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Sarrazin-Ausschlussverfahren

Integrationspolitik braucht Überzeugungen – auch in der SPD!

Warum die SPD gut daran täte, auf ihren Grundwerten zu bestehen statt auf taktischem Verhalten. Eine Position von Pascal Barthel, Juso-Bezirksvorsitzender Hessen-Nord, zum Parteiausschlussverfahren der SPD gegen Thilo Sarrazin.

Von Pascal Barthel Freitag, 20.05.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 25.05.2011, 2:52 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Als die SPD-Parteispitze im letzten Jahr das Parteiordnungsverfahren gegen Thilo Sarrazin einleitete, begründete das der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel in einem Beitrag für die Wochenzeitung „Die Zeit“ am 16.09.2010 unter dem Titel „Welch hoffnungsloses Menschenbild! Warum die SPD einen Thilo Sarrazin in ihren Reihen nicht dulden kann“ mit dem eugenischen Charakter der Thesen Sarrazins, der „keine Integrations-, sondern eine Selektionsdebatte“ führen würde. Er warf ihm „ethnische Ressentiments“ vor, die „den Boden für die Hassprediger im eigenen Volk“ bereiten würden. Er bezeichnete Sarrazin darin als „Hobby-Darwin“, der grundsätzliche sozialdemokratische Überzeugungen ablehnt. Sarrazin vertrete die Ansicht, dass das Entstehen von oben und unten in der Gesellschaft mit natürlicher Auslese durch Vererbung zu tun hätte, dass also die „Angehörigkeit zu einer bestimmten Schicht ganz primär mit der vererbten Intelligenz zu tun hat“. Gabriel analysierte treffend den rückschrittlichen Charakter der Thesen Sarrazins und bezeichnete diese als „unverblümte Wiederbelebung der ständischen Gesellschaft“.

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Dieses Buch von Sarrazin, über das sein Anwalt Klaus von Dohnanyi sagt, dass Sarrazin „nichts zurückzunehmen habe“ (Tagesspiegel vom 27.04.2011), ist in seinem tiefsten Wesenskern ein Gegenentwurf zu sozialdemokratischen Grundwerten.

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Parteien sind Wertegemeinschaften, ihre Mitglieder bekennen sich bei allen unterschiedlichen Meinungen in einzelnen Sachfragen zu gemeinsamen Grundsätzen. Für die SPD ist dieses die tiefe Überzeugung, dass es wirkliche Freiheit nur mit Gerechtigkeit und Solidarität gibt, dass eine Gesellschaft durchlässig und sozial sein muss, dass alle Menschen an ihr teilhaben und ihnen diese Teilhabe ermöglicht werden muss. Es ist die Geschichte einer Partei, die im Deutschen Kaiserreich die politisch und materiell unterprivilegierten Arbeiter organisiert hat und deren ganzes Bestreben darauf abzielte, die ungerechte Klassenherrschaft des Kaiserreichs zu überwinden und eine gerechte Gesellschaft aufzubauen. Dazu gehört seit fast 150 Jahren die felsenfeste Überzeugung, dass gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist, durch Demokratie, Rechtsgleichheit, Bildung und Chancengleichheit, durch mehr Gerechtigkeit bei der Einkommensverteilung und durch soziale Förderung. Diese Grundüberzeugung gilt für Sozialdemokraten unabhängig vom Stand, der Schicht, der Nation und der Religion.

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Sarrazin vertritt dagegen eine Position, die die Privilegien derjenigen, die oben sind, sichern will, und zwar gegen diejenigen, die unten sind. Ihnen will er die Aufstiegschancen nehmen, sie will er unter Druck setzen. Und diese Botschaft verkauft er als Rettung Deutschlands, das ist das Schlimme und da ist Sarrazin in der Tat von vielen Medien falsch verstanden worden. Nur nicht in dem Sinne falsch, wie das sein Anwalt Klaus von Dohnanyi meint, sondern darin, dass sein zutiefst unsoziales Menschenbild nicht genug von den Medien herausgearbeitet wurde und genau wegen dieses unsozialen Menschenbildes hätte er aus der SPD ausgeschlossen werden müssen.

Genau da gelten eben auch Gabriels Worte vom letzten September: „Wer uns empfiehlt, diese Botschaft in unseren Reihen zu dulden, der fordert uns zur Aufgabe all dessen auf, was Sozialdemokratie ausmacht: unser Bild vom freien und zur Emanzipation fähigen Menschen. Und wer uns rät, doch Rücksicht auf die Wählerschaft zu nehmen, die Sarrazins Thesen (oder dem was davon veröffentlicht wurde) zustimmt, der empfiehlt uns taktisches Verhalten dort, wo es um Grundsätze geht.“

Leider haben wohl genau diese taktischen Erwägungen, gekoppelt mit der Angst vor einer möglichen juristischen Niederlage, die Rücknahme des Ausschlussantrages durch Andrea Nahles, die Prozessbevollmächtigte des SPD-Parteivorstands, bewirkt. Doch gerade hier hätte der Parteivorstand seine Position halten müssen und durch sämtliche Instanzen der sozialdemokratischen Parteigerichtsbarkeit gehen müssen, denn Grundsätze sind Glaubwürdigkeit und die behält man nur mit Standhaftigkeit.

