Bildungsstudie
Deutsches Schulsystem benachteiligt Migranten mehrfach
In Deutschland entscheidet der soziale Status über den Besuch eines Gymnasiums. Migrantenkinder werden zudem auch bei gleichen Leistungen häufiger benachteiligt. Das ist das Ergebnis einer Studie des Berlin-Instituts.
Montag, 16.05.2011, 8:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.01.2020, 15:45 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Etwa 30 Prozent der unter sechsjährigen Kinder haben in Deutschland einen Migrationshintergrund und rund 27 Prozent aller Schüler haben Eltern, die selbst höchstens einen Hauptschulabschluss haben. In den letzten Jahren ist dabei vor allem der Anteil an Kindern stetig gestiegen, deren Eltern keinerlei allgemeinen Schulabschluss vorweisen können.
Dennoch schafft schafft Deutschlands Schulsystem es nicht, herkunftsbedingte Benachteiligungen von Schülern auszugleichen, die aus sogenannten „bildungsfernen“ Elternhäusern stammen. So liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind von Eltern mit Hochschulabschluss und hoher beruflicher Position nach der Grundschule auf das Gymnasium wechselt, fünfmal so hoch wie bei einem Kind von Eltern ohne beruflichen Abschluss und etwa einem Job als Hilfsarbeiter. Selbst wenn diese beiden Kinder die gleiche Leistung zeigen und gleich begabt sind, unterscheiden sich die Wahrscheinlichkeiten noch um das Zwei- bis Dreifache.
Mehrfachdiskriminierung
Bei Schülern mit Migrationshintergrund kommt hinzu, dass sie auch bei gleichem Status der Eltern und gleichen Leistungen viel seltener auf ein Gymnasium gehen. „Der Migrationshintergrund hat also einen Effekt auf den Bildungserfolg, der sich nicht dadurch erklären lässt, dass Zuwanderer einen niedrigeren Berufsstatus oder ein schlechteres Einkommen haben“, so die Autoren der Studie.
Eine Befragung der Schüler nach ihrer Motivation in der Schule habe nämlich keine Unterschiede zwischen Jugendlichen mit oder ohne Migrationshintergrund ergeben. Das erkläre die Leistungsunterschiede nicht.
„Die Wahrscheinlichkeit, nach der Grundschule aufs Gymnasium zu wechseln, ist also stark von der Herkunft abhängig“, stellen die Wissenschaftler fest. Von Kindern, deren Eltern selbst höchstens über einen Hauptschulabschluss verfügen, schafften das im Jahr 2007 gut 14 Prozent. Bei Kindern von Eltern mit mittlerem Abschluss lag die Quote bei etwa 35 Prozent, bei Akademikerkindern bei fast 62 Prozent.
Verschwendung von Potenzialen
Laut Studie gibt es außerdem Belege dafür, dass „die Beziehung zwischen Sozialstatus und schulischer Leistung enger ist als die zwischen sozialer Herkunft und Intelligenz“ – das heißt, dass zumindest ein Teil der Leistungsdefizite, darauf zurückzuführen ist, dass Kinder aus den sozial benachteiligten Schichten ihre Begabung weniger gut entfalten können, und nicht darauf, dass sie weniger begabt wären. Dabei wären selbst bei einer moderaten Erhöhung der Quote von 14 auf 35 Prozent im Schulanfängerjahrgang 2010 fast 40.000 zusätzliche Abiturienten möglich.
In gleicher Weise lassen sich die Reserven bei den Schülern mit Migrationshintergrund abschätzen. Hätten sie die gleichen Chancen, das Gymnasium zu besuchen, wie die deutschstämmigen Kinder, würden vom Einschulungsjahrgang 2010 rund 30.000 zusätzlich den Weg zum Abitur einschlagen.
Download: Die Studie: „Mehr Chancen für Schüler“ kann auf den Internetseiten des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung heruntergeladen werden.
Und so gehen nicht nur potenzielle Fachkräfte verloren, sondern auch politisches Interesse oder ehrenamtliches Engagement. „Darüber hinaus wirken sich die schlechteren Bildungsaussichten negativ auf den Einzelnen aus, etwa was das Einkommen, aber auch die Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands und des zwischenmenschlichen Vertrauens angeht“, heißt es in der Studie. (es)
Gesellschaft Studien
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@ Ludwig S.
Komisch, ich denke nicht sofort an Muslime, obwohl ich auf dem Papier ein Muslim bin. Statistiches Bundesamt oder Robert Koch Institut ist für Fachleute entscheidend, weil man die Studien sonst schwer vergleichen kann. Zugegeben, für die Laien zu schwierig. By the way – ich bin ein deutscher Staatsbürger.
