EU-Marathon der Türkei
Deutsch-türkische Wahlpirouetten
Deutsch-türkische Einheit in der Libyenpolitik. Sowohl Merkel als auch Erdogan lehnen ein direktes militärisches Vorgehen gegen Libyen ab. Welche Rolle spielen dabei die anstehenden Wahlen in beiden Ländern?
Von Hakan Demir Freitag, 25.03.2011, 8:27 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 25.11.2011, 23:03 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Man hätte wohl wegen den zahlreichen kritischen Bekundungen gegen das Gaddafi-Regime meinen können, dass sich Ankara und Berlin vorbehaltlos der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates anschließen. Falsch gedacht! Die Türkei und Deutschland zeigen nunmehr ähnliche außenpolitiche Verhaltensmuster gegenüber dem Libyen-Konflikt. Beide Staaten fordern Gaddafis politisches Aus, lehnen aber gleichzeitig eine direkte militärische Beteiligung ab.
Beteiligung „Light“
Derweil plant Deutschland – ohne die Obergrenze von 5 300 Soldaten zu überschreiten – die Übernahme des Einsatzes von AWACS-Flugzeugen in Afghanistan. Dieser solle die Verbündeten in Libyen entlasten, so Westerwelle am Mittwoch vor dem Deutschen Bundestag. Zwar möchte die Türkei sich ebenfalls nicht direkt militärisch in Libyen beteiligen, sieht sich jedoch verpflichtet, 800 Soldaten im Rahmen des NATO-Einsatzes im Mittelmeer zur Etablierung des Waffenembargos einzusetzen. Das zu diesem Zweck gestern – in aller Eile – verabschiedete Mandat des türkischen Parlaments (TBMM) ist als ein kleines positives Signal zu werten.
Und was anstehende Wahlen für große und ungeahnte Kräfte in der Politik freisetzten können, lässt sich deutlich am Beispiel des beschlossenen Moratoriums in der deutschen Atompolitik ablesen.
Wahlen bestimmen außenpolitisches Handeln
Aufeinander abgestimmt ist die Haltung Deutschlands und der Türkei allerdings nicht, sie ist eher ein Produkt einer ähnlichen innenpolitischen Ausgangslage. Denn Wahlen stehen in beiden Ländern in Kürze an. Und was anstehende Wahlen für große und ungeahnte Kräfte in der Politik freisetzten können, lässt sich deutlich am Beispiel des beschlossenen Moratoriums in der deutschen Atompolitik ablesen. Solange die Haltung gegen den Libyenkrieg in der Gesellschaft nicht eindeutig ist, scheint wohl die Bevorzung der bereits von Aristoteles gespriesenen „goldenen Mitte“, innenpolitisch der unverfänglichste Weg zu sein. Die quälende gesellschaftliche Unbestimmtheit wirft immer einen langen Schatten zurück, in dem leichthin Parteien, vor allem Regierungsparteien, Obhut finden. Allerdings gewinnt man durch solch ein zaghaftes Verhalten keine Wahlen, man verliert sie deshalb aber auch nicht! Wenn das politische Verhalten jedoch völlig dem gesellschaftlichen Willen zuwider läuft, besteht die Gefahr der Abwählbarkeit bzw. des Machtverlustes; die Urangst eines jeden Politikers.
Denn zu groß ist die Gefahr, die konservativen Wähler in der Türkei zu verprellen und damit Stimmanteile bei den Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres zu verlieren.
Wie bereits der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Ruprecht Polenz anklingen ließ, besteht eine operative Lücke zwischen der Aufforderung, dass Gaddafi gehen muss und den für ihn vorgesehenen Sanktionen. Diese operative Lücke lässt sich ebenfalls auf die türkische Außenpolitik übertragen. Denn die Türkei stand den Luftschlägen von Anfang an äußerst kritisch gegenüber. Sie forderte merhmals daher die Verbündeten auf, „das Blutvergiessen und die Gewalt gegen Zivilisten sofort zu beenden.“ Desungeachtet wird sie sich an der Nato-Mission beteiligen und eine kleine, politische Rolle im Libyen-Konflikt übernehmen. Ihre Waffen wird sie gegen Gaddafis Regime allerdings nicht richten können. Denn zu groß ist die Gefahr, die konservativen Wähler in der Türkei zu verprellen und damit Stimmanteile bei den Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres zu verlieren.
Die anfängliche Hyperaktivität der Türkei im Nahen und Mittleren Osten scheint einer beklemmenden Lethargie gewichen zu sein.
Unterdessen fordern die Grünen in einem Antrag die Bundesregierung auf, die festgefahrenen Beitrittsverhandlungen „mit neuen außen- und europapolitischen Initiativen die Blockadehaltung in den EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzugeben und auf höchster Ebene gegenüber der Türkei glaubhaft deutlich zu machen, dass Deutschland an einer glaubwürdigen Beitrittsperspektive der Türkei interessiert ist.“ Die Bunderegierung kann allerding in dieser Frage leichter klare Positionen einnenhmen. Denn der EU-Beitritt wird vom Großteil der Bevölkerung abgelehnt. Einen großen Wurf werden sich daher die Koalitionsparteien vor den Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg in dieser Frage nicht erlauben können. Solange sich innenpolitisch in Deutschland nichts ändert, wird der Türkeibeitritt auf unbestimmte Zeit nicht durchsetzbar sein.
Die Funktion eines Brückenbauers zwischen Okzident und Orient – bekannterweise der größte Vorteil eines EU-Beitritts der Türkei – stiehlt sich den Türken derweil allmählich unter den Händen hinweg. Die Gestaltungsmacht haben nunmehr andere Staaten übernommen. Das gilt ebenfalls für Deutschland, das sich selbst – unverständlicherweise –in die innenpolitschen Schranken verwiesen hat. Welch ein Glück für die Menschen in Libyen, dass einzig in Deutschland und der Türkei
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„Die Funktion eines Brückenbauers zwischen Okzident und Orient – bekannterweise der größte Vorteil eines EU-Beitritts der Türkei […]“
Da wird es auf absehbare Zeit keine Tragfähige Konstruktion geben. Daran kann und wird auch die Türkei nichts ändern.
„Die Funktion eines Brückenbauers zwischen Okzident und Orient – bekannterweise der größte Vorteil eines EU-Beitritts der Türkei – stiehlt sich den Türken derweil allmählich unter den Händen hinweg. Die Gestaltungsmacht haben nunmehr andere Staaten übernommen.“
Das sehe ich anders. Die außenpolitische Haltung der Türkei im Libyen-Konflikt stellt doch keinen Bruch mit ihrer „zero-problems-policy“ dar. Ganz im Gegenteil! Und es soll Stimmen geben, die genau in dieser Politik die Brücke zwischen Okzident und Orient sehen. Bei allem Respekt Herr Demir, aber der stagnierende EU-Beitrittsprozess der Türkei steht nun wirklich in keinerlei Zusammenhang zu den jüngsten Ereignissen in der Libyen-Frage.
Darüber hinaus finde ich es etwas zu einfach die Entscheidung der beiden Länder, sich militärisch nicht zu engangieren, auf (Landtags-) Wahlkämpfe zu reduzieren. Auch hier sehe ich es genau umgekehrt: Das französische Vorspreschen mit einem Militär-Manöver wird international (meiner Meinung nach völlig zu Recht) auf innnenpolitisches Kalkül zurück geführt. Um es mit ihren Worten zu sagen: Welch ein Glück für die Menschen in Libyen, dass Sarkozys Umfragewerte desaströs sind und die „Urangst“ eines jeden Politikers, auch vor Monsieur le President nicht halt macht!