Kanackendeutsch
Quasi die deutsch-türkische Antwort auf verpasste Chancen
Weder mit Empfehlungen und Forderungen noch mit fragwürdigen Sprachkampagnen, Liedern oder Reimen wird man zur Förderung der Deutschkompetenz beitragen. Die Sprachhürden, die bilinguale Kinder zu überwinden haben sind massiv und lassen sich nur mit linguistischem Wissen in Griff bekommen.
Von Zerrin Konyalıoğlu Montag, 14.03.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 17.03.2011, 2:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Dass wir heute-fünfzig Jahre nach der Gastarbeiterwelle-immer noch ein Deutschproblem haben, mag überraschen. Nicht aber Linguisten. Semilingualismus ist immer eine Folge von Ghettosierung und/oder mangelnder Beherrschung eigener Muttersprache und immer auch in Abhängigkeit zur Umgebungssprache, denn generell überträgt der Lernende einer Fremdsprache seine Kenntnisse aus der Erstsprache in die zu erlernende Zielsprache. Dabei entstehen Interferenzfehler, also muttersprachlich bedingte Sprachfehler. Je unterschiedlicher beide Sprachen sind, desto komplexere Sprachfehler sind zu erwarten. Beispiel Deutsch und Türkisch.
Entgegen allen Vermutungen gibt es zwischen beiden Sprachen kaum Gemeinsamkeiten. Schwerwiegende Sprachfehler sind vorprogrammiert. Im Gegensatz zu Deutsch verfährt Türkisch nach einem sehr strengen Lautprinzip, d. h., jeder Laut wird durch einen Buchstaben wiedergegeben. Anders im Deutschen. Für „Fuchs“ gibt es fünfzehn verschiedene systemmögliche Schreibweisen, die richtige Orthographie ergibt sich nicht aus der Lautsprache.
Türkisch kennt keinen einzigen Artikel, deshalb haben türkische Schüler extrem große Probleme bei der Artikelbestimmung und dem Artikeleinsatz insbesondere dann, wenn der Artikel sich auch noch von Fall zu Fall |der| |den| |dem| etc. verändert und das biologische Geschlecht nicht immer mit dem grammatischen Geschlecht übereinstimmt, z. B. das Weib.
Türkisch kennt keine geschlechtliche Unterscheidung in der 3. Person Singular wie, |er|, |sie|, |es| und die Possessivpronomen |sein|, |ihr|, |sein| sorgen für große Verwirrung. Von den insgesamt 48 Möglichkeiten, muss der Schüler erst einmal die richtige erkennen. Präpositionen werden im Türkischen primär durch Suffixe ausgedrückt, anders im Deutschen. Sie verändern sich nicht nur von Fall zu Fall, sondern auch in Abhängigkeit zu Personen, Ländern, Institutionen etc., z.B. zu Peter, aber nach Deutschland und ins Bett. Da nützt es auch nichts, ausländische Eltern anzuhalten mit ihren Kindern deutsch zu sprechen oder sie möglichst frühzeitig in den Kindergarten zu schicken, denn Eltern mit schlechten Deutschkenntnissen sind auch schlechte Sprachvorbilder.
Erzieher in Kitas sind in der Regel nicht linguistisch geschult, aber selbst, wenn sie das wären, ist ein institutionalisierter Unterricht nicht möglich. Entscheidend ist die Umgebungssprache. Kitas, in denen babylonisches Sprachengewirr herrscht, sind kontraproduktiv für den Deutscherwerb, denn Kleinkinder eignen sich eine Sprache simultan und auditiv an, kurz, sie plappern das Gehörte nach und das primär von den Spielkameraden. Kommen diese Kinder in Ghetto-Schule, manifestierten sich erworbene Sprachprobleme. Inzwischen haben diese Kinder auch Probleme mit ihrer eigenen Muttersprache, dabei sind muttersprachliche Kenntnisse eine wichtige Voraussetzung für den Zweitsprachenerwerb.
