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Ein Fremdwoerterbuch

Guter Wille heilt keine bösen Taten

Hatice bügelt, ich falte. Wir ordnen Teile meines Ceyiz, der Aussteuer, die jede türkische Braut von den Eltern mitbekommt, in meinen Schrank ein. Verziertes Bettzeug, handbearbeitete Handtücher, Decken und Kissenbezüge.

Von Mittwoch, 13.04.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 15.04.2011, 2:04 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Frag mich: Bist du glücklich? Bin ich nicht“, sagt Hatice. Urplötzlich. Sie steht vor dem Bügelbrett und hält inne. Ich bin irritiert. Ich kenne sie nur flüchtig, sie kam heute zu mir, um mir ein wenig im Haushalt zu helfen. Ich sehe, wie ihr eine Träne über die Wange läuft. Sie streicht sie weg. „Weißt du, Kübra, ich habe meine Ceyiz nie benutzt“, sagt sie und lächelt mich an.

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Hatice ist Mitte vierzig, sie könnte meine Mutter sein. Sie hat traurige Augen, eine leise Stimme und eine herzliche, liebevolle Art. „Warum nicht?“, frage ich und lege die Wäsche zur Seite. Sie erzählt. Mit siebzehn Jahren kam sie als Braut aus der Türkei nach Deutschland zu einem Mann, den sie weder kannte noch liebte.

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Ihr Vater hatte den Bräutigam ausgesucht, und mit dem Ceyiz im Gepäck hatte er seine Tochter nach Berlin geschickt. Man versicherte ihr, sie hätten ihr dort eine kleine Wohnung fertig eingerichtet. Nur sie fehle noch.

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Sie kam in Berlin an und alles fehlte. Es gab nur die Wohnung der Schwiegereltern, darin eine Matratze im Wohnzimmer und eine kleine freigeräumte Ecke im Kleiderschrank. Fünf Jahre lang. Hatices Ceyiz blieb ungeöffnet im Keller. Es gab kein Zimmer, das sie hätte einrichten, kein Bett, das sie hätte beziehen können.

Mit der Geburt des ersten Kindes zogen sie und ihr Mann endlich aus – raus aus der Wohnung, in der ihre Schwiegereltern alles bestimmten und ihr Mann – „er ist ein liebenswürdiger Mensch“ – stillschweigend gehorchte.

Heute hat sie drei Kinder. Ihr Ceyiz ist noch immer ungeöffnet. „Es ist doch nie zu spät. Du kannst noch immer Deutsch lernen und deine Ceyiz auspacken“, sage ich und schäme mich meiner Unfähigkeit, etwas Sinnvolles zu sagen. „Ich habe keine Lebenslust mehr“, entgegnet sie.

Hilflos sehe ich Hatice zu. Ich ärgere mich über all die Menschen, die Fehler machten und die ich doch irgendwie verstehe. Ihren Mann, der aus falsch verstandenem Respekt vor seinen Eltern kuschte; die Schwiegereltern, die in der Fremde um jeden Preis die Familie zusammenhalten wollten, Hatices Vater, der nur das Beste für seine Tochter hoffte.

Nein, guter Wille heilt die schlechte Tat nicht. „Innerlich habe ich ihnen nie vergeben“, sagt Hatice. „Aber ich hatte bereits die drei glücklichsten Momente in meinem Leben: die Geburten meiner Kinder. Sie reichen mir auf ewig.“

Wie kann das reichen, frage ich mich. Ich kann sie nicht verstehen. In mir brodelt es.

Am Abend besuche ich Verwandte in Hamburg. Meine Tante liegt in den Wehen, und als wir in die Klinik kommen, ist das Kind bereits da. Meine Tante liegt erschöpft auf dem Bett und hat noch Schmerzen – aber sie lächelt glücklich. Ihre Augen leuchten. Sie strahlt. Und ich glaube, ich kann ein bisschen verstehen, was das große Glück weniger Momente vermag. Auch wenn es kein Unrecht ungeschehen macht. Aktuell Meinung

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  1. Belladetta sagt:

    Liebe Frau Gümüsay,
    danke für diesen wundervoll geschriebenen, einfühlsamen Artikel. Man kann Hatice nur wünschen, dass sie nach all den eigenen Erfahrungen ihren Kindern die Freiheit läßt, einen selbstbestimmten Lebensweg zu gehen und diesen auch dann zu unterstützen, wenn er noch so abwegig erscheinen mag.
    Mit dem Lebensglück der Kinder kommt auch die eigene Lebenslust zurück. So geschehen bei meiner Mutter (Jahrgang 1937), die sich von ihrem geliebten Beruf verabschiedete, um ganz dem katholischen Ideal einer treusorgenden Hausfrau und Mutter zu entsprechen, obwohl sie Kochen gehaßt hat und es bis heute als Bußübung betrachtet. Keine ihrer vier Töchter, alle emanzipert und mit akademischem Abschluß, wollte jemals in ihre Fußstapfen treten. Wir empfanden diese Aufopferung, stark propagiert von der einen klar antimodernen Kurs verfolgenden katholischen Kirche, als völlig unnötig und vor allem ungerecht. Erst in den letzten Jahren habe ich begonnen, meine Mutter für ihre fügsame Haltung in jenen lang zurückliegenden Jahren zu kritisieren. Ich habe einfach nicht verstehen wollen, dass sie, eine durchaus intelligente Frau, nicht in der Lage war, diese Manipulation von religiöser Seite aus zu erkennen und kritisch zu hinterfragen, sich dem gar zu widersetzen, wie es in meiner Generation üblich ist. Im Nachhinein tat mir diese Kritik schon wieder leid, wollte ich ihr doch weder wehtun noch vorwerfen, eine einfältige Person gewesen zu sein. Sie war natürlich verletzt, konterte aber sehr reflektiert: „Belladetta, du kannst das nicht verstehen. Wir wurden zu Gehorsam erzogen und ihr nicht. Das ist der Unterschied.“