Die SPD-Bundesspitze hat das Thema offensichtlich so gewaltig unterschätzt, dass sie nun mit der Einführung einer Migrantenquote in der SPD versucht, den politischen Flurschaden zu begrenzen. Aber Menschen bekennen sich nicht zu Quoten, sondern zu gemeinsamen Überzeugungen, zu politischen Ideen, die glaubwürdig vorgelebt werden.

Die SPD braucht keine Migrantenquote! Personalpolitik kann die Risse im inhaltlichen Fundament der deutschen Sozialdemokratie nicht kaschieren. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, müsste eine Partei, die innerhalb kürzester Zeit diverse Vorsitzende verschlissen und ausgetauscht hat, eigentlich wissen. Die Einführung einer solchen Quote führt unweigerlich zu einer Debatte, die fatal für die SPD wäre: Wer ist Migrant und wer nicht? Anhand welcher Kriterien will die SPD entscheiden, wer das „Quorum Migrant“ erfüllt? Diese Diskussion birgt tief in ihrem Inneren eine große Gefahr und wenn erst innerhalb der Partei darüber diskutiert wird, wer zu wie viel Prozent Migrant ist bzw. wer zu wie viel Prozent Deutscher ist, dann ist es um die Sozialdemokratie geschehen.

Migrantinnen und Migranten müssen endlich gleiche Lebenschancen haben. Es geht um eine echte Teilhabe an der Gesellschaft – dazu gehört auch die politische Teilhabe. So sollte das Kommunalwahlrecht für langjährig in Deutschland lebende Nicht-EU-Bürger selbstverständlich sein. Der SPD-Parteivorstand hat in seinem am 9. Mai getroffenen Beschluss „Für Gleichberechtigung und eine Kultur der Anerkennung“ dazu gute Ideen entwickelt. Schade nur, dass erst der Prozess um Sarrazin die Beschlussfassung gefördert hat.

Deutschland braucht keine Integrationsdebatte a` la` Sarrazin, sondern eine Willkommenskultur bei der Migranten Chancen eröffnet und gemeinsame gesellschaftliche Werte vermittelt werden. Wir sind ein Einwanderungsland. Es wird Zeit, dass wir das begreifen. Das heißt, wir müssen die Einwanderer fördern und ja, auch fordern – gerade wenn es um das Bekenntnis zu den Werten einer aufgeklärten Demokratie gleichberechtigter Menschen geht. Dies gilt sowohl für Migrantinnen und Migranten als auch für alle Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Aktuell Meinung

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  1. Tupac sagt:

    Wenn das so weiter geht, taktiert sich die SPD in Grund und Boden. Und „Migrantenquote“-was für ein hässliches Wort- ist nur eine Kurzschlussreaktion, sonst nichts!

  2. Nach Sigmar Gabriels Bewertug in der „Zeit“ ist das die treffendste und „sozialdemokratischste“ Stellungnahme, die ich bislang lesen durfte.
    In der Tat: Menschen engagieren sich für Werte, nicht für Quoten. Eine „Migrantenquote“ hülfe weder der Integration noch der SPD noch unserer Gesellschaft.
    Richtig ist weiterhin, dass Sarrazins Thesen – sie mögen so populistisch sein, wie sie wollen – sich weder mit den Grundwerten der SPD noch denen der Aufklärung und der freiheitlichen Demokratie vertragen.
    Und schließlich stimmt es, dass die Frage, wer denn nun als Migrant zu gelten habe, ebenso spannend wie unlösbar ist. Kann ich die „Migrantenquote“ als in Nordhessen zugezogener Badenser auch in Anspruch nehmen? Vom Gefühl her schon, und um dumpfe Ressentimentbefindlichkeiten geht es in dieser Debatte ja wohl.
    Schön, dass die Jusos zur Versachlichung beitragen und uns außerdem noch sehr treffend erklären, was eine/n Sozialdemokraten/in ausmacht.
    Danke, Pascal! Gemeinsam werden wir den Unsinn mit der Quote verhindern und stattdessen für gleichberechtigte Integration und freiheitliche Emanzipation kämpfen. Und wir müssen überall dort, wo man uns hört, unmissverständlich klar machen, dass die großen und die kleinen Sarrazins keine Sozialdemokraten sind.