Puls des Volkes
Der Iran und der “Neue Nahe Osten“
Was das iranische Regime hart im Kern trifft, sind die säkularen Revolutionen, wie in Tunesien und Ägypten. Eine demokratische Entwicklung getrennt von einer theokratischen Herrschaft, würde für die Ayatollahs den Verlust ihrer Macht bedeuten.
Von K G Dienstag, 05.04.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 08.04.2011, 0:38 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Einige hunderte Trauernde waren trotz strengster Überwachungs-maßnahmen gekommen. Bereits am frühen Morgen sammelten sich Männer, Frauen, ältere und jüngere Iraner vor Mir Ismail Mussawis Haus. Sie alle wollten dem Vater des Oppositionsführers Mir Hossein Mussawi die letzte Ehre erweisen. Der Oppositionsführer selbst durfte nicht an der Beerdigung seines Vaters teilnehmen.
Als die Familie versuchte, seine Leiche – nach muslimischer Tradition – zum Abschied bis zur Hauptstraße tragen zu lassen, stürmten die Sicherheitskräfte auf den im Alter von 103 Jahren verstorbenen Mann zu, verschleppten seinen Leichnam in einen Krankenwagen und fuhren in Richtung des Friedhofs. Die Trauer-feier, kaum angefangen, musste beendet werden. Mindestens sieben Menschen wurden verhaftet.
“Nicht mal eine einfache Beerdigung ist mehr möglich. In welchem Land leben wir, dass es nicht mal einem Sohn erlaubt, an der Beerdigung seines Vaters teilzunehmen“, schrieb anschließend ein Bekannter aus Teheran auf seiner Facebook-Pinnwand.
Im Iran spitzt sich die Lage zu: Das Regime verschärft die Re-pressionen. Die Oppositionsführer der “Grünen Bewegung“ Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karubi sind zusammen mit ihren Ehefrauen seit Wochen unter Hausarrest gestellt. Immer noch sitzen hunderte Journalisten und Menschenrechtsaktivisten im Gefängnis. Die Zahl der Hinrichtungen ist so hoch wie lange nicht. Seit Januar 2011 gibt es fast jeden Tag eine Vollstreckung. Angesichts dieser kritischen Menschenrechtssituation entschied der UN-Menschenrechtsrat in Genf am 24. März die Entsendung eines Sonderberichterstatters nach Iran, um die Lage der Menschenrechte dort besser zu überwachen.
Inwieweit haben aber die neuen Repressalien im Iran mit den Aufständen im Nahen Osten zu tun? Angesichts der “Neuordnung in der Region“ ist die spannende Frage, ob die iranische Regierung in der Zukunft unter einen noch größeren Druck geraten wird, oder der Iran, wie einst der Revolutionsführer Ayatollah Khomeini erträumt hatte, “Herr der Region“ wird?
Ein Blick auf das staatliche iranische Fernsehen zeigt, wie verschieden – je nach dem Interesse der iranischen Regierung –, über die Aufstände berichtet wird. Während jeder Beitrag über die Unruhen in Syrien stark zensiert wird, fokussieren sich die Medienmacher auf die Ereignisse in Libyen und Bahrain.
Fakt ist, dass die iranische Regierung in all den 32 Jahren ihres Bestehens unter allen arabischen Ländern nur Syrien als strategischen Verbündeten für sich gewinnen konnte und den syrischen Staatschef Baschar al-Assad nun auch in dieser Situation auf keinen Fall verlieren möchte.