In der Praxis äußert sich das so, dass betroffene Kinder nicht imstande sind, eine längere Konversation in einer der beiden Sprachen durchgängig zu führen, sie vermischen beide Sprachen, kennen oftmals die Bedeutung eines Wortes nur in einer Sprache, haben einen eingeschränkten Wortschatz und häufig Wortfindungsschwierigkeiten. Da sie die Orthographie weder in der Muttersprache noch in der Zweitsprache (Deutsch) richtig beherrschen, sind sie auch nicht imstande unbekannte Wörter in der einen oder anderen Sprache nachzuschlagen – funktionaler Analphabetismus.
Da bilinguale Kinder – im Gegensatz zu ihren deutschen Mitschülern – andere Deutschfehler machen, macht es Sinn, wenn man diese „Fehlerquellen“ kennt, nur so lassen sich Sprachfehler gezielt beheben. Mehr noch. Kennt man die Deutschfehler, die aufgrund der jeweiligen Herkunftssprachen zu erwarten sind, kann man sogar präventiv unterrichten, bevor sich Deutschfehler verfestigen.
Über den Sprachvergleich (Herkunftssprache und Zielsprache) entwickeln die Kinder selbst ein Bewusstsein über mögliche Fehlerquellen. Bilinguale Kinder bringen Kenntnisse aus beiden Sprachen mit, es muss ihnen nur gezeigt werden, wie sie ihre Sprachkenntnisse gezielt weiterentwickeln können. Hier müssen Lehrer auf Interferenzfehler sensibilisiert werden und wissenschaftliches Handeln ist gefragt, denn falls Verantwortliche nicht mehr zu bieten haben, als diesen Kindern Sprachkampagnen anzubieten, die Zunge auszustrecken, Kitabesuch zu empfehlen oder sie als Sprachverweigerer zu stigmatisieren, sollten sich alle schon mal auf Kanackendeutsch einstellen, denn diese Kinder sprechen inzwischen eine andere Sprache, ein Mix aus beiden Sprachen, quasi die deutsch-türkische Antwort auf verpasste Chancen. Aktuell Meinung
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„Ganz einfach, sprechen sie mit ihren Kindern zu Hause- in diesem Fall Türkisch. Das Basiswissen ist i.d.R. bei Türkisch mit 4 1/2 Jahren abgeschlossen, achten Sie darauf, dass in den Bildungseinrichtungen, die ihr Kind besucht, die Deutschkompetenz hoch ist. (…).“
Das Drama ist eben – Das reicht nicht aus. Das Türkisch der hier lebenden Türken verkümmert von Generation zu Generation. Natürlich wird in den meisten türkischen Familien auch türkisch gesprochen, natürlich redet man mit den türkischen Freunden untereinander auch türkisch. Aber was ist das für ein Niveau des Türkischen, was die türkischen Jugendlichen hier sprechen?
Es ist nichts besseres als ein Mix verschiedener Dorfdialekte und gravierender Grammatikfehler, gepaart mit einem Wortschatz, welcher gerade noch eben für eine simple Unterhaltung ausreicht und wo das didaktische Niveau, bezogen auf die Komplexität des Satzbaus, nicht im Ansatz vergleichbar ist mit dem eines durchschnittlich (!) türkisch sprechenden nativen Türken aus Istanbul. Darüber hinaus hat sich in das Türkisch der allermeisten hier lebenden Türkischstämmigen ein zuweilen schrecklicher Akzent eingemischt, weswegen man in der Türkei schon beim Aussprechen der ersten türkischen Silbe als „Ah, sen türkiyede kalmiyorsun, degil mi/ Ah, du lebst nicht in der Türkei, stimmts?“, erkannt wird – Stichwort Deutschländer, almanci.
Genauso traurig, wie diese Bestandsaufnahme ist, war dessen Entwicklung natürlich absolut vorhersehbar: Die Türkischstämmigen hier haben keine umfassenden und vor Allem langjährig begleitenden Lehrangebote, wo ihnen korrektes Hochtürkisch beigebracht wird. Und der Spagat, auf so schlechte, unfertige Türkischkenntnisse akzeptable Fähigkeiten der deutschen Sprache draufzusatteln, gelingt logischerweise nur wenigen Türken (wie auch Fr. Konyalioglu angesprochen hat).
