen der geplanten Regelung, nach der ein Aufenthaltstitel an bestandene Deutschtests gebunden ist.

    In beiden Fällen dürfte sich der Weg durch die juristischen Instanzen als überaus aussichtsreich erweisen. Und so lange CDU und CSU in irgendeiner Weise an der politischen Macht teilhaben, ist dies wohl auch der einzig gangbare Weg, um dem Recht zum Recht zu verhelfen. Die C*U verhält sich ja bei diesem Thema wie beim Beamten-Mikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Logisch. Für die Rechten ist das „Ausländerthema“ ja auch so zentral, wie für die Linken das „HartzIV-Thema“.

  2. Jonesman sagt:

    @Miro:

    Der souveräne Staat ist als EU-Mitglied ein Abkommen eingegangen an das er sich zu halten hat.
    Die Visabestimmungen verstoßen gegen dieses Abkommen. Der Staat ist gezwungen internationales Recht zu akzeptieren.

    @Johanna:

    Mutmaßungen sind nicht von Belang. Oder interessiert es irgendjemanden ob du nach dem du deinen Beitrag verfasst hast noch weitere 6 Monate hier bist oder auf dem Klo oder sonstwo?

  3. Boli sagt:

    Artikel 12

    Wenn in einem Mitgliedstaat der Gemeinschaft oder in der Türkei der Arbeitsmarkt ernsten Störungen ausgesetzt oder von ernsten Störungen bedroht ist, die ernste Gefahren für den Lebensstandard und das Beschäftigungsniveau in einem Gebiet, einem Wirtschaftszweig oder einem Beruf mit sich bringen können, so kann der betreffende Staat davon absehen, automatisch die Artikel 6 und 7 anzuwenden. Der betreffende Staat unterrichtet den Assoziationsrat von dieser zeitweiligen Einschränkung.

    Wir haben seit Ende 1980 eine kontinuierlich hohe Zahl von Arbeitslosen in Deutschland. In diesem Fall kann man von einer ernsten Störung des deutschen Arbeitsmarktes ausgehen, was Artikel 6 und 7 Hinfällig macht. Das dieser Zustand schon Jahre so ist ist nicht die Schuld Deutschlands da die Massenarbeitslosigkeit immer noch Bände spricht, zumal die offiziellen Zahlen eh bloß die Hälfte der wirklichen Zahlen wieder spiegelt.
    Außerdem hatten wir ein Anwerbestopp 1973. Das muss ja wohl auch einen Einfluss auf bestehende Verträge haben.
    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41955159.html

    Und schon damals hat man die allergleichen Probleme gesehen und gehabt. Und Deutschland soll sich widerstandslos diesem Diktat hingeben? Kein Wunder das dann eben die Gesellschaft und Wirtschaft alles Türkische rausdrängt und zum Gehen animiert. Kein Wunder!

  4. Realist sagt:

    Worin besteht eigentlich noch der Unterschied zwischen Schengenraum und Visafreiheit, wenn einfach so jeder mit dem Auto dahin reisen kann wo man gerade lust hat?

    Die Türken versuchen doch nur Zugang zum europäsichen Arbeitsmarkt zu gelangen indem sie die Visafreiheit als Eintiritt in den Schengenraum darstellen.

  5. NDM sagt:

    @Boli:

    Das ist eine persönliche und überaus freie und willkürliche Interpretation, die mit tatsächlich geltendem *und* *angewendetem* Recht in keinerlei Zusammenhang steht. Das führe ich aber nicht weiter aus, da es sich aus den angegebenen Rechtsgrundlagen ergibt.

    @Realist:

    Der Schengenraum umfasst fast die gesamte EU und noch ein paar weitere Länder. Wer ein Schengen-Visum z.B. in Griechenland oder in Finnland erhält, der darf im gesamten Schengenraum reisen, wohin er will. Aktuell geht es um das deutsche Visum. Das ist etwas anderes. Beides überlappt sich an einigen Stellen, z.B. was türkische Staatsbürger angeht.

    „Die Türken versuchen doch nur Zugang zum europäsichen Arbeitsmarkt zu gelangen “

    Dieser Zugang ist für Türken vertraglich garantiert. Von daher kann dies nicht als Vorwurf gelten.

  6. TC51 sagt:

    leute die jenigen die hier dumme komentare abgeben über türken von wegen einwandern und unerwüncht die haben ein brett vorm kopf… […] :) wenn es hier keine türken mehr gebe dann wären es die polen,russen oder andere ausländer die sie stören…weil einmal nazi immer nazi…ich pfeife auch euch und auf eure EU die geht sowiso den bach runter

  7. Pingback: Können Türken jetzt ohne Visum einreisen – oder nicht?! « BlogIG – Migrationsblog der InitiativGruppe

  8. ümit sagt:

    Miro,

    der man respektiert einfach die Visabestimmungen eines souveränen Staates. Die Russen akzeptieren sie ja auch und klagen nicht dagegen.

    Das ist wohl nicht Dein erst oder ??
    deutsche Politiker haben doch an die Ukraine Visas verteilt schon vergessen ??

  9. Manfred O. sagt:

    @ ümit

    Richtig. Es wurden VISA erteilt in der Ukraine. Und in anderen Ländern. Auch in Russland. und viele andere Staaten, die nicht zur EU gehören. Und Russland klagt nicht gegen dieses Visa-Verfahren.

  10. Hasan sagt:

    Wenn es gegen Türken geht kennen die Deutschen Behörden keine Recht, das türkenfeindliche Klima in Deutschland führ dazu, dass Beamte meinen sie dürften alles mit Türken machen.
    […]