Anders in Bahrain: Als dort saudische Streitkräfte einmarschierten, um die friedlichen Demonstrationen zu zerschlagen, appellierte eine Gruppe iranischer Parlamentarier in einem Schreiben an die Saudis: “Sie sollten das Spiel mit dem Feuer beenden, und ihre Truppen aus Bahrain schnellstens zurückziehen.“
Der Golf-Kooperationsrat (GCC) – bestehend aus den Ländern Saudi Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, Bahrain, Oman und Kuwait – kam am 3. April zusammen und hat anschließend in einem offenen Brief den Iran zur Zurückhaltung ermahnt: “Die iranische Regierung soll seine Nase nicht in die Angelegenheiten der Länder des Persischen Golfs stecken.“
Der iranische Präsident Ahmadinedschad ließ nicht lange mit einer Warnung an die saudische Königsfamilie auf sich warten und sagte am Montag in einer Pressekonferenz:“Sie sollten aus Saddams Schicksal eine Lehre ziehen. Um die Existenz Israels zu sichern, versuchen die Israelis mit Hilfe der USA in dieser Region uns gegeneinander aufzuhetzen. Die Saudis sollen wissen, auf die Amerikaner ist kein Verlass. Sie haben Saddam jahrelang unterstützt; Saddam hat mit deren Hilfe zwei Golfkriege gegen den Iran und Kuwait geführt. Und am Ende hat die Bush-Regierung ihn gestürzt.“
Bahrain, ein Land, in dem seit 1971 einer der wichtigsten US-amerikanischen Luft- und Flottenstützpunkte in der Region stationiert ist, ist für den Westen von strategischer Bedeutung. Und wenn der Aufstand der Schiiten in Bahrain gelingen sollte, könnte der Inselstaat sich von seinen westlichen und saudischen Freunden abwenden und ein Verbündeter des – ebenfalls schiitischen – Iran werden.
Die lange verfeindeten Regierungen in Riad und Teheran kämpfen nun hart um neue Verbündete.
Was aber das iranische Regime hart im Kern trifft, sind die säkularen Revolutionen, wie in Tunesien und Ägypten. Eine demokratische Entwicklung getrennt von einer theokratischen Herrschaft, würde für die Ayatollahs den Verlust ihrer Macht bedeuten.
Um zumindest rhetorisch einen Ausweg für dieses Problem zu finden, sagte das geistliche Oberhaupt Ayatollah Seyed Ali Khamenei während eines Freitaggebets im Februar: “Die Aufstände in Tunesien und Ägypten sind das langersehnte Ergebnis der islamischen Revolution 1979.“
Nur wenige Stunden später stand auf der offiziellen Internetseite der ägyptischen Muslimbrüder die Antwort darauf: “In Ägypten gibt es keine islamische Revolution, lediglich den Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit und diese Revolution gehört dem gesamten ägyptischen Volk.“
Und einige Tage später bekam das religiöse Oberhaupt Seyed Ali Khamenei bei den Protesten in Teheran die Antwort von seiner eigenen Bevölkerung: “Mubarak, Ben Ali und jetzt bist Du dran, Seyed Ali!“
Das, was die iranischen Hardliner befürchtet hatten, wurde wahr. Die iranische Opposition, die “Grüne Bewegung“, hatte nicht nur durch den Sieg in Tunesien und Ägypten wieder Mut gefasst, auf die Straßen zu gehen, sondern ihre Parolen hatten sich auch im Vergleich zum Vorjahr radikalisiert. Mit Forderungen nach Neu-wahlen des ohnehin untergeordneten Regierungschefs wollte sich nun niemand mehr zufrieden geben, sondern sie forderten – wie in Ägypten und Tunesien – ein Ende des gesamten Regimes.
Die ultrakonservative Regierung Ahmadinedschads steht heute nicht nur gegen einen “Neuen Nahen Osten“, in dessen Adern der Puls des 21. Jahrhunderts schlägt, sondern auch gegen sein eigenes Volk, ein Volk, das diesen Puls auch spürt, und die Sprache eines “freien offenen Landes“ spricht. Aktuell Ausland
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Auch Politiker sind oft psychisch krank. Sie leiden unter Selbstüberschätzung
und einer dauernden Pflege ihres grandiosen Selbst. Sie sind unberechenbar.
Der Mensch schaut anfangs weg, freut sich dass was los ist im Land, dass sich was ändert. Ideologen und Diktatoren sind meist nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Die Gefahr, die von ihnen ausgeht, wird unterschätzt.
http://www.donaufalter-zeitung.de/friends/parser.php?artikel=134