In diesem Sinne ist es wirklich angebracht, sich bei den Kindern an allererster Stelle auf die Vermittlung umfassender Kenntnisse in der eigenen Muttersprache zu konzentrieren.
Ich betone hiermit auch ausdrücklich, dass dies nichts mit jedweiliger „Sturheit“ oder „Ignoranz“ gegenüber den Deutschen zu tun hat. Es ist reiner Pragmatismus und letztendlich auch von Vorteil für alle Seiten!
@Leser
Wie kann man präventiv dagegen wirken (damit beide Sprachen gleich gut beherrscht werden z.B. für Folgegenerationen deutsch-türkischer Kinder)?
Also entschuldigen Sie. Aber diese Frage empfinde ich schon sehr beschämend, bezogen auf Sie.
Wenn Sie selbst türkisch nur unzureichend können sind wohl mehrere aufeinander aufbauende Sprachkurse angebracht. Logisch oder?
Was die Spracherziehung der Kinder angeht. Wenn die Eltern schon kein richtiges türkisch können, wie sollen es also dann die Kinder lernen? Aber was die Autorin ja schon richtig festgestellt hat. Türkisch und deutsch haben praktisch keine grammatikalisch und sprachlichen Gemeinsamkeiten. Anders als alle germanischen und romanischen Sprachen. Wenn also türkischstämmige Kinder jemals gut deutsch lernen wollen werden sie selbst und auch ihre Eltern nicht daran vorbei kommen deutsch zu lernen ohne ihre eigene Muttersprache einbinden zu können beim lernen. Das mag Schwieriger sein als bei Europäern untereinander aber wieso glauben Sie denn auch das sie alle größere Hürden und Schwierigkeiten bei der Integration haben wenn selbst die mitgebrachte Sprache als völliger Fremdkörper von den Einheimischen empfunden wird?
Bilinguale oder multilinguale Erziehung ja. Jedoch sog. „Kanackendeutsch“
muss nicht zwangsläufig daraus entstehen.
@Boli:
So einfach wie Sie es schildern ist es aber nicht, verehrter Boli. Meine Intention wurde leider wieder nicht deutlich (entschuldigen Sie mich). Was ich von der Autorin fragen wollte, ist die zunehmend mit Fortlauf der Generationen entstehende Sprache „Kanackendeutsch“). Es geht hier nicht um das Umgangssprachliche Türkisch (Merhaba,nasilsin? İyiyim çok şükür ya sen? Hallo.Wie geht es dir?Mir geht’s gut und dir?) sondern bei Gesprächen z.B. Fachausdrücke im Türkischen nicht zu kennen um sich so auf einer hohen sprachlichen Ebene zu unterhalten. Das hat dann auch nichts damit zu tun, ob meine Eltern mit mir Türkisch sprechen oder das ich türkische Zeitung / Bücher lese, geschweige denn muss ich irgendwelche Sprachkurse belegen, um dies weiter ausreifen zu können (lesen Sie sich das von „BirRealist“ durch, er zeigt eine konkrete Perspektive auf). Die Sprache kommt im alltäglichen nicht so zum Vorschein wie das Deutsche (ist ja auch logisch).
Jetzt stellen Sie sich vor, die kommenden türkischen Kinder können beide Sprachen nicht so wirklich voneinander differenzieren. Es steht ein „Kanackendeutsch“. Und da muss präventiv im Vorfeld gewirkt werden. Diese Faktoren und viele andere werden von den Integrationsforderern missachtet
.
@all, vergessen Sie bitte nicht, Sprachen sind lebendig, sie verändern sich und viele Sprachen sterben aus, täglich, wussten sie dies? Neue Sprachen entstehen, aber allgemein haben wir einen sprachlichen Rückgang, die sprachliche Vielfalt stirbt. Die Welt wird visuell. Sprache jedoch ist mehr als ein Instrument, das der Verständigung dient. Sprache und Emotionen gehören zusammen, vielleicht wird mein nächster Artikel eine Laudatio auf die Sprache, schauen wir mal…
Besten Gruß
Ihre
ZK