  2. Miro sagt:

    Ist das ein Plädoyer die unsägliche Praxis arrangierter Ehen mit „Importpartnern“ aus islamischen Ländern endlich wirksam zu unterbinden? Ich bin auch dafür, nur 300 Worte Deutsch lernen zu müssen werden da nicht helfen. Dänemark hat sehr sinnvolle Regeln aufgestellt und nun muss ein potentieller Ehepartner aus der Türkei, oder anderen nicht-europäschen Staaten, eine Menge Bedinungen (Mindestalter, Berufsqualifikation, gute Sprachkenntnisse, etc) erfüllen um hier heiraten zu dürfen. Die wenigsten entsprechen diesen Vorgaben.

    „Ich ärgere mich über all die Menschen, die Fehler machten und die ich doch irgendwie verstehe.“
    Frau Gümüsay sie äußern ja irgendwie Verständnis für dieses Verhalten, weil doch alle Beteiligten irgendwie nur das Beste wollten. Ich glaube die kranke Logik bei Ehrenmorden will eigentlich auch nur irgendwie das Beste für die Familie und alle Beteiligten, abgesehn vom Schicksal des Opfers natürlich. Manche Leute haben selbst für solche Greultaten irgendwie Verständnis, was ich ihnen Frau Gümüsay natürlich niemals unterstellen würde.

    Nunja ich ärgere mich am meisten über die deutsche Politk die es erlaubt hat, das solche Leute überhaupt nach Deutschland gelassen werden und sowas dann hier passieren kann. Diese rückständge Definition von Familie, Familienehre und die damit verbundende Entrechtung vorallem der Kinder ist unerträglich und führt zu den in diesem Artikel beschriebenen Realitäten und kann eben auch zu Ehrenmorden führen.
    Ich habe übrigens für nichts von all dem irgendwie Verständnis.

  3. Der Türke sagt:

    Miro,
    ihr Beitrag zeigt nur auf, das sie einfach mal absolut garnix von dem Artikel verstanden haben. Wie soll man auch verstehen wenn man nur reflexartig auf bestimmte Themen mit bestimmten Worten antwortet.

  4. Manfred O. sagt:

    @ Der Tuerke

    Das ist nun mal eine brauchbare Aussage: man hat einfach garnichts vom Artikel verstanden. Wäre es nicht sinnvoller (und glaubwürder), dann INHALTLICH sowohl auf den Artikel als auch die Replik darauf einzugehen ?

    SO ist eben NICHTS mit Ihrer Antwort anzufangen, denn sie ist inhaltich hohl.
    WO bleiben Gegenargumente ?

  5. Karl Willemsen sagt:

    @Der Türke

    …ihr Beitrag zeigt nur auf, das sie einfach mal absolut garnix von dem Artikel verstanden haben.

    ja, hier – ich auch nicht! Ich werd einfach nicht schlau aus der Story bzw. was uns die Künstlerin damit sagen möchte… klären sie mich auf!

    Sollte die Moral von der Geschicht vielleicht diese sein: Zwangsheiraten ist zwar nicht die feine Art, aber wenn alle „nur das Beste“ wollen und drei Geburten dabei rausspringen, isses unterm Strich schon ok…?

    Korrigieren Sie mich bitte falls ich völlig falsch liegen sollte…

  6. Mary sagt:

    Guten Tag,

    Belladetta hat es verstanden.

    Und es geht niemals darum, was der Autor/Dichter/Kuenstler uns damit sagen wollte, sondern was es UNS im Einzelnen sagt…

    Ich fuer meinen Teil habe daraus VERSTAENDNIS gelesen. Und Ambiguitaetstoleranz!

    Aber diese Eigenschaften scheinen leider einigen Menschen zu fehlen.

  7. Pragmatikerin sagt:

    Was ich an diesem Beitrag sehr gut finde ist, dass man auch in einem türkischen Migazin heute über solche Themen schreiben kann. Ich denke in den 90iger Jahren wäre dieses Schicksal einer gedemütigten Frau hier nicht veröffentlicht worden.

    Pragmatikerin