@ BiKer
Kern der Argumentation des Artikels ist folgender Satz: „Dennoch schafft schafft Deutschlands Schulsystem es nicht, herkunftsbedingte Benachteiligungen von Schülern auszugleichen, die aus sogenannten „bildungsfernen“ Elternhäusern stammen.“
Aus dieser Feststellung einer schwach ausgeprägten Performanz des Schulsystems wird direkt eine Benachteiligung (siehe Titel!) konstruiert. Die Frage ist doch: Kann das Schulsystem Kinder ab dem 6. Lebensjahr, die aus bildungsfernen Familien stammen, von grundauf umkrempeln und aus ihnen Musterschüler und Gymnasiasten machen? Ich glaube nicht! Die Forscher der Uni Hannover sehen das übrigens ganz ähnlich: http://www.psychologie.uni-hannover.de/fileadmin/psychologie/Dateien/Institut-Downloads/Tiedemann/flyer_hgss-1.pdf
Anders als die im Artikel zitierte Studie wurden hier eigene Erhebungen von rund 3000 Grundschulkindern durchgeführt. Einige Auszüge:
„Berücksichtigt man den Leistungsstand, so werden Kinder mit Migrationshintergrund bei den Schullaufbahnempfehlungen nicht
benachteiligt.“
„Mit wachsendem Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund
in der Schule sinken die durchschnittlichen Testleistungen und die durchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten der Schulklassen. Kinder mit Migrationshintergrund lernen meist in deutlich anregungsärmeren
Lernumwelten, die auch durch engagierte Lehrkräfte nicht kompensiert werden können.“
Kurz gesagt – und da kann ich Frau Dr. Zellerhoff nur zustimmen – liegt der Knackpunkt bei den Eltern der Schüler mit Migrationshintergrund: Kinder müssen von ihren Eltern beim Lernen und den Hausaufgaben unterstützt werden, Eltern müssen ihre Kinder auf dem Bildungsweg ganz allgemein begleiten. In meiner frühen Kindheit sah das so aus: Im radebrechenden Deutsch wurden mir und meinen Geschwistern Märchen und Sagen vorgelesen, wir wurden auch aktiv angehalten selber – unserem Leistungsstand entsprechend – zu lesen. Das sind Impulse und Faktoren die eine Grundschule nicht leisten kann. Eigeninitiative und Eigenverantwortung sind gefordert.
Und was lesen wir im Artikel? Benachteiligung! Mehrfachdiskriminierung! Verschwendung von Potenzialen!
Um mal einen ehemaligen Bundesligatrainer zu zitieren: Alles Blabla ist das doch!
Grüße
Bierbaron
@ Bierbaron
Alles ist leider nicht blabla. Natürlich haben die Eltern eine Verantwortung.
Jedoch, „Bildung und Ausbildung“ ist nicht NUR eine Elternsache. Der Staat kann sich nicht so einfach drücken! Das wäre die halbe Wahrheit.
In die ehemalige DDR wurden nur gut ausgebildete Fachkräfte aus Vietnam aufgenommen, dass diese Einwanderergruppe bildungsfern sei, stimmt so nicht; im Unterschied dazu waren italienisch- und türkischstämmige eher bildungsfern
wie es mit den BoatPeople aussieht, weiss ich nicht, und ob das mit den berüchtigten Erziehungmethoden stimmt, weiss man auch nicht…
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Wer für Chancengleichheit plädiert,muss für gleiche Ausgangslagen sorgen.
Soll das öffentliche Bildungssystem die Ungleichheit in den Voraussetzungen kompensieren, muss es im Interesse der benachteiligten Kinder Personal und Geld für zusätzliche Förderung bereitstellen.
Wird nicht mehr in diese Kinder investiert,können wir auch weiterhin nicht von Bildungsgerechtigkeit sprechen.
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Das ist zwar schon ein alter Tread, trotzdem will ich etwas beitragen.
Ich bin selbst eine Migrantin und es ärgert mich sehr, wie nicht-deutsche Kinder diskriminiert werden. Mein Sohn bekam von einer Schule eine Sonderschule-Empfehlung. Die Direktorin interessierte nicht die Meinung von Eltern (mich), Ärztin, Erzieherinnen aus Kindergarten, die sagten, dass mein Sohn schulreif ist. Die Argumente von der Direktorin waren dabei mehr als lächerlich. Wenn ich Sie darauf hingewiesen haben, wurde mir mit Jugendamt und Anwalt gedroht! Mein Sohn hat mit der Schule doch angefangen und seine Leistungen sind zufriedenstellend. Jetzt habe ich erfahren, dass aus unserem Kindergarten mind. weitere 2 Kinder eine Empfehlung für eine Sonderschule bekamen. Natürlich beide mit Migrationshintergrund!!!
Man kann bei diesem Thema leider nur noch mit dem Kopf schütteln.
Das hat sicherlich vielerlei Gründe aber Fakt ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund, leider, immer noch bei der Jobsuche, Wohnungssuche und beim Bildungssystem benachteiligt werden.
Die Jugendlichen brauchen Vorbilder und Motivation.
Es gibt in Deutschland einfach noch viel zu wenig Privatschulen (falls es solche überhaupt gibt), wo z.B. auch ein Schulpsychologe den ganzen Tag auf dem Schulhof herumläuft, sich ein trauriges Kind aus der Masse herauspickt, ihn in sein Büro holt und versucht durch Gespräche, Analysen wieder aufzubauen….Dadurch steigt nicht nur sein Selbstwertgefühl wieder sondern er wird auch Selbstbewusst er, zufriedener und ausgeglichen.
In den USA soll es auf JEDER Schule einen Schulpsychologen geben.
Die Juden in Deutschland haben doch auch ihre Privatschulen. In der Türkei gibt es deutsche Gymnasien und Amerikanische Collage s. Also warum auch nicht in Deutschland?
Die meisten Eltern der ausländischen Kinder haben im Vergleich zu den Deutschen Eltern einfach zu wenig psychogische und pädogogische Grundkenntnisse auf diesem Gebiet.
Das könnte auf Privatschulen durch gute Pädagogen kompensiert werden und zu einer stabilen Persönlichkeitsentwicklung sorgen.
Könnten hier nicht z.B. die türkischen Gemeinden was in Bewegung setzen? Hab selbst keine Kinder aber selbst wenn, auf eine staatliche Schule, so wie es im Moment ist in DE, würde ich mein Kind nicht schicken wollen.
Hab manchmal das Gefühl dieser Regierung ist das sch…egal.
Ab zur Sonderschule, Ali.